pierre lard1n u. frau—paris
>teller und sirene«
KÜNSTLER IN IHREN SPÄTWERKEN
Wir wollen von den Künstlern reden, die
auf der Höhe des Lebens stehen. Man
sieht sie stillen, klaren Auges auf einer Welt
verweilen, die ihnen ehemals ein Feld der
Kämpfe war. Klar ist der Blick, mit dem sie
schauen; aber doch gedämpft von jener Träu-
merei, mit der ein Mensch das Spiel von Kindern
betrachtet und dabei an Anderes und Fernes
denkt. Nicht, daß ihre Gedanken von der Welt
abgelenkt wären; denn sie ehren das Irdische
tiefer als der ungeduldige Geist derer, die noch
im Ringen sind. Sie schauen, aber sie durch-
schauen zugleich das Irdische; sie sehen es auf-
gemalt auf dem Hintergrunde des Dauernden.
Ihr Schauen ist nüchtern, aber diese Nüchtern-
heit ist von himmlischer Art. Das Sinnliche ist
ihnen vollkommen wirklich, aber es hat eine
Würde und eine Ruhe von der Ewigkeit her.
Sie sind im schönsten Verhältnis zum Ge-
genwärtigen, aber am wenigsten darin befangen;
und daher ist ihre Kunst die unbefangenste, die
es gibt. Die Unbefangenheit der zur Reife Ge-
kommenen läßt sich nur mit der von Kindern ver-
gleichen; nur ist sie gesicherter gegen den Ein-
bruch störender Geistgewalten, weil der Geist
nicht drohend am Rande ihrer Welt steht,
sondern schon in ihr zur Ruhe gekommen ist.
Eine Festlichkeit liegt über ihr, die Festlichkeit
der Stille, der Abende und der Herbste; denn
Fest ist überall da, wo der Mensch in Freiheit
und voller Bedeutung lebt. Und in Kraft.
Die volle Gewalt des Geistes wird erst auf
der Höhe des Lebens frei. Da stößt keine
unruhige Bewegung mehr aus dem Bildraum
heraus; da sammelt sich alles gegen den Mittel-
punkt. Shakespeare hat im Alter die Tragik
des Menschenlebens hinter sich gebracht und
läßt das Rauschen des Märchenwaldes die
Stimmen des Streites überfluten. Prospero, der
große Magier, gibt am Ende die Zaubergeister,
die tätigen und streitbaren Kräfte seiner Brust
frei und entläßt sie in die Welt. Goethe faßt
allen Gesang seines „Faust" in dem mächtigen
Choral zu Ehren der Liebe zusammen, der die
Dichtung schließt. Und so wird auch in Rem-
brandts „Judenbraut" die Welt nicht etwa
müder, sondern es glänzt in ihr die Ruhe auf,
nach der in allem Kampf gerungen wird. Die
Kämpfe zwar sind vorbei; aber der Triumph
des Sieges ist an ihre Stelle getreten, w. m.
>teller und sirene«
KÜNSTLER IN IHREN SPÄTWERKEN
Wir wollen von den Künstlern reden, die
auf der Höhe des Lebens stehen. Man
sieht sie stillen, klaren Auges auf einer Welt
verweilen, die ihnen ehemals ein Feld der
Kämpfe war. Klar ist der Blick, mit dem sie
schauen; aber doch gedämpft von jener Träu-
merei, mit der ein Mensch das Spiel von Kindern
betrachtet und dabei an Anderes und Fernes
denkt. Nicht, daß ihre Gedanken von der Welt
abgelenkt wären; denn sie ehren das Irdische
tiefer als der ungeduldige Geist derer, die noch
im Ringen sind. Sie schauen, aber sie durch-
schauen zugleich das Irdische; sie sehen es auf-
gemalt auf dem Hintergrunde des Dauernden.
Ihr Schauen ist nüchtern, aber diese Nüchtern-
heit ist von himmlischer Art. Das Sinnliche ist
ihnen vollkommen wirklich, aber es hat eine
Würde und eine Ruhe von der Ewigkeit her.
Sie sind im schönsten Verhältnis zum Ge-
genwärtigen, aber am wenigsten darin befangen;
und daher ist ihre Kunst die unbefangenste, die
es gibt. Die Unbefangenheit der zur Reife Ge-
kommenen läßt sich nur mit der von Kindern ver-
gleichen; nur ist sie gesicherter gegen den Ein-
bruch störender Geistgewalten, weil der Geist
nicht drohend am Rande ihrer Welt steht,
sondern schon in ihr zur Ruhe gekommen ist.
Eine Festlichkeit liegt über ihr, die Festlichkeit
der Stille, der Abende und der Herbste; denn
Fest ist überall da, wo der Mensch in Freiheit
und voller Bedeutung lebt. Und in Kraft.
Die volle Gewalt des Geistes wird erst auf
der Höhe des Lebens frei. Da stößt keine
unruhige Bewegung mehr aus dem Bildraum
heraus; da sammelt sich alles gegen den Mittel-
punkt. Shakespeare hat im Alter die Tragik
des Menschenlebens hinter sich gebracht und
läßt das Rauschen des Märchenwaldes die
Stimmen des Streites überfluten. Prospero, der
große Magier, gibt am Ende die Zaubergeister,
die tätigen und streitbaren Kräfte seiner Brust
frei und entläßt sie in die Welt. Goethe faßt
allen Gesang seines „Faust" in dem mächtigen
Choral zu Ehren der Liebe zusammen, der die
Dichtung schließt. Und so wird auch in Rem-
brandts „Judenbraut" die Welt nicht etwa
müder, sondern es glänzt in ihr die Ruhe auf,
nach der in allem Kampf gerungen wird. Die
Kämpfe zwar sind vorbei; aber der Triumph
des Sieges ist an ihre Stelle getreten, w. m.