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Bastine, Reiner [Editor]
Klinische Psychologie (Band 1): Grundlegung der allgemeinen klinischen Psychologie — Stuttgart, Berlin, Köln, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.16129#0194

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3 Definition psychischer Störungen

3.3 Psychische Störung und Persönlichkeit

In welchem Verhältnis stehen psychische Störung und Persönlichkeit zueinander? Es ist eindeutig,
daß psychische Störungen zu einer Person zugehörig sind, also als Auffälligkeiten einer Person ver-
standen werden. Das unterscheidet sie beispielsweise von gesellschaftlichen Konflikten, die nicht
Attribute einer einzelnen Person, sondern soziale Phänomene sind.

Anders als Persönlichkeitseigenschaften und als Persönlichkeitsstörungen sind psychische
Störungen jedoch eher vorübergehender Art. Die Beziehungen zwischen diesen drei Konzepten
werden ausführlicher im ersten Abschnitt dargestellt (^> 3.3.1).

Im zweiten Abschnitt geht es dann um verschiedene Auffassungen über den Begriff „Symptom",
um den Begriff Syndrom sowie um Komorbidität und Symptomverschiebung (<=> 3.3.2.).
Schlußfolgerungen aus der Darstellung der Diskussion im vorangehenden Abschnitt führen ab-
schließend zur Darstellung des Symptombegriff aus der Sicht der Allgemeinen Klinischen Psy-
chologie. Welche praktischen Konsequenzen dieser Symptombegriff hat, wird zum Schluß mit ei-
nem Fallbeispiel einer Studentin über die Abgrenzung von Prüfungsangst und Lernstörungen ver-
deutlicht ^ 3.3.3;.

Ein wesentliches Charakteristikum von psychischen Störungen ist, daß diese auf die Per-
son selbst zurückgeführt werden: Es wird nur dann von einer psychischen Störung ge-
sprochen, wenn die Auffälligkeit auf eine Person attribuiert werden kann (und nicht
etwa auf z.B. allgemeine kulturelle oder situative Bedingungen). Auf diese Zugehörig-
keit zu einer Person bezieht sich beispielsweise die Definition psychischer Störungen
im DSM-IV( <=> 4.3): „...psychische Störungen sind konzeptualisiert als ein klinisch be-
deutsames behaviorales oder psychisches Syndrom oder Muster, das bei einem Indivi-
duum erscheint und das verbunden ist mit gegenwärtigen Belastungen (z.B. einem
schmerzvollen Symptom), mit Beeinträchtigungen (z.B. Behinderung in einem oder in
mehreren Funktionsbereichen) oder mit einem bedeutsam erhöhten Risiko zu sterben,
Schmerzen oder Behinderungen zu erleiden, oder einem wesentlichen Verlust von Frei-
heit" (American Psychiatric Association, 1994: DSM-IV, p. XXI; Übersetzung und Her-
vorhebung durch R.B.). Die personbezogene Verankerung auffälligen Handelns liegt
nahe, wenn mindestens eine der drei folgenden Bedingungen gegeben ist (vgl. Heckhau-
sen, 1989):

* Je individueller die Aktivität ist, d.h. je weniger Menschen in einer entsprechenden
Situation vergleichbar handeln würden;

* je unabhängiger das Handeln von verschiedenen situativen Anlässen ist, d.h. je
stärker das Verhalten über verschiedene Situationen hinweg generalisiert;

* je inkonsistenter eine Aktivität ist, d.h. je stärker das Verhalten von früherem Han-
deln der Person abweicht.

Die Definition einer Störung ist also ein Prozeß personaler Zuschreibung, in den soziale
Vergleiche sowie die Generalisierung und Konsistenz des Verhaltens eingehen.

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