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Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
nehmen. Ob sie den Neubau für ihren Schwieger-
sohn, den Hofkammerrat und späteren Landrentmeis-
ter Johann Anton Theodor zur Mühlen, in Münster
durchführte oder dieser selber der Bauherr war, ist
nicht zu klären.
Das 1774 in der bis heute überlieferten Form entstan-
dene Sommerhaus wurde in überlieferter Weise, aller-
dings in ungewöhnlicher Gestaltung an der Stelle des
zu erschließenden, hier zuvor vorhandenen Wohnteils
als westliches Ende des Fachwerk-Bauernhauses er-
richtet: Der Neubau unterschied sich nicht nur in der
Bautechnik vom Bauernhaus, sondern setzte sich
auch in seinen Proportionen und seiner Gestalt deut-
lich davon ab. Man erstellte einen zweigeschossigen
und verputzten Bau von Backstein über einem hohen
Sockel (darunter ein Keller mit nicht mehr erhaltener
gewölbter Decke). Der Bau einer Länge von 9,20 m
erhielt mit einer Breite von 8,10 m eine deutlich gerin-
gere Breite als das Bauernhaus. Das westliche, dem
Garten zugewandte Ende gestaltete man durch abge-
schrägte Ecken mit gebrochenem Grundriss und gab
ihm damit eine Form, wie sie Gartenfronten zu dieser
Zeit moderner herrschaftlicher Häuser hatten. In bei-
den Stockwerken erhielt der Bau in den seitlichen
Wänden jeweils zwei Fenster und an den drei westli-
chen Stirnseiten jeweils ein Fenster (in der Mitte der
westlichen Stirnwand stattdessen eine Gartentür).
Alle Öffnungen erhielten Gewände aus breiten
Blöcken von Baumberger Sandstein. Das abgewalmte
Dach wurde aus starken, teilweise zweitverwendeten
Eichenbalken mit einer Kehlbalkenlage verzimmert
und erhielt eine Eindeckung mit Tonpfannen. Über
allen Fenstern der Fassaden erhielt es Gaupen.48
Entsprechend der nach Westen abgeschrägten Ecken
nahm der Bau in jeder Etage nur einen Wohnsaal mit
sechs oder achteckiger Grundrissfläche auf. Der Bo-
den des Erdgeschosses befand sich etwa 0,50 m über
dem Erdboden, sodass der Eingangstür vom Garten
mehrere Stufen vorgelegt waren. In der Ostwand der
beiden Wohnräume wurde jeweils ein offener
Wandkamin eingebaut, der den gleichen Schornstein-
block wie das Herdfeuer des östlich anschließenden
Bauernhauses nutzte. Der Kamin in dem achteckigen
Erdgeschossraum erhielt eine sandsteinerne Einfas-
sung in spätbarocken Formen. In die beiden diesen
flankierenden dreieckigen östlichen Zwickelräume
führten ehemals Türen, durch die die Flettküche des
Bauernhauses erreicht werden konnte. Der Raum des
Obergeschosses erhielt östlich gegen die Brandwand
zum Bauernhaus keine dreieckigen Abmauerungen,
aber ein umlaufendes niedriges, sorgfältig aus
Rahmen und Füllungen geschreinertes Lambris (es ist
heute nur noch unter den Fenstern erhalten, wo es
kleine Wandschränke in den Fensternischen verdeckt).
Der Zugang zu diesem Raum erfolgte über eine Tür
auf der Nordseite des Kaminblocks, die über eine
offen in der Herdküche des Bauernhauses verlaufen-
de Treppe erschlossen war. Durch mehrere Umbauten
im Laufe des 20. Jahrhunderts sind allerdings alle wei-
teren Details (etwa die Gestaltung der Decken) verän-
dert.49 Sowohl im Dachboden des Herrenhauses wie
auch des Bauernhauses über der Flettküche sind spä-
testens mit dem Neubau des Bauernhauses im Jahre
1827 mehrere bis heute in Resten erhaltene Kammern
eingebaut worden.50
Beispiele für ovale oder achteckige, aber immer aus
den Gartenfronten hervortretende Gartensäle lassen
sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in und um
Münster mehrfach nachweisen.51 Als Vorbilder dien-
ten den Bauherren wohl in erster Linie französische
Landhäuser, die Interessierten durch mehrere weit ver-
breitete Tafelwerke bekannt waren.52 Bemerkenswer-
te Beispiele dieser Bauten mit einem sog. „gefaltetem
Mittelrisalit" als Zeichen des wichtigen Bezugs zwi-
schen Gartensaal und Garten aus dem Raum Münster
sind die Orangerien bei Schloss Tatenhausen (1751)
und Schloss Eggersmühlen (um 1754), die alle von
dem Münsteraner Architekten Joh. Conrad Schlaun
(1695-1773) geplant worden waren. Gleiches zeigt
sein eigenes 1753 errichtetes Wohnhaus in Münster
und 1754 entstand nach seinen Plänen auch ein ent-
sprechendes Sommerhaus der Familie Schücking in
Sassenberg bei Warendorf. Das auf dem Hof Wig-
gering wohl in Nachfolge solcher Beispiele 1774
errichtete kleine Sommerhaus erhielt jedoch im
Gegensatz zu den Vorbildern eine völlig auf den Kern
eines ländlichen, auf einen Garten ausgerichteten
Besuch reduzierte Struktur und besteht daher nur aus
dem Gartensaal mit gebrochener Fassade. Möglicher-
weise stammt der Entwurf vom Nachfolger Schlauns,
dem Münsteraner Oberbaudirektor Ferdinand Lipper
(1733-1800). Er war für den Ausbau des Münsteraner
Schlosses zuständig, wobei er mit dem Hofkammerrat
Zurmühlen zusammen gearbeitet haben muss.53
Die Reduktion des Hauses auf den Gartensaal selber
dürfte weniger mit dem möglicherweise nur begrenzt
zur Verfügung stehenden Kapital der Bauherren
Zusammenhängen, sondern den speziellen Reiz deut-
lich werden lassen, der mit dem ländlichen Aufenthalt
verbunden war: Das „Sommerhaus" bestand nur aus
einem einzigen herrschaftlichen Wohnraum mit direk-
tem Zugang zum Garten und einem ebenso großen
Raum darüber, der wohl als herrschaftlicher Schlaf-
raum gedient hat.54 Dessen Zugang kann nur über die
hohe ländliche Küchendiele des unmittelbar anschlie-
ßenden Bauernhauses erfolgt sein, die auch der Es-
senszubereitung gedient haben muss und ebenso Zu-
gangsraum war. Da diesem „Sommerhaus" jegliche
Wirtschafts- und Nebenräume fehlten, war eine enge
Verbindung mit der traditionellen ländlichen Lebens-
welt und dem Leben der auf dem Hof lebenden
Pächterfamilie nicht zu umgehen. Diese besondere
und kontrastreiche Spannung, die zwischen dem
herrschaftlichen Wohnsaal und dem bäuerlichen
Landgüter von Bürgern und Beamten - Lebens- und Wirtschaftsformen
nehmen. Ob sie den Neubau für ihren Schwieger-
sohn, den Hofkammerrat und späteren Landrentmeis-
ter Johann Anton Theodor zur Mühlen, in Münster
durchführte oder dieser selber der Bauherr war, ist
nicht zu klären.
Das 1774 in der bis heute überlieferten Form entstan-
dene Sommerhaus wurde in überlieferter Weise, aller-
dings in ungewöhnlicher Gestaltung an der Stelle des
zu erschließenden, hier zuvor vorhandenen Wohnteils
als westliches Ende des Fachwerk-Bauernhauses er-
richtet: Der Neubau unterschied sich nicht nur in der
Bautechnik vom Bauernhaus, sondern setzte sich
auch in seinen Proportionen und seiner Gestalt deut-
lich davon ab. Man erstellte einen zweigeschossigen
und verputzten Bau von Backstein über einem hohen
Sockel (darunter ein Keller mit nicht mehr erhaltener
gewölbter Decke). Der Bau einer Länge von 9,20 m
erhielt mit einer Breite von 8,10 m eine deutlich gerin-
gere Breite als das Bauernhaus. Das westliche, dem
Garten zugewandte Ende gestaltete man durch abge-
schrägte Ecken mit gebrochenem Grundriss und gab
ihm damit eine Form, wie sie Gartenfronten zu dieser
Zeit moderner herrschaftlicher Häuser hatten. In bei-
den Stockwerken erhielt der Bau in den seitlichen
Wänden jeweils zwei Fenster und an den drei westli-
chen Stirnseiten jeweils ein Fenster (in der Mitte der
westlichen Stirnwand stattdessen eine Gartentür).
Alle Öffnungen erhielten Gewände aus breiten
Blöcken von Baumberger Sandstein. Das abgewalmte
Dach wurde aus starken, teilweise zweitverwendeten
Eichenbalken mit einer Kehlbalkenlage verzimmert
und erhielt eine Eindeckung mit Tonpfannen. Über
allen Fenstern der Fassaden erhielt es Gaupen.48
Entsprechend der nach Westen abgeschrägten Ecken
nahm der Bau in jeder Etage nur einen Wohnsaal mit
sechs oder achteckiger Grundrissfläche auf. Der Bo-
den des Erdgeschosses befand sich etwa 0,50 m über
dem Erdboden, sodass der Eingangstür vom Garten
mehrere Stufen vorgelegt waren. In der Ostwand der
beiden Wohnräume wurde jeweils ein offener
Wandkamin eingebaut, der den gleichen Schornstein-
block wie das Herdfeuer des östlich anschließenden
Bauernhauses nutzte. Der Kamin in dem achteckigen
Erdgeschossraum erhielt eine sandsteinerne Einfas-
sung in spätbarocken Formen. In die beiden diesen
flankierenden dreieckigen östlichen Zwickelräume
führten ehemals Türen, durch die die Flettküche des
Bauernhauses erreicht werden konnte. Der Raum des
Obergeschosses erhielt östlich gegen die Brandwand
zum Bauernhaus keine dreieckigen Abmauerungen,
aber ein umlaufendes niedriges, sorgfältig aus
Rahmen und Füllungen geschreinertes Lambris (es ist
heute nur noch unter den Fenstern erhalten, wo es
kleine Wandschränke in den Fensternischen verdeckt).
Der Zugang zu diesem Raum erfolgte über eine Tür
auf der Nordseite des Kaminblocks, die über eine
offen in der Herdküche des Bauernhauses verlaufen-
de Treppe erschlossen war. Durch mehrere Umbauten
im Laufe des 20. Jahrhunderts sind allerdings alle wei-
teren Details (etwa die Gestaltung der Decken) verän-
dert.49 Sowohl im Dachboden des Herrenhauses wie
auch des Bauernhauses über der Flettküche sind spä-
testens mit dem Neubau des Bauernhauses im Jahre
1827 mehrere bis heute in Resten erhaltene Kammern
eingebaut worden.50
Beispiele für ovale oder achteckige, aber immer aus
den Gartenfronten hervortretende Gartensäle lassen
sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in und um
Münster mehrfach nachweisen.51 Als Vorbilder dien-
ten den Bauherren wohl in erster Linie französische
Landhäuser, die Interessierten durch mehrere weit ver-
breitete Tafelwerke bekannt waren.52 Bemerkenswer-
te Beispiele dieser Bauten mit einem sog. „gefaltetem
Mittelrisalit" als Zeichen des wichtigen Bezugs zwi-
schen Gartensaal und Garten aus dem Raum Münster
sind die Orangerien bei Schloss Tatenhausen (1751)
und Schloss Eggersmühlen (um 1754), die alle von
dem Münsteraner Architekten Joh. Conrad Schlaun
(1695-1773) geplant worden waren. Gleiches zeigt
sein eigenes 1753 errichtetes Wohnhaus in Münster
und 1754 entstand nach seinen Plänen auch ein ent-
sprechendes Sommerhaus der Familie Schücking in
Sassenberg bei Warendorf. Das auf dem Hof Wig-
gering wohl in Nachfolge solcher Beispiele 1774
errichtete kleine Sommerhaus erhielt jedoch im
Gegensatz zu den Vorbildern eine völlig auf den Kern
eines ländlichen, auf einen Garten ausgerichteten
Besuch reduzierte Struktur und besteht daher nur aus
dem Gartensaal mit gebrochener Fassade. Möglicher-
weise stammt der Entwurf vom Nachfolger Schlauns,
dem Münsteraner Oberbaudirektor Ferdinand Lipper
(1733-1800). Er war für den Ausbau des Münsteraner
Schlosses zuständig, wobei er mit dem Hofkammerrat
Zurmühlen zusammen gearbeitet haben muss.53
Die Reduktion des Hauses auf den Gartensaal selber
dürfte weniger mit dem möglicherweise nur begrenzt
zur Verfügung stehenden Kapital der Bauherren
Zusammenhängen, sondern den speziellen Reiz deut-
lich werden lassen, der mit dem ländlichen Aufenthalt
verbunden war: Das „Sommerhaus" bestand nur aus
einem einzigen herrschaftlichen Wohnraum mit direk-
tem Zugang zum Garten und einem ebenso großen
Raum darüber, der wohl als herrschaftlicher Schlaf-
raum gedient hat.54 Dessen Zugang kann nur über die
hohe ländliche Küchendiele des unmittelbar anschlie-
ßenden Bauernhauses erfolgt sein, die auch der Es-
senszubereitung gedient haben muss und ebenso Zu-
gangsraum war. Da diesem „Sommerhaus" jegliche
Wirtschafts- und Nebenräume fehlten, war eine enge
Verbindung mit der traditionellen ländlichen Lebens-
welt und dem Leben der auf dem Hof lebenden
Pächterfamilie nicht zu umgehen. Diese besondere
und kontrastreiche Spannung, die zwischen dem
herrschaftlichen Wohnsaal und dem bäuerlichen