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Heft ö.

8 as Z jux YIle

423



die Ehrbegriffe Oldenhofens ihn unlöslich an mich ketten,
folglich von Heirat zwiſchen ihm und Ihnen nie die Rede
ſein kann. Jetzt kommen Sie und flehen bei mir um
Gnade für ihn, weil — zu Ihrer Ehre ſei e& noch
geſagt! wovon mich dieſe Stunde überzeugte — weil
Sie ihn lieben!“

Anita zuckte auf. Wirr ſchaute ſie um ſich mit
ihren großen, erſchreckten, entſetzten Kinderaugen und
leiſe ſtammelte ſie: „Ich — ich weiß es nicht, ob je-
mand glücklich machen wollen Liebe iſt!“

Dann, den Kopf tief geſenkt, ſchritt ſie zum Zimmer
hinaus.

Zwanzigftes Kapitel.

Gehen — gehen — verſchwinden. — Man kann
es, wenn man will, hatte Margarete geſagt. Aber
wie kann man es? Anita ſannund Jann, währenDd
ſie ziellos aus den Straßen ins Freie eilte. Und je
mehr ſie ſann und grübelte, je feſter wurde das eigene,
viſionäre Lächeln, das um ihre Lippen lag.

In was ſchaute ſie denn da fortwährend hinein,
ſo ſtarr und ſtill? Ein kleiner See war'3, dunkelgrün
von all den Waldesbäumen, die ſich darin ſpiegelten.

Pferdegetrappel dicht hinter ihr entreißt ſie plötzlich
ihren Träumen. Erſchrocken bleibt ſie mitten auf dem
Fahrwege ſtehen.

Ein Reiter kommt im Trabe vorüber. Kaum hat
ſie teilnahmslos zu ihm aufgeblickt, da ſtürzen ihr
— über die Wangen, da läuft ſie ſeitwärts

davon.

Hat er ſie bemerkt? Ach nein, wohl nicht; er ſah
ſcharf geradeaus. Er, an den ſie täglich gedacht in
all den Wochen, da ſie elend an Leib und Seele da-
nieder gelegen, zu Boden geſchmettert von der Erkennt-
nis, Trennung zwiſchen zwei Menſchen veranlaßt zu
5* deren Bund ein furchtbares Unglück geheiligt

hatte!

Trennung, Leid, um ihHretwillen. Sie ſollte die
Schuld tragen an allem!

beiden ſich finden, ſolange ſie als lebende Erinnerung
in der Welt weilte! Was konnte, was mußte ſie thun,
wer zeigte ihr den Weg? Wer half ihr die ſchwere
Laſt tragen, für die fie ihre Schultern zu ſchwach
werden fühlte?

Jetzt, da ſie ihn wiedergeſehen, drückte ihre Liebe
noch mit auf die Laſt. Dieſe Liebe, dieſe ſündige,

_ erbärmliche, verbotene Liebe!

„Weil Sie ihn lieben!“ Schlimmer als alle harten,
bitteren Anſchuldigungen Margaretes hatten ſie dieſe
Worte getroffen!

Wie eine Verbrecherin war ſie darauf fortgeſchlichen,
und wie eine ſolche kam ſie ſich nun vor. Geſtohlen
haͤtte ſie ja vom Rechte, vom Glücke einer anderen!
Denn ſie liebte ihn, ob ſie auch zu ſterben meinte vor
Scham darüher Und ob ſie auch dahinhaſtete, als
wolle ſie entfliehen, ihrer Liebe entfloh ſie nimmer und
die Schuld blieb an ihrer Seite, wohin ſie auch die
Schritte lenkte.

War denn kein Menſch in der Welt, zu dem ſie ſich
retten könnte? Nur um für kurze Zeit auszuruhen!

Ein mildes, altes, gütiges Antlitz kauchte vor ihrem
Geiſte auf, leuchtete in ihre Sehnſucht hinein wie
der Frieden und wich nicht wieder.

Seine Mutter — ſeine Mutter! Ach ja, zu ihr!

Wie ein verirrtes Kind, das plötzlich den Pfad

zur Heimſchwelle gefunden, ſchlug ſie, ohne zu zaudern,
den Weg nach Sldenhofen ein. Sie war ja ficher,
Haſſs doͤrt nicht zu treffen.
Weiter vermochte ſie nichts zu übexlegen.
fieberte nach dieſem ſtillen, ernſten Friedensgeſichte,
das ihr vielleicht raten würde, wie fie, das kleine
ſchwache Ding, das Höchſte zu pollbringen vermöge:
das eigene Glück ganz ſtill und heimlich auf eines
anderen Menſchen Weg zu legen.

Als traue ſie ihren Augen nicht, eilte Frau v. Olden-
hofen dem überraͤſchenden Beſuche entgegen. „Sie
fommen zu mir, Kind Sie 2?“

Die alte Dame mußte wohl verſtehen, in einem
verhetzten, verängſtigten Geſichtchen zu leſen, ſonſt wäre
der Ton dieſer Frage nicht ſo warin bewegt geweſen,
waͤhrend ſie die ſich kaum noch aufrecht zu halten ver-
mögende Kleine zum Niederſitzen zwang.

— „Um Goͤttes willen, was iſt Ihnen denn geſchehen?
Sie ſehen ja aus wie der Tod!“

Ich bin ſo unglüclich... fo unglüclih.“ Da
Yannen die erlöſenden Thränen ſchon über das ver-
grämte Geſicht.

Und da kommen Sie zu mir, gerade zu mir, mein
Kind?“ fragte Frau v. Oldenhofen ſanft. „Haben
Sie keine eigene Mutter?“

. m3@, ja! Aber die — die muß ſingen wenn ich

weine!” Erſtickt, überwältigt barg Anita laut weinend
das Geſicht in die Sofaecke!
ZFrau v. Oldenhofen ſagte kein Wort. Stumm ſetzte
ſie ſich neben die Kleine, zog ihren Kopf an ſich und
hielt ſie ſchweigend ſo, zumeilen nur unruhig forfchende
Blicke naͤch den Glaͤsthüren des Gemaches ſchickend.





Erſt als ſich Anita gefaßt hatte, fragte die alte
Dame in kurzer Beſtimmtheit: „Was führte Sie nun
eigentlich zu mir, Fräulein Hatera?“

Ich ... e8 kam mir ſo, brachte ſie mühſam, ver-
legen hervor, „als ich ſah, daß daß Herr v. Olden-
hofen nicht hier ſein würde, mwenn... Cr begeg-
5 mir zu Pferde, da ich von Fräulein Selken
M \
. „Mo...“ Eine Falte bildete ſich auf Frau v. Olden:
hofens Stirn.

Anita gewahrte es und erregt rief fie: „Nicht
meinetwegen war ich bei ihr, nicht meinetwegen bin ich
bei Ihnen!“

Die alte Dame entgegnete nichts. Kein Blick ihrer
guten klugen Augen verließ Anitas Antlitz. Es war, als


Da brach es gepeinigt über der Kleinen Lippen:
Ach, teuerſte, verehrteſte gnädige Frau, erleichtern
Sie mir’8s doch ... Sie wiſſen ja alles!“

Mit ſchwerem, ſorgendem Seufzer hatte die alte
Dame Anitas bittend gefalteten Hände ergriffen „Ja,
mein Kind, ich weiß alles — doch eigentlich erſt jetzt!
Ich weiß, daß mein Sohn ſich gegen Sie vergeſſen
hat, wie er es nimmermehr durfte Und nicht einmal
nur, nein, öfter, fortgeſetzt vielleicht.“

Ein entſetzt wehrendes Kopfſchütteln der Kleinen
unterbrach fie.

Doch ruhig fuhr Frau v. Oldenhofen fort. „Es iſt.
ſo! Sie ſind von meinem Sohne unterrichtet, denn
ſonſt, wie wüßten Sie es, daß Sie zu mir kommen
dürfen!? Aber was auch geſchah, Fräulein Anita,
auch ich kann, darf Ihnen nichts anderes ſagen, als:
Sie müſſen darüber hinwegzukommen verſuchen, müſſen
verwinden lernen !“

„Ich icch ſprach ja doch davon, nicht meinet-


Haltung. „Wenn ſich's nur um mich handelle! — ſie
lächelte traurig — „da wäre ich doch nicht zu Fräu-
lein Selken gegangen. Nein, wiederfinden follen fich
die beiden — in Glück, in Liebe. Das möchte ich,
dazu möchte ich beitragen dürfen! Und weil Sie doch
Ihren Sohn am meiſten lieben, möchte ich Sie bitten,
mir zu raten, ob ich... Vielleicht wüßten Sie eine
Stelle für mich, damit er mich nie wiederſieht! Ins
Ausland ginge ich am liebſten — Amerika — Afkrika
— Fräulein Selken will ſich nicht wieder darum be-
fümmern. Ich hab ſonſt aber niemand, der mir helfen
würde. Oder, oder“ — taftend griffen ihre Hände
nach den Wangen, Schläfen — „wenn er erführe, ich
wäre gar nicht gut, aar nicht ſo wie er ſich vielleicht
denkt, daß ich ſei! Wenn man ihm erzählte, ich hätte
einen ſehr böſen, falſchen Charakter, niemand dürfe
mir trauen —“

„Und das wäre Ihnen alles gleich, mein Kind?“

Es fommt auf mich hier nicht an,“ ſtürzte es
weiter über die fiebernden Lippen mit dem ſchönen
Lächeln ſchmerzlicher Entjagung. „Iebt bin ich ein
nutzloſes Geſchöpf, das anderen Unglück brachte. Dann
aber, dann, wenn ich geholfen hätte, ſeine verirrte
Liebe wieder auf den ihr vorgezeichneten Weg zurück-
zuführen, dann wäre ich nicht mehr ſo elend vor mir
und fände meinen Frieden wieder.“

Ihre Stimme erſtarb, ihre Augen ſuchten auf Frau
v. Oldenhofens Antlitz zu lefen. Doch wie ſah das
aus, was ſprach es? Mitleid, gütiges Verſtehen,
tiefes Erbarmen?

Anita hatte ein Empfinden, als öffne des Himmels
Seligkeit ſeine Pforten für ſie, als die alte Frau, ihre
Arme ausbreitend, tiefergriffen fragte: „So lieb haft
du meinen Sohn, armes Kind?“ —

„Ja — ja aber die um ihn ſo viel gelitten, die
liebt ihn gewiß noch mehr!“

So ſank ſie hinein in die geöffneten Arme, an
die Bruſt einer Mutter, die da wußte, wie man ein
Leid ans Herz nimmt. —

Keine der beiden Frauen haͤtte den unvermutet
ſchnell von ſeinem Nitte heingekehrten Haſſo gewahrt,
der an der Thürſpalte erſchienen war.

Und dieſer ſelbſt?


Herzens trennte, aufzureißen, hineinzuſtürzen, ihr die


die Bruſt zu ſchließen mit dem Trotz und Jubelruf:
„Hier iſt dein Platz!! mußte er den Blick wenden
von dem Bilde, das ihm ein Zufall offenbarte. Er
mußte von dannen ſchleichen wie ein feiger Dieb, denn
er hatte kein Recht, dem ſchuierzlichen Geheimnis dieſer
jungen Seele zu lauſchen! Was ſie in die Arme ſeiner
Mutter geführt, er durfte nicht danach forfhen. Cr
konnte ihre Thränen ja doch nicht trodnen, vermochte
die Wunde nicht zu heilen, die er ihr geſchlagen und
die er nun bluten ſah.

Cr empfand brennende Scham über die thatenloſe
Rolle, die er in dieſem Drama von Schuld und Liebe
zu wielen hatte! Zuſchauen muß er, wie ſchwache
Weiberkräfte die Steine bewältigen, die er ihnen in den
Weg geworfen! Er, dem die Kraft der Jugend in
den Adern pulſt, das Feuer... ;



Ja, mit dem Feuer verſtand er ja umzugehen, hat
der einen ins Antlig, der anderen ins Herz den ver-
nichtenden Feuerſtrahl geſendet! Nun hieß e8: wieder
gutmachen — hier wie dort! Ehrenſchulden bezahlen!
Sie erdrückten ihn ſonſt. Eine von ihnen vermochte
er ja überhaupt nur zu zahlen; die andere blieb er
ſchuldig, ſo oder fo. Welche nun war die höchſte?
Welche ſollte er zahlen? „Die gegen Margarete,“ 10
ſchrie die Ehre, das Pflichtgefühl. „Zahlen, zahlen
die Schuld mit allem, was du haſt, mit allem, was
du biſt, mit deinem ganzen Lehen!“

Ach, mit dem Leben! Wie gern thäte er s mit
ſeinem Leben!

Als wolle er alle die Waffen um Rat fragen, die
Da um ihn herum an den Wänden roſten, ſchaut er
prüfend von einer zur anderen. Den rechten Ort zu
ſolcher Abrechnungsthat hätte er ja unbewußt erwählt!
Das Zimmer würde nicht zum erſtenmal Blut ſehen!

Da, in der Schublade dort! Ein zuverlaͤffiger
Freund/ der zahlt alle Schulden, ehrenhafte und un-
ehrenhäfte, für Unglücliche und für Lumpen!

Er nimmt.den Revolver in die Hand und betrachtet
ihn mit verlangenden Augen, hält ihn bald nahe, bald
ferner, jetzt geht- er zum Licht damit, ans Fenſter.

Schaudernd ſtreckt er dann plötzlich den Yım mit
der Waffe weit von ſich. Was hat ihn erbeben, zurück-
taumeln laſſen? *

Draußen ſchreitet Anita vorüber, zur Stadt hin-
unter.

Ach, und er! Er ſtand hier, den Revolver bereit,
um — .

Einen verzweifelten, wütenden, dumpfen Quallaut
hervorſtöhnend, nimmt er die Waffe und ſchleudert ſie
gegen die Wand.

Schall und Rauch!

Wie toll lacht er hinein in das aufſteigende blaue
Wölkchen. In Schall und Rauch war ſein Glück ver-
klungen! Damals ... damals ...

Unbeweglich ſtarren ſeine Augen eine Stelle der
Wand an, in die das ſich entladende Geſchoß ein Loch
geſchlagen hatte.

Haſſo — Haſſo, Allmächtiger!“

Mit einem Ruck kehrt er ſich der Thür zu. Seine
Mutter ſtand da in Todeserſchrockenheit! Nie zuvor
im Leben hat ſie ihren Sohn erblickt wie jetzt, verzerrt
in Leidenſchaft, in Grimm.

DA L

Er nickt bitteren, grimmigen Lächelns! Jawohl,
Mutter,“ ſetzt er hinzu,„wieder ſolch ein fehlgegangener
Schuß! Diesmal ſchlug er in kein Menſchenglück,
ſondern nur in eine feſte Mauer. Die hat nun ein
Loch, einen kleinen Schandfleck, ſonſt aber ſteht ſie heil
und aufrecht — wie Margarete mit ihrem Herzen ohne
Liebe! — Ich aber, Mutter...“ wieder das ſchnei-
dende wahnſinnige Auflachen!

„Du, mein Sohn, biſt ſinnlos und ungerecht, weil
du eine andere ſinnlos liebſt!“

Gleich einer beruhigenden Hand hat der Einwurf
der Mutter an ihn gerührt.

„Iſt ſie ſolcher Liebe nicht wert, Mutter? Jetzt,
Da fie bei dir geweſen, weißt du es vielleicht.“

„Ich weiß, daß du viel Sünde an ihr gethan haſt,
Hafıo.“ Ein ſchwerer Sorgenzug geſellt ſich zu der
Herzensangſt in Frau v. Oldenhofens Mienen. „Das
arme Kind vergeht vor Jammer darüber, der Anlaß
deines Bruches mit Margarete zu ſein. Du biſt es
ihr ſchuldig, alles, hörſt du, Haſſo: albes zu ver-
ſuchen, um euer Einvernehmen wieder herzuſtellen!“

„Alles, Mutter? Ein Leben ſteter Lüge Mar-
garete gegenüber? — Nein, Mutter! Das hieße Schuld
mit groͤßerer Schuld zahlen wollen!“

Nun, und wie gedächteſt du anders den unhalt-
baren Zuſtand zu ändern?“

„Da, Mutter,“ er machte eine Bewegung nach der
zerſchoſſenen Wand hin, „da ... vors ſchwarze Loch
meiner ſchwarzen Schuld ſtell ich mich und ſtarre hin-
ein, ob mir am Ende doch ein Strahl der Erleuchtung
daraus dämmert! Ein tapferer Junge, dein Sohn!
Kannſt ſtolz auf ihn ſein!“

Durch feine maͤchtige Geſtalt geht ein Rütteln, ein
Wurgen zerrt ihn an der Kehle — er ſtürzt hinaus.

Frau v. Oldenhofen bleibt zurück, feſtgebannt von
einem entſetzlichen, furchtbaren Bilde-

Dort der Revolver am Boden hat es aufſteigen
laſſen vor ihrem Geiſte. ;

Eiskalt fühlt fie es über‘ihr Haupt hinwehen, ihre
Kniee zittern, fie ſchließt die Augen.

Das Ende! Er vder ſie! So könnte, ſo würde
e8 fein, wenn nicht des Himmels Gnade half!

Sinundzwanzigktes Kapitel
Endlich öffnen die Blumen die Augen und ſchauen
und duften hinauf zum lichtblauen Himmel, den der
Blütenmonat über ſie ſpannt.
Im Walde iſt's traumhaft ſtill und dämmerig;
dort thut der Sonnenglanz nicht weh — im Walde
wohnt der Frieden.
 
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