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Winghart, Stefan [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Kaspar, Fred [Bearb.]; Gläntzer, Volker [Bearb.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Güter, Pachthöfe und Sommersitze: Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land ; [... 23. Jahrestagung der nordwestdeutschen Hausforscher im März 2011 ...] — Hameln: Niemeyer, Heft 43.2014

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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
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Michaels, Sonja: Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland: ein Beitrag zur Typologisierung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51273#0055
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51

Fachwerk-Herrenhäuser des Landadels in Nordwestdeutschland
Ein Beitrag zur Typologisierung1
Sonja Michaels

Ausgehend von den Überlegungen von Karl Eugen
Mummenhoff, die dieser in Hinsicht auf die
Herrenhäuser des Adels bis 1650 für das Oberstift
Münster entwickelte,2 gilt es zu überprüfen, ob sie
heute noch gültig sind und sich diese Typologie auch
auf angrenzende Landschaften (insbesondere das
Niederstift Münster, aber auch das Fürstbistum Osna-
brück) übertragen lässt.3 Auch wenn die Aufstellung
einer Typologie grundsätzlich die Gefahr einer un-
sachgemäßen Verallgemeinerung und unrealistischen
Normierung mit sich bringen kann, so ist es doch
möglich, große Datenmengen zu bearbeiten, um auf
diese Weise Denkmodelle zu entwickeln.
Bei einer Betrachtung sind neben dem Zeitraum noch
folgende Elemente im Blick zu halten: Bau-, Raum-
und Funktionsstruktur. Generell ist, was das verwen-
dete Baumaterial angeht, zwischen einem westlichen
und einem östlichen Raum innerhalb des Niederstiftes
zu trennen: Im Kontrast zum Oberstift Münster und
auch zum Hochstift Osnabrück4 überwog im östlichen
Niederstift, dem Oldenburger Münsterland (heutige
Landkreise Cloppenburg und Vechta), die Fachwerk-
konstruktion. Massivbauten traten erst seit der zwei-
ten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf, allerdings mit
einem räumlichen Schwerpunkt im westlichen Bereich
des Niederstiftes,5 der womöglich unter Einfluss der
angrenzenden Niederlande6 bzw. des Oberstiftes
Münster7 zustande kam.
Dagegen bildete im Oldenburger Münsterland der
Zeitraum bis 1650 den Schwerpunkt einer Baukon-
junktur, in der die meisten der erhaltenen Herren-
häuser entstanden.8 Dies erscheint umso verständli-
cher, da in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im
Amt Vechta keinerlei schwere Kriegsauseinanderset-
zungen stattfanden.9 Im Zuge der Gegenreformation
übernahm der katholische Adel (vorwiegend aus dem
Oberstift Münster) durch Kauf, Erbschaft oder Heirat
zu einem Großteil diese Güter, die nun eher als
Nebenwohnsitz sporadisch genutzt wurden, da die
neuen Eigentümer ihren Stammsitz oft in anderen
Regionen besaßen. Sie hatten keinen Anlass, sich
neue, komfortablere Bauten errichten zu lassen, in
denen sie doch nicht wohnen würden. Dies alles wirk-
te sich konservierend auf den Altbestand aus.
Hinsichtlich der adeligen Herrenhäuser aus Fachwerk
kann man zwei Grundbauweisen unterscheiden, wo-
von eine wiederum in zwei Untergruppen zu teilen ist:
Es gibt Herrenhäuser „bäuerlichen Typs"10 (oder auch:
„herrschaftliche Hallenhäuser")11 und „adelige Wohn-
häuser in Stockwerkbauweise".12 Die herrschaftlichen

Hallenhäuser lassen sich weiterhin gliedern in Gebäu-
de mit und ohne Stallteil. Alle drei Formen sind mit
Einschränkung im Niederstift Münster nachweisbar.13
Es ergeben sich verschiedene Fragestellungen: Was ist
bei den beiden Hauptformen identisch und wodurch
unterscheiden sie sich? Welche Form hatten diese
Adelsbauten, die in Fachwerkbauweise errichtet wur-
den? Wie war die innere Struktur der Häuser aufge-
baut? Wo waren diese Haustypen verbreitet? Welche
Personengruppen ließen diese erbauen? Welche
Grundrissform ist insbesondere im Oldenburger
Münsterland und darüber hinaus festzustellen?
Auf den ersten Blick erscheinen die Gruppen gleich-
förmig - sie lassen sich sehr leicht verwechseln. Zu-
meist findet sich diese Herrenhausarchitektur auf den
bescheidenen Adelsgütern - allerdings nicht zwin-
gend auf der einfachen Form eines Gräftenhofes, son-
dern durchaus auch auf den aufwändigeren Zweiin-
selanlagen.14 Zudem gehören sie derselben Zeitstufe
mit einem Verbreitungsschwerpunkt zwischen dem
späten 16. und dem frühen 17. Jahrhundert an. Au-
genfällige Unterschiede ergeben sich dagegen durch
die Bauweise sowie die innere Raumaufteilung. Bei
den herrschaftlichen Hallenhäusern handelt es sich
grundsätzlich um Zwei- oder Vierständerbauten. Der
andere Haupttyp ist hingegen als Wandständerbau
mit bis zu zwei Stockwerken ausgebildet und über-
nahm als die „fortschrittlichere" Erscheinungsform
grundsätzlich nur eine reine Wohnfunktion15, wobei
die Erschließung von der Traufe her erfolgte.16
Die Form „herrschaftliches Hallenhaus" gibt es in
zwei Varianten: zum einen - wie sein bäuerliches
Gegenstück - „altertümlich" mit Stallteil und einer
Erschließung von der Giebelseite mittels eines großen
Tores und zum anderen als derselbe Typus, jedoch
„moderner" ohne Stallteil. Herrschaftliche Hallen-
häuser sind meistens von den Größenabmessungen
betrachtet sehr eindrucksvoll, wobei die Form mit
Stallteil innen wie ein niederdeutsches Hallenhaus mit
Längsdiele, Flettküche, Viehställen in den Seitenschif-
fen und (oft unterkellertem) und repräsentativ ausge-
staltetem Kammerfach aufgebaut ist. Manchmal
wurde das Kammerfachteil über einem hohen, meist
älteren Bruchsteinmauerwerk-Keller errichtet. Es
bestand jedoch - im Gegensatz zu seinem bäuerli-
chen Pendant - eine strikte Trennung zwischen
Viehstall und Küche mit Kammerfach.17 Bei der zwei-
ten Variante fehlt der Stallteil völlig. Diese reinen
Wohnhäuser verfügen über dreischiffige Gerüste, die
das Gebäude im Inneren gliedern.
 
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