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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 66.1930

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Michel, Wilhelm: Der Mensch als Schöpfer des "Dinges selbst"
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https://doi.org/10.11588/diglit.9256#0274

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DER MENSCH ALS SCHÖPFER DES „DINGES SELBST"

VON WILHELM MICHEL

Man hat im Zusammenhang mit den neuen
Bestrebungen im Wohnbau und in der
Raumausstattung vom „Eindringen kunst-
feindlicher Tendenzen" gesprochen. Das trifft
zu, und es trifft zugleich nicht zu. Nicht zu-
treffend ist diese Behauptung insofern, als das
gestaltende Streben auch im neuen Wohn-
bau durchaus rege bleibt und als es in ihm, wie
bisher, auf ein Fassen, Formen und Bilden der
Dinge abgesehen ist. Zutreffend aber ist diese
Behauptung insofern, als der Ehrgeiz des neuen
Gestaltens auf ein Hervorbringen des „Dinges
selbst" gerichtet ist, als er das betrachtende,
geschöplliche Verweilen in der Natur, das Bil-
den an und vor der Natur ablehnt und sich
auf schöpferische Selbständigkeit stellt.

Man muß sich das klar machen; denn hier
liegt ein Unterschied, auf den alles ankommt.
Alle bisherige Kunst entstand so, daß der Mensch
sich in eine von Gestalten erfüllte Welt gesetzt
fand und nun von seiner Liebe zu den Ge-

schöpfen oder von seiner Furcht vor ihnen
sprach in einem Vokabular, das diese Geschöpfe
selbst ihm lieferten. Es hat in diesem Sprechen
bald eine größere, bald eine geringere Selb-
ständigkeit gegenüber der Natur gegeben. Aber
noch die abstrakteste Kunst holt ihre Zeichen
(Linie, Kreis, Dreieck u. s. f.) aus dem Bereich
der sichtbaren Dinge; und indem sie dieselben
zum Anschauen auf die Bildtafel setzt, ver-
wandelt sie sie auf alle Fälle wieder in eine
Landschaft von Zeichen, die ihr eigentliches
Leben in der Schaubarkeit und im Geschaut-
werden haben.

Eine völlig andere Lage ist aber gegeben,
sobald der Mensch das „Ding selbst" hervor-
bringen will; das Ding, das sein Leben wesent-
lich nicht im Geschautwerden, sondern im
Wirken, im Sein, d. h. eben in seiner Ding-
haftigkeit hat; das Ding, das sich zum Kunst-
werk verhält wie der wirkliche Apfel zum
Apfel-Stilleben; das primäre, das eigentliche

P. BRUCKMANN & SÖHNE. »SILBERNES BESTECK FÜR DAS RATHAUS NÜRNBERG«
 
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