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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 30.1912

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Michel, Wilhelm: Die Krise im französischen Kunstgewerbe
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7108#0311

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Die Krise im französischen Kunstgewerbe.

LOVIS CORINTH—BERLIN.

» BLICK AUF DIE ELBE BEI ALTONA«

L'art decoratif n'existe plus en France! Wäre
das in seinem vollen Umfange richtig, dann
stünde die Sache für Frankreich nicht so
schlimm. Man würde sich dann intra et extra
muros mit der Tatsache abfinden, daß Frank-
reich für alle Zeit auf Louis XV. und Louis XVI.
festgelegt ist und nach irgendwelchen gewerb-
lichen Neuerungen kein Bedürfnis empfindet.
Dieses Bedürfnis existiert aber, nicht auf der
Seite der Konsumenten, sondern, ganz wie das
im Anfang bei uns der Fall gewesen, auf Seiten
der Künstler, in deren Seele ja immer der Form-
wille der Zeit früher und bewußter zu Tage
tritt als in den übrigen, beharrenderen Geistern
im Volke. Sucht man das neue Kunstgewerbe
in Frankreich auf, so findet man keine Werk-
stätte, in der unter gegenseitiger Förderung die
verschiedenen Faktoren guten Willens zusam-
menarbeiten, sondern eine Arena mit zwei Pau-
kanten: auf der einen Seite die noch völlig
ungeklärten, aber im Grunde guten Ideen der

Künstler, auf der anderen Seite der lächelnde
Stumpfsinn des Nichtverstehens, das dumpfe
Beharren mit seinem passiven, aber recht fühl-
baren Widerstand, die kompakte Masse der
Hemmungen: Staat, Industrie und Käufer.

Und es entsteht der alte circulus vitiosus:
Die Ideen der Künstler können sich nicht klä-
ren , so lange sie von der praktischen Betä-
tigung zurückgehalten werden. Nur ausgeführte,
der Kritik des Gebrauches ausgesetzte Lei-
stungen bringen den Künstler voran, gerade
wie sich der Dramatiker nur an aufgeführten,
in das kritische und verklärende Rampenlicht
gestellten Bühnenarbeiten weiterentwickelt.
Andererseits besitzen ungeklärte Ideen begreif-
licherweise wenig Werbekraft. Fabrikant und
Käufer wollen Fertiges, Erprobtes, und so
scheitert einstweilen jede Vorwärtsbewegung an
dem Mangel des Einzigen, was in solchen Fällen
helfen kann: des Mutes zum Experiment.

Daß dieser Mut fehlt, bildet in dieser ganzen

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