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42L

Das Buch für Alle.

„Die alte Frau ist seit lange» todt. Gott habe sie
selig !"
„Das wünsche ich auch. Habt Ihr Kinder'?"
„Nur einen erwachsenen Sohn, einen schmucken kräf-
tigen Burschen, der Oliver heißt. Ich sage Euch, alter
Nugget, wenn Ihr vielleicht eine schmucke Tochter zu
verheirathen habt und einen netten Haufen Dollars dazu
legen könnt, so schaut Euch meinen Prachtjungen einmal
an. Ich will ihn morgen mit dem Gespann hieher
schicken, um die erste Ladung Fenzriegel abzuholen, da
habt Ihr also eine gute Gelegenheit. He, Ihr habt
doch eine Tochter? Die Leute droben in den Hügeln
sagten mir das."
„Allerdings habe ich eine Tochter," versetzte der Far-
mer, der die Originalität des neuen Nachbars recht be-
lustigend fand. „Aber mir scheint doch, Ihr seid ein
wenig zu rasch bei der Hand. Da Ihr eS so sehr auf
Dollars abseht, so mochte ich vermuthen, daß dieselben
bei Euch nicht allzu dicke gesaet sind . . ."
„Da habt Ihr meiner Treue Recht, alter Nugget.
Die sehr respektable Familie Sutter hat in den letzten
hundert Jahren sehr viel Unglück gehabt und ist deshalb
in ihren Vermögensverhältnissen etwas heruntergekommen.
Ich und mein Sohn fangen hier von Neuen: wieder
an und wir hoffen, in dieser gesegneten Gegend an:
grünen Füllst recht bald auf einen grünen Zweig zu
kommen. Das letzte Geld hat gerade gereicht für die
Farm, für ein Gespann Pferde, für einige Kühe und
Schweine, für einige Ackergeräthe und Saatfrüchte, und
es sind noch einige Dollars übrig geblieben zum Ankauf
von Riegeln, um die verfallenen Fenzen auszubessern und
zu ergänzen. Also was ist der Preis für 3000 Stück?"
„Ich nehme anderthalb Dollars sür's Hundert, das
macht also 45 Dollars."
„Und gebt Ihr sie nicht etwas billiger, wenn ich sie
abholen lasse und baar bezahle."
„Na, in Anbetracht dessen, daß Ihr mit Schwierigkeiten
käinpft und Eure paar übrigen Dollars sehr nöthig selber ;
braucht, will ich Euch die Fenzriegel nun einen Viertel-
dollar Per Hundert billiger liefern. Also schickt nur
Euren Sohn mit einen: Karren nach meiner Farn:, wo
in einem Schuppen mehr als hunderttausend Fenzriegel
aufgestapelt liegen. Weshalb seid Ihr nicht selber nach
der Farn: gekommen?"
„Ich bin guer durch den Wald gelaufen, weil das
etwas näher ist. Wie ich hier anlangte, sagte nur einer
von Euren schwarzen Wollköpfen, daß Ihr sogleich hier
ankommen würdet. So habe ich denn meine alten
Knochen ein wenig ausgerüht und auf Euch gewartet."
„Schön!" versetzte der Farmer. „Geduldet Euch nur
einen Augenblick, bis ich nut meinen Negern fertig bin.
Dann, kalkulire ich, gehen wir zusammen nach meinem
Hause, nehmen ein gutes Frühstück zu uns und bringen
das Geldgeschäft in Ordnung."
Sutter erklärte, daß ihm d:es dounermäßig recht sei, und
schlürfte dann behaglich den letzten Tropfen ans seiner
Whiskeyflasche. Nugget ertheilte uuterdeß den Schwarzen
die erforderlichen Anweisungen, und als er damit zu
Ende gekommen war,, ging er mit dem Gaste nach der
Farm, wo er ihn gut bewirthete und die vereinbarte
Geldsumme in Empfang nahm.
Als Nathanael Sutter in seinen: neuen Daheim bei
seinen: Sohne Oliver wieder anlangte, machte er diesem
eine ausführliche Schilderung von den: gedeihlichen Wohl-
stände der Nngget'schen Farn: und verfehlte nicht, ihn
darauf aufmerksam zu machen, daß des wohlhabenden
Farmers Tochter Mary ein wahres Prachtmädchen sei,
welches für ihn eine überaus passende Parthie fein würde.
„Du wirst sic morgen sehen, wenn Du die erste
Ladung Fenzriegel holst', mein Junge," sagte er zum
Schluß. „Mache Dich dahinter her, zeige Deine Geistes-
gaben und stelle Deine schätzbaren Eigenschaften nicht
unter den Scheffel. Ich bin überzeugt, das Mädchen
bekommt einen großen Haufen Dollars als Mitgift. Was
könnte das dann für ein vergnügtes Leben werden auf
unserer Farm!"
„Ich zweifle nicht daran," gab Oliver zur Antwort.
„Es würde etwas Abwechselung in unser stilles Leben
bringen und den verwünschten Gedanken an das Ereigniß
an: Kentuckystron: in uns verschwinden lassen..."
„Still, mein Junge! Sprich nicht von solchen alten
Geschichten! Das darf niemals wieder erwähnt werden!
Wir fangen hier ein neues Leben an als Gentlemen,
die ein gutes Gewissen haben, und was vergangen ist,
das soll vergangen und vergessen sein. Es liegt hinter
uns so gehcimnißvoll verborgen wie die Ewigkeit vor uns
und so soll es fortan immer sein!"
„Das ist recht gut gemeint," murmelte Oliver düster.
„Wenn die fatale Erinnerung nur durch solche Vorsätze
zu ersticken wäre! Aber ich muß daran denken und ich
träume davon. Letzte Nacht hatte ich wiederum einen
wilden Traum. Ich sah Dich in: Hellen Mondcnschein
an einen: alten Hickorybaun: hängen und mir selber legte
man gerade den Strick um den Hals. Als man mich
dann cmporzog, da wurde die kitzliche Empfindung am
Halse so unangenehm, daß ich jäh erwachte. Ich war
ganz verstört, selbst noch als ich entdeckte, daß es nichts
weiter sei als ein fürchterlicher Traum."

„Das ist alles höllenmäßiger Unsinn," brummte der
Alte mit unwilligem Kopfschütteln. „Wenn Du erst eine
junge Frau hast, Oliver, so wird sie Dich schon von
solchen dummen Träumen kurircn, davon bin ich felsen-
fest überzeugt! ..."
3.
Folgenden Tages fuhr Oliver nut den: Karren nach
Nugget's Farm, um die erste Ladung Fenzriegel zu holen.
Er wurde von dem alten Farmer und den übrigen Haus-
genossen freundlich begrüßt und ausgenommen und nach-
dem er seine Frachtfahrten mehreremale wiederholt und
schließlich beendigt hatte, war er dort so gut bekannt
geworden, daß er in der Folge, auch ohne geschäftliche
Veranlassung, wieder erscheinen durfte als gern gesehener
Hausfreund. Den beiden Söhnen schloß er sich vor-
nehmlich an und gewann ihre Achtung dadurch, daß
er ihnen zeigte, wie er ein viel besserer Jäger und
Schütze sei als sie selbst. Mary dagegen verhielt sich
sehr zurückhaltend gegen ihn; es mochte doch Wohl etwas
in seinem Wesen und den: unstäten Blick seiner Augen
liegen, was ihr nicht gefiel. Ihr sanfter melancholischer
Charakter machte ihr Benehmen aber immerhin erklärlich
und nicht weiter auffallend. Der alte Farmer war offen-
bar von der Bekanntschaft mit dem jungen Nachbar recht
erbaut und erklärte gelegentlich, daß derselbe in jeder
Beziehung das Ideal eines tüchtigen amerikanischen Hinter-
wäldlers fei, dem es nicht fehlen könne, mit Büchse, Axt
und Spaten den Urwald zu bezwingen und sich in kurzer
Frist eine auskömmliche Existenz zu schaffen.
Nathanael Sutter, der auch bisweilen freundnachbar-
lichc Besuche abstattete und Nuggells Whiskey vertilgen
half, zeigte sich ungemein erfreut, als er bemerkte, wie
fei:: Sohn sich die Gunst des wohlhabenden Farmers
so geschickt erworben, und er zweifelte nachgerade nicht
in: Geringsten mehr daran, daß derselbe auch Herz und
Hand der schönen Mary binnen Kurzen: sich erringen
werde.
Nun schien sich gerade für die Einleitung zu einer
Brautwerbung eine sehr schickliche Gelegenheit einzu-
stellen. Mehrere Monate waren vergangen und die
wunderlieblichste sommerliche Pracht breitete sich nun aus
über den: „Garten von Kentucky", wie der schöne Land-
strich von: grünen Flusse bis zu den Marschniederungen
des Ohio genannt wird. Die weichliche Ernte war glück-
lich in die Scheuern gebracht und die auf einem Raume
von 50 Ouadratmeilen zerstreut wohnenden Farmer nut
ihren Frauen, Kindern und sonstigen Hausgenossen hatten
nun genugsam Zeit, um an dem Ufer des grünen Flusses
eine großartige fromme Versammlung, ein sogenanntes
„Campmeeting" abzuhalten.
Das religiöse Bedürfniß, welches so tief im Herzen
des Menschen verborgen liegt, hatte diese sonderbaren
Versammlungen geschaffen in einen: Lande, wo es da-
mals noch keine angcstellte Geistlichkeit und keine Kirchen
gab. Alle Jahre einmal kamen wandernde Prediger zur
Stelle, gewöhnlich nach der Erntezeit und es wurde dann
ein bisweilen Wochen lang andauernder Gottesdienst ge-
halten.
Es läßt sich denken, daß bei einen: solchen Zusammen-
fluß von Menschen noch manche andere Geschäfte er-
ledigt wurden, als gerade das Hcilsbedürfniß der Seele
allein. Eine Art Jahrmarkt war damit verknüpft, Händ-
ler niit ihren Maaren kommen herbei, auch mancherlei
zweifelhafte Persönlichkeiten, Spitzbuben aller Art und
Spieler vom Fach. Eine derartige Lagerversammlung
bietet den entfernt von einander wohnenden Farmerfami-
lien einmal in: Jahre gute Gelegenheit, nin Freundschafts-
bündnisse anzuknüpfen und für die Entwickelung von zar-
ten Licbesangelegenheiten zwischen den jungen Burschen
und Mädchen. Wie auf den europäischen Jahrmärkten
beschenkt bei solchem Anlaß der Liebende die Auserwählte
seines Herzens, und findet in: festlichen Tumult wohl
den Muth zu einen: unverblümten Gestündniß.
„So ist cs, mein Junge," sagte Nathanael Sutter,
als er nut seinem Sohne darüber sprach. „Du mußt
dein Mädchen ein hübsches Geschenk machen und ihr
sagen, wie es Dir um's Herz ist. Da müßte es doch
donnermüßig schief gehen, wenn ihr nicht vor Ablauf
des Campmeeting als Braut und Bräutigam die Glück-
wünsche der Menge empfangt."
„Ich willls thun, Vater," versetzte Oliver. „Ich
will Mary das goldene Dingelchen schenken, welches wir
dem Manne am Kentuckystron: . . ."
„Sprich niemals von jenem Manne, hörst Du? Ich
Weiß schon, was Du meinst. Es ist doch kein Abzeichen
auf dem Kleinod?"
„Nichts dergleichen. Ich habe die Haarlocke gleich
damals herausgeworfen, eine neue seidene Schnur an
den: Medaillon befestigt und dieses selbst so sorgsam po-
lirt, daß es nun funkelt, als käme es soeben vom Gold-
schmied."
„Dann wird das glänzende Dingelchen schon seine Wir-
kung ausüben, schätze ich. Die jungen Mädchen sind immer
wie verrückt hinter solchen: goldenen Flitterkram her,
das ist nur noch recht gut erinnerlich aus der Zeit, da
ich selber jung war und Geld übrig hatte für Ohrringe
und sonstigen Müdchentand . . ."
Einige Tage nach diesen: Zwiegespräch nahm in einer

Heft 18.
herrlichen Gegend an: Ufer des grünen Flusses das schon
lange angekündigte Campmeeting seinen Anfang.
Die Zelte waren aufgeschlagcn, die große Mehrzahl
der Theilnehmcr versammelt, und man hatte unter eini-
gen hohen Bäumen die Tribüne errichtet, welche als
Kanzel dienen sollte.
David Nugget und seine Angehörigen befanden sich
an Ort und Stelle, so auch Nathanael Sutter und dessen
Sohn Oliver. Letzterer suchte und fand bald Gelegen-
heit, Mary allein zu sprechen.
Man harrte der Ankunft des Wandcrpredigers. End-
lich sah man ihn auf einem braunen starkknochigen Gaul
angetrabt kommen. Sofort eilten die älteren Farmer
auf ihn zu, um den Reverend willkommen zu heißen.
Nugget befand sich unter ihnen. Plötzlich stutzte er
und betrachtete das Pferd des Geistlichen genauer, be-
sonders prüfte er auch das Brandzeichen des Thieres.
„Bei Gott!" schrie er, '„das ist ja mein Pferd, wel-
ches mir in: Herbste vorigen Jahres gestohlen wurde!
Wie seid Ihr denn in den Besitz desselben gelangt, ehr-
würdiger Herr? Man hat das Brandzeichen verändert,
aber mein Zeichen isl trotzdem noch deutlich kenntlich.
Seht Ihr, das gute Thier kennt seiner: alten Herrn?"
Wirklich wieherte das Pferd freudig, als es von sei-
nen: alten Herrn gestreichelt wurde.
„Freund," sagte der Prediger würdevoll, „Ihr wer-
det mich doch hoffentlich nicht für einen Pferdedieb
halten?"
„Gott behüte mich vor solchem bösen Gedanken!"
rief der Farmer. „Aber Ihr habt den Gaul jedenfalls
von einen: verruchten Pferdedieb gekauft. Nicht wahr,
von einen: hübschen jungen gntgckleideten Manne mit
braunen: Lockenhaar?"
„Nein," entgegnete der Geistliche; „ich habe das Pferd
in: September vorigen Jahres auf dem Markte zu
Lexington im Osten vom Kentnckyfluß von einen: alten
braungesichtigen Manne gekauft und mit 60 Dollars
baar bezahlt. Ha, seht! da kommt er gerade, der alte
Mann, mit welchen: ich den Handel machte!"
Er deutete dabei auf Nathanael Sutter, welcher nach
seiner Gewohnheit der Whiskeyflasche etwas zu stark zu-
gesprochen hatte und nun ganz vergnügt herbei schwankte.
„O!" rief da Einer von den fremden Gästen, „das
ist ja der ehemalige Fährmann vom oberen Kentucky-
stron:! Hält der sich nun in hiesiger Gegend auf?"
Nugget trat rasch ans seinen Nachbar zu und faßte
ihn beim Arme.
„Sagt, alter Sutter, wie seid Ihr in den Besitz mei-
nes Pferdes gelangt, welches Ihr zu Lexington an den
Reverend hier verkauft habt?"
Der alte Trunkenbold starrte verblüfft den Sprechen-
den, dann den Geistlichen, dann das Pferd an. Er gab
keine Antwort, wurde aber plötzlich ernüchtert und todten-
bleich.
„Nehmt den Mann in Gewahrsam," sprach der Pre-
diger mit salbungsvoller Stimme. „Ich sehe es ihn: an,
daß er kein gutes Gewissen hat. Gott sei ihm und allen
anderen armen Sündern gnädig!"
Sutter wurde sogleich von einigen Anwesenden unter
Bewachung gehalten. Nugget sprach mit dem Fremden,
der in den: Nachbar den Fährmann vom Kentuckyflusse
erkannt hatte, und brachte bald heraus, daß die Fähr-
stelle auf der Reiseroute gelegen, welche William Dibdin
über Waynesburg nach Maysville eingeschlagen.
Einige Augenblicke später tönte von einer anderen Stelle
des Zeltlagers ein Jammerschrei an sein Ohr und er
erkannte die Stimme seiner Tochter Mary. Er eilte zu
ihr hin und sah in ihren zitternden Händen ein goldenes
Medaillon, welches sie krampfhaft an ihr Herz preßte, in-
deß Oliver Sutter mit leichenblassem Antlitz vor ihr stand.
„O, mein Vater!" rief das junge Mädchen schluch-
zend, „dies goldene Medaillon, welches Mr. Sutter mir
eben schenkte, ist dasselbe Kleinod, das ich einst William
gab. Es ist eine verborgene Feder darin, welche eine
Platte aufspringcn macht und dann meinen und Williams
Namen zeigt. Sich, hier ist die Inschrift!"
„Ich erkenne das Medaillon," sagte ihr Vater. „Oli-
ver Sutter hat Dir das Kleinod gegeben?"
„Ja."
„Das ist also Gottes Gericht!" rief tief erschüttert
der Farmer aus. „So war der arme William doch ein
ehrlicher braver Mensch! . . . „Ihr Leute, greift den
blutigen Schurken da! In: Verein mit seinen: Vater
hat er wahrscheinlich den Bräutigam meiner Tochter,
William Dibdin, als dieser über den Kentnckyfluß sehen
wollte, schändlich ermordet und beraubt!"
Ein allgemeines Wuthgeschrci ertönte ringsum in:
Kreise. Oliver Sutter wurde alsbald von mehreren
rüstigen jungen Leuten festgenommen und zu seinen:
Vater hin transportirt.
Es wurde nun eine Art Gerichtsverfahren gegen die
Beiden eröffnet.
Anfänglich leugneten Vater und Sohn hartnäckig;
als aber der Geistliche sich in's Mittel legte und mit
Donnerstimme die Qualen der Hölle und ewigen Ner-
dammniß ausnialte, da wurde der alte Sutter unter den
Nachwirkungen des Whiskeyransches zuletzt so mürbe und
zerknirscht, daß er das Verbrechen eingestand und alle
 
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