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Winghart, Stefan [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Kaspar, Fred [Oth.]; Gläntzer, Volker [Oth.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Güter, Pachthöfe und Sommersitze: Wohnen, Produktion und Freizeit zwischen Stadt und Land ; [... 23. Jahrestagung der nordwestdeutschen Hausforscher im März 2011 ...] — Hameln: Niemeyer, Heft 43.2014

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Landgüter von Bürgern und Beamten, Lebens- und Wirtschaftsformen
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Sandmann, Laurenz: Wohnen in der Feldmark: vom Familienleben eines Regimentskommandanten auf dem Land um 1780 : das Gut Tönneburg bei Warendorf (Kr. Warendorf)
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https://doi.org/10.11588/diglit.51273#0435
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der Bauart von den meist in Fachwerkbauweise errich-
teten Gebäuden der Nachbarschaft deutlich ab.
Später bekam die Straße durch das Vorblenden von
massiven Mauerschalen einen Ensemblecharakter.
Vor 1785 erwarb Tönnemann ca. 2 km vor dem Ems-
tor einen Grundbesitz von ungefähr 500 Morgen und
errichtete dort ein barockes Landhaus mit Ökonomie
und Gartenanlagen.6 In direkter Nachbarschaft be-
fand sich der Exerzierplatz der Soldaten. Fortan lebte
die Familie ganzjährig auf ihrem Landsitz.
Eine Kaserne gab es in Warendorf weder in der fürst-
bischöflichen noch in der preußischen Zeit. Einige der
rekrutierten einfachen Soldaten schliefen in Dach-
kammern oder kleinen Nebenzimmern der Waren-
dorfer Bürgerhäuser. „Viele der Soldaten waren ver-
heiratet und hatten ein beweibtes Quartier in der
Stadt und vielfach auch eine größere Familie. [...] In
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten 75
Soldatenfrauen und 126 Soldatenkinder in der Stadt.
[...] In engem gesellschaftlichem Kontakt stand das
Offizierscorps zur bürgerlichen Oberschicht."7 Das
acht Kompanien umfassende Infanterie-Regiment in
Warendorf wurde von ca. 30 Offizieren zwischen Ge-
neralleutnant und Fähnrich geführt. Der letzte fürstbi-
schöfliche Stadtkommandant Oberst Xaver von Tön-
nemann führte ein gastfreundliches Haus auf dem
Land, das Bürger und Militär verband.8
Brüning, der das 1885 durch einen Brand zerstörte
Landhaus des Kommandanten von Tönnenmann noch
aus eigener Anschauung kannte, beschreibt 1919 in
seinem Aufsatz die „Tönneburg", wie dieses Haus bis
heute in Warendorf genannt wird: „Es war ein sehr
solider, eingeschossiger Ziegelsteinbau im einfachen
Barockstil, der mit dem satten Rot seiner Wand- und
Dachflächen zu dem dunklen Grün der ihn umgeben-
den Nadelholzwälder außerordentlich gut passte und
einen wohltuenden Eindruck hervorrief. Burgartig
befestigt war die Tönnenburg nicht [...]. Nach dem
[...] Grundplane hatte das Wohnhaus 10 Zimmer;
Küche, Keller und die Wirtschaftsräume für die Öko-
nomie befanden sich in einem großen Anbau."9 Die
Tönneburg hätte bei aller Einfachheit doch den herr-
schaftlichen Charakter nicht verkennen lassen.10
Der Sohn des Majors, Christof Tönnemann, gibt mit
seinem Tagebuch einen Einblick in den Alltag der Fa-
milie auf dem Land: Der zugehörige Hof wurde von
einem Verwalter geführt, der die An- und Verkäufe
leitete. Zu den Mitarbeitern gehörten ein Kutscher,
ein Ochsenknecht und mehrere „Burschen". Zur Pfle-
ge des Gartens und der Obstbäume wurde jeweils ab
April eines jeden Jahres ein Gärtner aus Holland ange-
stellt. Die „Frau Oberst" hatte an ihrer Seite eine
Hauswirtschafterin, die eine weitgehende Vertrauens-
stelle einnahm und von mehreren Mägden unterstützt
wurde. Zur typischen Winterarbeit gehörte das
Spinnen von selbstgezogenem Hanf, Flachs und
Hasenwolle.11


2 Ausschnitt aus der Preußischen Kartenaufnahme von 1841
mit der Lage der Tönneburg in der weitgehend unbesiedel-
ten Feldmark nördlich der Stadt. Das Original befindet sich
im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kultur-
besitz (Nachdruck Hg. vom Landesvermessungsamt NRW
1994).

Für die häusliche Küche wurden jedes Jahr vier
Schweine geschlachtet, was allerdings zur Fleisch-
versorgung des großen Haushaltes nicht ausgereicht
hat.
Immer wieder wurden dem Major zu Hause junge
Leute vorgestellt, die um die Aufnahme als Rekruten
baten. Aber nicht alle hielten den Soldatendrill aus
und desertierten über die benachbarte Grenze nach
Osnabrück. Der Tagebuchschreiber beschreibt das
Spießrutenlaufen ergriffener Deserteure, das oft
schwere Verletzungen oder sogar den Tod zur Folge
hatte. So erging es auch einem entlaufenen Soldaten,
der als gelernter Friseur für die Haarpflege der Familie
Tönnemann zuständig gewesen war. Nach den
Vorkommnissen wurde an seiner Stelle ein Zivilist
angestellt.
Weil die Familie Tönnemann nicht zum sogenannten
Geburts- oder Blutadel gehörte, sondern nur zum
„Verdienstadel", gab es auch keinen gesellschaftli-
chen Verkehr mit den in ihrer Nähe wohnenden Ade-
 
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