Hrst Io
die strengen Diätvorschriften des Sanitätsraths Hinweg-
gesetze — eines Abends war ein neuer Anfall gekommen
und m anderen Tage, an welchem er in voller Bewußt-
losigkeit gelegen, war in der Dämmerung mit dem er-
löschenden Sonnenlicht auch sein Leben erloschen. In
seinem Testamente war seiner Wittwe nichts ausgesetzt,
als was ihr nach der Ehebercdung zukam — der Nieß-
brauch eines Gutes in der Wetterau als Wittwensitz und
eine anständige jährliche Rente. Else wohnte noch aus
Achscnstein, wo jetzt Fürst Waldemar, der älteste Sohn
des Fürsten, als Haupterbe hauste; sie wartete auf die
Einrichtung jenes Gutes, um sich dorthin zu begeben,
und ihre Schwester Mathilde bereitete sich vor, ihr da-
hin zu folgen. —
Nach seiner Rückkehr von Dover hatte William Kron-'
horst mit der Fürstin und mit ihrer Schwester eine Un-
terredung gehabt und ihr Alles ausgerichtct, was Irene
ihm aufgetragen, ihr zu sagen. Else hatte offenbar mit
einem sehr erleichterten Herzen Alles, was er von Ire-
nens jetziger Lage und von Philipp Bonsart zu erzählen
gewußt, angehört und ihm nicht vorenthalten, wie sehr
seine Neigung für Irene jetzt ihre Shmpathiccn habe,
wie ihre Hoffnung, Irene wiederzusehen, sich ja auch an
die Erfüllung seiner Wünsche knüpfe und wie bereit sie
sei, Alles, was in ihrer Macht stehe, zu thun, nm seinen
Vater der Erfüllung seiner Wünsche geneigt zu machen.
Leider hatte William Kronhorst in dieser Beziehung keine
großen Hoffnungen aussprcchen können. Die Unterredung,
welche er nach seiner Rückkehr von Dover mit dein Vater
gehabt, hatten ihm den „Eiscnbaron" nicht weicher und
nachgiebiger gezeigt, als er früher gewesen.
Und in einer weicheren und nachgiebigeren Stimmung
hätte man den Eisenbaron doch vermuthen sollen, da er
selbst in einem Stadium verjüngten Gcmüthslebens zu
sein schien, in welchem es schwer sein muß, bei dem
Liebeskummer anderer Menschen hart zu bleiben. Er-
halle in neuester Zeit so geflissentlich den Umgang des
Landrathes gesucht und dabei so viel Aufmerksamkeit und
Galanterie für Adele an den Tag gelegt, daß der große
Eindruck, den diese aus sein Herz gemacht, längst offen-
kundig geworden war.
Für Adele hatte sich diese Lage der Tinge jedoch
eigenthümlich dadurch komplizirt, daß sie ganz gegen
ihren Willen nicht allein die Freundin des Vaters, son-
dern auch die des Sohnes geworden. Sie war die Ein-
zige, der William sein Vertrauen schenkte, die es ganz
rückhaltlos besaß, und da Verliebte stets sehr viel und
sehr erregende und in ihrer Art noch nie erlebte Dinge
anzuvertraucn haben, so war es natürlich, daß William
sehr viel bei ihr erschien, daß dein Geheimerath die Be-
flissenheit seines Sohnes um sie nicht entging und daß
Adelen diese Stellung zwischen Vater und Sohn sehr
pcinlich wurde, während sie doch daS Gefühl hatte, daß
sie William weder durch Rath noch That helfen konnte.
Sein Vater hatte sein strenges Nein wiederholt, und trotz
aller Reden und Versicherungen, daß er Irenen dennoch
treu bleiben, sic dennoch gewinnen und heimführcn werde,
befand sich William im Grunde in der tiefsten Verzweif-
lung und unter dem Druck einer schmerzlichsten Hilf-
losigkeit. Und von diesem Druck konnte ihm ja Adele
nicht das Geringste von der Seele nehmen — sie konnte
höchstens erwarten, daß der Geheimerath den Argwohn
faßte, sie wirke schädlich und in einer seinen Absichten
widersprechenden, William bestärkenden Weise auf seinen
Sohn ein. — Sie hätte gar zu gern, wie sie cs schon
einmal gethan, offen mit dem Geheimerath über die An-
gelegenheit geredet; aber jenes erste Mal waren ihre
Worte nicht so ausgenommen worden, daß sie sich er-
muthigt gefühlt Hütte, noch einmal davon zu beginnen —
sic fühlte sich auch dein Geheimerath gegenüber schon
längst nicht mehr unbefangen genug zu solcher Offenheit.
So war es denn gekommen, daß ihr endlich nichts
anderes übrig geblieben als die vollste Offenheit William
gegenüber, und daß sie ihm gesagt hatte:
„Sie bringen mich in eine gar zu schlimme Lage,
mein junger Freund, und können mir nicht zürnen, wenn
ich ihr ein Ende zu machen wünsche. Nach meinem
Gewissen darf und kann ich nicht anders, als Ihnen Vor-
stellungen machen, daß Ihre erste Pflicht Ihrem Vater-
gehört, daß Sie ihm vertrauen müssen und sich unter
den Willen, den er Ihnen so energisch ausspricht, beu-
gen, weil dieser Wille kein despotischer sein kann — das
wissen Sie ja selbst, daß Ihr Vater kein eigensinniger
Despot ist, dem sein Wille über das Glück seiner Kin-
der geht. Und spreche ich so zu Ihnen — wozu ich
durch die Freundschaft, die Ihr Vater mir zeigt, dop-
pelt verpflichtet bin — so mache ich Sie ungeduldig und
zornig und Sie gehen grollend von mir. Wäre es also
nicht besser, wir vermieden ganz, von diesem unglücklichen
Verhältnisse zu reden, da ich Ihnen doch keinen Trost,
wie Sie ihn von mir verlangen und erwarten, geben
kann?"
„Das ist sehr egoistisch von Ihnen, Fräulein Adele!"
hatte William betroffen darauf geantwortet. „Soll ich
mich denn ganz verlassen fühlen in meinen: Kummer?
Und wenn Sie nicht die Theilnahme für mich haben,
mich anzuhören, handelt es sich denn nicht auch um die
Sache Irenens, die nut so rührender Innigkeit an Ihnen
unter den Arm und forderte ihn auf, mit ihm den Rück-
weg zur Stadt durch den fürstlichen Park einzuschlagen.
Ferdinand hatte der Aufforderung nichts entgegen zu
setzen und folgte ihm; er hörte schweigend sein lebhaftes und
harmloses Geplauder an, aber er ließ dabei ängstlich sein
Auge über die Parkparthieen, durch die sie schritten, glei-
ten — er fürchtete Else's Gestalt vor sich auftauchen zn
sehen — seit den: Tage, wo er sie zuletzt gesehen und
eine so bedeutungsvolle Auseinandersetzung nut ihr gc- '
habt, war der Gedanke an ein Wiedersehen mit ihr ihn:
etwas unbeschreiblich Aengstigendes geworden, stets mehr
und mehr! Er konnte sich jedoch beruhige::: Else war
nicht im Parke; und so folgte er dem Fürsten bis in
die Nähe des Schlosses, erschrak aber wieder, als dieser
ihn einlud, auf der Veranda an der Rückseite des Schlosses
mit ihn: eine Erfrischung einzunehmen.
„Sie können," sagte der Fürst, „sich zugleich von
der Frau Fürstin verabschieden, die ich eben auf die
Veranda treten sehe — die Fürstin will in den nächsten
Tagen auf ihren Wittwensitz in der Wetterau abreisen
und wird sich freuen, Sie vorher noch zu sehen."
Ferdinand athmete viel zu beklommen, um lauge
Ausflüchte machen zu können; er stand nach wenig
Augenblicken vor der in tiefes Schwarz gekleideten Ge-
stalt der jungen Wittwe.
Sie war bei seinen: Anblick tief erbleicht, reichte ihn:
jedoch nut dem Anschein völlig kühler Unbefangenheit
die Hand und sagte:
„Ich sollte Ihnen zürnen, Herr v. Schott; ihr Ge-
wissen muß Ihnen sagen, daß Sie mich iu meiner Traner-
zeit sehr grausam vernachlässigt haben."
„Und glaubten Sie, ich würde gewagt haben. . ."
„Zu kommen, um nach einer alten Freundin zu
sehen?" fuhr sie rasch, als ob sie seine Verlegenheit wahr-
nähme und ihm zu Hilfe kommen wolle, fort, „ich
glaubte das — Sie konnten nicht wissen, ob ich nicht
eines Freundes bedurfte, und ebenfalls nicht, daß Fürst
Waldemar sich mit so viel Güte und Aufopferung meiner
Angelegenheiten angenommen, daß ich auch ohne einen
hilfreichen Freund fertig ward."
„Sie dürfen Herrn v. Schott nicht zu sehr schelten,
liebe Frau Mutter," fiel Fürst Waldemar lächelnd ein,
„ich höre, man sagt ihn: ja überhaupt einen großen Hang
zum Einsiedlcrthum nach, was gewiß sehr tugendhaft,
aber in: Ganzen nicht liebenswürdig für die Nachbarn
ist, die wie wir einsam auf dem Lande wohnen. Und
wenn Sie gehen, liebe Frau Mutter, so wird diese Einsam-
keit hier oben noch stiller werden — ich hoffe, Herr von
Schott erinnert sich dann, daß man keine Tugend über-
treiben darf."
„Ich glaube kaum," sagte Else, „daß dieser Hang
zur Einsamkeit Naturanlage bei Ihnen ist, Herr von
Schott. Als ich Sie in meiner Jugend kannte, trat
wenigstens die Anlage dazu nicht hervor. Also muß die
Welt, in der Sie hier leben, cs Ihnen angethan haben;
und dann haben Sie zu erwarten, lieber Waldemar, daß
Herr v. Schott eines schönen Tages aus seiner dunklen Änits-
kanzlci in: Schatten der alten Münsterkirche fortwandert,
nur wieder in den fernen Süden zurückzukehren, in wel-
chen: ich ihn so glücklich fand, als wir vor mehr als
Jahresfrist zusammen dort schöne Tage verlebten."
(Fortsetzung folgt)
Ltülirmsche Mutter mit ihrem Kinde.
(Tiche das Bild auf S. 357a
(Nachdruck verboten.)
Jedermann weiß, welch eine reiche nnd unerschöpfliche
Fundgrube daS italienische Volksleben für den Genre,uatec
ist, obwohl dieselbe schon seit so langer Zeit ausgebcutet ist.
Wer aber Italien aus eigener Anschauung kennt, der kennt
sehr gnt den unaussprechlichen Zauber, welcher in dem italie-
nischen Volke lebt: die Würde und Anmuth, den Adel und
dramatischen Ausdruck in Geberde und Sprache, selbst bis iu
die unteren Stände herab, die stolze Haltung und den belebten
Ausdruck iu Auge und Modulation, die Heiterkeit nnd den
Mutterwitz, den künstlerischen Sinn und die ästhetische Empfäng-
lichkeit für Musik und Poesie und bildende Kunst, namentlich
aber für Deklamation, Gesang und Schauspielkunst bis iu
die untersten Schichten des Volkes herab. Ter Italiener aus
dem Volk ist roh, leidenschaftlich, rachgierig, geizig und selbst-
süchtig, sagt man; — wir geben dies zu. Aber er ist artig,
verbindlich und gefällig in seinen Manieren und erwiedert die
ihm entgcgengebrachte Höflichkeit dankbar. Lässt er sich aber
gehen, in Freude wie iu Schmerz, jo tritt fein ganzes inneres
Wesen in der vollen Tiefe feiner Leidenschaftlichkeit zu Tage
und wirkt dramatisch und überwältigend. Unser reizendes
kleines Bild von Bonnet, einem bekannten tüchtigen Genre-
maler, mag als ein Beleg dafür gelten: die italienische
Mutter, die mit ihrem Töchterchen scherzt und schäkert und mit
einer unübertrefflichen Treue dem Leben abgelanfcht ist. Sind
nicht Beide so seelenvergnügt, so der ganzen Welt vergessen
in ihrem Scherzet:, wie wir es bei unseren: frostigeren, ver-
nünftigeren und seit Jahrhunderten in die Fesseln kühler
Vernünftigkeit geschlagenen Volke niemals so unbefangen,
kindlich heiter nnd graziös bemerken? —
Das Buch für Allr.
hängt, daß Sic unmöglich gleichgiltig gegen ihr Schicksal
sein können?"
„Es handelt sich nicht um Gleichgiltigkeit, lieber
William, das wissen Sie auch recht gut. Und ist cs
Egoismus, wenn ich Ihnen mein Unvermögen, Ihnen
irgend zu helfen, Ihnen irgend etwas zum Tröste zu
sagen, Ihre Hoffnungen zu beleben, Sie zum Ausharren
zu ermuthigen, ausspreche und mich zurückzieheu möchte
aus einer Angelegenheit, die mich mehr quält als Sie
glauben und die mir ganz aussichtslos scheint?"
William schwieg eine Weile und sah mit düsteren
Blicken vor sich hin.
„Sie mögen Recht haben — aber es ist nicht min-
der schmerzlich für mich, Sie so reden zu hören. Was
um's Himmels willen bleibt nur denn übrig, wenn ich
nun auch keine Menschenseele mehr habe, gegen die ich
mich aussprcchen kann und die nur Theilnahme zeigt?
Es bleibt mir nichts übrig, als den Plan auszuführen,
der niir längst vorschwebt. . ."
„Und welcher Plan schwebt Ihnen vor?"
„Der, mich völlig aus meinen Verhältnissen loszu-
reißen — nur mein Schicksal ganz allein zu gründen
und es dahin zu bringen, daß ich, ganz unabhängig auf
mich allein gestellt, Irenen ein ihrer würdiges Loos bieten
kann."
„Der Plan ist chimärisch, mein armer junger Freund.
Denn wenn Sie auch übcr's Herz brächten, Ihren Vater
so zu kränken, der auf Sie als seinen Helfer und seine
Stütze, wenn einst seine Kräfte unter seinen riesigen Auf-
gaben erlahmen, rechnet, der um Ihretwillen gearbeitet
hat und in Ihnen den Fortfctzer seines großen Werkes
sieht — wenn Sie ihn auch so kränken könnten und es über
sich brächten, ihn zu verlassen, so würden Sie dennoch
nicht Irene damit erringen. Glauben Sic, daß Irenens
Vater Sie mit denselben Augen betrachten würde, ob
Sie nun der älteste Sohn und Erbe des Gehcimeraths
Kronhorst sind oder ein auf sich selbst gestellter Commis
in einen: beliebigen Handelshause — denn damit müßten
Sie doch jedenfalls beginnen?"
William hatte nicht viel darauf zu erwiedern. Adelen
blutete freilich das Herz bei der Rückhaltlosigkeit, womit
sie ihm ihre Meinung aussprach, aber es war ihr ja
nichts Anderes übrig — ihr innerstes Gefühl drängte sic
aus der falschen Stellung heraus, in die sie gerathcn
war und die sie jetzt so viel lebhafter und drückender-
empfand als damals, wo sie Irenens Vertraute war und
ein ähnliches Gefühl auf ihr lastete. Damals hatte sie
Gewissenspflichten gegen Frau Mathilde Schott, als die
Mutter Irenens, zu erfüllen; jetzt schienen ihr diese selben
Gcwissenspflichten gegen den Vater Williams ernster und
heiliger noch!
,sJch müßte damit Wohl beginnen," sagte William
nach einer Pause. „Aber der Vater würde ja dann,
wenn ich einmal einen entscheidenden Schritt gethan, nicht
unversöhnlich sein. Ich habe dabei auch ein wenig auf
Sie gerechnet."
„Auf mich?"
„Auf den Werth, den der Vater auf Ihren Rath
und Ihre Meinung legt — bitte, machen Sie keine ab-
wehrende Bewegung, ich weiß, wie sehr der Vater Sic
Verehrt; welche Macht Sie, wenn Sie wollten, auf ihn
ausüben könnten. Und da habe ich mir gesagt, Ihre
Güte für mich würde mir zu Hilfe kommeu. Sie wür-
den den Vater, wenn er doch einmal sieht, daß ich nicht
zu beugen bin in meinen: Entschluß, bestimmen, nur ein
Kapital zu geben, nut dem ich etwas beginnen könnte,
nut den: ich mich rascher vorwärts brächte."
„Wenn ich eine Macht über Ihren Vater ausüben
könnte, William," versetzte Adele, „so würde das jeden-
falls nur so lange der Fall sein, als ich seine Gefühle
und seine Anschauungen theilte. Sobald die meinen da-
mit in Widerspruch gericthen, würde die Macht, fürcht'
ich, sehr gering sein. Und dann — wie könnte ich die
Taktlosigkeit haben, mich so in Ihre Stellung zu ein-
ander, die alsdann doch einen feindlichen Charakter an-
genommen haben würde, zu drängen?"
William sah mit raschem Aufblick in ihre Züge.
„Sie sind nicht aufrichtig gegen mich," sagte er; „Sie
wissen recht gut, daß . . . Doch lassen wir es, denn Sic
könnten sonst nur Taktlosigkeit vorwerfen. Und in Einen:
haben Sie auch Recht. Ich muß jedenfalls, ehe ich
meinen Plan weiter verfolge, mich nut Irenens Vater
darüber verständigen."
Nach einer Pause erhob sich William und ging;
Adele sah ihn mehrere Tage nicht wieder. —
Adele war während dieser Unterredung allein in den:
dunklen alten Amtsgebäude gewesen; ihr Bruder hatte
sie bald nach Tisch zu einen: kleinen Ausfluge verlassen;
er hatte wegen einer neuen Chaussee-Anlage, die durch
eine dem Fürsten gehörende Waldschlucht gelegt werden
sollte, nut den: Straßenbaumeistcr und einem Beamten
des Fürsten an Ort und Stelle verhandeln müssen. Dcr
junge Fürst, ein liebenswürdiger und zuvorkommender
Mann, der ganz im Gegensatz zu seinen: „hochscligen" Va-
ter sehr bereitwillig eingestand, daß er von solchen Dingen
nichts verstehe und seinen Beamten reden ließ, hatte sich
ebenfalls dort eingefunden und nahm, als man nut der
Verhandlung fertig war, den Landrath heiter plaudernd
359
die strengen Diätvorschriften des Sanitätsraths Hinweg-
gesetze — eines Abends war ein neuer Anfall gekommen
und m anderen Tage, an welchem er in voller Bewußt-
losigkeit gelegen, war in der Dämmerung mit dem er-
löschenden Sonnenlicht auch sein Leben erloschen. In
seinem Testamente war seiner Wittwe nichts ausgesetzt,
als was ihr nach der Ehebercdung zukam — der Nieß-
brauch eines Gutes in der Wetterau als Wittwensitz und
eine anständige jährliche Rente. Else wohnte noch aus
Achscnstein, wo jetzt Fürst Waldemar, der älteste Sohn
des Fürsten, als Haupterbe hauste; sie wartete auf die
Einrichtung jenes Gutes, um sich dorthin zu begeben,
und ihre Schwester Mathilde bereitete sich vor, ihr da-
hin zu folgen. —
Nach seiner Rückkehr von Dover hatte William Kron-'
horst mit der Fürstin und mit ihrer Schwester eine Un-
terredung gehabt und ihr Alles ausgerichtct, was Irene
ihm aufgetragen, ihr zu sagen. Else hatte offenbar mit
einem sehr erleichterten Herzen Alles, was er von Ire-
nens jetziger Lage und von Philipp Bonsart zu erzählen
gewußt, angehört und ihm nicht vorenthalten, wie sehr
seine Neigung für Irene jetzt ihre Shmpathiccn habe,
wie ihre Hoffnung, Irene wiederzusehen, sich ja auch an
die Erfüllung seiner Wünsche knüpfe und wie bereit sie
sei, Alles, was in ihrer Macht stehe, zu thun, nm seinen
Vater der Erfüllung seiner Wünsche geneigt zu machen.
Leider hatte William Kronhorst in dieser Beziehung keine
großen Hoffnungen aussprcchen können. Die Unterredung,
welche er nach seiner Rückkehr von Dover mit dein Vater
gehabt, hatten ihm den „Eiscnbaron" nicht weicher und
nachgiebiger gezeigt, als er früher gewesen.
Und in einer weicheren und nachgiebigeren Stimmung
hätte man den Eisenbaron doch vermuthen sollen, da er
selbst in einem Stadium verjüngten Gcmüthslebens zu
sein schien, in welchem es schwer sein muß, bei dem
Liebeskummer anderer Menschen hart zu bleiben. Er-
halle in neuester Zeit so geflissentlich den Umgang des
Landrathes gesucht und dabei so viel Aufmerksamkeit und
Galanterie für Adele an den Tag gelegt, daß der große
Eindruck, den diese aus sein Herz gemacht, längst offen-
kundig geworden war.
Für Adele hatte sich diese Lage der Tinge jedoch
eigenthümlich dadurch komplizirt, daß sie ganz gegen
ihren Willen nicht allein die Freundin des Vaters, son-
dern auch die des Sohnes geworden. Sie war die Ein-
zige, der William sein Vertrauen schenkte, die es ganz
rückhaltlos besaß, und da Verliebte stets sehr viel und
sehr erregende und in ihrer Art noch nie erlebte Dinge
anzuvertraucn haben, so war es natürlich, daß William
sehr viel bei ihr erschien, daß dein Geheimerath die Be-
flissenheit seines Sohnes um sie nicht entging und daß
Adelen diese Stellung zwischen Vater und Sohn sehr
pcinlich wurde, während sie doch daS Gefühl hatte, daß
sie William weder durch Rath noch That helfen konnte.
Sein Vater hatte sein strenges Nein wiederholt, und trotz
aller Reden und Versicherungen, daß er Irenen dennoch
treu bleiben, sic dennoch gewinnen und heimführcn werde,
befand sich William im Grunde in der tiefsten Verzweif-
lung und unter dem Druck einer schmerzlichsten Hilf-
losigkeit. Und von diesem Druck konnte ihm ja Adele
nicht das Geringste von der Seele nehmen — sie konnte
höchstens erwarten, daß der Geheimerath den Argwohn
faßte, sie wirke schädlich und in einer seinen Absichten
widersprechenden, William bestärkenden Weise auf seinen
Sohn ein. — Sie hätte gar zu gern, wie sie cs schon
einmal gethan, offen mit dem Geheimerath über die An-
gelegenheit geredet; aber jenes erste Mal waren ihre
Worte nicht so ausgenommen worden, daß sie sich er-
muthigt gefühlt Hütte, noch einmal davon zu beginnen —
sic fühlte sich auch dein Geheimerath gegenüber schon
längst nicht mehr unbefangen genug zu solcher Offenheit.
So war es denn gekommen, daß ihr endlich nichts
anderes übrig geblieben als die vollste Offenheit William
gegenüber, und daß sie ihm gesagt hatte:
„Sie bringen mich in eine gar zu schlimme Lage,
mein junger Freund, und können mir nicht zürnen, wenn
ich ihr ein Ende zu machen wünsche. Nach meinem
Gewissen darf und kann ich nicht anders, als Ihnen Vor-
stellungen machen, daß Ihre erste Pflicht Ihrem Vater-
gehört, daß Sie ihm vertrauen müssen und sich unter
den Willen, den er Ihnen so energisch ausspricht, beu-
gen, weil dieser Wille kein despotischer sein kann — das
wissen Sie ja selbst, daß Ihr Vater kein eigensinniger
Despot ist, dem sein Wille über das Glück seiner Kin-
der geht. Und spreche ich so zu Ihnen — wozu ich
durch die Freundschaft, die Ihr Vater mir zeigt, dop-
pelt verpflichtet bin — so mache ich Sie ungeduldig und
zornig und Sie gehen grollend von mir. Wäre es also
nicht besser, wir vermieden ganz, von diesem unglücklichen
Verhältnisse zu reden, da ich Ihnen doch keinen Trost,
wie Sie ihn von mir verlangen und erwarten, geben
kann?"
„Das ist sehr egoistisch von Ihnen, Fräulein Adele!"
hatte William betroffen darauf geantwortet. „Soll ich
mich denn ganz verlassen fühlen in meinen: Kummer?
Und wenn Sie nicht die Theilnahme für mich haben,
mich anzuhören, handelt es sich denn nicht auch um die
Sache Irenens, die nut so rührender Innigkeit an Ihnen
unter den Arm und forderte ihn auf, mit ihm den Rück-
weg zur Stadt durch den fürstlichen Park einzuschlagen.
Ferdinand hatte der Aufforderung nichts entgegen zu
setzen und folgte ihm; er hörte schweigend sein lebhaftes und
harmloses Geplauder an, aber er ließ dabei ängstlich sein
Auge über die Parkparthieen, durch die sie schritten, glei-
ten — er fürchtete Else's Gestalt vor sich auftauchen zn
sehen — seit den: Tage, wo er sie zuletzt gesehen und
eine so bedeutungsvolle Auseinandersetzung nut ihr gc- '
habt, war der Gedanke an ein Wiedersehen mit ihr ihn:
etwas unbeschreiblich Aengstigendes geworden, stets mehr
und mehr! Er konnte sich jedoch beruhige::: Else war
nicht im Parke; und so folgte er dem Fürsten bis in
die Nähe des Schlosses, erschrak aber wieder, als dieser
ihn einlud, auf der Veranda an der Rückseite des Schlosses
mit ihn: eine Erfrischung einzunehmen.
„Sie können," sagte der Fürst, „sich zugleich von
der Frau Fürstin verabschieden, die ich eben auf die
Veranda treten sehe — die Fürstin will in den nächsten
Tagen auf ihren Wittwensitz in der Wetterau abreisen
und wird sich freuen, Sie vorher noch zu sehen."
Ferdinand athmete viel zu beklommen, um lauge
Ausflüchte machen zu können; er stand nach wenig
Augenblicken vor der in tiefes Schwarz gekleideten Ge-
stalt der jungen Wittwe.
Sie war bei seinen: Anblick tief erbleicht, reichte ihn:
jedoch nut dem Anschein völlig kühler Unbefangenheit
die Hand und sagte:
„Ich sollte Ihnen zürnen, Herr v. Schott; ihr Ge-
wissen muß Ihnen sagen, daß Sie mich iu meiner Traner-
zeit sehr grausam vernachlässigt haben."
„Und glaubten Sie, ich würde gewagt haben. . ."
„Zu kommen, um nach einer alten Freundin zu
sehen?" fuhr sie rasch, als ob sie seine Verlegenheit wahr-
nähme und ihm zu Hilfe kommen wolle, fort, „ich
glaubte das — Sie konnten nicht wissen, ob ich nicht
eines Freundes bedurfte, und ebenfalls nicht, daß Fürst
Waldemar sich mit so viel Güte und Aufopferung meiner
Angelegenheiten angenommen, daß ich auch ohne einen
hilfreichen Freund fertig ward."
„Sie dürfen Herrn v. Schott nicht zu sehr schelten,
liebe Frau Mutter," fiel Fürst Waldemar lächelnd ein,
„ich höre, man sagt ihn: ja überhaupt einen großen Hang
zum Einsiedlcrthum nach, was gewiß sehr tugendhaft,
aber in: Ganzen nicht liebenswürdig für die Nachbarn
ist, die wie wir einsam auf dem Lande wohnen. Und
wenn Sie gehen, liebe Frau Mutter, so wird diese Einsam-
keit hier oben noch stiller werden — ich hoffe, Herr von
Schott erinnert sich dann, daß man keine Tugend über-
treiben darf."
„Ich glaube kaum," sagte Else, „daß dieser Hang
zur Einsamkeit Naturanlage bei Ihnen ist, Herr von
Schott. Als ich Sie in meiner Jugend kannte, trat
wenigstens die Anlage dazu nicht hervor. Also muß die
Welt, in der Sie hier leben, cs Ihnen angethan haben;
und dann haben Sie zu erwarten, lieber Waldemar, daß
Herr v. Schott eines schönen Tages aus seiner dunklen Änits-
kanzlci in: Schatten der alten Münsterkirche fortwandert,
nur wieder in den fernen Süden zurückzukehren, in wel-
chen: ich ihn so glücklich fand, als wir vor mehr als
Jahresfrist zusammen dort schöne Tage verlebten."
(Fortsetzung folgt)
Ltülirmsche Mutter mit ihrem Kinde.
(Tiche das Bild auf S. 357a
(Nachdruck verboten.)
Jedermann weiß, welch eine reiche nnd unerschöpfliche
Fundgrube daS italienische Volksleben für den Genre,uatec
ist, obwohl dieselbe schon seit so langer Zeit ausgebcutet ist.
Wer aber Italien aus eigener Anschauung kennt, der kennt
sehr gnt den unaussprechlichen Zauber, welcher in dem italie-
nischen Volke lebt: die Würde und Anmuth, den Adel und
dramatischen Ausdruck in Geberde und Sprache, selbst bis iu
die unteren Stände herab, die stolze Haltung und den belebten
Ausdruck iu Auge und Modulation, die Heiterkeit nnd den
Mutterwitz, den künstlerischen Sinn und die ästhetische Empfäng-
lichkeit für Musik und Poesie und bildende Kunst, namentlich
aber für Deklamation, Gesang und Schauspielkunst bis iu
die untersten Schichten des Volkes herab. Ter Italiener aus
dem Volk ist roh, leidenschaftlich, rachgierig, geizig und selbst-
süchtig, sagt man; — wir geben dies zu. Aber er ist artig,
verbindlich und gefällig in seinen Manieren und erwiedert die
ihm entgcgengebrachte Höflichkeit dankbar. Lässt er sich aber
gehen, in Freude wie iu Schmerz, jo tritt fein ganzes inneres
Wesen in der vollen Tiefe feiner Leidenschaftlichkeit zu Tage
und wirkt dramatisch und überwältigend. Unser reizendes
kleines Bild von Bonnet, einem bekannten tüchtigen Genre-
maler, mag als ein Beleg dafür gelten: die italienische
Mutter, die mit ihrem Töchterchen scherzt und schäkert und mit
einer unübertrefflichen Treue dem Leben abgelanfcht ist. Sind
nicht Beide so seelenvergnügt, so der ganzen Welt vergessen
in ihrem Scherzet:, wie wir es bei unseren: frostigeren, ver-
nünftigeren und seit Jahrhunderten in die Fesseln kühler
Vernünftigkeit geschlagenen Volke niemals so unbefangen,
kindlich heiter nnd graziös bemerken? —
Das Buch für Allr.
hängt, daß Sic unmöglich gleichgiltig gegen ihr Schicksal
sein können?"
„Es handelt sich nicht um Gleichgiltigkeit, lieber
William, das wissen Sie auch recht gut. Und ist cs
Egoismus, wenn ich Ihnen mein Unvermögen, Ihnen
irgend zu helfen, Ihnen irgend etwas zum Tröste zu
sagen, Ihre Hoffnungen zu beleben, Sie zum Ausharren
zu ermuthigen, ausspreche und mich zurückzieheu möchte
aus einer Angelegenheit, die mich mehr quält als Sie
glauben und die mir ganz aussichtslos scheint?"
William schwieg eine Weile und sah mit düsteren
Blicken vor sich hin.
„Sie mögen Recht haben — aber es ist nicht min-
der schmerzlich für mich, Sie so reden zu hören. Was
um's Himmels willen bleibt nur denn übrig, wenn ich
nun auch keine Menschenseele mehr habe, gegen die ich
mich aussprcchen kann und die nur Theilnahme zeigt?
Es bleibt mir nichts übrig, als den Plan auszuführen,
der niir längst vorschwebt. . ."
„Und welcher Plan schwebt Ihnen vor?"
„Der, mich völlig aus meinen Verhältnissen loszu-
reißen — nur mein Schicksal ganz allein zu gründen
und es dahin zu bringen, daß ich, ganz unabhängig auf
mich allein gestellt, Irenen ein ihrer würdiges Loos bieten
kann."
„Der Plan ist chimärisch, mein armer junger Freund.
Denn wenn Sie auch übcr's Herz brächten, Ihren Vater
so zu kränken, der auf Sie als seinen Helfer und seine
Stütze, wenn einst seine Kräfte unter seinen riesigen Auf-
gaben erlahmen, rechnet, der um Ihretwillen gearbeitet
hat und in Ihnen den Fortfctzer seines großen Werkes
sieht — wenn Sie ihn auch so kränken könnten und es über
sich brächten, ihn zu verlassen, so würden Sie dennoch
nicht Irene damit erringen. Glauben Sic, daß Irenens
Vater Sie mit denselben Augen betrachten würde, ob
Sie nun der älteste Sohn und Erbe des Gehcimeraths
Kronhorst sind oder ein auf sich selbst gestellter Commis
in einen: beliebigen Handelshause — denn damit müßten
Sie doch jedenfalls beginnen?"
William hatte nicht viel darauf zu erwiedern. Adelen
blutete freilich das Herz bei der Rückhaltlosigkeit, womit
sie ihm ihre Meinung aussprach, aber es war ihr ja
nichts Anderes übrig — ihr innerstes Gefühl drängte sic
aus der falschen Stellung heraus, in die sie gerathcn
war und die sie jetzt so viel lebhafter und drückender-
empfand als damals, wo sie Irenens Vertraute war und
ein ähnliches Gefühl auf ihr lastete. Damals hatte sie
Gewissenspflichten gegen Frau Mathilde Schott, als die
Mutter Irenens, zu erfüllen; jetzt schienen ihr diese selben
Gcwissenspflichten gegen den Vater Williams ernster und
heiliger noch!
,sJch müßte damit Wohl beginnen," sagte William
nach einer Pause. „Aber der Vater würde ja dann,
wenn ich einmal einen entscheidenden Schritt gethan, nicht
unversöhnlich sein. Ich habe dabei auch ein wenig auf
Sie gerechnet."
„Auf mich?"
„Auf den Werth, den der Vater auf Ihren Rath
und Ihre Meinung legt — bitte, machen Sie keine ab-
wehrende Bewegung, ich weiß, wie sehr der Vater Sic
Verehrt; welche Macht Sie, wenn Sie wollten, auf ihn
ausüben könnten. Und da habe ich mir gesagt, Ihre
Güte für mich würde mir zu Hilfe kommeu. Sie wür-
den den Vater, wenn er doch einmal sieht, daß ich nicht
zu beugen bin in meinen: Entschluß, bestimmen, nur ein
Kapital zu geben, nut dem ich etwas beginnen könnte,
nut den: ich mich rascher vorwärts brächte."
„Wenn ich eine Macht über Ihren Vater ausüben
könnte, William," versetzte Adele, „so würde das jeden-
falls nur so lange der Fall sein, als ich seine Gefühle
und seine Anschauungen theilte. Sobald die meinen da-
mit in Widerspruch gericthen, würde die Macht, fürcht'
ich, sehr gering sein. Und dann — wie könnte ich die
Taktlosigkeit haben, mich so in Ihre Stellung zu ein-
ander, die alsdann doch einen feindlichen Charakter an-
genommen haben würde, zu drängen?"
William sah mit raschem Aufblick in ihre Züge.
„Sie sind nicht aufrichtig gegen mich," sagte er; „Sie
wissen recht gut, daß . . . Doch lassen wir es, denn Sic
könnten sonst nur Taktlosigkeit vorwerfen. Und in Einen:
haben Sie auch Recht. Ich muß jedenfalls, ehe ich
meinen Plan weiter verfolge, mich nut Irenens Vater
darüber verständigen."
Nach einer Pause erhob sich William und ging;
Adele sah ihn mehrere Tage nicht wieder. —
Adele war während dieser Unterredung allein in den:
dunklen alten Amtsgebäude gewesen; ihr Bruder hatte
sie bald nach Tisch zu einen: kleinen Ausfluge verlassen;
er hatte wegen einer neuen Chaussee-Anlage, die durch
eine dem Fürsten gehörende Waldschlucht gelegt werden
sollte, nut den: Straßenbaumeistcr und einem Beamten
des Fürsten an Ort und Stelle verhandeln müssen. Dcr
junge Fürst, ein liebenswürdiger und zuvorkommender
Mann, der ganz im Gegensatz zu seinen: „hochscligen" Va-
ter sehr bereitwillig eingestand, daß er von solchen Dingen
nichts verstehe und seinen Beamten reden ließ, hatte sich
ebenfalls dort eingefunden und nahm, als man nut der
Verhandlung fertig war, den Landrath heiter plaudernd
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