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Der Sieg des Marmors
Die großen Tempel und ihr figuraler Schmuck
«Ein wahrliafi bewundemswürdiges Denk-
mal griechischer Pracht ist der Tempel
der Diana zu Ephesos, der von ganz
Asien innerhalb von 120 Jahren erbaut
wurde. Er wurde aufsumpfigem Gelände
errichtet, damit er weder von Erdbeben
noch von Erdrissen Schaden leide. Um
aber doch auch kein nachgiebiges, insta-
biles Fundament für solch eine Last zu
bekommen, unterlegte man es mit zersto-
ßenen Holzkohlen und deckte darüber
Schaffelle. Die Länge des ganzen Tem-
pels beträgt 425 Fuß und seine Breite
225 Fuß. Er hatte 127 Säulen, jede von
einem anderen König errichtet und
60 Fuß hoch, 36 sind reliefiert, eine von
Skopas. Der Baumeister, welcher dem
ganzen vorstand, war Chersiphron. Das
größte Wunder ist, daß Architrave sol-
cher Schwere versetzt werden konnten.
Der Baumeister erreichte dies durch mit
Sand gejullte Körbe, aus welchen er eine
weiche Erhöhung iiber den Kapitellen der
Säulen bildete und dann den Sand
allmählich entleerte, so daß sich die
Werkstücke sanft an ihren Platz senkten.
Am schwierigsten gelang ihm dies mit
dem Tiirsturz selbst, als er versuchte ihn
über die Tiir zu setzen, denn derselbe hat
das größte Gewicht und wollte sich nicht
in seine Falz einfügen, woriiber der Ar-
chitekt in solche Verzweiflung geriet, daß
er sich fast das Leben nahm. Ihm soll
nun, so erzählt man, als er vom Nachden-
ken ermiidet eingeschlafen sei, die Göt-
tin, deren Tempel er baute, nachts im
Traum erschienen sein und ihn ermahnt
haben zu leben, sie habe den Stein bereits
zurechtgelegt. Und so war es denn auch
am folgenden Tag: Der Stein war offen-
bar durch sein eigenes Gewicht in die
richtige Lage gerutscht. Die Beschrei-
Abb. 47 Das Bild zeigt den einzigen Fun-
damentrest an der Nordseite des Artemi-
sions, an dem heute noch die spätklassische
Plinthe der Basis über den archaischen Re-
sten der Basis erhalten ist. Der Aufbau des
Sockels im 4. Jh. v. Chr. erfolgte unter Ver-
wendung zahlreicher Spolien des archai-
schen Tempels. An dieser Stelle wurde zwi-
schen 1970 und 1973 die heute sichtbare
Säule wiederaufgebaut (vgl. Abb. 6). lm
Vordergrund Säulentrommeln des spätklas-
sischen Tempels.
bung der übrigen Ausschmückungen die-
ses Baues füllt mehrere Bücher aus, ge-
hört aber nicht in ein Werk, welches von
der Natur handelt.»
(Plinius n.h. XXXVI 21, 95 ff.
«In dem Vorgänger des Tempels derArte-
mis zu Ephesos hatte man erstmals den
Säulensockel unterlegt und Kapitelle auf-
gesetzt und es für gut gehalten, daß die
Dicke den achten Teil der Höhe betrug,
die Sockel die Hälfte dieser Stärke hatten
und daß sich der Durchmesser der Säu-
len nach oben um den siebten Teil ver-
jüngte.»
Plinius n.h. XXXVI179. Übersetzung A. Rüg-
ler, basierend auf G. C. Wittgenstein
«Ebenso errichteten sie später der Diana
einen Tempel. Auf der Suche nach der
Schönheit eines neuen Stils übertrugen
sie, indem sie ebenfalls die Fußspur
als Maß zugrunde legten, die frauliche
Schlankheit aufdie Säule und sie machten
zuerst die Säulendicke ein Achtel Säulen-
höhe, damit (die Säule) schlanker aus-
sähe.»
Vitruv IV 7; Übersetzung K. Fensterbusch
Der von Kroisos gestiftete archaische
Tempel - das Ältere Artemision
Marmor war ein Material, das in der
griechischen Architektur vor dem 6. Jh.
v. Chr. nur spärlich verwendet wurde.
Die Bearbeitung von Marmor verlangte
widerstandsfähige Werkzeuge, die nicht
leicht herstellbar waren. Daher kann die
plötzliche intensive Verwendung von
Marmor innerhalb der griechischen Kul-
tur nicht hoch genug eingeschätzt wer-
den. Marmor wurde zwar schon bei
mehreren Bauwerken für das aufgehende
Mauerwerk verwendet, die älter sind als
der archaische Dipteros, wie z. B. beim
Hekatompedos. Bei einem derartig riesi-
gen Bau, wie dem Artemistempel des
Der Sieg des Marmors
Die großen Tempel und ihr figuraler Schmuck
«Ein wahrliafi bewundemswürdiges Denk-
mal griechischer Pracht ist der Tempel
der Diana zu Ephesos, der von ganz
Asien innerhalb von 120 Jahren erbaut
wurde. Er wurde aufsumpfigem Gelände
errichtet, damit er weder von Erdbeben
noch von Erdrissen Schaden leide. Um
aber doch auch kein nachgiebiges, insta-
biles Fundament für solch eine Last zu
bekommen, unterlegte man es mit zersto-
ßenen Holzkohlen und deckte darüber
Schaffelle. Die Länge des ganzen Tem-
pels beträgt 425 Fuß und seine Breite
225 Fuß. Er hatte 127 Säulen, jede von
einem anderen König errichtet und
60 Fuß hoch, 36 sind reliefiert, eine von
Skopas. Der Baumeister, welcher dem
ganzen vorstand, war Chersiphron. Das
größte Wunder ist, daß Architrave sol-
cher Schwere versetzt werden konnten.
Der Baumeister erreichte dies durch mit
Sand gejullte Körbe, aus welchen er eine
weiche Erhöhung iiber den Kapitellen der
Säulen bildete und dann den Sand
allmählich entleerte, so daß sich die
Werkstücke sanft an ihren Platz senkten.
Am schwierigsten gelang ihm dies mit
dem Tiirsturz selbst, als er versuchte ihn
über die Tiir zu setzen, denn derselbe hat
das größte Gewicht und wollte sich nicht
in seine Falz einfügen, woriiber der Ar-
chitekt in solche Verzweiflung geriet, daß
er sich fast das Leben nahm. Ihm soll
nun, so erzählt man, als er vom Nachden-
ken ermiidet eingeschlafen sei, die Göt-
tin, deren Tempel er baute, nachts im
Traum erschienen sein und ihn ermahnt
haben zu leben, sie habe den Stein bereits
zurechtgelegt. Und so war es denn auch
am folgenden Tag: Der Stein war offen-
bar durch sein eigenes Gewicht in die
richtige Lage gerutscht. Die Beschrei-
Abb. 47 Das Bild zeigt den einzigen Fun-
damentrest an der Nordseite des Artemi-
sions, an dem heute noch die spätklassische
Plinthe der Basis über den archaischen Re-
sten der Basis erhalten ist. Der Aufbau des
Sockels im 4. Jh. v. Chr. erfolgte unter Ver-
wendung zahlreicher Spolien des archai-
schen Tempels. An dieser Stelle wurde zwi-
schen 1970 und 1973 die heute sichtbare
Säule wiederaufgebaut (vgl. Abb. 6). lm
Vordergrund Säulentrommeln des spätklas-
sischen Tempels.
bung der übrigen Ausschmückungen die-
ses Baues füllt mehrere Bücher aus, ge-
hört aber nicht in ein Werk, welches von
der Natur handelt.»
(Plinius n.h. XXXVI 21, 95 ff.
«In dem Vorgänger des Tempels derArte-
mis zu Ephesos hatte man erstmals den
Säulensockel unterlegt und Kapitelle auf-
gesetzt und es für gut gehalten, daß die
Dicke den achten Teil der Höhe betrug,
die Sockel die Hälfte dieser Stärke hatten
und daß sich der Durchmesser der Säu-
len nach oben um den siebten Teil ver-
jüngte.»
Plinius n.h. XXXVI179. Übersetzung A. Rüg-
ler, basierend auf G. C. Wittgenstein
«Ebenso errichteten sie später der Diana
einen Tempel. Auf der Suche nach der
Schönheit eines neuen Stils übertrugen
sie, indem sie ebenfalls die Fußspur
als Maß zugrunde legten, die frauliche
Schlankheit aufdie Säule und sie machten
zuerst die Säulendicke ein Achtel Säulen-
höhe, damit (die Säule) schlanker aus-
sähe.»
Vitruv IV 7; Übersetzung K. Fensterbusch
Der von Kroisos gestiftete archaische
Tempel - das Ältere Artemision
Marmor war ein Material, das in der
griechischen Architektur vor dem 6. Jh.
v. Chr. nur spärlich verwendet wurde.
Die Bearbeitung von Marmor verlangte
widerstandsfähige Werkzeuge, die nicht
leicht herstellbar waren. Daher kann die
plötzliche intensive Verwendung von
Marmor innerhalb der griechischen Kul-
tur nicht hoch genug eingeschätzt wer-
den. Marmor wurde zwar schon bei
mehreren Bauwerken für das aufgehende
Mauerwerk verwendet, die älter sind als
der archaische Dipteros, wie z. B. beim
Hekatompedos. Bei einem derartig riesi-
gen Bau, wie dem Artemistempel des