DRESDENER KUNST 1930
In Dresden herrscht dieses Jahr Platzmangel.
Die Hygiene-Ausstellung beanspruchte alle
Räume für sich. Und doch wollte man die Ge-
legenheit nicht versäumen, zu gleicher Zeit die
Dresdener Kunst zu zeigen. So haben die
Künstlervereinigung, die Sezession und die
Kunstgenossenschaft zusammen in den Räumen
des Sächsischen Kunstvereins ausgestellt. Die
etwas vielköpfige Jury hat hart ihres Amtes
gewaltet und zwei Drittel herausjurierl. Das
eine übrig gebliebene Drittel besteht aus 154
Gemälden und 30 Plastiken. Als Jahresproduk-
tion einer Stadt wie Dresden ist das nicht arg
viel, wenn man dabei noch bedenkt, daß
Albiker, Sterl und Dix nicht mit ausstellen, daß
ferner ein paar der zukunftsreichsten jüngeren
Maler in der Oppositionsgruppe „Dresdener
Aktion" sich zusammenschlössen und deren
Arbeiten natürlich hier auch fehlen.
Trotzdem fragt man sich, ob der deutsche
Kunstmarkt fähig ist, auch eine so geringe,
unter dem Motto „Konzentration", dem neuen
Schlagwort, entstandene Produktion aufzu-
nehmen. Sub specie aeternitatis ist diese Zahl
klein. Denn bei allem Nutzen von Zusammen-
fassungen ist doch zu bedenken, daß zu allen
Zeiten Viele nötig waren, um dem Einen Basis
zu sein, der der Repräsentant seiner Zeit war.
Man sieht: auch unsere Gegenwart hat ihre
Gegenpole, die sich ausschließen.
Der Hauptsaal ist der Jugend vorbehalten.
Wir leben nun einmal jetzt im Zeitalter der
Jugend. Wir sind geneigt, Vorschußlorbeeren
auszuteilen. Und sind damit mindestens so ge-
recht als die Zeiten, die vergilbten Lorbeer an
Totegab. Da istKriegel. Ein seltsamer Maler.
Morbid halb. Halb großzügig bis zur Monu-
mentalität. Sein „Elbtal", flatternde Bäume im
Vordergrund und eine wogende Landschaft in
der Ferne mit grauem Sturmhimmel wirkt wie
ein wildbewegter grünlicher Meeresgrund mit
Schlangenalgen. Da ist Cassel. Ein moderner
Einsiedler in einem verlassenen Steinbruch, den
er sich gekauft hat. Er malt chaotische Vorder-
gründe von seinem Stück Erde mit einem starken
Farbempfinden. Otto Langes weiße Häuser
im Tiefblau südlicher Landschaft wirken wie
Email. Heckrott gibt in den Umrißlinien seines
„Füllens" Spannung und Expansion der Jugend.
Berger und Grundig, ebenso Sima zeigen
proletarische Malerei, in der Proletariertum
nicht bloß als Modemotiv erscheint. Daß heute
sehr viele Maler proletarischer Herkunft sind,
so wie sie zuzeiten von Marees und Feuerbach
aus Familien stammten, in denen die Geistes-
wissenschaften zuhause waren, kann auch
seinen Vorteil haben, wenn diese Maler mit
gesunder Kraft aus der Einsicht die Schlüsse
ziehen, daß die Vergangenheit und ihre Kultur
nicht sterben. So gesehen gewinnt das Selbst-
portrait Skades, das Pariser Farbkultur des
Pleinair mit herber neudeutscher Form eint, bei
jeder neuen Betrachtung. Man lehnt die Kraft-
meierei eines Christoph ab. Man meidet die
Sensation. Man zieht es vor, eine von aller
Ausstellungsbravour freie Qualität zu geben.
Das kennzeichnet die Malerei von P. Wilhelm,
mit dessen Bild des Neumarktes ein neues
Kapitel der Stadtmalerei Dresdens beginnt. Und
auch die von Teuber, dessen Stilleben in ihren
Farben ein Fest für die Augen sind. Dietsch,
Bernhard Müller, Sinkwitz, Herbert
Lehmann, Henke, Rosenhauer, Hegen-
barth und Meister nicht zu erwähnen, wäre
ungerecht.
Und nun zur älteren Dresdener Kunst. Eines
der besten Bilder der Ausstellung ist 51 Jahre
alt. Ein Jugendwerk von Claudius aus der
Gussow-Schule. In Ernst Richard Dietzes
Landschaft vom Dars spürt man die frische,
kühle salzige Seeluft und den unendlichen
Raum. Hettners „Bavu des Blancs", die irre-
alen Menschen Ludwig von Hofmanns,
Dorsch und Otto Fischer, ebenso Feld-
bau er repräsentieren sich in bekannter Form.
Die Plastik überzeugt nicht recht. Schuler,
Primm und Wittig vertreten zwar den reifen
Stil der Albikerschule. Wrba zeigt sich selbst
als Holzbildhauer. Auch die Arbeiten von
Born, Löhner und Maskos interessieren in
Aufbau und Detail. Aber das ist so ziemlich
alles, was zu erwähnen ist.
Wesentlich stärker dagegen sind die Glas-
fenster-Kartons von Paul Rößler. Nicht bloß
ihrer Formate wegen ragen sie aus dem Aus-
stellungsgut hervor. Man fühlt vielmehr im
Schwarz der Kohlezeichnung schon die Glut
der Originale aufsteigen.
Alles in Allem: Es herrscht in Dresden
augenblicklich eine trotzig durchhaltende Kon-
kurrenz in der Jugend. Das ist für das Kunst-
leben einer Stadt doch wichtig. . . . dr. paech.
343
In Dresden herrscht dieses Jahr Platzmangel.
Die Hygiene-Ausstellung beanspruchte alle
Räume für sich. Und doch wollte man die Ge-
legenheit nicht versäumen, zu gleicher Zeit die
Dresdener Kunst zu zeigen. So haben die
Künstlervereinigung, die Sezession und die
Kunstgenossenschaft zusammen in den Räumen
des Sächsischen Kunstvereins ausgestellt. Die
etwas vielköpfige Jury hat hart ihres Amtes
gewaltet und zwei Drittel herausjurierl. Das
eine übrig gebliebene Drittel besteht aus 154
Gemälden und 30 Plastiken. Als Jahresproduk-
tion einer Stadt wie Dresden ist das nicht arg
viel, wenn man dabei noch bedenkt, daß
Albiker, Sterl und Dix nicht mit ausstellen, daß
ferner ein paar der zukunftsreichsten jüngeren
Maler in der Oppositionsgruppe „Dresdener
Aktion" sich zusammenschlössen und deren
Arbeiten natürlich hier auch fehlen.
Trotzdem fragt man sich, ob der deutsche
Kunstmarkt fähig ist, auch eine so geringe,
unter dem Motto „Konzentration", dem neuen
Schlagwort, entstandene Produktion aufzu-
nehmen. Sub specie aeternitatis ist diese Zahl
klein. Denn bei allem Nutzen von Zusammen-
fassungen ist doch zu bedenken, daß zu allen
Zeiten Viele nötig waren, um dem Einen Basis
zu sein, der der Repräsentant seiner Zeit war.
Man sieht: auch unsere Gegenwart hat ihre
Gegenpole, die sich ausschließen.
Der Hauptsaal ist der Jugend vorbehalten.
Wir leben nun einmal jetzt im Zeitalter der
Jugend. Wir sind geneigt, Vorschußlorbeeren
auszuteilen. Und sind damit mindestens so ge-
recht als die Zeiten, die vergilbten Lorbeer an
Totegab. Da istKriegel. Ein seltsamer Maler.
Morbid halb. Halb großzügig bis zur Monu-
mentalität. Sein „Elbtal", flatternde Bäume im
Vordergrund und eine wogende Landschaft in
der Ferne mit grauem Sturmhimmel wirkt wie
ein wildbewegter grünlicher Meeresgrund mit
Schlangenalgen. Da ist Cassel. Ein moderner
Einsiedler in einem verlassenen Steinbruch, den
er sich gekauft hat. Er malt chaotische Vorder-
gründe von seinem Stück Erde mit einem starken
Farbempfinden. Otto Langes weiße Häuser
im Tiefblau südlicher Landschaft wirken wie
Email. Heckrott gibt in den Umrißlinien seines
„Füllens" Spannung und Expansion der Jugend.
Berger und Grundig, ebenso Sima zeigen
proletarische Malerei, in der Proletariertum
nicht bloß als Modemotiv erscheint. Daß heute
sehr viele Maler proletarischer Herkunft sind,
so wie sie zuzeiten von Marees und Feuerbach
aus Familien stammten, in denen die Geistes-
wissenschaften zuhause waren, kann auch
seinen Vorteil haben, wenn diese Maler mit
gesunder Kraft aus der Einsicht die Schlüsse
ziehen, daß die Vergangenheit und ihre Kultur
nicht sterben. So gesehen gewinnt das Selbst-
portrait Skades, das Pariser Farbkultur des
Pleinair mit herber neudeutscher Form eint, bei
jeder neuen Betrachtung. Man lehnt die Kraft-
meierei eines Christoph ab. Man meidet die
Sensation. Man zieht es vor, eine von aller
Ausstellungsbravour freie Qualität zu geben.
Das kennzeichnet die Malerei von P. Wilhelm,
mit dessen Bild des Neumarktes ein neues
Kapitel der Stadtmalerei Dresdens beginnt. Und
auch die von Teuber, dessen Stilleben in ihren
Farben ein Fest für die Augen sind. Dietsch,
Bernhard Müller, Sinkwitz, Herbert
Lehmann, Henke, Rosenhauer, Hegen-
barth und Meister nicht zu erwähnen, wäre
ungerecht.
Und nun zur älteren Dresdener Kunst. Eines
der besten Bilder der Ausstellung ist 51 Jahre
alt. Ein Jugendwerk von Claudius aus der
Gussow-Schule. In Ernst Richard Dietzes
Landschaft vom Dars spürt man die frische,
kühle salzige Seeluft und den unendlichen
Raum. Hettners „Bavu des Blancs", die irre-
alen Menschen Ludwig von Hofmanns,
Dorsch und Otto Fischer, ebenso Feld-
bau er repräsentieren sich in bekannter Form.
Die Plastik überzeugt nicht recht. Schuler,
Primm und Wittig vertreten zwar den reifen
Stil der Albikerschule. Wrba zeigt sich selbst
als Holzbildhauer. Auch die Arbeiten von
Born, Löhner und Maskos interessieren in
Aufbau und Detail. Aber das ist so ziemlich
alles, was zu erwähnen ist.
Wesentlich stärker dagegen sind die Glas-
fenster-Kartons von Paul Rößler. Nicht bloß
ihrer Formate wegen ragen sie aus dem Aus-
stellungsgut hervor. Man fühlt vielmehr im
Schwarz der Kohlezeichnung schon die Glut
der Originale aufsteigen.
Alles in Allem: Es herrscht in Dresden
augenblicklich eine trotzig durchhaltende Kon-
kurrenz in der Jugend. Das ist für das Kunst-
leben einer Stadt doch wichtig. . . . dr. paech.
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