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— HudH Alle
Heft 20.
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den geht nun Haſſo vorſichtig entlang zur Holunder-
laube hin.
Darinnen geht es lebhaft zu, und Oldenhofen hätte
gar nicht ſo vorſichtig ſich zu nähern brauchen, denn
dort ſind Augen und Shren vollauf mit einer anderen,
ſoeben aus den Wolken gefallenen Ueberraſchung be-
ſchäftigt. ;
Kaͤthe v. Wallwitz iſt die aus den Wolken plötzlich
in den Kreis der Familie Hatera Gefallene.
Man ſaß gerade ahnungslos beim Frühſtückstiſche.
heute morgen, als ſie zu ihnen in den Garten geflogen
kam. Sie fiel ihrem Maler vor aller Augen um den
Hals und erklärte dann lachend und weinénd zugleich,
ſie ſei der Tante Langackern ſozuſagen durchgebrannt,
von Papa und Mama aber begnadigt morden. Dem-
nächſt werde wahrſcheinlich die offizielle Verlobungs-
erlaubnis erteilt werden.
Anitas feines Antlitz hat die Freude roſig über-
haucht. Lächelnd ſteht ſie in ihrem weichen, weißen
Morgengewande und hat die Hände zuſammengeſchlagen
in Ueberraſchungsglück.
Doch — was macht die erhobenen Hände plötzlich
ſinken, was löſcht die Roſen aus auf ihren Wangen?
„Herr v. Oldenhofen!“ hauchen die erblaßten Lippen.
Jetzt haben ſich die anderen nach ihm umgewandt,
der dort am Eingang der Laube erſchienen iſt und von
ihr zuerſt bemerkt wurde Während des Durcheinanders
der gegenſeitigen Begrüßungen, Fragen und Antworten
ſpricht ſie kein Wort. Auch er, der doch ſein Kommen
mit Teilnahme an ihrem Ergehen begründet, richtet
zunächſt ebenfalls keine Silbe an ſie.
Nur ſeine Blicke haben ſie umfangen und ihr ver-
kündet: „Kleine Annie, jetzt ſpann deine Flügel aus
zum Flug ins Paradies!“ —
Sie hat darauf nur feſt die Hände aufs Herz ge-
preßt, als müſſe das herausſpringen aus der Bruſt
Nun ſprechen abermals ſeine Augen zu ihr. „Annie,“
ſagen ſie, „ich weiß wohl, was du dort auf dei Herzen
trägſt! Ein goldener Reif iſt's, und blind haſt du ihn
faſt geküßt!“ —
„O, nicht doch,“ fleht ihr Blick darauf in holder
Verwirrung. ‚ *
- er der ſeine lacht dazu. „Glaub!s ſchon, daß
er dich drückt da auf dem Herzen! Möchteſt ihn gern
an den Finger ſtecken, wie, kleine Annie?“
Und ſie ſenkt errötend das Köpfchen und antwortet
ſeinen kühnen Augen fortan nicht mehr, ſo daß auch
ſie ſchweigen müſſen.
Seiner Rede aber darf ſie lauſchen und ſie thut
es mit ſtillen Entzücken, bis ein Wort fällt, das ſie
aufſchrecken läßt.
Abſchied heißt es. *
Er ſpricht davon, wieder gehen zu müſſen. Da
heben ſich ihre Augen, alle Scheu vergeſſend, abermals
zuihm ... in Angſt, in bitterer Enttäuſchung. „Schon?“
fragen fie. }
„Allein mit dir — nur einen einzigen Augenblick.“
Haben die anderen, hat das gütige Geſchick die
ſtumme Bitte vernommen?
Das Ehepaar Hatera wird mitten hinein in Olden-
bereits ungeduldig wartenden Schülern abgerufen.
Käthe aber und der junge Maler haben, Arm in Arm
draußen vor der Laube ſtehend, die Welt um ſich ver-
geſſen.
Jetzt tritt er hin zu ihr, ganz dicht an ihre Seite.
Anita,? tönt es ihr mit leiſem Liebeslaut ins Ohr,
Anita!“
Sie ſchüttelt den Kopf in ängſtlicher Abwehr.
Haſſo ſänftigt den Schlag ſeines Herzens und ſagt
ruhigeren Klanges, in bedeulſamer Innigkeit: „Anitä,
meine Mutter ſendet Ihnen ihren Gruß und — Olden-
hofen wartet Yhrer (
„Ich — ich danke ihr!“
Und dieſem Stammeln fügt das erblaſſende Ge-
ſichtchen ſtumm hinzu: „Zu viel, zu viel! Der Himmel
ſenkt ſich auf mich nieder, und ich ſterbe in allen ſeinen
Herrlichkeiten.“
Doch ein anderes ſpricht der feſte Druck ſeiner
Hand, die abſchiednehmend die ihre ergriffen. „Du
lebſt! Wir werden leben — in Glück, in Liebe!“
Ein heißes Lippenpaar berührt den Goldfinger ihrer
Linken und flüſtert dann:
Noch ſeh ich dich vor mir ſtehen
In dem Kinderkleidchen —
Da ſchon hab' ich dich geliebet,
Nannte dich mein Bräutchen.
Habe dir als Liebeszeichen —
Einen Ring gegeben —“
Hier ſtocken die leiſen, über ſie hingehauchten Worte
und Anitas widerſtandsloſes Köpfchen an die Bruſt
ziehend, bricht es leidenſchaftlich von Haſſos Lippen:
Anita, der goldene Reif iſt dein! Nun gelobe ihn
zu tragen, für dein ganzes Leben!“
Sein Lebewohl iſt's. Er ſtürzt davon, und ſie
ſchaut hernieder auf ihre Hand, die ſein Mund geküßt.
„Für dein ganzes Leben —“
Lautlos faſt wiederholt es ihre bebende Stimme,
und ihre Augen ſchauen groß und faſſungslos in das
enthüllte Wunderland ihrer Zukunft.
„Für mein ganzes, ganzes Leben?“
Ihre Hände ſtrecken ſich taſtend vor, heben ſich
langfam empor und ſind plötzlich gefaltet zu jubeln-
dem, jauchzendem Dankgebet.
„Mein — mein!“
Ende.
Lieben und Schweigen.
Roman von L. Haidheim.
Nachdruck verboten.)
Erſtes Rapitel.
3 war in den letzten Regierungsjahren
des Königs Friedrich VIL. von Däne-
mark.
In der Frühe eines ungewoͤhnlich
heißen Sommertages begegnelen ſich auf
dem Liehlingsſpaziergang der Reſidenzbewohner hinter
der Eitadelle am Sund, wohin das Meer feinen er-
friſchenden Hauch trug, zwei junge, vornehme Herren.
Sigurd und Chriſtian v. Reſen waren Brüder, einander
ſehr ähnlich, nur daß in dem Geſicht des älteren, der
guch der Schönere war, nichts von der ſonnigen Heiter-
keit lag, womit der andere in die Weit hineinſchaute,
als könnte es ihm darin nimmer fehlen.
Der jüngere Baron Reſen fuhr ein mit einem kräf-
tigen braunen Traber beſpanntes, glänzend neues, leichtes
Wägelchen, den Groom in dunkler ſchlichter Livree Hinter
ſich. Er zog überraſcht die Zügel an, als er ſeines Bruders
Sigurd ſchwarzgraues Reilpferd und ihn felbſt erkannte.
Dieſer mar ebenſo erſtaunt. „Ich denke, du fädelſt
deiner Charlotte die Nähnadeln ein?“ rief er, neben
dem Wagen anhaltend.
„Sie permißte in der That ein Strähnchen bunte
Seide, ich habe es ihr eben geholt,“ beſtätigte der
jüngere.
„Und dafür fährt der Menſch den ſtundenlangen
aber ſeine düſteren Mienen erhellten ſich nicht dabei!
In ſeine Braut darf man nicht verliebt ſein? Du
„O nein! Du beteſt deine Malve nicht noch heule
an wie ein Wilder ſeinen Fetiſch —“
„Nur daß ich ſie nicht prügle, wie jener, wenn mir
nicht alles nach dem Kopfe geht!“
Dabei wurde die Falte zwiſchen ſeinen dunklen Augen
noch ſichtbarex, und er fuhr ſich, wie ungeduldig, mit der
ſchmalen weißen Hand durch das leicht gelockte Haar.
Chriſtian hatte dem Groom die Zügel übergeben
und ſtand mit einem Sprunge neben dem Pferdé des
Bruders, dieſes außer Hörweite des Burſchen führend.
Iſt dir Unangenehmes widerfahren, Sigurd? Du
biſt verſtimmt!“ ſaͤgte er mit forſchendem Blick.
„Ach ja, dienſtliche Unannehmlichkeiten.“
Sonſt nichts?“
„Nein, aber das iſt gexade genug.“
„Wann kommt dein Chef wiedel? Ich finde, er
könnte gegen euch jüngere Beamte etwas rückſichtsvoller
ſein!!
Ahrenkiel — Rückſichten? Und gegen mich?“
„Nun, du perſönlich haſt ihm doch nie feindſelig
gegenübergeſtanden.“ ;
„Nein, aber er verzeiht es unſerem Vater nie, daß —
na, ich bin eben ein Reſen.“
ein Artikel veröffentlicht iſt ein Abkommen der Re-
gierung mit —“
„Alſo ihr habt das auch geleſen? Wir ſind ganz
außer uns, wir Beamten von der Geheimkanzlei. Wie
konnte das Blatt ein Aktenſtück veröffentlichen, das bei
uns im Geheimarchiv aufbewahrt wird? Das fragen
wir uns alle ganz entſetzt. Ahrenkiel hat das Ding
zuletzt in Händen gehabt, um ſein Promemoria für den
König danach zu bearbeiten; die einzige Möglichkeit
ſcheint uns, daß es bei dieſer Gelegenheit in unrechte
Hände gekommen iſt.“
„Er wird raſen!rief der andere.
„Er wird nie zugeben, daß dieſe Möglichkeit vor-
liegt; er wird ſchwören, daß — Teufel, man mag es
für das ganze Bureau iſt.“
„Bah! Solche Sachen kommen immer heraus. Daß
das Aktenſtück für Geld verraten iſt, liegt auf der Hand;
nun wohl, wer iſt es der in dieſer oder nächſter Zeit
ungewöhnliche Ausgaben machen wird?“
„Es ſind lauter alte erprobte Leute; Ahrenkiel hat
ſie ſich faſt alle ſelbſt herangebildet.“
„Immerhin, ein Verräter muß darunter ſein!“
Natürlich, aber die Pein, jeden der armen Kerls
mit der Frage im Herzen anſehen zu müſſen: Biſt du
der Schuft?“
„Wann glaubt man denn, daß Ahrenkiel wieder da
ſein wird? Die Eltern, wir alle erwarten euch mit
Sehnſucht. Es iſt ſo kühl und ſtill in der Villa Luiſe.
Und nun lebe wohl, nimm dir die Geſchichten nicht weiter
zu Herzen. Kommt bald heraus, und grüße Malve!“
Sigurd v. Reſen ſah dem davonrollenden Gefährt
des Bruders nach, wie im Traum. Sein Pferd tänzelte
ungeduldig ganz in Gedanken verloren ritt er enoͤlich
weiter und beachtete nicht, daß ihm ein Herr entgegen-
kam, der ihm aufgeregte Zeichen machte, anzuhalten.
„He, Reſen! rief er endlich über die ganze Breite der
Promenade hinüber.
Jetzt hatte dieſex ihn auch erblickt. Eine lebhafte
Spannung machte ſich in ſeinen Mienen geltend, und
er gab ſich auch nicht die geringſte Mühe, dieſe zu ver-
bergen, während er dem herankömmenden älteren Herrn
von würdigem Ausſehen die letzten Schritte entgegenritt.
„Suten Morgen, Graf Guldberg, Sie haben Neues?“
Eine rätſelhafte Geſchichte, Reſen,“ erwiderte ihm
der Polizeipräſident, „die Leute vom Bureau, die Suͤb—
alternen, ſind ſämtlich langgediente Leute —“
„Dasſelbe ſagte ich eben meinem Bruder, der den -
Artikel in der geſtrigen Zeitung auch geleſen hatte.“
„Ich erhielt ein Telegramm voͤn Ahrenkiel; er kommt
ſofort zurück.“
„Na, das hat wenigſtens das Gute, daß wir, die
wir alle dieſe Wochen am grünen Tiſch geſchwitzt haben,
nun auch endlich in die Ferien gehen können,“ lächelte
Sigurd. — „Und wie iſt's mit der Unterſchlagungs-
geſchichte?“ fuhr er dann fort. „Hat der unglückliche
Menſch ſie wirklich begangen?“
„Er leugnet jetzt ganz entſchieden und behauptet,
ſeine Verwirrung ſei im erſten Auͤgenblick lediglich durch
die Angſt, ſeinen guten Namen lund ſeine Stelle zu
verlieren, gekommen Er ſei bereit, zu beſchwören, daͤß
er das Geld an Sie abgeliefert habe, wie immer.“
„Der Schurke! Dann müßte er doch die Empfangs-
beſcheinigung haben!“
Sraf Guldberg, der oberſte Chef der Polizei, zuckte
die Achſeln. „Reſen, die Sache braucht Sie nicht im
mindeſten zu berühren. Natürlich hat jeder Verbtecher
allerlei Ausxeden! Daß unſer Mann lügt, iſt klaͤr;
da er aber dis jetzt ein unbeſcholtener Menſch iſt —“
„So muß man auf ſeine Ausreden hören, und damit
zieht der Elende meinen Namen in die Geſchichte hinein.“
„Nun, man muß derartige Unannehmlichkeiten nur
nicht ſelber aufbauſchen. Warten wir doch ab —“
„Hat man denn nicht herausgebracht, mo er meine
Empfangsbeſcheinigung gelaſſen haben will?“
„Er hat um genaueſte Durchſuchung ſeiner Woh-
nung und Sachen gebeten; der Schein müſſe ſich finden.“
Solch ein infamer Kerl! Er hätte ihn ja doch
ſeinem Vorgeſetzten abzuliefern gehabt!“
„Das — redet er ſich aus — ſei nie ſo ſtreng ge-
nommen worden. Aber ich bitte Sie, ärgern Sie fich
doch nicht ſo, Sie ſind ganz überarbeitet, ſonſt —“
„Das iſt richtig, Graf, ich bin reizbar und nervös.
Die Hitze bekommt mir nie. Ich fühle mich ſchon lange
matt und ſchwindlig.“
Ich glaube Sie fiebern ſogar etwas! Nehmen Sie
ſich in acht Je eher Sie aufs Land kämen, um ſo
beſſer wär's für Sie.“
So ſchieden ſie mit freundſchaftlichem Händedruck.
Reſen ritt am Sunde weiter, die Smedalinie entlang,
bis er endlich vor einer der ſchönen Villen hielt, Die
ſich da wie Perlen auf einer Schnur mit dem Blick
auf das Meer aneinanderreihen.
Den ganzen Weg über klangen ihm des Grafen Guld-
berg Vorte im Ohr: „Ich glaube, Sie fiebern fogar. -
Das Fieber! Wär' c& doch nur das! Aber er wuͤßte
nur zu genau, ihm brannte eine andere Glut in den
Adern, im Herzen und Hirn, eine wahnſinnige, tobende
Angſt und Eiferſucht. —
Und doch rang er als verſtändiger Mann dagegen,
vom erſten Augenblick an. Er wollte die tollen Ge-
danken in ſich gar nicht aufkommen laſſen, ſondern rief
ſich ſelber zu: „Du biſt ein Thor! Mache dich nicht
lächerlich! Deine Frau iſt rein wie ein Engel, ſie iſt
dir treu ergeben.“ Malve war ja gewiß pußzſüchtig,
ſie war kokett, aber ihre Putzſucht war doch immerhin
harmlos und bei ihrer blendenden Schönheit faſt natür-
lich, denn wer ſtellt nicht gern ſeine Gaben in das
hellſte Licht?! Und ihre Koketterie? Ch’ er ſie ge-
heiratet, hatte er ſie ſo ſcharf beobachtet, ſchon damaͤls
mit geheimer Eiferſucht; aber Malve kokettierte ſozu-
ſagen ganz unbewußt, fie wünſchte allen zu gefallen,
den Frauen und den Männern, alten und jungen.
Es machte ſie froh und noch einmal ſo reizend, wenn
ſie ſich liebenswürdig machen konnte, und ob dies nun
im Familienkreiſe, gegenüber den Schwägerinnen Tanten
und Couſinen oder fremden Damen gehenüber geſchah,
änderte ebenſowenig ihre Art und Weiſe, wie e8 der
größte Kreis bewundernder Männer gethan.
Das hatte er ja alles gewußt, längſt gekannt und
— HudH Alle
Heft 20.
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den geht nun Haſſo vorſichtig entlang zur Holunder-
laube hin.
Darinnen geht es lebhaft zu, und Oldenhofen hätte
gar nicht ſo vorſichtig ſich zu nähern brauchen, denn
dort ſind Augen und Shren vollauf mit einer anderen,
ſoeben aus den Wolken gefallenen Ueberraſchung be-
ſchäftigt. ;
Kaͤthe v. Wallwitz iſt die aus den Wolken plötzlich
in den Kreis der Familie Hatera Gefallene.
Man ſaß gerade ahnungslos beim Frühſtückstiſche.
heute morgen, als ſie zu ihnen in den Garten geflogen
kam. Sie fiel ihrem Maler vor aller Augen um den
Hals und erklärte dann lachend und weinénd zugleich,
ſie ſei der Tante Langackern ſozuſagen durchgebrannt,
von Papa und Mama aber begnadigt morden. Dem-
nächſt werde wahrſcheinlich die offizielle Verlobungs-
erlaubnis erteilt werden.
Anitas feines Antlitz hat die Freude roſig über-
haucht. Lächelnd ſteht ſie in ihrem weichen, weißen
Morgengewande und hat die Hände zuſammengeſchlagen
in Ueberraſchungsglück.
Doch — was macht die erhobenen Hände plötzlich
ſinken, was löſcht die Roſen aus auf ihren Wangen?
„Herr v. Oldenhofen!“ hauchen die erblaßten Lippen.
Jetzt haben ſich die anderen nach ihm umgewandt,
der dort am Eingang der Laube erſchienen iſt und von
ihr zuerſt bemerkt wurde Während des Durcheinanders
der gegenſeitigen Begrüßungen, Fragen und Antworten
ſpricht ſie kein Wort. Auch er, der doch ſein Kommen
mit Teilnahme an ihrem Ergehen begründet, richtet
zunächſt ebenfalls keine Silbe an ſie.
Nur ſeine Blicke haben ſie umfangen und ihr ver-
kündet: „Kleine Annie, jetzt ſpann deine Flügel aus
zum Flug ins Paradies!“ —
Sie hat darauf nur feſt die Hände aufs Herz ge-
preßt, als müſſe das herausſpringen aus der Bruſt
Nun ſprechen abermals ſeine Augen zu ihr. „Annie,“
ſagen ſie, „ich weiß wohl, was du dort auf dei Herzen
trägſt! Ein goldener Reif iſt's, und blind haſt du ihn
faſt geküßt!“ —
„O, nicht doch,“ fleht ihr Blick darauf in holder
Verwirrung. ‚ *
- er der ſeine lacht dazu. „Glaub!s ſchon, daß
er dich drückt da auf dem Herzen! Möchteſt ihn gern
an den Finger ſtecken, wie, kleine Annie?“
Und ſie ſenkt errötend das Köpfchen und antwortet
ſeinen kühnen Augen fortan nicht mehr, ſo daß auch
ſie ſchweigen müſſen.
Seiner Rede aber darf ſie lauſchen und ſie thut
es mit ſtillen Entzücken, bis ein Wort fällt, das ſie
aufſchrecken läßt.
Abſchied heißt es. *
Er ſpricht davon, wieder gehen zu müſſen. Da
heben ſich ihre Augen, alle Scheu vergeſſend, abermals
zuihm ... in Angſt, in bitterer Enttäuſchung. „Schon?“
fragen fie. }
„Allein mit dir — nur einen einzigen Augenblick.“
Haben die anderen, hat das gütige Geſchick die
ſtumme Bitte vernommen?
Das Ehepaar Hatera wird mitten hinein in Olden-
bereits ungeduldig wartenden Schülern abgerufen.
Käthe aber und der junge Maler haben, Arm in Arm
draußen vor der Laube ſtehend, die Welt um ſich ver-
geſſen.
Jetzt tritt er hin zu ihr, ganz dicht an ihre Seite.
Anita,? tönt es ihr mit leiſem Liebeslaut ins Ohr,
Anita!“
Sie ſchüttelt den Kopf in ängſtlicher Abwehr.
Haſſo ſänftigt den Schlag ſeines Herzens und ſagt
ruhigeren Klanges, in bedeulſamer Innigkeit: „Anitä,
meine Mutter ſendet Ihnen ihren Gruß und — Olden-
hofen wartet Yhrer (
„Ich — ich danke ihr!“
Und dieſem Stammeln fügt das erblaſſende Ge-
ſichtchen ſtumm hinzu: „Zu viel, zu viel! Der Himmel
ſenkt ſich auf mich nieder, und ich ſterbe in allen ſeinen
Herrlichkeiten.“
Doch ein anderes ſpricht der feſte Druck ſeiner
Hand, die abſchiednehmend die ihre ergriffen. „Du
lebſt! Wir werden leben — in Glück, in Liebe!“
Ein heißes Lippenpaar berührt den Goldfinger ihrer
Linken und flüſtert dann:
Noch ſeh ich dich vor mir ſtehen
In dem Kinderkleidchen —
Da ſchon hab' ich dich geliebet,
Nannte dich mein Bräutchen.
Habe dir als Liebeszeichen —
Einen Ring gegeben —“
Hier ſtocken die leiſen, über ſie hingehauchten Worte
und Anitas widerſtandsloſes Köpfchen an die Bruſt
ziehend, bricht es leidenſchaftlich von Haſſos Lippen:
Anita, der goldene Reif iſt dein! Nun gelobe ihn
zu tragen, für dein ganzes Leben!“
Sein Lebewohl iſt's. Er ſtürzt davon, und ſie
ſchaut hernieder auf ihre Hand, die ſein Mund geküßt.
„Für dein ganzes Leben —“
Lautlos faſt wiederholt es ihre bebende Stimme,
und ihre Augen ſchauen groß und faſſungslos in das
enthüllte Wunderland ihrer Zukunft.
„Für mein ganzes, ganzes Leben?“
Ihre Hände ſtrecken ſich taſtend vor, heben ſich
langfam empor und ſind plötzlich gefaltet zu jubeln-
dem, jauchzendem Dankgebet.
„Mein — mein!“
Ende.
Lieben und Schweigen.
Roman von L. Haidheim.
Nachdruck verboten.)
Erſtes Rapitel.
3 war in den letzten Regierungsjahren
des Königs Friedrich VIL. von Däne-
mark.
In der Frühe eines ungewoͤhnlich
heißen Sommertages begegnelen ſich auf
dem Liehlingsſpaziergang der Reſidenzbewohner hinter
der Eitadelle am Sund, wohin das Meer feinen er-
friſchenden Hauch trug, zwei junge, vornehme Herren.
Sigurd und Chriſtian v. Reſen waren Brüder, einander
ſehr ähnlich, nur daß in dem Geſicht des älteren, der
guch der Schönere war, nichts von der ſonnigen Heiter-
keit lag, womit der andere in die Weit hineinſchaute,
als könnte es ihm darin nimmer fehlen.
Der jüngere Baron Reſen fuhr ein mit einem kräf-
tigen braunen Traber beſpanntes, glänzend neues, leichtes
Wägelchen, den Groom in dunkler ſchlichter Livree Hinter
ſich. Er zog überraſcht die Zügel an, als er ſeines Bruders
Sigurd ſchwarzgraues Reilpferd und ihn felbſt erkannte.
Dieſer mar ebenſo erſtaunt. „Ich denke, du fädelſt
deiner Charlotte die Nähnadeln ein?“ rief er, neben
dem Wagen anhaltend.
„Sie permißte in der That ein Strähnchen bunte
Seide, ich habe es ihr eben geholt,“ beſtätigte der
jüngere.
„Und dafür fährt der Menſch den ſtundenlangen
aber ſeine düſteren Mienen erhellten ſich nicht dabei!
In ſeine Braut darf man nicht verliebt ſein? Du
„O nein! Du beteſt deine Malve nicht noch heule
an wie ein Wilder ſeinen Fetiſch —“
„Nur daß ich ſie nicht prügle, wie jener, wenn mir
nicht alles nach dem Kopfe geht!“
Dabei wurde die Falte zwiſchen ſeinen dunklen Augen
noch ſichtbarex, und er fuhr ſich, wie ungeduldig, mit der
ſchmalen weißen Hand durch das leicht gelockte Haar.
Chriſtian hatte dem Groom die Zügel übergeben
und ſtand mit einem Sprunge neben dem Pferdé des
Bruders, dieſes außer Hörweite des Burſchen führend.
Iſt dir Unangenehmes widerfahren, Sigurd? Du
biſt verſtimmt!“ ſaͤgte er mit forſchendem Blick.
„Ach ja, dienſtliche Unannehmlichkeiten.“
Sonſt nichts?“
„Nein, aber das iſt gexade genug.“
„Wann kommt dein Chef wiedel? Ich finde, er
könnte gegen euch jüngere Beamte etwas rückſichtsvoller
ſein!!
Ahrenkiel — Rückſichten? Und gegen mich?“
„Nun, du perſönlich haſt ihm doch nie feindſelig
gegenübergeſtanden.“ ;
„Nein, aber er verzeiht es unſerem Vater nie, daß —
na, ich bin eben ein Reſen.“
ein Artikel veröffentlicht iſt ein Abkommen der Re-
gierung mit —“
„Alſo ihr habt das auch geleſen? Wir ſind ganz
außer uns, wir Beamten von der Geheimkanzlei. Wie
konnte das Blatt ein Aktenſtück veröffentlichen, das bei
uns im Geheimarchiv aufbewahrt wird? Das fragen
wir uns alle ganz entſetzt. Ahrenkiel hat das Ding
zuletzt in Händen gehabt, um ſein Promemoria für den
König danach zu bearbeiten; die einzige Möglichkeit
ſcheint uns, daß es bei dieſer Gelegenheit in unrechte
Hände gekommen iſt.“
„Er wird raſen!rief der andere.
„Er wird nie zugeben, daß dieſe Möglichkeit vor-
liegt; er wird ſchwören, daß — Teufel, man mag es
für das ganze Bureau iſt.“
„Bah! Solche Sachen kommen immer heraus. Daß
das Aktenſtück für Geld verraten iſt, liegt auf der Hand;
nun wohl, wer iſt es der in dieſer oder nächſter Zeit
ungewöhnliche Ausgaben machen wird?“
„Es ſind lauter alte erprobte Leute; Ahrenkiel hat
ſie ſich faſt alle ſelbſt herangebildet.“
„Immerhin, ein Verräter muß darunter ſein!“
Natürlich, aber die Pein, jeden der armen Kerls
mit der Frage im Herzen anſehen zu müſſen: Biſt du
der Schuft?“
„Wann glaubt man denn, daß Ahrenkiel wieder da
ſein wird? Die Eltern, wir alle erwarten euch mit
Sehnſucht. Es iſt ſo kühl und ſtill in der Villa Luiſe.
Und nun lebe wohl, nimm dir die Geſchichten nicht weiter
zu Herzen. Kommt bald heraus, und grüße Malve!“
Sigurd v. Reſen ſah dem davonrollenden Gefährt
des Bruders nach, wie im Traum. Sein Pferd tänzelte
ungeduldig ganz in Gedanken verloren ritt er enoͤlich
weiter und beachtete nicht, daß ihm ein Herr entgegen-
kam, der ihm aufgeregte Zeichen machte, anzuhalten.
„He, Reſen! rief er endlich über die ganze Breite der
Promenade hinüber.
Jetzt hatte dieſex ihn auch erblickt. Eine lebhafte
Spannung machte ſich in ſeinen Mienen geltend, und
er gab ſich auch nicht die geringſte Mühe, dieſe zu ver-
bergen, während er dem herankömmenden älteren Herrn
von würdigem Ausſehen die letzten Schritte entgegenritt.
„Suten Morgen, Graf Guldberg, Sie haben Neues?“
Eine rätſelhafte Geſchichte, Reſen,“ erwiderte ihm
der Polizeipräſident, „die Leute vom Bureau, die Suͤb—
alternen, ſind ſämtlich langgediente Leute —“
„Dasſelbe ſagte ich eben meinem Bruder, der den -
Artikel in der geſtrigen Zeitung auch geleſen hatte.“
„Ich erhielt ein Telegramm voͤn Ahrenkiel; er kommt
ſofort zurück.“
„Na, das hat wenigſtens das Gute, daß wir, die
wir alle dieſe Wochen am grünen Tiſch geſchwitzt haben,
nun auch endlich in die Ferien gehen können,“ lächelte
Sigurd. — „Und wie iſt's mit der Unterſchlagungs-
geſchichte?“ fuhr er dann fort. „Hat der unglückliche
Menſch ſie wirklich begangen?“
„Er leugnet jetzt ganz entſchieden und behauptet,
ſeine Verwirrung ſei im erſten Auͤgenblick lediglich durch
die Angſt, ſeinen guten Namen lund ſeine Stelle zu
verlieren, gekommen Er ſei bereit, zu beſchwören, daͤß
er das Geld an Sie abgeliefert habe, wie immer.“
„Der Schurke! Dann müßte er doch die Empfangs-
beſcheinigung haben!“
Sraf Guldberg, der oberſte Chef der Polizei, zuckte
die Achſeln. „Reſen, die Sache braucht Sie nicht im
mindeſten zu berühren. Natürlich hat jeder Verbtecher
allerlei Ausxeden! Daß unſer Mann lügt, iſt klaͤr;
da er aber dis jetzt ein unbeſcholtener Menſch iſt —“
„So muß man auf ſeine Ausreden hören, und damit
zieht der Elende meinen Namen in die Geſchichte hinein.“
„Nun, man muß derartige Unannehmlichkeiten nur
nicht ſelber aufbauſchen. Warten wir doch ab —“
„Hat man denn nicht herausgebracht, mo er meine
Empfangsbeſcheinigung gelaſſen haben will?“
„Er hat um genaueſte Durchſuchung ſeiner Woh-
nung und Sachen gebeten; der Schein müſſe ſich finden.“
Solch ein infamer Kerl! Er hätte ihn ja doch
ſeinem Vorgeſetzten abzuliefern gehabt!“
„Das — redet er ſich aus — ſei nie ſo ſtreng ge-
nommen worden. Aber ich bitte Sie, ärgern Sie fich
doch nicht ſo, Sie ſind ganz überarbeitet, ſonſt —“
„Das iſt richtig, Graf, ich bin reizbar und nervös.
Die Hitze bekommt mir nie. Ich fühle mich ſchon lange
matt und ſchwindlig.“
Ich glaube Sie fiebern ſogar etwas! Nehmen Sie
ſich in acht Je eher Sie aufs Land kämen, um ſo
beſſer wär's für Sie.“
So ſchieden ſie mit freundſchaftlichem Händedruck.
Reſen ritt am Sunde weiter, die Smedalinie entlang,
bis er endlich vor einer der ſchönen Villen hielt, Die
ſich da wie Perlen auf einer Schnur mit dem Blick
auf das Meer aneinanderreihen.
Den ganzen Weg über klangen ihm des Grafen Guld-
berg Vorte im Ohr: „Ich glaube, Sie fiebern fogar. -
Das Fieber! Wär' c& doch nur das! Aber er wuͤßte
nur zu genau, ihm brannte eine andere Glut in den
Adern, im Herzen und Hirn, eine wahnſinnige, tobende
Angſt und Eiferſucht. —
Und doch rang er als verſtändiger Mann dagegen,
vom erſten Augenblick an. Er wollte die tollen Ge-
danken in ſich gar nicht aufkommen laſſen, ſondern rief
ſich ſelber zu: „Du biſt ein Thor! Mache dich nicht
lächerlich! Deine Frau iſt rein wie ein Engel, ſie iſt
dir treu ergeben.“ Malve war ja gewiß pußzſüchtig,
ſie war kokett, aber ihre Putzſucht war doch immerhin
harmlos und bei ihrer blendenden Schönheit faſt natür-
lich, denn wer ſtellt nicht gern ſeine Gaben in das
hellſte Licht?! Und ihre Koketterie? Ch’ er ſie ge-
heiratet, hatte er ſie ſo ſcharf beobachtet, ſchon damaͤls
mit geheimer Eiferſucht; aber Malve kokettierte ſozu-
ſagen ganz unbewußt, fie wünſchte allen zu gefallen,
den Frauen und den Männern, alten und jungen.
Es machte ſie froh und noch einmal ſo reizend, wenn
ſie ſich liebenswürdig machen konnte, und ob dies nun
im Familienkreiſe, gegenüber den Schwägerinnen Tanten
und Couſinen oder fremden Damen gehenüber geſchah,
änderte ebenſowenig ihre Art und Weiſe, wie e8 der
größte Kreis bewundernder Männer gethan.
Das hatte er ja alles gewußt, längſt gekannt und