Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext




158

2 HUG fr %IIIe




fort: Allerdings hat ſie auch am meiſten 2*
zur Rrweihuns, denn ſie allein trug doch die Ver-
antwortung.”

„Die — — %erantmortung? Wie meinſt du das,
Mutter?“ Der Doktor wagte kaum zu atmen. Die
peinvolle Spannung erariff ihn wieder wie damals,


die Flaſche mit dem vethängnisvollen Inhalt auf dem
Tiſch neben dem Sterbebett des Kindes entdeckt hatte.
Nun, du biſt ja fo feſt Davon überzeugt, daß der
Schinel delier Fraͤu über den Tod ihrer Stieftochter
ebenjo echt mar wie ihre plößliche dicke Freundſchaft
mit der Kleinen — wozu alſo erſt ein langes und
breites darüber debattieren? Ich für meine Perſon teile
dein felſenfeſtes Vertrauen nicht, ich teile eher die Ver-
wunderung der Leute über den ſeltſamen raſchen Wechſel.“
Welcher Leute?” fragte Stephan ungeduldig.
„Nun, der Bekannten, der Nadhbarn, der Dienſt-
boten. Was hier im Fauſe vorging, hlieb doch nicht
unbemerkt. Frida war kerngeſund, als deine zweite
Frau hier eintraf. Hatte ſie ja einmal an einer vor-
übergehenden Unpaßlichkeit gelitten, nun, ſo vertrauteſt
du ſie meiner Pflege an, und in ein paar Tagen war
alles wieder in — Diesmal aber hatte ich
nichts zu ſagen. Ja, man legte mir’s ſogar nahe,
das Haus zu verlaſſen, damit ich mich nur ja nicht
um die Pflege kümmern konnte.“
¶Mutter — allo immer noch iſt's dieſe Etferſucht,
die dich gegen Maxianne aufhringt? Nun, ich denke,
du kennſt die Gründe, die mich veranlaßten, Marianne
die Pilege des Rindes zu übertragen. Niemals hahen


bereingetini Aber Marianne teilte meine An-
ſichten in der Krankenpflege, hatte darin eine gründ,
liche moderne Erziehung erfahren, beſaß Uebung —“

8 bitteres Lächeln tauchte auf dem Antlitz der
alten Frau auf und ſie hielt ihm in einiger Erregung
—6 „Nun, das ſage ich dir, Stephan — bei
mir wäre deine Tochter, trotzdem ich keinen ſo ge-
lehrten Kurſus durchgemacht habe, beſſer aufgehoben
geweſen als bei Frau Marianne.- In meiner Pflege
wäre ſie wegen eines ſo kleinen Leidens das du ja
auch erſt nachträglich als ein gefährliches bezeichneteſt,
während du vorher durchaus kein Aufhebens davon
machteſt, ſicherlich nicht geſtorben.“

Entſetzt war der Doktor aufgefahren. „Ums Hiin-
mels willen, Mutter, wie kannſt du dich nur zu ſolch
einem Wort f)mretfien laſſen! Das iſt furchtbar, das
iſt ungerecht — und es iſt vermeſſen! Was Gottes
graufame Fügung mar, hätteſt du von unſerem Haufe
ehenſowenig abwenden können als ich oder Marianne!“

Frau Lugenz zuckte die Achſel! „Nenne duls
Fügung! Du biſt ja der Arzt, Ddıl mußt ja wiſſen,
woran unſer Liebling geſtorben iſt. Ich finde das
Zuſammentreffen ſo vieler Seltſamkeiten aber zum min-
deſten — — belaſtend!“? *

Allmächtiger! entfuhr es dem Sohne, der die
unerbittliche Sprecherin geiſterbleich anftarıte. „Was
willſt du damit andeuten? !”

Nicht mehr und nicht weniger, als was ſich jetzt
alle denken — alle die Leute, die von dem plötzlichen
Tod gehört haben. Mich, die ich das Kind ſeit feinem
erſten Atemzug kenne, verbannt man vom Kraͤnken-
lager, man düldet es ruhig, daß ich nach Madras
ziehe, niemand wird zu Ddem kleinen Patienten herein-
gelafjen; die Stiefmutter aber, die bis dahin Ddenm
Kinde fo verhaßt war, weicht und wankt nicht vom
Krankenlager. Dir erzählt man, daß plötzlich eine
tiefe, große Liebe zwiſchen den beiden enkſtaͤnden ſei
und allenthalben ſonſt ſprengt man aus, Ddaß die
Krantkheit ſo gut wie gehoben und feinerlei Befürch-
tung mehr am Platze ſei-
langen Tag vom Ort abweſend, die Ueberſchwemmung
hat die Wege unpaſſierbar gemacht, die Pflegerin iſt
mit dem Kinde mutterſeelenallein. Niemand kann ſie
ſtören; ſie weiß, daß ich in Madras ſitze, ſie weiß,
4 der berhaͤße Schwager in Tomagnon deine Rück-
kehr aus Leuk ermarten muß. Nicht einmal dem Mäd-
chen geſtattet man den Eintritt ins Krankenzimmer —
aͤngeblich aus lauter Gewiſfenhaftigkeit — und abends,
während keine Hilfe zur Stelle iſt, nicht einmal ein
render Arzt im ganzen Orte aufgetrieben werden kann,
fommt’8 zu dieſen fürchterlichen Anfallen.. Und das
Kind ſtirbt! Gnade mir Gott, die Frau zur Pflegerin
zu belommen, wenn ich eials erkranken ſollte!!


ſprochen! Ihre Stimme war immer lauter und groͤl—
lender geworden. Flammend ſah ſie dem Sohne nun
ins Antlig.

Eine qualvolle Unruhe hatte ſich 2 bemäch-
tigt. Energiſch wollte er die furchtbare, perſteckte An-
klage zurückweiſen aber vorher mußte er in Erfahrung
bringen, ob feiue Mutter etwa insgeheim über die
Fodesurſache des Kindes unterrichtet mar. Totenbleich,
zitternd vor Aufregung, hatte er ſich bis zum Fenfter

ſeines ehemaligen Arbeitszimmer8, in dem dieſe Unter-
redung [tattfand, begeben ohne ein Wort zu erwidern,
preßte er die Haͤnde In denen er die Stirn hielt


gegen die — Es war ihm unmöglich, den 5
ſchenden. Blick ſeiner Mutter auszuhalten.

»Ich weiß ja,“ fuhr ſie nun in bitterem Tone. fort,
daß Dı alles, was ich ſage, mit meinem Haß auf
deine zweite Frau erklären wirſt. Aher ebenfo gut
könnten meine Worte dir auch als der Beweis meiner
Liebe für Frida gelten. Du biſt ja Arzt — hätteſt
mit ernſten Willen alfo gewiß herausbringen können,
was verſehen worden * Aber du wollleſt es viel-
leicht nicht feſtſtellen!

„Mutter, ich — — darf das nicht anhören, kann
es nicht dulden, daß du ſo furchtbare Anklagen gegen
meine Frau rhebft ohne ſie heweiſen zu können!“
du es ihr nicht beweiſen kaͤnnſt, Dır, der Mann der
Wiſ enſchaft! fiel die alte Frau erregt ein. Hat ſie
mich denn ins Kranfenzimmer hineingelaſſen, hat ſie
nicht umfichtig dafür geſorgt, daß kein Zeuge zur Stelle
war? Ich weiß ja nicht, was geſchehen iſt verſtehe
ja nichts von der — Krankenpflege Aber wenn
die Kleine fieberte, fo brauchte ſie ja nur recht weit

Nachtluft auszuſetzen — Dder Sturm kobte draußen,
peitſchte Schnee und Regen ins Zimmer — und ſie

Frau Lucie erinnerte, 108.”

„Hör auf — um Chriſti mwillen,- erbarme dich!“
ſhrie der Doktor auf, furchtbar gexeinigt von dieſen
MNusführungen. Er mar in den Stuhl am Fenſter
gefunfen; mit den zitternden Händen bedeckte er ſein
bleiches Geſicht.

Grauenboll mar der Verdacht, dem ſeine Mutter
da Ausdruck verlieh. Noch kannte ſie die wahre Todes-
urſache Fridas, die Vergiftung durch Bleiſalze, nicht;
aber ſie ahnte bereits, daß der Tod des unglücklichen
Kindes kein natür ſiher geweſen ſei! Wie, wenn ſie
nun durch einen Zufall die volle, Fraufantẽ Wahrheit
erfuhr — die entſetzliche Thatfache, daß durch einen
Rißoriff, eine noch immer unaufgeflärte fläermecf)äIung‚
das Kind aus Mariannes Hand den Todestrahf ent-
gegengenommen hatte? Wenn ihr Argwohn ſie trieb,
jene vermeintliche Medizinflaſche die er vor ihr 2*
verbergen wollen, aus dem Schrank zu holen und
unterfuchen, ſie auf ihren Inhalt prüfen zu laſſen?
Würde ſie in ihrex eiferſüchtigen Erbitterung auf die
ihr unbequeme Schwiegertochter nicht etwa gar ſofort
der Leberzeugung Ausdruck verleihen daß es Mariannes
Abſicht geweſen fei, dieſe letzte lebends Erinnerung an
Frau Lueie ins Jenſeits zu befördern?

Ihn ſchauderte.! Ein Schwindel ergriff ihn. Wie
lebloz ſanken ſeine Hände herab. Seine Mutter be-
obachtete ihn ſcharf; er fühlte e&. Um ſich nicht zu
verraten, raffte er alle Energie zuſammen und zwang
ſich zu ein paar ernſten Mahnworten.

„Was du da andeuteſt, Mutter iſt ſo entſetzens-
voll daß meine Kraft erlahmt, dich zu bekehren! Der
4 auf Marianne hat dich fortgeliſſen — dagegen
aͤnzukämpfen bin ich wehrlos. Aber bedenke, daß du
mich mit deinen graujamen Worten von neuem in
einen furchtbaren Widerſtreit meiner Pflichten und
Gefühle hineinſtößeſt Sagſt du dir denn nicht, Mutter,
daß ich bei allem Reſpelt vor deinem weißen Haar,
bei aller Dankbarkeit für Ddas, was du an mir vom
erſten Schritt, den ich ins Leben bis zu meiner
Selbſtändigkeit gethan, mas du um meinetwillen auf
dich genommen haſt an Mühe und Sorge, Entbehrung
und Arbeit daß ich trotz alledem doch auch durch
Liebe und Pflicht an mein Weib gebunden bin? Mutter
— bedenke, auch ſie hat fich, wie du einſtmals, als

— und iſt dem Ruf des Gatten in die?
gefolgt ohne irgend einen anderen Schutz * das
Vertrauen auf vden, den ſie liebte. Mutter, ſoll ich
ihr Vertrauen demn jebt zu Schanden- mad}en? Muß
ich ihr nicht Schutz bieten heutẽ und immerdar gegen
jeden, der ſie beleidigt, der ſie läſtert?“

Sein Ton war ergreifend e& Iag namenloje Ver-
zweiflung Darin.

„Sut, ſchütze fie, wenn duls vermagit, verteidige ſie!“
fagte fie ſtreng und gemwichtig. „Aber das haͤlte dir

„ gegenmärtig: ich läſtere fie nicht,. ſondern ich klage
ſie an!“

„Mein Sott — mein Gott!“ ſtöhnte der Doktor
gequält.

Eine lange Pauſe entſtand Frau Lugenz durch-
maß an ihrem Krückſtock die Stube.
ihre Schritte von den ziemlich kahlen Wänden wider,
von denen alle Gegenſtände, die Stephans perſönliches
Eigentum noch aus ſeiner Junggeſellenzeit geweſen,
gelegentlich des Umzugs entfernt worden waren.

Leeren Blickes ſah ſich Stephan in dem ſtimmungs-
loſen Naume um. Cr fühlte ſich mit einemmal ſo
fremd in dieſem Haufe. Ein dumpfer Druck legte ſich
auf ſeine Stirn, auf ſeine Kehle. Er konnte nichts
denken, nichts ſprechen! Nur fort wollte er, um dieſe
grauſamen Worte über ſeine Frau nicht laer anhören
zu müſſen-











* griff nach ſeinem Hut 8 brachte ein ſchier er-
ſchöpftes/ Lebewohl! hervor.
zum Gehen

„Stephan,“ rief ihn ſeine an, als er eben!
im Begriff mar, die Thür zu öffnen,
ſo felſenfeſt von der Unſchuld Mariannes am Tode
der Kleinen überzeugt, als du dir den Anſchein giebſt!“

Er zauderte. „Wie — — memft du das, Mutter?”
ſtammelte er vermirtt.

Sie fah _ ihn mit forſchenden Augen an. „SDu weißt
mehr über Fridas Ende, als du mir zu erkennen geben
willijt,“ ſagte ſie, 4 mit einer Wimper zu zuden.

Stephan wollte ihr entſetzt erwidern, aber die
Zunge verſagte ihm den Dienft. Er mußte an die
ſchreckliche Minute zurückdenken, während deren er in
jener entſetzlichen Nacht den Leichnam unterſucht hatte,
und ein Beben ging über ſeine Geſtalt! indem er ſich
vorſtellte, welch furchtbares Beweisſtück ſeine Mutter
für das widernatürliche Ende Fridas nebenan in jenem
Schrank hinter Schloß und Riegel hielt, ohne deſſen


Noch immer wartete Frau Lugenz auf eine Ent-
gegnung ihres Sohnes. Sein Schweigen beſtärkte ſie
wir in ihrer Annahme, daß er gleich ihr ſeiner zweiten
Frau eine Schuld am jähen Ende Fridas beimaß.
&3 arbeitete gewaltig in ihrer Bruſt! Sie erhob maͤh—
nend die Hand und bohrte ihren unbewegten, feiten,
ſtrengen Blick in die ſchreckhaft. aufgoriffnen 4
ihres Sohnes.

Du haſt mich aufgefordert, Stephan, dein neues
Heim zu beireten,“ ſagte ſie mit leiſer Stimme faſt
tonlos, um nicht vom Geſinde gehört zu werden, das
ſoeben draußen die letzten Koffer und Kiſten Aufilahui
um ſie nach dem Wagen zu bringen, mit dem der
Doktor ſeiner Gattin zu folgen gedachte, „aber in dieſer
Stunde muß ich dix ſagen: nicht eher ſetze ich einen -
Fuß über deine Schwelle, als bis du mir nicht bei
allem, was dir heilig iſt, beſchworen haſt, daß du felbft -
* Meib für ſchuldlos an dem fchrecklichen Ereignis
hHälift !”

Mutter — Mutter,! ſtöhnte der Arzt, „wie grau-
ſam quälſt du mich! Was glaubſt du nur von mir *
und wofür hältſt du Marianne? !“

Sie richtete ſich drohend auf. „Für Fridas Mör-
derin halte ich ſie!“ kam es in ſchneidendem Flüſter-
ton von ihren Lippen, „Und ich werde den entſetz-
lichen Verdacht nicht los, daß du fie verteidigen ihr
Verbrechen verheinilichen willſt, ſtatt ſie zur Berant-
wortung zu ziehen und ſie für ihre zum Himmel
jchreiende Sünde büßen zu laſfen!“

Er wankte; zerſchmetternd wirkten dieſe Worte auf
ihn Mit Ruͤht fand er einen Halt. Nachdem dun
das geſfagt haft, Mutter,“ fam es tonlos von ſeinen
bleichen Lippen, „iſt 4 Haus auch für mich — —
verſchloſſen!“

Gequält ſah er den forſchenden Blick ihrer *
auf ſich haſten. Eine Sekunde lang war’s ihm, als'
müſſe er ſich in ihre Arme flüchten, ihr alles beichten,
ſeine eigenen furchtbaren Zweifel ihr verraten und ſie
um ihren Beiftand, ihre Schonung bitten, aber in dem
Gedauken an die Folgen dieſes Heſlandniſſes das in
der Hand ſeiner Mutter zu einer vernichtenden Waffe
werden mußte, ſchwieg er.

Lebewoͤhl! Mutter!” entrang es ſich einem Stöhnen
gleich ſeiner Bruſt.

Lebewohl! Mang es bitter zurück.

Stephan trat hinaus und vors Haus.

Der Wagen war zur Abfahrt bereit, aber er be-
ſtieg ihn nicht. Sr konnte in dieſer Stunde jeinem
Weibe nicht gegenübertreten. In der Einſamkeit mollte
er ſich erft mieder Jammeln, Ruhe und Neberlegung:
finden, um den entſetzlichen Verdacht loszuwerden, Dden




NMerutnftes —

umfonſt hatte ſich Marianne auf das trauliche
Alleinſein mit ihrem Gatten in dem neuen Heim ge-
freut. Seit Fridas Tod ſchien zwiſchen ihr und Ste-
phan eine innerliche Entfremdung ſtattgefunden zu haben.
Sie erkläxte ſich ſein ſcheues gedrücktes Weſen in der
erſten Zeit mit der tiefen Trauer, die ſein Herz er-
füllte Auch fie empfand ja die — die der Tod
des Kindes hervorgerufen, mit unverminderter Wehmut.
Aber das eine befremdete ſie doch, daß Stephan, ſtatt
Anſchluß an ein mitfühlendes den zu begehren, immer ,
mehr die Einſamkeit Jucdhte — ja, Ddaß er das Haus
und deſſen junge Herrin förmlich mied.

Es war nun wirklich Sommer geworden, und mit
dem Zuzug der Erholung ſuchenden Fremden wuchs
wieder Stephans Praris. Sein Ruf mar o groß, daß
er auch nach Leuf, wo mehrere Aerzte ſtändig thätig
waren, zu faſt allen ſchwierigen Operationen gerufen
vulde

Und ähnlich wie im Frühjahr verwandte der Doktor
auch jetzt wieder ſeine karge Freizeit auf größere Hoch-
gebirgstonren, zu denen er ſeine Frau nicht aufforderte.

Mit Schrecken ſah Narianne ſ alſo faſt auf dem-



*
 
Annotationen