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Belvedere: Monatsschrift für Sammler und Kunstfreunde — 3.1923

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Neue Bücher über Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.52317#0295

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NEUE BÜCHER ÜBER KUNSTWISSENSCHAFT

WALTER FRIEDLAENDER, CLAUDE LORRAIN
verlegt bei Paul Cassirer in Berlin, 1921
In hübscher, geschmackvoller Ausstattung präsentiert uns Walter Friedlaender, der be-
kannte Verfasser des Poussin-Werkes, ein kleines, reich mit Abbildungen versehenes Bänd-
chen von ungefähr 250 Seiten Text über den in Rom zum Italiener gewordenen Claude
Lorrain, der, von der Forschung ungerechterweise etwas stiefmütterlich behandelt, hier
zum erstenmal eine eingehendere Würdigung findet. Wie man sich das für den Künstler,
der seine Landschaften so zart und poetisch gemalt, nicht anders hätte wünschen können,
ist auch das Buch in einem leichten und angenehmen Stil geschrieben, der den Gegen-
ständen etwas von ihrem Duft bewahrt und sich mit Glück fernhält von jeder Art prä-
tentiöser Gelehrsamkeit, die ermüdet
Gleich das erste Kapitel: „Die Landschaftsdarstellung von Claude Lorrain“, bietet einen
lichtvollen Überblick über die bis jetzt noch wenig beachteten Zusammenhänge zwischen
der nordischen Landschaftsmalerei im 16. Jahrhundert und den Anfängen einer selb-
ständigen, sich von den Fesseln der herrschenden Figurenmalerei allmählich befreienden
Landschaftskunst im Süden. Coninselov, Paul Bril und Adam Elsheimer bedeuten hier
die wichtigsten Etappen der Entwicklung, die emporführt zu der sehr beachtenswerten
Landschaftsmalerei, wie sie im Kreise der Carracci in Bologna und dann in Rom gepflegt
wurde. Die letzten Ausklänge der venezianischen Landschaftsdarstellung vermischen sich
hier mit noi^ischen Stilelementen, und die daraus hervorgehende neue Auffassung kenn-
zeichnet sich durch jenen Zug zum Großen, in sich Ruhenden, wie er nur durch die Be-
rührung mit römischen Eindrücken, die in Natur und antiker Kunst mächtig auf die
Künstler eindrangen, zu erklären war. Mag auch Annibale Carracci diesen künstlerischen
Bestrebungen die Richtlinien angewiesen haben, so ist trotzdem die Förderung, welche
dieser Landschaftsdarstellung durch Domenichino und Guercino erwuchs, nicht zu gering
anzuschlagen. Aus diesem Kreis von mannigfachen Anregungen geht die Kunst Claude
Lorrains hervor, der nach einem ersten kürzeren Aufenthalt im Süden wieder in den
Norden zurückgekehrt, Italien 1627 zum zweitenmal betritt, um die geliebte Adoptivheimat
nicht mehr zu verlassen.
In buntem Wechsel ziehen die in den verschiedenen Galerien Europas verstreuten Bilder
an unserem Auge vorüber, ohne daß auch nur ein Moment das Gefühl eintöniger Lange-
weile aufkäme, was bei der äußeren Gleichartigkeit der Themata nahelag. Jedem einzel-
nen Werke weiß der Verfasser, der sich mit liebevoller Hingabe in die Dinge eingefühlt,
seinen besonderen Stimmungsreiz abzugewinnen. Daß es mit der formalen Analyse keines-
wegs getan, sondern daß das Bild erst dann in wissenschaftlichem Sinne definiert war,
wenn die bestimmte Note seines Gefühlstones gefunden, hat der Autor sehr richtig er-
kannt, und die Analysen haben dadurch eine weitgespannte Elastizität empfangen, daß
in ihnen ein fortwährender Übergang stattfindet von kurzen Angaben über das kon-
struktive Schema des bühnenmäßigen Bildaufbaues zu den Gefühlswerten der des Künstlers
Seele erfüllenden, bald leis und zart ertönenden, bald voll und breit dahinrauschenden
Melodie der poetischen Empfindung.
Dabei sind die einzelnen Perioden der langen Entwicklung keineswegs verwischt, sondern
mit aller Deutlichkeit hervorgehoben. Wohl bot das zuverlässig geführte Liber veritatis

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