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Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Nicolas Rügge
Zur Forschungsgeschichte und Quellenlage
Wer Rudolf vom Bruchs großes Werk „Die Rittersitze
des Fürstentums Osnabrück" zur Hand nimmt, könn-
te meinen, das Thema sei gründlich erforscht. In der
Tat verzeichnet der beeindruckende, inzwischen über
80 Jahre alte Band sämtliche adligen Wohnsitze auf
dem Gebiet des früheren Hochstifts. Besonders war
der Verfasser um vollständige Besitzerfolgen und um
Nachrichten zur Baugeschichte bemüht, davon zeu-
gen auch gezeichnete Lagepläne und zahlreiche
hochwertige Fotos. Dem historischen Überblick dient
eine zusammenfassende Einleitung, die viele Aspekte
in allerdings knapper Form anspricht. Statt eines - in
einem heimatgeschichtlichen Buch aus dieser Zeit
auch kaum zu erwartenden - Anmerkungsapparates
sind im Anhang erfreulicherweise die benutzten
Quellen summarisch, aber präzise genannt.1
Bei näherem Hinsehen werden aber auch die Grenzen
deutlich. Das auf die einzelnen „Rittersitze" fokussier-
te Buch eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk,
kann aber eine übergreifende Darstellung nicht erset-
zen, zumal neben der Besitz- und Baugeschichte die
Informationen über den zugehörigen Grundbesitz
und überhaupt die gutswirtschaftlichen Aspekte stark
zurücktreten. Trotz seiner anregenden Materialfülle
hat „der vom Bruch" eine intensive wissenschaftliche
Beschäftigung mit dem Thema bisher nur in begrenz-
tem Maß ausgelöst - dazu zählen nicht zuletzt jünge-
re baugeschichtliche Fallstudien zu einzelnen Adels-
gütern.2
Umfassende Guts- und neuere Familiengeschichten
liegen aber nicht vor. Auch auf eine moderne Landes-
geschichte des Hochstifts Osnabrück kann die Adels-
1 Haus Schelenburg (Amt Iburg), Südansicht, mit gotischem
Wohnturm (um 1200?) und Renaissance-Palas (Jörg Unkair
1532). Aufnahme um 1900.
forschung leider nicht zurückgreifen. Bis zum frühen
17. Jahrhundert ist die Darstellung des Altmeisters der
Osnabrücker Landesgeschichte, Johann Carl Bertram
Stüve (+ 1872), immer noch maßgeblich.3 Für die
Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Osnabrü-
cker Adel ist inzwischen Christian Hoffmanns breit
angelegte Dissertation grundlegend, die am Beispiel
der führenden Familie von Bar den politischen, kon-
fessionellen und lebensweltlichen Wandel im Hoch-
stift zwischen Reformation und Westfälischem Frie-
den untersucht.4 Zeitlich anschließende Studien befas-
sen sich mit der Standesidentität des Osnabrücker
Adels im 18. Jahrhundert und jüngst aus der Perspek-
tive einer „neueren" Politik- und Kulturgeschichte mit
Organisation, Verfahren und Selbstdarstellung der
Ritterschaft im Vergleich mit benachbarten Terri-
torien.5 Ebenfalls kürzlich erschienen ist eine Unter-
suchung über das Gut Gesmold um 1800 und die
schweren Konflikte seiner Besitzer sowohl mit dem
Landesherrn als auch mit den bäuerlichen Unterta-
nen.6 Darüber hinaus zeichnet sich für Nordwest-
deutschland ein kulturgeschichtlicher Forschungs-
schwerpunkt ab, dessen Netzwerk von Cloppenburg
über Osnabrück und Münster bis in die niederländi-
schen Grenzgebiete reicht.7 Gleichwohl ist die Ge-
schichte, zumal die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
des frühneuzeitlichen Osnabrücker Adels in großen
Teilen noch ungeschrieben.
Einem Mangel an Quellen sind die gravierenden For-
schungsdefizite sicher nicht geschuldet, eher vielleicht
einem Übermaß, das die Beschränkung auf engere
Fragestellungen nahelegt. Allein 22 Gutsarchive aus
dem Osnabrücker Land sind im Niedersächsischen
Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück - zugänglich,
ebenso das Archiv der Ritterschaft und die Bestände
aus fürstbischöflicher Zeit mit ihren zahlreichen
Adelsbetreffen.8
Der Stiftsadel und seine politische Rolle als
Ritterschaft
Schon im Mittelalter war der Adel im Osnabrücker
Land ausgesprochen präsent. Von den insgesamt
ziemlich genau 100 ländlichen „Rittersitzen"9 lassen
sich rund 60 bis vor die Epochengrenze um 1500
zurückführen, davon mindestens 20 in sehr langer -
meist auch familiärer - Tradition. Zu dieser ältesten
„Burgen"-Schicht zählen etwa Barenaue (Bar), Ippen-
burg und Hünnefeld (von dem Bussche), Schelenburg
(Scheie, Abb. 1) und Gesmold (seit 1664 Frhr. von
Hammerstein).
Güter Adeliger, Lebens- und Wirtschaftsformen
Der ritterschaftliche Adel im Hochstift Osnabrück
Nicolas Rügge
Zur Forschungsgeschichte und Quellenlage
Wer Rudolf vom Bruchs großes Werk „Die Rittersitze
des Fürstentums Osnabrück" zur Hand nimmt, könn-
te meinen, das Thema sei gründlich erforscht. In der
Tat verzeichnet der beeindruckende, inzwischen über
80 Jahre alte Band sämtliche adligen Wohnsitze auf
dem Gebiet des früheren Hochstifts. Besonders war
der Verfasser um vollständige Besitzerfolgen und um
Nachrichten zur Baugeschichte bemüht, davon zeu-
gen auch gezeichnete Lagepläne und zahlreiche
hochwertige Fotos. Dem historischen Überblick dient
eine zusammenfassende Einleitung, die viele Aspekte
in allerdings knapper Form anspricht. Statt eines - in
einem heimatgeschichtlichen Buch aus dieser Zeit
auch kaum zu erwartenden - Anmerkungsapparates
sind im Anhang erfreulicherweise die benutzten
Quellen summarisch, aber präzise genannt.1
Bei näherem Hinsehen werden aber auch die Grenzen
deutlich. Das auf die einzelnen „Rittersitze" fokussier-
te Buch eignet sich vorzüglich als Nachschlagewerk,
kann aber eine übergreifende Darstellung nicht erset-
zen, zumal neben der Besitz- und Baugeschichte die
Informationen über den zugehörigen Grundbesitz
und überhaupt die gutswirtschaftlichen Aspekte stark
zurücktreten. Trotz seiner anregenden Materialfülle
hat „der vom Bruch" eine intensive wissenschaftliche
Beschäftigung mit dem Thema bisher nur in begrenz-
tem Maß ausgelöst - dazu zählen nicht zuletzt jünge-
re baugeschichtliche Fallstudien zu einzelnen Adels-
gütern.2
Umfassende Guts- und neuere Familiengeschichten
liegen aber nicht vor. Auch auf eine moderne Landes-
geschichte des Hochstifts Osnabrück kann die Adels-
1 Haus Schelenburg (Amt Iburg), Südansicht, mit gotischem
Wohnturm (um 1200?) und Renaissance-Palas (Jörg Unkair
1532). Aufnahme um 1900.
forschung leider nicht zurückgreifen. Bis zum frühen
17. Jahrhundert ist die Darstellung des Altmeisters der
Osnabrücker Landesgeschichte, Johann Carl Bertram
Stüve (+ 1872), immer noch maßgeblich.3 Für die
Beschäftigung mit dem frühneuzeitlichen Osnabrü-
cker Adel ist inzwischen Christian Hoffmanns breit
angelegte Dissertation grundlegend, die am Beispiel
der führenden Familie von Bar den politischen, kon-
fessionellen und lebensweltlichen Wandel im Hoch-
stift zwischen Reformation und Westfälischem Frie-
den untersucht.4 Zeitlich anschließende Studien befas-
sen sich mit der Standesidentität des Osnabrücker
Adels im 18. Jahrhundert und jüngst aus der Perspek-
tive einer „neueren" Politik- und Kulturgeschichte mit
Organisation, Verfahren und Selbstdarstellung der
Ritterschaft im Vergleich mit benachbarten Terri-
torien.5 Ebenfalls kürzlich erschienen ist eine Unter-
suchung über das Gut Gesmold um 1800 und die
schweren Konflikte seiner Besitzer sowohl mit dem
Landesherrn als auch mit den bäuerlichen Unterta-
nen.6 Darüber hinaus zeichnet sich für Nordwest-
deutschland ein kulturgeschichtlicher Forschungs-
schwerpunkt ab, dessen Netzwerk von Cloppenburg
über Osnabrück und Münster bis in die niederländi-
schen Grenzgebiete reicht.7 Gleichwohl ist die Ge-
schichte, zumal die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
des frühneuzeitlichen Osnabrücker Adels in großen
Teilen noch ungeschrieben.
Einem Mangel an Quellen sind die gravierenden For-
schungsdefizite sicher nicht geschuldet, eher vielleicht
einem Übermaß, das die Beschränkung auf engere
Fragestellungen nahelegt. Allein 22 Gutsarchive aus
dem Osnabrücker Land sind im Niedersächsischen
Landesarchiv - Staatsarchiv Osnabrück - zugänglich,
ebenso das Archiv der Ritterschaft und die Bestände
aus fürstbischöflicher Zeit mit ihren zahlreichen
Adelsbetreffen.8
Der Stiftsadel und seine politische Rolle als
Ritterschaft
Schon im Mittelalter war der Adel im Osnabrücker
Land ausgesprochen präsent. Von den insgesamt
ziemlich genau 100 ländlichen „Rittersitzen"9 lassen
sich rund 60 bis vor die Epochengrenze um 1500
zurückführen, davon mindestens 20 in sehr langer -
meist auch familiärer - Tradition. Zu dieser ältesten
„Burgen"-Schicht zählen etwa Barenaue (Bar), Ippen-
burg und Hünnefeld (von dem Bussche), Schelenburg
(Scheie, Abb. 1) und Gesmold (seit 1664 Frhr. von
Hammerstein).