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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Wenzel, Alfred: Kunst und Leben
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0232

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KUNST UND LEBEN

Es ist nicht zu leugnen, daß es heute zwischen
„Kunst" und „Leben", zwischen der künst-
lerischen Produktion und der weiteren Allge-
meinheit, für die sie geübt wird, an eigentlichem
engen Kontakt mangelt, an jener Verbunden-
heit, die wir uns für beide Teile wünschen.

Man kann diese Tatsache heute nicht einfach
damit begründen, daß etwa der Künstler, nur
mit sich selbst beschäftigt, „Problemen" nach-
ginge, die wohl für ihn von Wichtigkeit sein
mögen, zu denen aber die große Allgemeinheit,
auch wenn sie sich interessieren wollte, keine
Beziehung finde. Es mag solche Begründung
zu jener Zeit, als man die Kunst als „für die
Kunst" daseiend erklärte, ihre Berechtigung
gehabt haben; heute stimmt es nicht, wenn
man vom Künstler annimmt, daß ihm solche
Probleme das Wichtigste seien, er strebt heute
durchwegs nach der Wirkung ins Größere, die
Kunst sucht heute Widerhall, sie wendet sich
an eine betrachtende Allgemeinheit, von der
sie aufgenommen werden will.

Man kann dem heutigen Künstler auch nicht
den Einwand entgegenhalten: daß er etwa,
trotz seines Strebens, ins Allgemeine zu wirken,
nicht die eigentlich verständliche Sprache rede,
die alle anrühren kann. Er ist — aus allen
Flügen und Ekstasen der Ichberauschtheit —
längst auf die Erde zurückgekehrt und geht auf
Wegen, die eigentlich das Folgen leicht machen.

Nicht er trägt an jenen Kontaktmangel die
Schuld, sondern eine merkwürdige Stimmungs-

lage, in der ein Teil der großen Allgemeinheit
befangen ist: man hört oft sagen: „Es kommt
heute nicht auf »Kunst« an." — Dies ist vor
allem merkwürdig, weil es in der Regel gar
nicht als oberflächliches Beiseiteschieben ge-
meint ist, mit dem Hinweis darauf etwa, daß
wir mit den Anforderungen zivilisatorischen
Aufbaues vollauf beschäftigt wären, daß Tech-
nik und Technifizierung nun das Wichtigste
seien und mit Recht alle Kräfte auf sich kon-
zentrierten, und daß wir darum keine „Zeit"
mehr für die „Kunst", für jenen betrachtend
sich versenkenden Umgang mit ihren Werken
hätten, wie sie ihn wohl beansprucht. Wäre
es so gemeint, dann brauchte man nicht viel
oder gar nichts zu entgegnen, denn es wäre über-
flüssig, in eine Sphäre, die sich als im tiefsten
Wesen kunstfremd zu erkennen gibt, Brücken
hinüberschlagen zu wollen. Von dorther, aus
der fremden Sphäre, kann der Kunst und ihrer
Geltung kein Abbruch geschehen.

Man meint es aber meist anders, wenn man
von der Kunst sagt, daß es heute nicht auf sie
ankomme; man meint gar nicht die Antinomie
„Kunst" — „Technik" , sondern spricht von
einem gewissen sublimen Gegensatz der Kunst
zum „Leben": man deutet an, daß sie sich
zwischen uns und das „Leben" stelle, daß die
Hingabe an sie uns dem eigentlichen „Leben"
entfremde. — Das bedeutet eine Art Furcht
vor der Kunst und für die Kunst selbst eine
Diskreditierung, der man gewiß am besten ent-
 
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