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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0191
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von Pedros Kopf.
Seschichtliche Lrrahlung von Walter- kabel.
(Nachdruck verboten.)
einem schwülen Septemberabend des
Wml Jahres 13S6 brach über Sevilla und dessen
Wb I Umgegend eines jener Unwetter herein,
vRWRz von deren Heftigkeit sich nur die Bewohner
südlicher Breiten einen Begriff machen können. Der
Himmel glich mitunter einem einzigen Flammen-
bündel, durch das der ununterbrochen grollende
Donner seine dumpf dröhnenden Schallwellen sandte,
während Ströme von Regen wie der Anfang einer
zweiten Sintflut aus diesen Feuergarben herab-
stürzten.
Zwei von ihrem Gefolge getrennte Jäger, die
matten Pferde am Zügel hinter sich herziehend,
stolperten einen steinigen Pfad hinab, der in viel-
fachen Windungen vom südlichen Abhang der Sierra
Morena in das Tal des Guadalquivir hinabführte.
Öfters hielten die Verirrten an,'um. in die nur
durch die Blitze unterbrochene Dunkelheit' zu lauschen.
Aber alles schien auf Erden verstummt, um die ge-
waltige Stimme des Himmels zu hören. Endlich
blitzte tief unterhalb des Standortes der Jäger ein
Heller Lichtschein auf. Auf diesen zustrebend, er-
reichten die müden, bis auf die Haut durchnäßten
Wanderer ein kleines Pachtgut, neben dem der
Guadalquivir seine hochgeschwollenen Wasser schäu-
mend dahinwälzte. Ein einfach gekleideter Mann
von vielleicht fünfund vierzig Jahren, mit scharfen,
aber freien und offenen Zügen, kam ihnen, eine
Kienfackel in der Hand, entgegen und geleitete sie
mit höflichem Gruß bis zur Tür, wo ihnen dann ein
junger Mensch, anscheinend der Sohn des Hauses,
die Pferde abnahm und unter einen Schuppen
brachte.
Wenige Minuten später befanden sich die beiden
Jäger allein in einem kleinen Zimmerchen, um ihre
nassen Kleider gegen die groben, aber sauberen und
trockenen auszutauschen, die der vorsorgliche Wirt
für sie herausgesucht hatte.
„Meinst du, Ferrand, wir wären von den Leuten
hier besser empfangen worden," sagte jetzt der
jüngere der beiden gutgelaunt, „wenn ich mich
ihnen als ihr König zu erkennen gegeben hätte?"
„Vielleicht mit mehr Ehrfurcht, aber kaum mit
mehr Herzlichkeit!" erwiderte der graubärtige Graf
Ferrand zustimmend.
„Eben diese Herzlichkeit erfreut mich. Ich habe
häufig auf meinen heimlichen Ausflügen großen
Vorteil aus dem Rate gezogen, den man dem Un-
bekannten gab, niemals aber aus den Schmeiche-
leien, die man dem Könige zollte. Ich will unseren
wackeren Wirt zum Reden bringen. Also laß dir
nicht anmerken, daß König Pedro von Kastilien
unter diesem Dache weilt."
Da der Kleiderwechsel beendet war, kehrten sie
in das Wohnzimmer zu dem inzwischen aufgetragenen
Abendessen zurück.
„Ich sehe nur zwei Gedecke auf dem Tisch," sagte
Don Pedro zu Juan Pasquale, dem Pächter, als
er kaum eingetreten war. „Habt denn Ihr und
Eure Familie schon zur Nacht gegessen?"
„Nein, gnädiger Herr. Allein es ziemt sich nicht
für unsereinen, sich neben so vornehme Herren zu
setzen."
„Vornehm ist der, der das Herz auf dem rechten
Fleck hat. Und daher gehören wir zusammen um
diesen Tisch," meinte der König herzlich.
Keine Widerrede half. Pasquale und die Seinen
mußten neben ihren Gästen Platz nehmen, die dann
den Speisen mit echtem Jägerhunger zusprachen.
„Meister Pasquale," begann Don Pedro während
der Mahlzeit, „Ihr gefallt mir. Ich könnte Euch
wohl eine gute Stelle am Hofe besorgen, wo Ihr
nicht mehr nötig hättet, den: steinigen Boden hier
mühsam Euren Lebensunterhalt abzuringen."
„Ich danke, gnädiger Herr! Ich bin lieber der
letzte der freien Bauern hier, als der eiste der könig-
lichen Diener. Außerdem — hier lebe ich in Ruhe
und Frieden, und in Sevilla soll auf den Straßen
niemand mehr seines Lebens sicher sein."
Der König biß sich auf die Lippen und stellte
sein Glas, ohne es geleert zu haben, wieder auf
den Tisch. „Wer sagt Euch, Don Pasquale, daß es
mit der Sicherheit in Sevilla so schlecht steht?"
fragte er.
„Alle sagen's, alle wissen's, gnädiger Herr, nur
der nicht, der für das Leben seiner Untertanen sorgen
sollte — der König."
„Und weshalb mag er's wohl nicht wissen?"
„Weil die, die nachts in den Straßen Sevillas
Händel suchen und ihre Degen gegen friedliche
Bürger zücken, zum Hofstaate des Königs gehören
und der Oberrichter sie als seine guten Freunde
ungestraft laufen läßt."

„Also der Oberrichter tut nicht seine Schuldig-
keit, meint Ihr?"
„Angeblich kann er die Verbrecher nie entdecken.
Er will's eben nicht! Der König sollte ihn nur für
jeden Mord derart verantwortlich machen, daß der
Oberrichter für die Entdeckung des Mörders mit
seinem eigenen Kopfe haftet. Das würde schon
helfen."
„Aber da würde sich der Oberrichter für seine
Stellung schön bedanken. Niemand möchte wohl
unter der Bedingung das Amt übernehmen."
„Jeder ehrliche Mann, gnädiger Herr."
„Ehrlichkeit ist in unseren Zeitläuften eine seltene
Ware," sagte lachend Don Pedro.
„Weil man sie in den Städten sucht."
„Bei Gott!" rief der König, „Ihr habt gewiß
die Haupteigenschaft, die Ihr für die Stelle des
Oberrichters fordert: rückhaltlose Offenheit und Ehr-
lichkeit. Ihr müßtet das Amt übernehmen!"
„Ihr scherzt, gnädiger Herr. Allein wenn ich
von so hoher Herkunft gewesen wäre, daß ich ein
solches Amt hätte erreichen können, so würde mich
keine Rücksicht an der Erfüllung meiner Pflicht ver-
hindert haben, und hätte ich dem verbrecherischen
Treiben nicht vorbeugen können, so wären wenig-
stens die Schuldigen nach der Tat von mir verfolgt
worden, gleichgültig ob sich's um Baron, Graf oder
König handelte."
„Ihr sprecht mit ehrlichster Begeisterung, mein
guter Meister Pasquale," sagte Don Pedro freund-
lich. „Wer weiß," fuhr er nachdenklich fort, „ob
Jhr's doch nicht noch bis zum Oberrichter bringt!"
Darauf erhob er sich, verabschiedete sich von den
Wirtsleuten und suchte mit dem Grafen Ferrand
die ihnen zugewiesene Schlafkammer auf.
Am folgenden Morgen hatte das Unwetter sich
ausgetobt, und der König und sein Begleiter konnten
ohne weitere Fährnisse den Rückweg nach Sevilla
antreten.
-k-
Acht Tage später überbrachte ein Bote Juan
Pasquale die Nachricht, er solle sofort vor dem
König erscheinen. Verwundert folgte Juan dem
Befehle, und nach scharfem Ritt langten die beiden
spät abends vor dem Stadttor von Sevilla an. Dort
harrte ihrer ein Offizier, der den Pächter nach der
königlichen Residenz in ein prächtiges Zimmer ge-
leitete, wo er ihm zu warten befahl.
Nicht ohne Unruhe sah Pasquale dem Kommen-
den entgegen. Er hatte nicht die geringste Ahnung,
weshalb Don Pedro ihn vor sich gefordert haben
könnte. Aber stark durch die Überzeugung, nichts
Übles getan zu haben, behielt er jene ernste, ruhige
Fassung, die nur einem guten Gewissen ent-
springt.
Bald öffnete sich auch eine geheime Tür, und
der Pächter sah sich einem seiner Gäste an jenem
Gewitterabend gegenüber.
„Juan Pasquale," sprach Don Pedro wohl-
wollend, „Ihr erinnert Euch wohl noch der Unter-
redung, die wir in Eurem Hause beim Nachtessen
führten, und die die Art und Weise behandelte, wie
in Sevilla die Polizei gehandhabt werden müsse.
Nun, ich bin der König, und von heute an seid Ihr
Oberrichter von Sevilla. Aber wohlverstanden unter
der Bedingung, die Ihr selbst für dieses Amt auf-
gestellt habt: Ihr haftet mit Eurem eigenen Kopf
dafür, daß jeder Mörder entdeckt wird. Ich will
den Bürgern meiner Hauptstadt durch Euch die
Sicherheit wiedergeben."
Darauf ließ Don Pedro die Beisitzer des obersten
Gerichts herbeirufen.
Die Türen öffneten sich, und in ihrer Amtstracht
erschienen vier ältere Richter, verneigten sich tief
und verharrten in ehrfurchtsvollem Schweigen.
„Meine Herren," redete der König sie an, „Don
Telesforo, der Oberrichter, hat bei verschiedenen
Anlässen durch strafbare Nachsicht seine Pflicht schwer
verletzt. . Don Telesforo ist nicht mehr Oberrichter.
Hier ist sein Nachfolger. Niemand soll es einfallen,
etwa zu sagen, dieser edle Don Juan Pasquale
besitze keine genügenden Kenntnisse, um ein solches
Amt zu führen. Ich selbst, der König, habe mich
davon überzeugt, daß er allem würdig ist, eine derart
verantwortungsvolle Stellung einzunehmen. Jedes
Haupt, das nicht fallen mag, bücke sich vor ihm!
Ich selbst werde diesem neuen Oberrichter gegen-
über allen ein Beispiel vertrauensvollen Gehorsams
geben."
Don Pedro winkte, und ein Diener legte in die
Hände Juan Pasquales die Vara, den Stab der
Gerechtigkeit, während ein anderer ihm den roten,
mit Hermelin gefütterten Mantel, das Abzeichen
seiner neuen Würde, umhing.
„Und nun, meine Herren," sagte Don Pedro ver-
abschiedend, „gehen Sie und führen Sie Ihr neues
Oberhaupt in sein Amt ein. Stehen Sie ihm bei in

seinem schweren Beruf, lernen Sie aber auch von ihm
seine beste Tugend: Offenheit und Ehrlichkeit!"
Im ersten Monat der Amtszeit Juan Pasquales
war nur ein einziger Mord vorgefallen, dessen Ver-
über jedoch sehr bald gefänglich eingezogen und trotz
seines edlen Namens und des großen Einflusses
seiner Familie hingerichtet wurde. Dieser Fall gab
einen hohen Begriff von der Unbestechlichkeit und
Gewandtheit des neuen Richters.
Er hatte sein Amt damit begonnen, daß er fast
sämtliche Polizisten entließ, da sie von den großen
Herren bisher eine weit höhere Summe für ihr
Blindsein, als vom Staate für ihre wachsamen
Augen erhalten hatten. An ihre Stelle waren von
ihm Bergbewohner seiner Heimat angeworben wor-
den, die in kleinen Abteilungen jede Nacht die
Straßen durchziehen und auf Ordnung sehen muß-
ten. Weiter hatte Pasquale eine genaue Vorschrift
für die ganze Stadt herausgegeben, wie jeder sich
während der Nachtzeit aus den Gassen und Plätzen
zu verhalten habe. Niemand durfte vor einer Tür
oder einem Fenster längere Zeit stehen bleiben oder
durch Lärmen die Ruhe stören. Ebenso war es ver-
boten, fernerhin mit schwarzen Masken vor dem Ge-
sicht nächtlich umherzustreifen.
Da eine Übertretung dieser Befehle mit schweren
Strafen bedroht war, verwandelte sich das nächtliche
Sevilla wie mit einem Schlage aus einer lauten,
von Nachtschwärmern unsicher gemachten Stadt in
eine friedliche, vornehme und ruhige Residenz.
In einer finsteren Novembernacht sah nun An-
tonio Mendez, einer der neuen Scharwächter, an
einer entlegenen Straßenkreuzung einen in einen
weiten Umhang gehüllten Mann auf sich zukommen.
Der Unbekannte wollte, ohne Antonio weiter zu
beachten, vorübergehen. Da trat plötzlich der Voll-
mond hinter einem der schwarzen Wolkenfetzen vor,
die über den nächtlichen Himmel wie finstere Schatten
dahinjagten. Bei dem silbernen Lichte, das jetzt die
Straße erhellte, bemerkte der Wächter, daß jener
einsame Wandler dem strengen Verbot entgegen
eine das ganze Gesicht verhüllende Maske trug.
Antonio, der es mit seiner Pflicht sehr genau
nahm, verstellte dem Unbekannten nunmehr den
Weg, trotzdem jenem ein langer Degen an der Seite
klirrte und sein reiches Federbarett darauf schließen
ließ, daß er den vornehmen Ständen angehörte.
„Tenor," redete er ihn an, „Ihr werdet ent-
schuldigen, wenn ich Euch mit aller Achtung, die ich
vor Euer Gnaden habe, darauf aufmerksam mache,
daß nach neun Uhr abends niemand mehr mit einer
Maske die Straßen Sevillas passieren darf."
„Wer bist du?" fragte der Vermummte stolz,
indem er die Rechte leicht auf den Korb seines Degens
legte.
„Ich bin Antonio Mendez, einer der Alguazils,
und zwar bestellt für das Viertel der Giralda."
„Nun, Antonio Mendez, so gehe schleunigst deiner
Wege und laß mich ungeschoren!"
Damit wollte der vornehme Herr eiligst weiter-
gehen.
„Halt!" rief der Wächter streng und faßte den
anderen an einem Zipfel seines Mantels. „Ich
fordere Euch auf, ungesäumt die Maske abzunehmen
und mir auszuhändigen — im Namen des Ober-
richters !"
Da riß sich der Unbekannte heftig los. „Gib
Raum, Antonio Mendez," rief er drohend und lockerte
seinen Degen in der Scheide.
„Zwingt mich nicht, Gewalt zu gebrauchen,"
warnte der Wächter.
„Gegen mich!" sagte spöttisch der Kavalier.
„Gegen Euch so gut wie gegen jeden, der den
Befehlen des Oberrichters nicht gehorcht," entgegnete
Antonio gereizt, indem er das um seinen Hals an
einer Schnur hängende Signalhorn zur Hand nahm,
als ob er die nächste Wache zu seiner Hilfe herbei-
rufen wollte.
Mit einem blitzschnellen Griff hatte der Mas-
kierte, der die Dazwischenkunft weiterer Alguazils
fürchten mochte, dem ebenso unerschrockenen wie
hartnäckigen Antonio das Horn entrissen und es
über die nächste Mauer in einen Hof geschleudert.
Jetzt aber war des langmütigen Wächters Ge-
duld erschöpft. Hart packte er den Frechen, der
derart das Gesetz zu verhöhnen wagte, an der Schul-
ter. Der Vermummte wehrte sich, und ein laut-
loses, aber desto erbitterteres Ringen begann in der
dunklen Gasse, die der längst wieder von Gewölk
verdeckte Mond nicht mehr in sein mildes, friedliches
Licht tauchte.
-t-
Am nächsten Morgen erhielt Juan Pasquale zu
ungewöhnlich früher Stunde den Befehl, sofort vor
Don Pedro zu erscheinen, und als er das Gemach
 
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