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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0294
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290

BESPRECHUNGEN.

können auch schlechte Dichter lieben, wenn hinter ihren Werken ein guter Mensch
steht. Vielleicht ist Eisler eine solche Persönlichkeit. Darüber habe ich hier nicht
zu rechten; ein guter Ästhetiker ist er jedenfalls nicht.

Prag. Emil Utitz.

Oskar Kohnstamm, Kunst als Ausdruckstätigkeit. Biologische Voraus-
setzungen der Ästhetik. München 1907, Verlag von Ernst Reinhardt, gr. 4°.
93 S.
Es ist mir nicht leicht, dieses Buch zu besprechen, das sich stolz als eine große
Tat ausgibt. Davon wurde ich leider nicht überzeugt. Einmal sagt der Verfasser,
man könnte versucht sein, seine Ausführungen für »vage Spekulationen« zu halten.
Dieser naheliegenden Versuchung bin ich zum Teil erlegen, denn den »heuristischen
Wert« vermochte ich nicht zu finden. Vor allem ist es mir nicht klar, in welchem
Zusammenhang das meiste von dem, was auf den ersten 55 Seiten steht — also
über die Hälfte des Buches ausfüllt —, eigentlich mit der Kunst stehe.

Der Verfasser erzählt z. B., daß »die bekannte Mimik des öffentlich Blamierten
bis auf qualitative Gradunterschiede dieselbe ist, wie der Bewegungskomplex bei
einer Anwendung der Bauchpresse, die dahin wirkt, lästig drückenden Magen- oder
Darminhalt durch Erbrechen oder per vias naturales los zu werden«. Allerdings
bittet Kohnstamm dann um Verzeihung, daß er fast stets auf »Nachtseiten der
menschlichen Natur rekurrieren muß«. Diese Verzeihung würde ihm sicherlich gern
gewährt werden, wenn wir bloß einsehen könnten, inwiefern damit der Ästhetik
gedient wird. Recht unangenehm wirkt ferner das häufige Verwechseln physio-
logischer und psychologischer Fragen. Ich gebe absichtlich ein einfaches Beispiel,
um dem Vorwurf zu begegnen, einzelne Bemerkungen aus ihrem Zusammenhang
herauszureißen. »Ergießt sich eine heitere Stimmung durch das Gehirn, so klingt
das darauf abgestimmte Bewegungsbild des Lachens an und pflanzt sich zu den
Bewegungszentren der vorderen Zentralwindung und von hier zur Peripherie fort.«
Das sind lauter sprachliche Bilder, aber keine wissenschaftlich genauen Formu-
lierungen eines vorliegenden Tatbestandes. Ganz abgesehen davon, daß uns eine
»heitere Stimmung« durch den Hinblick auf Gehirnwindungen psychologisch nicht
verständlicher wird, ist dieser »Erguß durch das Gehirn« vollkommen unverständlich.
Was ergießt sich? Hier liegt offenbar eine Verwechslung von Physischem und
Psychischem vor. Pflanzt sich ferner das Lachen fort von einer Gehirnpartie zur
anderen? Sicherlich nicht; sondern irgend eine Erregung, die entweder das Lachen
hervorruft, oder auf der psychischen Seite von einem Lachen begleitet ist. Sicher
meint dies auch der Verfasser mit dem »Bewegungsbild«. Aber an anderen Stellen
sind die Rätsel nicht so leicht zu raten, die der Autor seinen Lesern auftischt, da
er häufig in verschwommenen Bildern spricht, statt auf die Bedeutung selbst einzu-
gehen, und da er. ferner oft einer geradezu aphoristischen Kürze huldigt; so ent-
steht auch der Nachteil, daß der Leser leicht den Zusammenhang verliert, und die
Ausführungen des Verfassers sich ihm in Einzelbemerkungen auflösen.

Kohnstamm spricht von »überindividuellen Gefühlen«, von einer »unbewußten
Intensität der Gefühle« u. s. w. Das ist doch mindestens sehr unklar. Unter Ge-
fühl versteht der Verfasser jeden »unmittelbar expressiv wirkenden Bewußtseins-
zustand«. Das »wichtigste Kennzeichen« eines Gefühls würde demnach etwas sein,
was gar nicht Gefühl ist, sondern eine seiner Folgen. Hat überhaupt jedes Gefühl
diese expressiven Folgen? Meines Erachtens gilt die Begriffsbestimmung lediglich
von den sogenannten Affekten, nicht aber von den höheren Gefühlen. Allerdings
können an diese wieder Affekte — wenn auch nicht unmittelbar — anknüpfen.
 
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