EINE MYKENISCHE HALBSÄULE
Ein Teil der Tagebücher und des sonstigen schriftlichen
Nachlasses des Freiherrn Carl Haller von Hallerstein ist vor
Jahren aus dem Besitz des verstorbenen R. Bergau in die
strassburger Universitäts- und Landesbibliothek übergegan-
gen1. In den Mappen und Skizzenbüchern finden sich viele
Zeichnungen und Vermessungen, die eine genaue Prüfung von
berufener Seite, namentlich durch einen sachkundigen Archi-
tekten, wol lohnen würden; beispielsweise sind die Reste des
Tempels von Bassai in zahllosen Einzelheiten aufgenommen.
Die Ausbeute an epigraphischem Material wird mein College
B. Keil demnächst vorlegen. Die gegenwärtige Mitteilung hat
nur den Zweck, auf ein verschollenes Stück mykenischer De-
co rat ionskun s t h i n z u weisen.
Haller war zum erstenmale am 19 Oktober 1811 in Myke-
nai und skizzirte dort im Aufriss und im Grundriss eine base
qui reste hors de iEntree du Tresor d’Atreus. Das Bruch-
stück umfasst etwas mehr als die Hälfte eines Halbsäulenka-
pitells2. Im Aufrisse sind die Rinnblätter, der Torus mit sei-
1 Es wird erzählt, dass der hallersche Nachlass den Inhalt einer Com-
mode gebildet habe, die Bergau auf einer Versteigerung ankaufte. Leider
war anscheinend der Nachlass damals nicht mehr vollständig vorhanden)
und manche Einzelblätter hat Bergau verzettelt, ehe er den Rest der hiesi-
gen Bibliothek anbot; ein Tagebuch mit Aufnahmen des Tempels von Bas-
sai hatte er z. B. Friedrich Adler geschenkt, Aufnahmen von Aigina sind ins
Berliner Museum gelangt ( Friederichs, Gipsabgüsse 2 S. 32). Vgl. übrigens
die Mitteilungen in den Grenzboten 1875, I, 201 ff. 254 ff., in der Kunst-
chronik X, 305 ff., in der Zeitschrift für bild. Kunst XII, 190 ff.
2 Den Nachweis, dass es sich nicht um eine Basis sondern um ein Kapi-
tell handle, hat zuerst Fr. Thierseh in diesen Mittheilungen 1879 S. 181 in
einem vom Juli 1878 datirten Aufsatz erbracht. Schon sechzehn Jahre frü-
her (1862) hatte Heinrich Strack auf jener Reise, die die Aufdeckung des
athenischen Dionysostheaters zur Folge hatte, den Sachverhalt erkannt, in-
dem er namentlich aus den Klammerlöchern der damals erhaltenen Bruch-
stücke schloss, dass die kleinere, den Rinnblättern nächstliegende Fläche
eine Unterfläche sein müsse. Er teilte mir bald nachher seine Beobachtung
9
ATHEN. MITTHEILUNGEN XXI.
Ein Teil der Tagebücher und des sonstigen schriftlichen
Nachlasses des Freiherrn Carl Haller von Hallerstein ist vor
Jahren aus dem Besitz des verstorbenen R. Bergau in die
strassburger Universitäts- und Landesbibliothek übergegan-
gen1. In den Mappen und Skizzenbüchern finden sich viele
Zeichnungen und Vermessungen, die eine genaue Prüfung von
berufener Seite, namentlich durch einen sachkundigen Archi-
tekten, wol lohnen würden; beispielsweise sind die Reste des
Tempels von Bassai in zahllosen Einzelheiten aufgenommen.
Die Ausbeute an epigraphischem Material wird mein College
B. Keil demnächst vorlegen. Die gegenwärtige Mitteilung hat
nur den Zweck, auf ein verschollenes Stück mykenischer De-
co rat ionskun s t h i n z u weisen.
Haller war zum erstenmale am 19 Oktober 1811 in Myke-
nai und skizzirte dort im Aufriss und im Grundriss eine base
qui reste hors de iEntree du Tresor d’Atreus. Das Bruch-
stück umfasst etwas mehr als die Hälfte eines Halbsäulenka-
pitells2. Im Aufrisse sind die Rinnblätter, der Torus mit sei-
1 Es wird erzählt, dass der hallersche Nachlass den Inhalt einer Com-
mode gebildet habe, die Bergau auf einer Versteigerung ankaufte. Leider
war anscheinend der Nachlass damals nicht mehr vollständig vorhanden)
und manche Einzelblätter hat Bergau verzettelt, ehe er den Rest der hiesi-
gen Bibliothek anbot; ein Tagebuch mit Aufnahmen des Tempels von Bas-
sai hatte er z. B. Friedrich Adler geschenkt, Aufnahmen von Aigina sind ins
Berliner Museum gelangt ( Friederichs, Gipsabgüsse 2 S. 32). Vgl. übrigens
die Mitteilungen in den Grenzboten 1875, I, 201 ff. 254 ff., in der Kunst-
chronik X, 305 ff., in der Zeitschrift für bild. Kunst XII, 190 ff.
2 Den Nachweis, dass es sich nicht um eine Basis sondern um ein Kapi-
tell handle, hat zuerst Fr. Thierseh in diesen Mittheilungen 1879 S. 181 in
einem vom Juli 1878 datirten Aufsatz erbracht. Schon sechzehn Jahre frü-
her (1862) hatte Heinrich Strack auf jener Reise, die die Aufdeckung des
athenischen Dionysostheaters zur Folge hatte, den Sachverhalt erkannt, in-
dem er namentlich aus den Klammerlöchern der damals erhaltenen Bruch-
stücke schloss, dass die kleinere, den Rinnblättern nächstliegende Fläche
eine Unterfläche sein müsse. Er teilte mir bald nachher seine Beobachtung
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ATHEN. MITTHEILUNGEN XXI.