PROF. GERHARD MARCKS—HALLE
»KONKEKTSCHALEN MIT EINSÄTZEN»
NEUES PORZELLAN
DER STAATLICHEN MANUFAKTUR BERLIN
Jeder Werkstoff trägt seine schöpferischen Be-
dingungen in sich selbst. Es ist daher nicht
von Zufall, wann er „entdeckt" wird und wann
die Lebensechtheit seiner Form erlischt. Er
mag als Stoff, als technische Substanz über sein
eigentliches Zeitalter hinaus unentbehrlich ge-
worden sein — die innere Beziehung zwischen
den ihm innewohnenden Formkräften und dem
bildnerischen Eigenwillen der neuen Epoche
ist zerrissen.
So ist es nur eine jener wunderbaren Be-
stätigungen der Kausalität aller Lebenserschein-
ungen, daß die „Erfindung" des Porzellans in
den Anfang des 18. Jahrhunderts fiel, um ein
Jahrhundert lang echt, vollgültig und zeugend
zu bleiben und dann mit dem Hinsterben einer
überfeinerten, übersublimierten Gesellschafts-
kultur soziologisch überaltert zu sein.
Der Werkstoff wurde von dem 19. Jahr-
hundert übernommen, über die feierlich-kühle
Klassizität des Empire zur behaglichen Bürger-
lichkeit des Biedermeier hingewandelt und
schließlich zur Indifferenz der Gattung Ware
entadelt. Eine merkantilistische Generation
nahm sich seiner mit der Hilflosigkeit und
Wandelbarkeit ihrer romantischen Sehnsucht
an; die Industrie, die neben den wenigen welt-
berühmt gewordenen Manufakturen aufblühte,
hatte nur am Produzieren ein Interesse.
Bis in die Gegenwart ist dem Porzellan nicht die
Befreiung aus dem Eklektischen, Dekorativen,
Pseudo-Romantischen des vergangenen Jahr-
hunderts geworden. Alle von Künstlerseite aus
unternommenen Versuche, die Form des Por-
zellans solchem geistigen Industrialismus zu
entreißen und in die künstlerischen Bedingungen
eines gegenwärtigen Lebensgefühls einzube-
ziehen, irrten darin, daß sie beim Dekor, beim
Ornament begannen und dieses modernisierten,
anstatt von einer Neuordnung, Neuorganisation
der Form als solcher auszugehen. So konnte
es geschehen, daß andere Gebiete der Keramik,
die Töpferei, das Steinzeug, auf dem ethischen
Boden unvergänglicher handwerklicher Arbeit
das bildnerische Wesen der Gegenwart unmittel-
barer, sinnvoller und reiner auszuprägen ver-
mochten, als das Porzellan und eine wahrhafte
keramische Kultur gründeten, die Tradition im
besten Sinne des Wortes bedeutet: absolute Ge-
staltung aus dem Empfinden der formenden
XXXIII. M»i 1930. 7
»KONKEKTSCHALEN MIT EINSÄTZEN»
NEUES PORZELLAN
DER STAATLICHEN MANUFAKTUR BERLIN
Jeder Werkstoff trägt seine schöpferischen Be-
dingungen in sich selbst. Es ist daher nicht
von Zufall, wann er „entdeckt" wird und wann
die Lebensechtheit seiner Form erlischt. Er
mag als Stoff, als technische Substanz über sein
eigentliches Zeitalter hinaus unentbehrlich ge-
worden sein — die innere Beziehung zwischen
den ihm innewohnenden Formkräften und dem
bildnerischen Eigenwillen der neuen Epoche
ist zerrissen.
So ist es nur eine jener wunderbaren Be-
stätigungen der Kausalität aller Lebenserschein-
ungen, daß die „Erfindung" des Porzellans in
den Anfang des 18. Jahrhunderts fiel, um ein
Jahrhundert lang echt, vollgültig und zeugend
zu bleiben und dann mit dem Hinsterben einer
überfeinerten, übersublimierten Gesellschafts-
kultur soziologisch überaltert zu sein.
Der Werkstoff wurde von dem 19. Jahr-
hundert übernommen, über die feierlich-kühle
Klassizität des Empire zur behaglichen Bürger-
lichkeit des Biedermeier hingewandelt und
schließlich zur Indifferenz der Gattung Ware
entadelt. Eine merkantilistische Generation
nahm sich seiner mit der Hilflosigkeit und
Wandelbarkeit ihrer romantischen Sehnsucht
an; die Industrie, die neben den wenigen welt-
berühmt gewordenen Manufakturen aufblühte,
hatte nur am Produzieren ein Interesse.
Bis in die Gegenwart ist dem Porzellan nicht die
Befreiung aus dem Eklektischen, Dekorativen,
Pseudo-Romantischen des vergangenen Jahr-
hunderts geworden. Alle von Künstlerseite aus
unternommenen Versuche, die Form des Por-
zellans solchem geistigen Industrialismus zu
entreißen und in die künstlerischen Bedingungen
eines gegenwärtigen Lebensgefühls einzube-
ziehen, irrten darin, daß sie beim Dekor, beim
Ornament begannen und dieses modernisierten,
anstatt von einer Neuordnung, Neuorganisation
der Form als solcher auszugehen. So konnte
es geschehen, daß andere Gebiete der Keramik,
die Töpferei, das Steinzeug, auf dem ethischen
Boden unvergänglicher handwerklicher Arbeit
das bildnerische Wesen der Gegenwart unmittel-
barer, sinnvoller und reiner auszuprägen ver-
mochten, als das Porzellan und eine wahrhafte
keramische Kultur gründeten, die Tradition im
besten Sinne des Wortes bedeutet: absolute Ge-
staltung aus dem Empfinden der formenden
XXXIII. M»i 1930. 7