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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Baum, J.: Die Stockholmer Ausstellung
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Wenzel, Alfred: Das offene System
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0388

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Die Stockholmer Ausslellutig

nicht, wie in München 1908, Ausstellungsbauten
für Jahrzehnte errichten. Sondern die ganze
Anlage, abgesehen von den Wohnhäusern, trägt
den Stempel des Einmaligen, Vorübergehenden,
ist leicht, festlich, heiter und doch ganz fern
von disziplinloser Jahrmarktsunordnung. Die
Schaffung eines solchen reinen Ausstellungs-
typus ist das Hauptverdienst Asplunds.

Im vorderen Teile der Ausstellung zeigt sich
in Hallen das schwedische Handwerk. Der Ge-
samteindruck ist befriedigend. Was hier an
Sonderausstattungen von Räumen, wie Schiffs-
kabinen, Schlafwagen, Gasthofzimmern gezeigt
wird, ist besser als das meiste, das man in
Deutschland und erst recht in Schweden derzeit
noch im Gebrauch sieht. Musterhaft sind im
Lande des Wassersports die Motorboote. In
der Möbelhalle überrascht das starke Angebot
an Eisenmöbeln, die auch in den Wohnhäusern
viel Verwendung gefunden haben. Tapeten,
Linoleum, Beleuchtungskörper, Keramik bieten
vereinzelt sehr Gutes. Im Räume der kirchlichen
Kunst — die Liturgie des schwedischen Pro-
testantismus hat nahezu die gesamten Einrich-
tungsstücke, Gefäße und Gewänder der katho-
lichen Kirche beibehalten — überraschen sehr
moderne Paramente. Überhaupt ist die Textil-
kunst der Stolz Schwedens; schon das im Lande
gewonnene Rohmaterial ist besser als bei uns.
Die Leistungen, zumal der von dem Maler
Anders Zorn und anderen Freunden des Hand-
werks seit Jahrzehnten in ganz Schweden ge-
förderte Hemslöjd (Heimarbeit), sind, zumal auf
dem Gebiet der Teppich- und Deckenweberei,
heute für Europa vorbildlich. Es trifft sich zu-
fällig, daß die Formgebung der alten Bauern-
arbeit, an die man anknüpft, unserem eigenen
künstlerischen Wollen in solchem Grade ent-
spricht, daß man viele dieser Arbeiten anonymen
Hausfleißes für Schöpfungen von Künstlern etwa
aus dem Bauhauskreise halten könnte. Neben

der Textilkunst hat dann vor allem noch die
Glastechnik in den Schöpfungen von Orrefors
Arbeiten von einzigartiger Schönheit aufzu-
weisen. Was hier von Gate und Haid seit 1917
auf dem Gebiete der einfachen Glasbläserei,
des Glasschliffes und Glasschnittes geleistet
wurde, fände in der Kunslkammer des ver-
wöhntesten Sammlers berechtigten Platz. Auch
die Zeugnisse des Buchdruckes und Buchein-
bandes sind jedes Lobes würdig.

Minder erfreulich als die Wirkung der Hallen
ist der Eindruck, den man von den Wohn-
häusern mitnimmt. Man darf dabei allerdings
nicht vergessen, daß es sich nicht um Häuser
der oberen Zehntausend handelt. Die Woh-
nungsmietpreise sind in Schweden sehr hoch;
man rechnet 850 bis 1000 Kronen für je ein
Zimmer. Daher steht der Mittelstand, wenn
auch durch Krieg und Inflation nicht geschwächt,
doch ähnlichen Problemen gegenüber wie in
Deutschland. Wie kann man in einer kleinen
Wohnung einen Raum für verschiedene Zwecke
ausgestalten, die Frage besteht auch in Schwe-
den. Die zahlreichen Wohnungseinrichtungen,
die man zu sehen Gelegenheit hat, sind selten
erfreulich. Vor allem stört die reichliche Ver-
wendung von Metallmöbeln. Daß Radio und
Grammophon nur selten sich finden, sei als
Zeichen der Höhe der musikalischen Kultur in
Schweden gebührend vermerkt. Dafür haben
die Klaviere in diesem Lande phantastische
Formen und Farben. Die Preise aller Einrich-
tungsgegenstände sind im Durchschnitt um ein
Drittel bis um die Hälfte höher als bei uns.
Diesen Forderungen entsprechen Gehälter und
Löhne. Die am besten bezahlten Stockholmer
Bauarbeiter erhalten angeblich einen Tagelohn
von 40 Kronen. Damit ist die Grundlage für
eine so schöne Ausstellung gegeben, die sehr
lebhaft, an Feiertagen durchschnittlich von
60 000 Personen besucht wird...... dr.j. b.

DAS OFFENE SYSTEM

Der moderne Kulturmensch neigt zur Skep-
sis, denn er weiß sehr viel; die betrach-
tende Durchdringung der Vergangenheit schärfte
seinen Blick: Historie und Psychologie lehrten
ihn die Wandelbarkeit alles menschlichen
Tuns erkennen; er weiß heute, daß immer das
Eine durch ein Anderes abgelöst wird, und daß
sich dieses Neue aus dem Alten, durch Ge-
wöhnung und Abstumpfung dem Gepflogenen
gegenüber, mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit,
gleichsam als Pendelschlag nach der anderen
Seite hin, ergibt. Dieses Wissen überträgt er

auch auf die Gegenwart; wir nennen es „skep-
tisch", weil es stets allem „Neuen" nur eine
bedingte Werterfülltheit zugestehen wird: jenen
Wert gerade nur, wie er einer „Reaktion" zu-
kommt, die ein eben anders Gewesenes ablöste,
und die ihrerseits wahrscheinlich bald genug
von einer weiteren überwunden werden wird.

Dieses Wissen von der Wandelbarkeit der
menschlichen Stimmungslage, die uns scheinbar
immer „etwas anderes" wünschen läßt, setzt
natürlich auch in die dauernde Gültigkeit
unserer Kunst Zweifel; und ganz besonders ist
 
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