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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0201
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1Y4 -
Mit dem Gefühl der Erleichterung kam aber auch
das des Ärgers über mich, daß Lady Desmond diesen
infamen Klatsch nicht nur geglaubt, sondern ihn
mir auch wiederholt hatte. Es war nur gut, daß
ich nicht darauf eingegangen war iu meiner Ent-
rüstung und in meinem Schrecken über das Gehörte,
weil ich ja trotz allem gleich gewußt, daß ich zu Fritz
halten müßte, durch dick und dünn, ganz besonders
aber dann, wenn die ganze Geschichte richtig war.
Was aber steckt hinter ihrer Erzählung, hinter ihren
Andeutungen über diese Papiere, die „meine Hand"
der Eigentümerin zurückgeben soll!!! Papiere,
deren Besitz imstande ist, Fritz schwer zu schädigen!
Als ob Fritz das nicht selbst beurteilen könnte, als
ob er so blind wäre und so beschränkt, glühendes Eisen
in die bloße Hand zu nehmen iu seligem Unverstand
darüber, daß es brennt!
Uber diese „Papiere" konnte ich Mister Mowbray
natürlich nicht befragen, und zwar aus dem sehr

ui Vas Such si's Mle-—
eiufachen Grunde, weil er unmöglich darüber etwas
wissen kann. Noch weniger aber kann ich Fritz da-
nach fragen, denn das wäre eine Taktlosigkeit. Folg-
lich wird mir Lady Desmond schon noch Rede dar-
über stehen müssen, aber ich muß das weitere Ge-
spräch über dieses Thema aufschieben und hinzuhalten
versuchen, bis Doktor Windmüller die Güte gehabt
haben wird, mir zu raten, wie ich mich dabei zu ver-
halten habe, um sie zu veranlassen, mir die Quelle
zu verraten, aus der sie selbst ihre seltsame Wissen-
schaft geschöpft hat, und warum diese Papiere so
merkwürdig einflußreich auf Fritzens fernere Lauf-
bahn sind. Vielleicht hätte ich auch besser getan,
nicht Mister Mowbray, sondern Doktor Windmüller
nach der Wahrheit über Fritz und das „wogende
Licht" zu fragen, aber offen gesagt: ich hätte die
Ungewißheit bis morgen nicht ertragen, dieses Hin-
und Herschwanken zwischen dem: „Es ist nicht wahr!
'Es ist nicht wahr!" und dem: „Wenn es wahr ist,

- - IM 9
wenn es doch wahr ist, was ist dann deine Pflicht,
zu tun?"
Nun bliebe ja noch Fritzens Mutter, aber wenn
sie zum Beispiel nichts davon weiß, hätte dann ich
es ihr sagen sollen?
Beim Heimfahren und nach dem Lunch kam
Lady Desmond nicht mehr auf das Thema zurück,
und seitdem, also während des Nachmittags, habe
ich sie nicht mehr gesehen und hatte Zeit, diese
Blätter zu schreiben.
Mister Weed ist bei seinem gestrigen Benehmen
mir gegenüber geblieben; er hat kein Wort mit mir
gesprochen, hat mich nur „finster forschend" an-
gesehen, und ich habe mich darüber getröstet. Was
diesen Umschwung gegen mich hervorgebracht oder
verschuldet hat, ahne ich nicht, und zu meiner Be-
schämung muß ich gestehen, daß ich auch gar nicht
neugierig bin, den Grund zu erfahren. Ich erkenne
aber an, daß Doktor Windmüller ihn wahrschein-

fflaschinengewehre in Feuerstellung. Nach einem ktquarell von L. Lecker. (5. lyd)
NlustrMionsprobe aus »sn wetzr und Waffen, ein Luch von Deutschlands Heer und plottc«. Stuttgart, Union Deutsche Derlagsgesellschast.


lich gern wird wissen wollen, und werde mir daher
Mühe geben, ihn zu erfahren.
t Für jetzt schließe ich, denn es ist Zeit, Toilette
zu machen. Lady Desmond ließ mir sagen, sie hätte
Frau v. Burgfried bitten lassen, den Verbindungs-
gang zum Palazzetto von der anderen Seite öffnen
zu lassen, damit sie ihn benützen könnte. Rendezvous
mit mir um siebeneinhalb Uhr in der Loggia.
Ich werde den Schmuck von Lady Desmond,
das „wogende Licht", heute abend tragen!
*
Siebenter Bericht von Oliva v. Uhlenhus.
Rom, Palazzetto Santa Chiara, 4. Dezember.
Ich hatte gedacht, mit den letzten Zeilen vom
2. Dezember der schlechten Angewohnheit des Tage-
buchschreibens ein für allemal Valet gesagt zu haben.
Dem „unterbrochnen Opferfest" im Palazzetto hatten
ja beigewohnt, die mein Abenteuer im Palazzo
Santa Chiara interessiert — in erster Linie Doktor
Windmüller —, und was dann noch folgte, ehe ich
das gastliche Haus verließ, habe ich mündlich be-
richten können. Nun aber bittet mich Doktor Wind-
müller, das alles schriftlich noch einmal zu wieder-
holen, um sein Aktenfaszikel „Der Fall Oliva" kom-

plett zu machen. Ich werde also mein möglichstes
tun, nichts Wichtiges zu übersehen, habe aber dabei
den dringenden Verdacht, daß Doktor Windmüller
die Sache besser weiß als ich selbst, und daß in
besagter „Sache" dunkle Punkte sind, über die ich
nicht aufgeklärt werden soll.
So, nun hab' ich vorweg gesagt, was mir auf
der Seele brennt, und wenn's auch zu weiter uichts
nützt, als daß gewisse Leute zu der Einsicht kommen:
Oliva v. Uhlenhus ist nicht von heute und gestern.
Sie merkt aber die Absicht und wird entgegen der
sonstigen Wirkung nicht verstimmt, sondern dankt
gerührt für die freundliche Schonung ihrer Nerven.
Fritz wird's mir schon später mal erzählen, wer
Lady Desmond eigentlich war. Alles kommt zu
dem, der zu warten versteht! Mit diesem Grund-
satz wurde der Leutnant Napoleon Bonaparte
Kaiser der Franzosen — werde ich, Oliva, Freifrau
v. Burgfried und dermaleinst Botschafterin, Exzellenz
und so weiter werden. „Da habt crsch," sagt man
im Elsaß.
Also um siebeneinhalb Uhr abends am 2. De-
zember war ich unten in der Loggia im Palazzo
Santa Chiara, des nahen und gedeckten Weges
wegen nur in ein leichtes wollenes Schultertuch

gehüllt. In dem eigens dazu vorbereiteten dichten
Spitzengeriesel des Jabots meiner Weißen Bluse
trug ich den Schmuck von Lady Desmond versteckt
an seinem feinen Platinkettchen um den Hals. Ein
einziger Griff, und er wurde zu dem Knalleffekt
sichtbar, den ich damit vorhatte.
Kaum war ich unten, als auch schon Lady Des-
mond erschien, in ein pompöses, langes Hermelin-
cape gehüllt — voran James, den vielgezähnten
langen Schlüssel in der Hand, den ich Mister Weed
gestern hatte in das Schubfach des Tisches neben
der Tür zum Verbindungsgange legen sehen. „Aha,"
dachte ich mir, „so soll man sich auf jemand ver-
lassen."
Lady Desmond wünschte zu sehen, wie ich
gekleidet wäre, und ich machte für einen Moment
mein Tuch auseinander, um mich zu zeigen. Sie
bemerkte offenbar nichts von der Anwesenheit ihrer
eigenen Gabe an mir, denn sie machte eine Be-
merkung ungefähr des Inhalts, daß die Jugend
keiner Juwelen bedürfe, und es ja auch eigentlich
nicht zum guten Tone für ein Mädchen gehöre,
welche zu tragen.
Warum hat sie mir also einen Schmuck gescheut,
wenn sie findet, daß es besserer Ton für mich ist,
 
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