geft 3.
Daz Bugd dr ALlG
43
I„_@B‘geicbaf), um Recht und Geſetz aufrecht zu halten,
ulvia.“
„Das ſoll ich glauben, Apicius? Du weißt, ich
bin gut, und ich will's noch einmal glauben. Aber,
in Wahrheit, dein Vatex iſt wütend und ſagt, eine
ſolche Dummheit wäre ihm noch nicht vorgelommen.“
Gortſetzung folgt.) ı
Ein SFrachtfegler auf dem Gardaſee.
(Siehe das Bild auf Seite 40 und 41.)
dem Genferſee und dem Bodenſee iſt der Gardaſee
das größte Waſſexbecken der Alpen, und was die Reize
ſeiner Ufer anbetrifft, vielleicht der ſchönſte, obwohl er weniger
bedeckt einen Flächenraum von 366 Quadratkilometer und
liegt nur 44 Meter über dem Spiegel des Adriatiſchen Meeres,
von dem er einſt ein Fjord war. Nur ſein nördlicher, ſchmaler
Teil iſt in das Gebirge eingezwängt; hier ſieht man wilde,
kahle, faſt ſenkrecht aus dem Waſſer aufſteigende Felſen, von
denen Waſſerfälle herabſtürzen und deren Steilwänden der
Fleiß der italieniſchen Landbauer dort, wo es irgend möglich
war, die üppigſten Zitronen- und Orangengärten abgerungen
hHat. Den ſuoͤlichen Teil umrahmen anmutige, vorzüglich
aͤngebaute Hügel, zwiſchen denen der See ſich meerähnlich
ausbreitet, Die Schönheiten einer Dampferfahrt von Riva
bis Deſenzano und Peschiera ſind oft geſchildert worden,
wenige Bergnügungsreiſende aber wiſſen, daß auch eine ſtatt-
liche Flotte von Handelsſchiffen auf dem See kreuzt und den
Austaͤuſch der Produlte Italiens und Oeſterreichs vermittelt.
Die Segelſchiffahrt beſorgen kleine, ſtark gebaute, zweimaſtige
Frachtſchiffe, die ziemlich maſſiv gebaut ſind, da ſie oft genug
erheblichen Stürmen und einem meerähnlichen Wellengang
ſtandhalten müffen. . Die meiſten ſind recht alte Kaſten und
haben als Gallionsfigur am Bug einen Heiligen oder eine
Waſſernixe. Unſer Bild auf S. 40 und 41 ſtellt ſolch einen
Frachtſegler auf dem Gardaſee dar, als er eben mit günſtigem
Winde die unweit der Oſtküſte des Sees aus dem Waſſer
emporragende Felſeninſel Trimelone paſſiert, deren Gipfel die
geſchlechtes krönt. Trotz der häufigen Stürme hört man von
Schiffsunfällen ſelten! Der Wind, welcher der Segelſchiffahrt
Gefahr bringen kann, iſt der Borea oder Suer, der aus den
Hochthälern der Etſch und des Iſarch wie durch einen Kanal
herab auf den See niederfiürmt. Aber da er ſtets im gleichen
Strich kommt, und das plötzliche Umſpringen des Windes an
den Felſenecken, wie auf anderen Alpenſeen, fehlt ſo iſt die
Gefahr für den kundigen Schiffer gering. Neben der legalen
Segelſchiffahrt giebt es zahlreiche Schmugglerſchiffe, und die
ttaltenifche Regierung hält auf dem Gardaſee eine förmliche
kleine Kriegsflötte, nämlich Torpedoboote, die den Zollwaͤcht-
dienſt verſehen und beſonders bei Nacht lautlos wie Schatten
über den See kreuzen, um die mit Schmugglerware beladenen
Segler abzufangen.
Der Tanz der St. Margarita hrüder.
Siehe das Bild auf Seite 45.)
n der ſchweizeriſchen Stadt Solothurn beſteht ſeit alten
Zeiten die nach ihrer Schutzpatronin benannte St Mar-
garita-Brübderjchaft, deven Mitglieder zumeiſt der männlichen
Bevölkerung der auf dem rechten Ufer der Aare gelegenen
Vorſtadt angehören. Fährlich am 22. IJuli oder an dem
dieſem Tage zunächft liegenden Sonntage wird unter Beob-
achtung gewijjer althergebrachtex Feierlichfeiten von dieſer
Bluͤderſchaft die ſogenannte Vorſtädker⸗Kilbi feſtlich begangen.
Nach dem Gottesdienſt ziehen die Margarita-⸗Brüder zu der
mit Fahnen und Kränzen geſchmückten Herberge, in der das
Kilbimahl abgehalten wird, das um 1 Uhr beginnt. Auf den
Straßen und Plätzen tummelt ſich inzwiſchen die Schuljugend,
ſehnſuͤchtig des Augenblicks Harrend, wo nach beendigtem
Mahle die fröhlichen Brüder die Reſte des Nachtiſches nebſt
noch beſonders gelauften Nüfjffen, Pfefferkuchen und Zucker-
werk aus den Fenſtern des Feſtſaales ihnen zuwerfen werden.
Sn der Feſtrede wird ſtets auf die Bedeutung des Tages
aufmerkſam gemacht als einer Erinnerung an die ſiegreiche
Schlacht bei Dornach (Dornech am 22. Juli 1499 und den
Heldenmut der Solothurner Jünglinge, die von Feſtmahl und
Tanz der Kirchweih hinwegeilten in die Schlacht und, zurück-
gekehrt von der blutigen Arbeit, die Kirchweihluſtbarkeit fort-
Mahles aber kommt der wichtige Moment: die Herumreichung
des alten Bruderſchaftspokals und die Verſteigerung des Vor-
tanzes bei dem Umzug durch den Ort. Dieſe Ehre bezahlt
der Meiſtbietende oft mit mehreren hundert Franken. So-
bald die Verſteigerung vorüber iſt, ſammeln ſich die zum
Tanze ziehenden Paare unter Vorantritt der Muſikanten auf
der Straße und treten ihren Umzug an. Eine Anzahl Brüder
bildet die Vorhut, eine andere die Nachhut; die Seiten werden
durch junge Burſchen mit Rußpfannen gedeckt, mit denen
die andrängenden Zuſchauer in achtungsvoller Entfernung
gehalten werden. Den Beſchluß des Zuges maͤcht ein
Küfermeiſter mit einem Fäßchen guten Weines, den das
reiche Spital ſpendet! Es wird in der Regel an drei bis
fünf Orten getanzt; zuerſt auf dem Platz vor der Feſtherberge,
dann vor den Übrigen Wirtshäuſern und auf den heiden
Aarebrücken, auf alle Fälle auf der oberen und größten.
Nach jedem Tanze wird dem Vortänzerpaare von dem „Ka-
valier!, einer ſtehenden Figur des Zuges, in dem alten Pokal
der Ehrentrunk gereicht (ſiehe das Bild S, 45). Mit dem
öffentlichen Tanze endet die offizielle Feier und es beginnt
die allgemeine Luſtbarkeit im Feſtſaale, an der auch eingeladene
Gäſte keilnehmen.
Zchneiderhochzeik.
Shiye aus dem wiener Polksleben.
Bon M, Vvgel vom Zpielberg.
Gaͤchdruck verboten.)
Au haſt's auch notwendig g’habt, dich ſo zu
] verplempern,“ erbofte fich Frau Pöwolnh,
Zeiten Klage geführt, gegen ihre ältefte
Nachtmahls beſchäftigt. Die Mutter machte das Fett
ſchälte die dampfenden Kartoffeln, die dazu geröftet
werden ſollten.
Das Heim der Familie Powolny, weit draußen in
Favoriten in einem großen Mietshauſe mit drei Gaſſen-
fronten, machte bei aller Beſcheidenheit einen traulichen
und angenehmen Eindruck, der aber mit der Stimmung
der beiden Frauen ſeit einiger Zeit in argem Wider-
ſpruche ſtand. € wehte beſtändig Kampfesluft im
leiten offen aus. Auch jetzt.
blühendem Geſicht und kräftiger Geſtalt erwiderle ziem-
lich gereizt! „Verplempert! Wer hat fich verplemhert?
Ich bitt mir’s aus, Mutter: ich hab mich nit ver-
plempert!“
„Nq, was denn ſonſt?“ meinte die ſtattliche, von
Geſundheit ſtrotzende, noch immer hübſche Frau, wäh-
rend fie die Würſte vorſichtig in das praſſelnde Fett
in der Bratpfanne legte. „Sd3 das nit verplempert,
wenn ſo ein jung's, fauber's Madel wie du, das an
jeden Finger Einen kriegen könnt! ſo ein'n herg lau-
fenen Habenichts nimmt und —“ ;
„Herg'laufenen Habenichts?! fiel Gufti flammend
vor Entrüſtung der redegewandten Mutter ins Wort
und ſchnitt wütend in die Kartoffeln hinein. „Ah,
da muß ich bitten! Das laß ich mir nit g’fallen,
Mutter! Du haſt kein Recht dazu, daß Ddu 1o von
mein Toni redſt!“
Na, da werd ich vielleicht erſt ſchön um Erlaub-
weiter, dein ſchöner Zukünftiger? Hat er was? Kein’
Pfifferling! Nit amal Schulden hat er, weil niemand
ſo dumm is und ihm was borgt! Und das will ein
Giſchäftsmann ſein? Ein anſtändiger Gewerbsmann?“
Sie lachte ſpöttiſch auf.
Lach nur, Mutter,“ ſagte die Tochter erbittert.
„Und wennſt auch noch ſo viel lachſt und über ihm
herfallſt, wann er nit da iſt — du verleidſt mir ihn
doch nit. Du und der Vater, ihr hHabt gern Ya g’Jagt,
wie er zu euch kommen is als Freier. I3 ’3 vielleicht
nit wahr?!
Frau Pawolny kam bei dieſer Frage durchaus nicht
in Verlegenheit.
„Was hätun wir denn thun ſollen, der Vater und
ſo verrückt Verliebte wie du und dein ſchöner Toni
uns ſo beſtürmt haben? Hätten wir auch zehnmal
8 ihr uns davong laufen wär’t, du verliebte Urſchel,
u!“
Das hätt ich auch than, Mutter,“ beſtätigte die
Tochter trotzig. } . ;
„Na, fiext e5,“ rief die Mutter befriedigt, weil fie
vecht behalten hatte. Aber was wahr i8, i8 wahr:
du haſt dich verplempert! Denn was i8 dein lieber
Zukünftiger? Ein Schneider, der ſich Meiſter ſchimpfen
laßt, aber wie der erſte beſte Giſell Stückarbeit für
was zum Flicken oder zum Wenden kriegt! Da fann
man ſchon ſchön leben und ein Weib erhalten — meiner
! Gebh, hör mir mit ſo ein Meiſtex auf!“
Der wegwerfende Ton brachte die Tochter noch
mehr auf als die ſchlimmen Worte fjelbft. „Febt hab'
Antlitz vom Zorn gerötet. „Was ſeid's denn ihr ſo
ſo habt’3 g’heiratet, und dann erſt is der Vaͤter Meiſter
verwalter in der Fabrik worden. Ich hab aber dem
Toni gleich g’Jagt, ein Giſellen heirat ich nit. Da is
er mir zulieb Meiſter gworden und muß halt warten,
bis er g’nug zu thun kriegt Das wird ſchon kommen,
Cr hat bisher immer nur
in den erften Häufern gearbeit't und zwanzig, dreißig
Gulden in der Wochen verdient und —“
„Und alles verjuxt!“ fiel die Mutter erboſt ein
und wiederholte zornig! Alles verjuxt hat er, der
Windbeutel, der!“ ;
„So hat ev’3 halt verjuxt!“ Guſti bäumte ſich
förmlich vor Trotz. „3 war ſein Geld, das er ſich
ehrlich verdient hat. Und wenn er ſich ſchon die ganze
Woche ſo hat plagen müſſen, ſo hat er ſich dafür am
Samstag und am Sonntag wohl was Gutes vergönnen
fönnen. “ ı
„Na ja, red ihm nur ’3 Wort,“ höhnte die Mutter.
„Und laß ihn 8 nur ſo weiter macdhen: eſſen und
trinken, was gut und teuer is und ſich im Prater gut
unterhalten. Und du wirſt dabei Trübſal blaſen und
Elend geigen müſſen, und der Herr Gemahl lebt herrlich
und in Freuden. So g hört ſichs — natürlich! Nur
ſo g'hört fich’8.: Was?“ ;
Und ſoll's ſo kommen,“ trotzte Sufti, „ſo is das
meine Sach’! Brock' ich mir eine ſchlechte Suppen
ein, ſo merd' ich’8 auch ſelber auseſſen. Aber ’3 wird
keine ſchlechte Suppen ſein — das weiß ich! Und
du, Mutter, wirſt ſchon auch einmal zu Kreuz kriechen
und ſagen: der Toni is ein braver, anſtändiger Menſch,
das Mädel hat'z mit ihm gut getroffen.“
Haha, lachte die Mutter grimmig auf. Glaubſt
wirklich, daß ich euch ſo kommen werd'? Da wirſt
dich aber ſchneiden.“
„Nir werd ich mich ſchneiden!“ entgegnete die
Tochter beftimmt. „Du wirſt einmal ſo reden! Und
denken thuſt's ja heut ſchon, Mutter. Biſt ja zu Tod
froh, daß einer gekommen is, der mich nimmt, ſo wie
ich bin — ohne Ausſteuer, die ich ſo wie ſo nit kriegt
haͤtt weil ja nır da is.“
Das war ein Stich, der traf. Die Frau zuckte zuz
ſammen, drehte ſich zornbebend zu der Tochter um,
ſchwenkte drohend die Bratgabel gegen ſie und ſchrie:
Du vorlaut'z Ding du! Du kannſt Gott danken, daß
ich von die Würſcht da nit wegkann, ſonſt hätt'ſt eine
Ich werd' mir's von dir
auch noch vorwerfen laſſen, daß du in die Che nir
mitbringſt, daß wir unſeren Kindern keine Ausſteuer
geben können! Bei vier Kindern, von denen die zwei
ſüngſten immer krank waren, und bei die ſchlechten
Beiten, wo ein ehrlicher Gewerbsmann nit mehr ver-
dient, als was von der Hand in den Mund geht —
da hätt! man vielleicht auch noch an eine Mitgift denken
und dafür hungern ſollen? Der Menſch, der arbeitet,
muß auch eſſen! und drum habin wir g’gefjen, weil
wir g'arbeitit haben. Und ſo ein Grünſchnabel wirft
einem vor, daß wir nit auch noch ihretwegen Hunger .
g'litten haben? Du, gieb acht, daß du nit Hunger
leiden mußt bei deiner windigen Schneidergeiß!“
Dieſes Wort war ſtets der letzte Trumpf der er-
zürnten Frau und traf bei ihrer temperamentvollen
Tochter auch ſtets ins Schwarze.
Wie von der Tarantel geſtochen fuhr Guſti auf.
„Schneidergeiß !“ ſchrie fie, auf das äußerſte empört,
während fie Meſſer und Kartoffel auf den Küchentiſch
warf. „Na, wart' nur, Mutter, das ſoll er doch ein-
mal wiſſen, der Toni, wie ſchlecht du hinter ſeinem
Rücken redſt. Und in's Gſſicht thuſt ihm immer ſo
ſchön. Nur ich armes Mädel i muß immer ſolche
Reden hören! Ih ageh’ noch zu Grund da in dem
Haus, wann's noch lang dauert! Und von der eigenen
Mutter muß man ſich immer ſo was ſagen laſſen —
von der eigenen Mutter! Ich kann nit mehr, ich will
nit, ich bin ſo unglücklich!“ Sie ſchlug die Hände vor
das Antlitz und eilte in das ſchmale lange Zimmer,
das ihr und ihren Schweſtern als Schlafraum diente.
„Jetzt heult ]” gar wieder, die verruckte Urſchel,“
brummte Frau Powolny, die Hände in die Hüften
ſtemmend, hinter ihr dtein.! Ihr ganzer Ingrimm
war verraucht und in den Aerger über die Empfind-
lichkeit ihrer Aelteſten miſchte ſich das Mitleid und die
Soͤrge über Guſtis Zukunft.
Sie hätte nicht Mutter ſein müſſen, wenn ſie da-
von entzückt geweſen wäre, ihre hübſche Guſti einem
armen Schlucker wie dieſem Anton Huber zur Frau
geben zu müſſen — ihre Guſti, die — wenn ſie es
ſich nur ein bißchen angelegen ſein ließe, den Spezerei-
händler mit dem guten Geſchäft in der Quellengaſſe
haben könnte — und ſie ſollte es nicht einmal verſuchen,
ihr dieſen dummen Schneider auszüreden? Das wollte
ſie doch ſehen, ob ihr das irgend wer verbieten könnte!
Kopfſchüttelnd wandte ſie ſich wieder ihren Leber-
würſten zu, drehte ſie in dem praſſelnden Fett um und
machte ſich daran, die von Guſti kreulos im Stich ge-
laſſenen Kartoffeln zu röſten.
Da ertönten auf dem Gange draußen eilige Schritte
und wenige Sekunden ſpäter wurde die Wohnungs-
* etwas ungeſtüm, in anſcheinender Ungeduld, ge-
öffnet A ;
Ein junger, höchſtens vierundzwanzigjähriger Mann
von ziemlich ſchmächtiger Geſtalt, mit braunem Locken-
fopf, eine Spur von einem dunklen Schnurrbärtchen in
dem hübſchen Geſicht mit den heiter in die Welt
ohne irgend welche Umftände zu machen, ein.
Guͤten Abend, Mutter, “ grüßte er in flottem Ton
und reichte ihr die ſchlanke weiße Hand mit den zer-
ſtochenen Fingerſpitzen. „Da bin ich wieder einmal
in Lebensgröße, wie du ſiehſt.“
Ihre Mienen wurden plötzlich äußerſt freundlich.
Daz Bugd dr ALlG
43
I„_@B‘geicbaf), um Recht und Geſetz aufrecht zu halten,
ulvia.“
„Das ſoll ich glauben, Apicius? Du weißt, ich
bin gut, und ich will's noch einmal glauben. Aber,
in Wahrheit, dein Vatex iſt wütend und ſagt, eine
ſolche Dummheit wäre ihm noch nicht vorgelommen.“
Gortſetzung folgt.) ı
Ein SFrachtfegler auf dem Gardaſee.
(Siehe das Bild auf Seite 40 und 41.)
dem Genferſee und dem Bodenſee iſt der Gardaſee
das größte Waſſexbecken der Alpen, und was die Reize
ſeiner Ufer anbetrifft, vielleicht der ſchönſte, obwohl er weniger
bedeckt einen Flächenraum von 366 Quadratkilometer und
liegt nur 44 Meter über dem Spiegel des Adriatiſchen Meeres,
von dem er einſt ein Fjord war. Nur ſein nördlicher, ſchmaler
Teil iſt in das Gebirge eingezwängt; hier ſieht man wilde,
kahle, faſt ſenkrecht aus dem Waſſer aufſteigende Felſen, von
denen Waſſerfälle herabſtürzen und deren Steilwänden der
Fleiß der italieniſchen Landbauer dort, wo es irgend möglich
war, die üppigſten Zitronen- und Orangengärten abgerungen
hHat. Den ſuoͤlichen Teil umrahmen anmutige, vorzüglich
aͤngebaute Hügel, zwiſchen denen der See ſich meerähnlich
ausbreitet, Die Schönheiten einer Dampferfahrt von Riva
bis Deſenzano und Peschiera ſind oft geſchildert worden,
wenige Bergnügungsreiſende aber wiſſen, daß auch eine ſtatt-
liche Flotte von Handelsſchiffen auf dem See kreuzt und den
Austaͤuſch der Produlte Italiens und Oeſterreichs vermittelt.
Die Segelſchiffahrt beſorgen kleine, ſtark gebaute, zweimaſtige
Frachtſchiffe, die ziemlich maſſiv gebaut ſind, da ſie oft genug
erheblichen Stürmen und einem meerähnlichen Wellengang
ſtandhalten müffen. . Die meiſten ſind recht alte Kaſten und
haben als Gallionsfigur am Bug einen Heiligen oder eine
Waſſernixe. Unſer Bild auf S. 40 und 41 ſtellt ſolch einen
Frachtſegler auf dem Gardaſee dar, als er eben mit günſtigem
Winde die unweit der Oſtküſte des Sees aus dem Waſſer
emporragende Felſeninſel Trimelone paſſiert, deren Gipfel die
geſchlechtes krönt. Trotz der häufigen Stürme hört man von
Schiffsunfällen ſelten! Der Wind, welcher der Segelſchiffahrt
Gefahr bringen kann, iſt der Borea oder Suer, der aus den
Hochthälern der Etſch und des Iſarch wie durch einen Kanal
herab auf den See niederfiürmt. Aber da er ſtets im gleichen
Strich kommt, und das plötzliche Umſpringen des Windes an
den Felſenecken, wie auf anderen Alpenſeen, fehlt ſo iſt die
Gefahr für den kundigen Schiffer gering. Neben der legalen
Segelſchiffahrt giebt es zahlreiche Schmugglerſchiffe, und die
ttaltenifche Regierung hält auf dem Gardaſee eine förmliche
kleine Kriegsflötte, nämlich Torpedoboote, die den Zollwaͤcht-
dienſt verſehen und beſonders bei Nacht lautlos wie Schatten
über den See kreuzen, um die mit Schmugglerware beladenen
Segler abzufangen.
Der Tanz der St. Margarita hrüder.
Siehe das Bild auf Seite 45.)
n der ſchweizeriſchen Stadt Solothurn beſteht ſeit alten
Zeiten die nach ihrer Schutzpatronin benannte St Mar-
garita-Brübderjchaft, deven Mitglieder zumeiſt der männlichen
Bevölkerung der auf dem rechten Ufer der Aare gelegenen
Vorſtadt angehören. Fährlich am 22. IJuli oder an dem
dieſem Tage zunächft liegenden Sonntage wird unter Beob-
achtung gewijjer althergebrachtex Feierlichfeiten von dieſer
Bluͤderſchaft die ſogenannte Vorſtädker⸗Kilbi feſtlich begangen.
Nach dem Gottesdienſt ziehen die Margarita-⸗Brüder zu der
mit Fahnen und Kränzen geſchmückten Herberge, in der das
Kilbimahl abgehalten wird, das um 1 Uhr beginnt. Auf den
Straßen und Plätzen tummelt ſich inzwiſchen die Schuljugend,
ſehnſuͤchtig des Augenblicks Harrend, wo nach beendigtem
Mahle die fröhlichen Brüder die Reſte des Nachtiſches nebſt
noch beſonders gelauften Nüfjffen, Pfefferkuchen und Zucker-
werk aus den Fenſtern des Feſtſaales ihnen zuwerfen werden.
Sn der Feſtrede wird ſtets auf die Bedeutung des Tages
aufmerkſam gemacht als einer Erinnerung an die ſiegreiche
Schlacht bei Dornach (Dornech am 22. Juli 1499 und den
Heldenmut der Solothurner Jünglinge, die von Feſtmahl und
Tanz der Kirchweih hinwegeilten in die Schlacht und, zurück-
gekehrt von der blutigen Arbeit, die Kirchweihluſtbarkeit fort-
Mahles aber kommt der wichtige Moment: die Herumreichung
des alten Bruderſchaftspokals und die Verſteigerung des Vor-
tanzes bei dem Umzug durch den Ort. Dieſe Ehre bezahlt
der Meiſtbietende oft mit mehreren hundert Franken. So-
bald die Verſteigerung vorüber iſt, ſammeln ſich die zum
Tanze ziehenden Paare unter Vorantritt der Muſikanten auf
der Straße und treten ihren Umzug an. Eine Anzahl Brüder
bildet die Vorhut, eine andere die Nachhut; die Seiten werden
durch junge Burſchen mit Rußpfannen gedeckt, mit denen
die andrängenden Zuſchauer in achtungsvoller Entfernung
gehalten werden. Den Beſchluß des Zuges maͤcht ein
Küfermeiſter mit einem Fäßchen guten Weines, den das
reiche Spital ſpendet! Es wird in der Regel an drei bis
fünf Orten getanzt; zuerſt auf dem Platz vor der Feſtherberge,
dann vor den Übrigen Wirtshäuſern und auf den heiden
Aarebrücken, auf alle Fälle auf der oberen und größten.
Nach jedem Tanze wird dem Vortänzerpaare von dem „Ka-
valier!, einer ſtehenden Figur des Zuges, in dem alten Pokal
der Ehrentrunk gereicht (ſiehe das Bild S, 45). Mit dem
öffentlichen Tanze endet die offizielle Feier und es beginnt
die allgemeine Luſtbarkeit im Feſtſaale, an der auch eingeladene
Gäſte keilnehmen.
Zchneiderhochzeik.
Shiye aus dem wiener Polksleben.
Bon M, Vvgel vom Zpielberg.
Gaͤchdruck verboten.)
Au haſt's auch notwendig g’habt, dich ſo zu
] verplempern,“ erbofte fich Frau Pöwolnh,
Zeiten Klage geführt, gegen ihre ältefte
Nachtmahls beſchäftigt. Die Mutter machte das Fett
ſchälte die dampfenden Kartoffeln, die dazu geröftet
werden ſollten.
Das Heim der Familie Powolny, weit draußen in
Favoriten in einem großen Mietshauſe mit drei Gaſſen-
fronten, machte bei aller Beſcheidenheit einen traulichen
und angenehmen Eindruck, der aber mit der Stimmung
der beiden Frauen ſeit einiger Zeit in argem Wider-
ſpruche ſtand. € wehte beſtändig Kampfesluft im
leiten offen aus. Auch jetzt.
blühendem Geſicht und kräftiger Geſtalt erwiderle ziem-
lich gereizt! „Verplempert! Wer hat fich verplemhert?
Ich bitt mir’s aus, Mutter: ich hab mich nit ver-
plempert!“
„Nq, was denn ſonſt?“ meinte die ſtattliche, von
Geſundheit ſtrotzende, noch immer hübſche Frau, wäh-
rend fie die Würſte vorſichtig in das praſſelnde Fett
in der Bratpfanne legte. „Sd3 das nit verplempert,
wenn ſo ein jung's, fauber's Madel wie du, das an
jeden Finger Einen kriegen könnt! ſo ein'n herg lau-
fenen Habenichts nimmt und —“ ;
„Herg'laufenen Habenichts?! fiel Gufti flammend
vor Entrüſtung der redegewandten Mutter ins Wort
und ſchnitt wütend in die Kartoffeln hinein. „Ah,
da muß ich bitten! Das laß ich mir nit g’fallen,
Mutter! Du haſt kein Recht dazu, daß Ddu 1o von
mein Toni redſt!“
Na, da werd ich vielleicht erſt ſchön um Erlaub-
weiter, dein ſchöner Zukünftiger? Hat er was? Kein’
Pfifferling! Nit amal Schulden hat er, weil niemand
ſo dumm is und ihm was borgt! Und das will ein
Giſchäftsmann ſein? Ein anſtändiger Gewerbsmann?“
Sie lachte ſpöttiſch auf.
Lach nur, Mutter,“ ſagte die Tochter erbittert.
„Und wennſt auch noch ſo viel lachſt und über ihm
herfallſt, wann er nit da iſt — du verleidſt mir ihn
doch nit. Du und der Vater, ihr hHabt gern Ya g’Jagt,
wie er zu euch kommen is als Freier. I3 ’3 vielleicht
nit wahr?!
Frau Pawolny kam bei dieſer Frage durchaus nicht
in Verlegenheit.
„Was hätun wir denn thun ſollen, der Vater und
ſo verrückt Verliebte wie du und dein ſchöner Toni
uns ſo beſtürmt haben? Hätten wir auch zehnmal
8 ihr uns davong laufen wär’t, du verliebte Urſchel,
u!“
Das hätt ich auch than, Mutter,“ beſtätigte die
Tochter trotzig. } . ;
„Na, fiext e5,“ rief die Mutter befriedigt, weil fie
vecht behalten hatte. Aber was wahr i8, i8 wahr:
du haſt dich verplempert! Denn was i8 dein lieber
Zukünftiger? Ein Schneider, der ſich Meiſter ſchimpfen
laßt, aber wie der erſte beſte Giſell Stückarbeit für
was zum Flicken oder zum Wenden kriegt! Da fann
man ſchon ſchön leben und ein Weib erhalten — meiner
! Gebh, hör mir mit ſo ein Meiſtex auf!“
Der wegwerfende Ton brachte die Tochter noch
mehr auf als die ſchlimmen Worte fjelbft. „Febt hab'
Antlitz vom Zorn gerötet. „Was ſeid's denn ihr ſo
ſo habt’3 g’heiratet, und dann erſt is der Vaͤter Meiſter
verwalter in der Fabrik worden. Ich hab aber dem
Toni gleich g’Jagt, ein Giſellen heirat ich nit. Da is
er mir zulieb Meiſter gworden und muß halt warten,
bis er g’nug zu thun kriegt Das wird ſchon kommen,
Cr hat bisher immer nur
in den erften Häufern gearbeit't und zwanzig, dreißig
Gulden in der Wochen verdient und —“
„Und alles verjuxt!“ fiel die Mutter erboſt ein
und wiederholte zornig! Alles verjuxt hat er, der
Windbeutel, der!“ ;
„So hat ev’3 halt verjuxt!“ Guſti bäumte ſich
förmlich vor Trotz. „3 war ſein Geld, das er ſich
ehrlich verdient hat. Und wenn er ſich ſchon die ganze
Woche ſo hat plagen müſſen, ſo hat er ſich dafür am
Samstag und am Sonntag wohl was Gutes vergönnen
fönnen. “ ı
„Na ja, red ihm nur ’3 Wort,“ höhnte die Mutter.
„Und laß ihn 8 nur ſo weiter macdhen: eſſen und
trinken, was gut und teuer is und ſich im Prater gut
unterhalten. Und du wirſt dabei Trübſal blaſen und
Elend geigen müſſen, und der Herr Gemahl lebt herrlich
und in Freuden. So g hört ſichs — natürlich! Nur
ſo g'hört fich’8.: Was?“ ;
Und ſoll's ſo kommen,“ trotzte Sufti, „ſo is das
meine Sach’! Brock' ich mir eine ſchlechte Suppen
ein, ſo merd' ich’8 auch ſelber auseſſen. Aber ’3 wird
keine ſchlechte Suppen ſein — das weiß ich! Und
du, Mutter, wirſt ſchon auch einmal zu Kreuz kriechen
und ſagen: der Toni is ein braver, anſtändiger Menſch,
das Mädel hat'z mit ihm gut getroffen.“
Haha, lachte die Mutter grimmig auf. Glaubſt
wirklich, daß ich euch ſo kommen werd'? Da wirſt
dich aber ſchneiden.“
„Nir werd ich mich ſchneiden!“ entgegnete die
Tochter beftimmt. „Du wirſt einmal ſo reden! Und
denken thuſt's ja heut ſchon, Mutter. Biſt ja zu Tod
froh, daß einer gekommen is, der mich nimmt, ſo wie
ich bin — ohne Ausſteuer, die ich ſo wie ſo nit kriegt
haͤtt weil ja nır da is.“
Das war ein Stich, der traf. Die Frau zuckte zuz
ſammen, drehte ſich zornbebend zu der Tochter um,
ſchwenkte drohend die Bratgabel gegen ſie und ſchrie:
Du vorlaut'z Ding du! Du kannſt Gott danken, daß
ich von die Würſcht da nit wegkann, ſonſt hätt'ſt eine
Ich werd' mir's von dir
auch noch vorwerfen laſſen, daß du in die Che nir
mitbringſt, daß wir unſeren Kindern keine Ausſteuer
geben können! Bei vier Kindern, von denen die zwei
ſüngſten immer krank waren, und bei die ſchlechten
Beiten, wo ein ehrlicher Gewerbsmann nit mehr ver-
dient, als was von der Hand in den Mund geht —
da hätt! man vielleicht auch noch an eine Mitgift denken
und dafür hungern ſollen? Der Menſch, der arbeitet,
muß auch eſſen! und drum habin wir g’gefjen, weil
wir g'arbeitit haben. Und ſo ein Grünſchnabel wirft
einem vor, daß wir nit auch noch ihretwegen Hunger .
g'litten haben? Du, gieb acht, daß du nit Hunger
leiden mußt bei deiner windigen Schneidergeiß!“
Dieſes Wort war ſtets der letzte Trumpf der er-
zürnten Frau und traf bei ihrer temperamentvollen
Tochter auch ſtets ins Schwarze.
Wie von der Tarantel geſtochen fuhr Guſti auf.
„Schneidergeiß !“ ſchrie fie, auf das äußerſte empört,
während fie Meſſer und Kartoffel auf den Küchentiſch
warf. „Na, wart' nur, Mutter, das ſoll er doch ein-
mal wiſſen, der Toni, wie ſchlecht du hinter ſeinem
Rücken redſt. Und in's Gſſicht thuſt ihm immer ſo
ſchön. Nur ich armes Mädel i muß immer ſolche
Reden hören! Ih ageh’ noch zu Grund da in dem
Haus, wann's noch lang dauert! Und von der eigenen
Mutter muß man ſich immer ſo was ſagen laſſen —
von der eigenen Mutter! Ich kann nit mehr, ich will
nit, ich bin ſo unglücklich!“ Sie ſchlug die Hände vor
das Antlitz und eilte in das ſchmale lange Zimmer,
das ihr und ihren Schweſtern als Schlafraum diente.
„Jetzt heult ]” gar wieder, die verruckte Urſchel,“
brummte Frau Powolny, die Hände in die Hüften
ſtemmend, hinter ihr dtein.! Ihr ganzer Ingrimm
war verraucht und in den Aerger über die Empfind-
lichkeit ihrer Aelteſten miſchte ſich das Mitleid und die
Soͤrge über Guſtis Zukunft.
Sie hätte nicht Mutter ſein müſſen, wenn ſie da-
von entzückt geweſen wäre, ihre hübſche Guſti einem
armen Schlucker wie dieſem Anton Huber zur Frau
geben zu müſſen — ihre Guſti, die — wenn ſie es
ſich nur ein bißchen angelegen ſein ließe, den Spezerei-
händler mit dem guten Geſchäft in der Quellengaſſe
haben könnte — und ſie ſollte es nicht einmal verſuchen,
ihr dieſen dummen Schneider auszüreden? Das wollte
ſie doch ſehen, ob ihr das irgend wer verbieten könnte!
Kopfſchüttelnd wandte ſie ſich wieder ihren Leber-
würſten zu, drehte ſie in dem praſſelnden Fett um und
machte ſich daran, die von Guſti kreulos im Stich ge-
laſſenen Kartoffeln zu röſten.
Da ertönten auf dem Gange draußen eilige Schritte
und wenige Sekunden ſpäter wurde die Wohnungs-
* etwas ungeſtüm, in anſcheinender Ungeduld, ge-
öffnet A ;
Ein junger, höchſtens vierundzwanzigjähriger Mann
von ziemlich ſchmächtiger Geſtalt, mit braunem Locken-
fopf, eine Spur von einem dunklen Schnurrbärtchen in
dem hübſchen Geſicht mit den heiter in die Welt
ohne irgend welche Umftände zu machen, ein.
Guͤten Abend, Mutter, “ grüßte er in flottem Ton
und reichte ihr die ſchlanke weiße Hand mit den zer-
ſtochenen Fingerſpitzen. „Da bin ich wieder einmal
in Lebensgröße, wie du ſiehſt.“
Ihre Mienen wurden plötzlich äußerſt freundlich.