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Heſt 26.



614

miederfommen?” rief er voll Schreden. Dann faßte
er des Direktors Hand. „Sie maren ſtets freundlich
zu mir, Herr Direktor; ich bitte Sie dringend, verhin-
dern Sie, daß ich die Dame noch einmal ſehen muß.“
„Ganz wie Sie wollen; man kann Sie ja einfach
krank melden!“
8 „Krank! Ja, das iſt das beſte! Ich danke Ihnen
4
Als er ſeine Zelle wieder betrat, kam Sigurd ein
Gefühl der Erleichterung! Gott ſei Dank, hier war
er allein! Hier ſah ihn niemand. Hier mußte und
wollte er mit ſich fertig werden.

Achtzehrites Kapitel.

Malve v. Reſen war von ihrem Gatten gerichtlich
geſchieden worden, und bald nachher hatte im engliſchen
Konſulate zu Kairo ihre Wiedervermählung mit William
Leeds ſtattgefunden. Die Hochzeitsreiſe hatte das junge
Paar auf einem der großen Cookſchen Dampfer nil-
aufwärts gemacht, um dann nach Kairo zurückzukehren.
Schon hald hatte aber Malve ihren Gaͤtten gedrängt,
den Aufenthalt zu wechſeln, und in der ſeligen Flitter-
wochenſtimmung beeilte ſich Leeds natürlich, ihren
Wunſch zu erfuͤllen, was ihm um ſo leichter fiel, als
der bekannte und geſuchte Architelt über ſehr reiche
Mittel verfügte.

Malve ſchien es immer peinlich zu ſein, wenn ſie
mit Bekannten ihres Mannes oder mit Leuten, die
ſie ſelbſt von früher kannten, zuſammentrafen. Eine
eigentümliche Unräſt ſchien ſie erfaßt zu haben, und
faft ängſtlich zu nennen war ihr Bemühen, niemand
in der Welt wiſſen zu laſſen, mo ſie und ihr Gatte
weilten. Aus dieſem Grunde hatte ſie es auch immer
noch zu verhindern gewußt, daß er ſeiner Mutter
ſchrieb, obſchon er ſehnlichſt wünſchte, ſich mit dieſer
wieder auszuſohnen.

Augenblicklich weilten ſie in Venedig. Mr. Leeds
liebte feine ſchöne Frau noch immer mit gleicher Lei-
denſchaft, allein ihre Launenhaftigkeit hatte doch ſchon
wiederholt peinliche Auftritte herbeigeführt, die ſie dann


Liebenswürdigkeit in ſeiner Erinnerung auszulöſchen
bemüht war. Dann redete ſich William wohl ſogar
ein, er ſelbſt habe Schuld gehabt, und bemühte ſich
mit doppeltem Eifer, um ihr alles nach Wunſch zu
machen und ihren Anſprüchen, deren es nicht wenige
gab, gerecht zu werden.

In dieſer Rolle der angebeteten Königin, an die
Siguͤrd ſie ſchon gewöhnt, Zeſiel ſie ſich und ſpendete
demzufolge in guter Laune Liebenswürdigkeit und ihre
tauſend reizenden Koketterien dafür. Sie bewohnten
in der Lagünenſtadt einen alten Palazzo, den jetzt eine
ſpekulative Wirtin vermietete Dort trafen nun auch
verſchiedene Briefe für Mr. Leeds ein, die den Poſt-
ſtempeln nach ihn ſchon an verſchiedenen anderen Orten
geſucht und verfehlt hatten. Einer darunter trug die
Unterſchrift des Anwalts in Kopenhagen, der Malves
Scheidung durchgeführt hatte, und meldete zu ihrer
größten Äufregung, daß der Baron Farve bei ihm ge-

weſen und mit allen Mitteln der Ueberredung verſucht
habe, von ihm die derzeitige Adreſſe ſeiner Großnichte
zu erlangen. Es ſei ihm nichts übrig geblieben, als
dem ſehr erregten alten Herrn zu erklären, die Gnä-
dige wolle unter keinen Umſtänden aufgefunden werden.

„Gott ſei Dank!“ murmelte Malve immer von
neuem, als Mr. Leeds ihr den Brief vorlas.

Jetzt kamen aber noch einige für ihn völlig unver-
ſtändliche Zeilen, worin es hieß, daß die Ausſagen der
verhafteten Rofa, ſoweit ſie die Gnädige beträfen,
völlig unglaubwürdig erſchienen; die angeblich dem
Mädchen geſchenkten Schmuckſtücke ſeien vom Gericht
für Malve beſchlagnahmt worden.

In deren Mienen malte ſich eine ſo lebhafte Un-

zuhe, daß Mr. Leeds ſie ganz erſtaunt anſah. Er
meinte: „Vielleicht bezieht ſich dieſe Bemerkung auf die
Diamanten, die Roſa —“
Ja, ja, das iſt möglich!“ erwiderte Malve “ ganz
verſtört. Dann ſprang ſie plötzlich in großer Be-
ängſtigung auf und lehnte ſich, wie nach Luft ringend,
aus dem offenen Fenſter.

Sie iſt doch bedenklich nervös, die arme Kleine,
jede Erinnerung macht ſie faſt krank!“ dachte er und
fah ihr ſorgenvoll und mitleidig nach-

Sr fragte nichts weiter, ſtand auf und zog ſie mit
zärtlicher Fürſorge von dem faſt bis zum Boden reichen-
den Fenſter weg. „Du koͤnnteſt hinausſtürzen, Lieb!“
meinle er und ſchluͤg ihr eine Gondelfahrt nach dem
Lido vor.

Es entging ihm nicht, daß ſie den ganzen Tag ſehr
nachdenklich und bedrückt blieb, auch in der Nacht oft
unruhig ſeufzte.

„Sie mag wohl an den guten alten Großonkel
denken, der ſo dringend nach ihr verlangt,“ erklärte er
ſich ihre Nervoſität.

Während der folgenden Tage aber war ſie ganz
wieder die heitere, oberflächliche Malve, die nichts
wollte als Vergnügen haben und ſchön ſein.



Dieſer Zug ihres Weſens fiel ihm jetzt doch mehr
auf, als im Anfang. Er grübelte darüber, denn eine
heimliche Stimme raunte ihm oft und öfter zu: „Sie
iſt anders geworden, weniger zärtlich; ſie jagt nach
Abwechslung — ſie bewegt etwas in ihrer Seele —
ſie verbirgt dir ihre innerſten Gedanken.“

Das aͤlles kam ihm aber durchaus nicht wie eine
Erleuchtung, ſchnell und blitzgleich, nein, ganz langſam,
wie ein Tropfen zum anderen fällt. Zuweilen war
ihm, als hätte ſie in Momenten, wo ſie ſich unbeachtet
glaubte, ein ganz anderes, fremdes Geſicht, geängſtigt
und kampfbereit, ſcheu und trotzig zugleich.

Was dachte ſie nur? Was ging in ihr vor?
Sollte ſie Sigurd noch lieben — trotz allem? Eine
wahnſinnige Unruhe überkam ihn. Zu anderen Zeiten
ſchalt er ſich ſelbſt dann einen Thoren, denn es konnte
Stunden geben, mo Malve ſich ebenſo wie damals in
Nyland und Strandköbing an ihn ſchmiegte, wie ein
44 Vögelchen, das an ſeinem Herzen Schutz
WL

Eines Morgens ſaßen ſie beim Frühſtück in ihrer
Wohnung. Mr. Leeds hatte ſich wieder einmal über
Malves Launen geärgert und griff jetzt eine der Zei-
tungen auf, die neben ſeinem Teller lagen.

„Mag er doch maulen!“ dachte ſie, ſtand auf und
trat vor den Spiegel, einen hübſchen neuen Umhang
zu probieren, den ſie und William geſtern am Markus-
platz gekauft und der eben in einem Karton geſandt
worden war.

Sie fand an dem Umhang einiges zu ändern und
war ſo ganz eingenommen von ihrer Beſichtigung,
daß ſie einen ſonderbaren Laut nicht heachtete, den
Mr. Leeds ausſtieß und der allerdings wie ein dumpfer
Schreckenslaut klang.

Wohl blickte ſie gleichgültig und flüchtig nach ihm
hin, der aufrecht ſtehende Deckel des Kartons hinderte
ſie aber, ihn zu ſehen. Dann hatte ſie den Anlaß
überhaupt ſchon vergeſſen, über der Notwendigkeit, mit
einigen Nadeln die nötige Aenderung abzuſtecken.

Als ſie dieſe aus dem anſtoßenden Gemach geholt
hatte, blieb ſie denn doch erſtaunt neben dem Frühſtücks-
tiſche ſtehen. Leeds ſaß da mit einem ganz ſonder-
baren, aufgeregten Geſicht und las mit fo brennendem
Eifer, daß die Augen ihm faſt aus dem Kopf zu treten
ſchienen.

„Wahrſcheinlich ſeine ewigen Börſenberichte! Ob er
Verluſte haben mag?“ dachte ſie gleichgültig, denn da-
von haͤtte er öfter geredet, bald froh, wenn ſeine Pa-
piere gut ſtanden, bald mißgeſtimmt, wenn die Aktien
fielen. Sie hatte nie Interéſſe dafür gefaßt.

In dem Augenblick, wo ſie ſich wieder dem Spiegel
zuwaͤndte, ſprang er mit völlig verzerrten Mienen auf.
„Das iſt zu viel! Das iſt eine Niedertracht ohne-
gleichen!“ jtieß er heraus und zerknüllte die Zeitung
zu einem Ball, den er in die fernſte Ecke warf.

Sie fragte nicht, war ganz mit ſich und ihrem Putz
beſchäftigt und ſah nur flüchtig hin, während er auf
und ah lief und dann auf den Balkon trat.

Sei vorſichtig, William, das Gitter iſt nicht feſt,“
rief ſie ihm aber dennoch zu.

Er kam in das Zimmer zurück, ſuchte die zerknit-
terte Zeitung wieder auf und begann von neuem zu
leſen, nachdem er ſie geglättet.

Dann rannte er wieder auf den Balkon, rüttelte
an dem Eiſengitter, bas in der That lebensgefährlich
loſe, nur noch halb in den Eiſenklammern hing und
ſtieß ein wütendes „God-dam!“ aus über die infame
Lodderigkeit dieſer Hauswirte.

Was hatte er denn nur?

Malve trat neugierig an den Tiſch, auf dem das
Kopenhagener Blatt ganz ausgebreitet lag. Ihr erſter
** fiel auf die Worte: „Neues über die Affaire

eſen.“

Ah! Sie beugte ſich auf die Zeitung und las,
aber ſchon nach kaum den erſten zehn Zeilen ſtieß auch
ſie einen Schreckensruf aus und taumelte erbleichend
auf einen Stuhl.

Da trat Leeds ein; er hatte ſie gehört, ſah ſie

faſſungslos. „Iſt's nicht eine Infamie ſondergleichen?
Haſt du geleſen? Nein? Nur den Anfang? Nun,
daß man jetzt dich zu beſchuldigen wagt? &D dieſe
Elenden! Jetzt treten wir noch heute die Rückreiſe an!
Dieſe Schufte werden wir nun entlarven, und ſollt' es
mein ganzes Vermögen, mein Leben koſten. Du hätteſt
die Faͤlſchung begangen! Du! Durchgepauſt hätteſt
du den Namen! Und wer ſoll das geſehen haben?
Roſa! Das Zeugnis einer Diebin! Aber, Malve,
erſchrecke doch nicht ſo! Was liegt denn —? Die
Rofa iſt ja —. Herr Gott, Malve!“
Was war ihr? Was hieß das? Sie Iag vor ihm
auf den Knieen am Boden und ſchrie: „Rette mich!
Rette mich, William!“ in ſolcher Todesangſt, als wäre
ſie wirklich ſchuldig.

Aber Malve! Um Gottes willen! Rege dich doch
nicht ſo auf. Gleich telegraphiere ich! Wir —“

William! William!” keuchte die Frau zu ſeinen
Füßen, die er zärtlich aufheben wollte und die ſich da-
gegen wehrte, ſich im Staube windend.






„Aber liebes Kind — wie kann dich —? Wir
reiſen gleich heute ab.“

„Nein! Nein! Nein!“ kreiſchte ſie, und er ſtarrte
ratlos auf ſie nieder.

Auf einmal zuckte er zuſammen, wie von einem
Dolch ins Herz getroffen. Ein Todesſchrecken malte
ſich in ſeinen Mienen und Augen.

„William! Erbarmen! Rette mich!“ keuchte ſie.

Immer größer und ſtarrer wurden ſeine Augen,
ein unbeſchreibliches Entſetzen herrſchte in ſeiner Seele.
Wie? War ſie wirklich die Schuldige?

Unſinn! Unmöglih! Ein nervöſes, beklagenswertes
junges Weſen, auf dem Leid und Unglück zu ſchwer
laſteten.

„Mein Liebling, ſo beruhige dich doch!“ bat er in
den weichſten Tönen, während ihm doch der kalte.
Schweiß auf die Stirn trat.

„O William! Du thuft’3 nicht! Du giebſt mich
nichi in ihre Hände?“ flehte ſie, immer noch zu ſeinen
Füßen, ſich wehrend gegen ſeine Verſuche, ſie empor-
zuheben.

Bei dieſen Tönen, dieſem Blick kam das furchtbare
Grauen wieder über ihn. Sie ſah aus wie eine
Schuldige! Wie das böſe Gewiſſen.

Mit einem Ruck hob er ſie empor und ſetzte ſie
auf den Stuhl. „Malve! Begreifſt du denn nicht,
5 wir ſofort nach Kopenhagen müſſen?“ flüſterte er
heiſer.

„O William! Nein, nein! Sei barmherzig!“
ſtöhnte ſie, mit ſchneeweißen Lippen.

Noch einmal klammerte er ſich an die Hoffnung,


faſſungslos mache.

Aber das Wort, das er tröſtend zu ihr ſprechen
wollte, erſtarb ihm auf den Lippen, denn jetzt flüſterte
ſie wie in Todesangſt: „Er hat es aus Rache verraten!
Und er hatte mir doch verſprochen —“

„Was verſprochen?“

Daß er es nie verraten wolle!“

Was verraten, ſprich! Du haft’3 alſo gethan?“

Ach Gott, ja — und ich wollt es ihm ja auch
damals gleich ſagen, aber —“

„Malve! Febt beſinne dich!“ Sr packte ſie mit
einem wilden Fluch an der Schulter. „Haſt du die
Fälſchung begangen? Geſtehe! Oder bei Gott —“

„Du lieferſt mich aus? Ich ſoll —? Allmächtiger
Gott, William —!” ächzte ſie, beſinnungslos vor
Angſt.

So geſtehe! Geſtehe, wie es war!“

Ja, ja, ja! Ich dachte mir ja nichts Böſes dabei!“
—_ GCin wildes, wütendes Lachen brach von ſeinen
Lippen. Du dachteſt dir nichts Böſes? Aber dann —?
Er — er —?“

„Ja, er konnte das Geld von keinem leihen, der
Großoͤnkel hatte auch nichts —“

„Und daͤnn bekannte er ſelbſt ſich zu der That?“

Er wollte mich ſchonen. Und wer daͤchte denn —?!

Und du wußteſt, daß er deine Schuld auf ſich
nahm?“

„O Gott, William, ſo quäle mich doch nicht ſo
grauſam!“

„Sprich! Antworte! Du wußteſt es?“

Ja, natürlich! Aber ſo ſieh mich doch nicht ſo
an!“ Sie fing laut an zu weinen, man hörte, ſie
überkam jetzt dasſelbe Grauen vor ihm, das er vor

ihr empfand. ;
„Natürlich! Ja!“ Sr knirſchte mit den Zähnen
Ihm konnteſt
du die Treue —? Und mich ließeſt du glauben, er
ſei ein Fälſcher, ein Dieb? — O! D!“ — Cr preßte
den Kopf zwiſchen ſeine beiden Hände und ſtöhnte wie
ein zum Tode Getroffener.

Sie ſchauerte zuſammen. Ihre Augen waren ſtarr
und entſetzt auf ihn gerichtet, kein Blutstropfen mehr
in ihrem Geſicht. Ihr wurde far, William Leeds
vergab ihr nie und nimmer dieſen Betrug.

Und nun ſprang er auf ſie zu und paͤckte ſie, die
vor ihm angſtvoll aufſchreiend entfliehen wollte, rauh
am Arm.

„Sag es! Bekenne! Oder ich weiß nicht, was
ich hnel Iſt es ſo? Du wußteſt, daß er nicht ſchuldig
war?!

„Er hatte mir ja geſagt, kein Menſch ſolle wiſſen
— meine Ehre ſei ihm heiliger, als —. D Gott, er —
er liebte mich wahrhaft; — er mußte, daß ich —“

„Hahaha! Haͤhaͤha! lachte Leeds mit grimmigem
Hohn. „Er liebte dich wahrhaft! Und zum Dank
dafür, für das größte Opfer, das er dir bringen
konnte, entliefeſt du ihm? Und mich machteſt du zu
deinem Mitſchuldigen? Zum Verräter machteſt du
mich, du treuloſe Verräterin!“

„Haſt du ihn nicht immer verachtet und mich be-
dauerk?“ rief ſie mit dem ganzen Mangel an Logik,
* er an ihr kannte. Und wie funkelten ihre Augen
ihn an.

* 7— — Schlange!“ keuchte er, „Nichtswürdiges
eib !”

Sein Ausſehen erſchreckte Malve bis zur Todes-
 
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