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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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lM 1 —
Äuglein, und der englisch gestntzte Schnurrbart unter
der dicken, breiten Nase sträubte sich höchst energisch.
Ungeachtet seiner vierschrötigen Gestalt trat er merk-
würdig leicht und leise auf, und die Art, wie er auf
Franks Einladung Platz nahm, verriet einen ge-
wandten Mann.
„Müffen wir gleich los, Herr Kommiffar?" fragte
Groote mit einen: Blick auf die Weinkaraffe.
„Ist nicht unbedingt nötig, Herr Doktor. Ich
habe zwar Dienst, aber das geht bei uns nicht nach
Schema F. Wenn ich zum Beispiel Grund zu der
Annahme habe, daß der, den ich suche, hierher-
kommt, dann kann ich bis morgen früh sitzen bleiben."
„Und vielleicht kommt der Herr Falschmünzer
wirklich?"
Dahl lächelte und hob das angebotene Glas
Wein gegen den Kronleuchter. „Schwerlich — wir
machen diesmal so wie so eine Metzgerfahrt, es müßte
denn fein, daß sich was anderes anbandelt."
„Liegt etwas in der Luft?"
„In Hamburg immer. Das ist gerade fo wie mit
dem Geld auf der Straße — man muß es nur finden.
— Dieser Tropfen ist übrigens gut. — Danke — nur
noch ein halbes Glas."
„Es ist der letzte trinkbare Stoff für eine lange
Nacht, Herr Kommiffar."
„Meinen Sie?" sagte Dahl. „Das kann auch
anders kommen. Ich weiß natürlich nicht, wohin
wir geraten werden, aber die Versicherung kann
ich Ihnen geben, Herr Doktor, in Hamburg liegt
der beste bisweilen unter der Erde. Also, wenn
es Ihnen recht ist —"
„Sind Vorbereitungen nötig?"
„Nun, die goldene Uhr bleibt besser hier, das
Geld kommt lose in die Tasche — die Herren Spitz-
buben haben fo 'ne verwünschte Gewohnheit, sich
dicht heranzumachen."
„Waffen?"
Sie waren in die Garderobe getreten, und Dahl
reckte ein wenig seine Arme.
„Aber wo denken Sie hin, Verehrtester! Hier,
dieser Spazierstock hat einen Bleiknopf, das ist alles,
aber auch nur Gewohnheit. Hamburg bei Nacht
ist viel sicherer als Abrahams Schoß."
Er lachte leise vor sich hin und strich über die
Brusttasche.
Frank war natürlich davon überzeugt, daß da
ein sehr solider Browning steckte, aber er sagte nichts
und folgte feinem Begleiter in die Nacht hinaus.
Eine schöne Spätsommernacht, die das elektrische
Bogenlicht taghell überstrahlte. Das wurde indessen
bald anders, denn sie überschritten den weiten Platz
und tauchten in eine Seitenstraße, die bedeutend
dunkler dalag und fast in die Erde hineinzukriechen
schien.
„Partie des Niederhafens," erläuterte Dahl.
„Am Eingang ist sie noch unanständig solid, weiter
herunter — na ja, Sie werden schon sehen. Hier
ist der ,Krumme Stiefeln Wollen wir mal ein-
treten?"
„Penne?"
„Behüte, sagen Sie das nicht laut! Hierher
kommt alles. Der solide Handwerker fitzt neben
dem kleinen Spitzbuben. Natürlich kennt keiner den
anderen. Dies Lokal wollte ich Ihnen nur zeigen,
weil man da einen Rotspon für 'ne Mark und Zi-
garren zu fünf Pfennig bekommt — beides tadellos.
Sie verstehen mich doch?"
„Aha — in Hamburg!"
„Natürlich, nur in Hamburg. Der Wirt hat seine
Verbindungen und ist ein Schlauberger. Bitte,
fallen Sie nicht!"
Über eine glitschige Treppe ging es unter die
Erde und hinein in ein Lokal, das bis zum
hintersten Winkel von Menschen angefüllt war.
Diese Leute, Männer und Frauen, saßen so dicht
um die langen Holztische, daß die beiden Männer
sich nur mühsam dazwischendrängen konnten, und
es herrschte ein unbeschreiblicher Lärm, der scheinbar
jeden Augenblick in wüsten Streit auszuarten drohte.
Wenn man aber genauer hinhorchte, löste sich das
ganze mit Rauch geschwängerte Chaos in eine sehr
derbe, aber ziemlich harmlose Unterhaltung auf, die
nichts mit dem gedämpften Flüstern gemein hat,
das den eigentlichen Verbrecherkeller kennzeichnet.
Es war alles in allem zwar kein angenehmer
Aufenthalt, aber Frank amüsierte sich doch und achtete
wenig auf seinen Gefährten, der sehr wortkarg ge-
worden war, und, den Kopf in beide Fäuste stem-
mend, fein Glas anstarrte.
Nach einer Weile fragte Dahl halblaut: „Wollen
wir aufbrechen?"
„Meinetwegen; ich ersticke hier fast."
„Dann vorwärts. Sehen Sie sich, bitte, nicht um."
Auf der Straße, die jetzt stiller war, ging der
Kommissar eine Weile stumm an der Seite des
Anwalts, und fein Benehmen gegen vorhin war
fo seltsam, daß Frank aufmerksam wurde.

—.... i V35vuch fül-Mle -
„Warum sollte ich mich nicht umsehen, Herr
Kommissar?" fragte er.
Jener blieb stehen und lauschte. „Pst! Ich glaube,
man folgt uns!"
Sie horchten. Aber es blieb alles still.
Dahl ging langsam weiter. „Es war doch eine
Täuschung; der Kerl hat mich nicht erkannt. — Ei,
ei, was mag dahinterstecken?"
„Wohinter?"
„Nun, Ihnen kann ich es schon sagen. Also
dieser ,Krumme Stiefel' ist tatsächlich ein harmloses
Lokal, rind ich wollte es Ihnen nur zeigen als
Gegensatz zu den folgenden. Daß bisweilen kleine
Spitzbuben dort verkehren, habe ich schon erwähnt,
aber ein großer Fang ist da noch niemals gemacht
worden. Und nun treffe ich den Schloffer-Hein
mitten in der Gesellschaft."
„Was ist denn das für 'n Knabe?"
„Einer unserer gefährlichsten Schränker, der aber
noch nicht rot gefärbt hat. Ja so, Sie sind zwar
Jurist, indessen — ich meine also einen Einbrecher,
der noch kein Menschenleben auf dem Gewissen
hat. Das letztere ist vielleicht Zufall, vielleicht auch
Charakteranlage; manche schlagen zu, wenn sie er-
tappt werden, manche reißen aus. Dieser hat kürz-
lich fünf Jahre Zuchthaus abgefesfen und noch nichts
Neues auf dem Kerbholz; er kann sich also überall
zeigen, ohne belästigt zu werden, und heute saß
der Bursche im ,Krummen Stiefel'."
„In unserer Nähe, Herr Dahl?"
„Er hätte uns auf die Hacken treten können.
Es stand nämlich hinten im Schatten der Wand
ein leeres Faß, was Ihnen wohl entgangen ist,
aber unsereins muß feine Augen überall haben,
und solche Winkelgelegenheiten sind ganz besonders
begehrt für vertrauliche Unterhaltungen. Also da
faß der Schlosser-Hein, oder Heinz Krüger, wie er
richtig heißt, mit noch einem anderen, den ich aber
nicht kenne, und die beiden hatten es höllisch eifrig
miteinander. Ich merkte gleich, daß da was aus-
baldowert werden sollte, und drehte den Brüdern
meinen breiten Rücken zu, aber die Ohren habe ich
offen gehalten trotz dem greulichen Spektakel im
Lokal."
„Um was handelte es sich denn?"
Der Beamte kratzte sich hinter den Ohren. „Wenn
ich das ganz genau wüßte, dann wäre die Sache
sehr einfach; aber die Kerle haben natürlich ihr Ge-
heimnis nicht laut hinausgebrüllt. Das erste Wort,
das ich verstand, war ,Harvestehude', und das ist
schon allemal sehr verdächtig, denn da wohnen die
reichen Leute, bei denen sich ein Einbruch allenfalls
lohnt. Dann sagte der andere etwas von ,fpät auf-
bleiben', und zuletzt war noch von dem ,Vorgarten'
die Rede, aber da stimmten die Gäste gerade ein
Lied an, und bei dem Gegröhl hätte auch ein Maul-
wurf das Lauschen aufgegeben."
„Zu wenig," sagte der Rechtsanwalt. „Darauf
läßt sich keine Anklage bauen."
„Nein, es wäre auch eine große Dummheit
gewesen, die beiden festzunehmen. Da hätten Sie
das Geschrei hören sollen über verfolgte Unschuld
und wie die Redensarten alle heißen! Wenn wir
überhaupt einen Verbrecher fassen wollen, so muß er
auf frischer Tat ertappt werden, denn vorbereitende
Handlungen gelten bei den Herren Juristen nicht
als strafbar, und bloße Worte sind wie der Wind,
der über die Dächer geht. Ich hätte nur gerne
das betreffende Haus ein bißchen genauer heraus-
bekommen, denn Harvestehude ist groß, und wir
können doch nicht jede Villa bewachen lassen. Nun
weiß ich nur, daß nächstens etwas passiert."
„Vielleicht schon diese Nacht, Herr Kommissar?"
„Nein, das geht gegen die Gebräuche der Zunft.
Zwischen Abrede und Ausführung liegt immer
ein gewisser Zeitraum. Es könnte doch jemand ge-
lauscht haben und die Spur aufnehmen. Überdies
ist diese Helle und stille Nacht nicht recht für Ein-
brüche geeignet, dazu nimmt man am liebsten Dunkel-
heit mit Stürm und Regen. Wenn es Ihnen also paßt,
Herr Doktor, dann wollen wir die Sache vorläufig
schwimmen lassen, und hier gleich links in die
.Fliegenklappe' hinuntersteigen. Es ist noch ein
bißchen früh, aber wir werden doch schon allerhand
beisammen finden "
Während der nächsten paar Stunden sah Frank
tatsächlich allerhand beisammen, was ihm bisher
noch nicht vorgekommen war. Er wurde durch
Schnapskeller geführt, in denen der Schimmel an
den nackten Mauerwänden glänzte und die Löcher
des Lehmbodens mit trübem Grundwafser angefüllt
waren; er kam in Tanzlokale, wo das Verbrechen
mit dem Laster die schamlosesten Orgien feierte,
und er saß Schulter au Schulter mit Männern zu-
sammen, die den größten Teil ihres Lebens nn Zucht-
Hans verlebt hatten nnd für ein Glas Grog noch die
Hälfte hinzulogen. Das alles hätte in Begleitung
des erfahrenen Kriminalbeamten sehr interessant

- 3
und lehrreich sein können, aber Dahl war offenbar
nicht bei der Sache, er wurde immer einsilbiger
und sah jeden Augenblick auf feine silberne Dienst-
uhr.
Und als sie nun in St. Pauli angekommen waren,
wo das Leben noch mit Musik und Tamtam durch-
einander schwirrte, winkte er plötzlich ein Auto heran.
„Es hilft nichts," sagte er zu seinem Begleiter, „ich
muß auf die Zentralwache. Dort laufen alle Fäden
zusammen, und ich kann mich auch mit Harveste-
hude in Verbindung setzen. Die Geschichte von vorhin
will mir doch nicht aus dem Kopf, der Schloffer-
Hein ist ein gar zu gefährliches Subjekt."
Groote schloß sich natürlich an. Er war nun
einmal für diese Nacht der Schatten des Kommissars,
und wie das in unserem nervösen Zeitalter zu gehen
pflegt: die Unruhe dieses abgebrühten Polizei-
beamten hatte ihn angesteckt, es war ihm, als ob
irgend etwas bevorstehe.
Das Auto brachte sie schnell an ihr Ziel, und sie
betraten den großen hellbeleuchteten Raum, dessen
Wände mit Telephonapparaten bedeckt waren, die
nach sämtlichen Polizeirevieren der gewaltigen
Stadt hinausführten.
Es ging übrigens ziemlich friedlich her. Einige
der diensttuenden Beamten hatten sich's auf den
Lederpritschen bequem gemacht, andere saßen bei
einem Skat beisammen; hier und dort wurde auch
an den großen Pulten ein Rapport geschrieben,
aber die Apparate schwiegen. Es hatte den An-
schein, als ob ganz Hamburg den Atem anhielte.
Dahl wendete sich an den Polizeileutnant, der
gemütlich seine Zigarre rauchte, stellte Groote mit
einigen erläuternden Worten vor und trat dann
mit dem Beamten beiseite, um halblaut feine Mel-
dring zu erstatten.
Der schon etwas behäbige Leutnant zuckte die
Achseln und knipste die Asche von feiner Zigarre.
„Also der Schloffer-Hein ist wieder in der Luft?
Na ja, seine Zeit ist wohl um. Viel machen läßt sich
da natürlich vorderhand nicht, aber wir können
ja ein übriges tun und das Revier anrufen. He,
Möller II!"
Der betreffende Konstabler trat vor und stellte
sich stramm.
„Gehen Sie mal an Apparat Nummer 13
und —"
„Läutet soeben," meldete eine andere Stimme.
Da kam plötzlich Leben in die Bude. Die Nächst-
fitzenden hatten schon etwas von der Unterhaltung
gehört, und als nun der schrille Ton durch den
Raum surrte, sprang alles auf. Eine Meldung an die
Zentrale bedeutete immer etwas, und der dicke
Polizeileutnant lief hastig an das Telephon. Dann
ging das Gespräch los, während zwanzig Ohren
zugleich lauschten.
„Hier Zentrale. Wer dort?"
„Revier Harvestehude."
„Meldung?"
„Mord in der Villa Janson."
Es wurde noch stiller in dem großen Raum als
zuvor, und an der Stelle, wo Frank und Dahl
nebeneinander standen, fiel ein Stock polternd auf
die Erde.
Der Polizeileutnant aber ruckte plötzlich zu-
sammen, und feine Stimme wurde scharf und hell.
„Tatbestand?"
„Hausherr anscheinend von außen durch das
Fenster erschossen. Zeit etwa Mitternacht. Täter bis
jetzt unbekannt. Arzt benachrichtigt. Wachen aus-
gestellt. Bitten um Kommission."
Kurz und knapp kam jedes der Worte im Tele-
grammstil aus der Öffnung hervor; es war deutlich
bis in den letzten Winkel zu vernehmen.
Der Polizeileutnant sprach ebenso kurz in das
Rohr: „Kommission wird eintreffen. Schluß."
Dann hängte er den Hörer an den Haken und drehte
sich um. „Kriminalkommissar Dahl!"
„Hier, Herr Leutnant!"
„Sie fahren sofort mit dem Auto an den Tatort.
Ich bedaure, Herr Doktor —"
Groote hatte feinen Stock wieder aufgehoben
und trat vor. „Ich habe den Ermordeten gekannt,
Herr Leutnant; ich war bis vor wenigen Tagen
mit ihm zusammen im Bad Skagen."
„So — hm. Dann können Sie vielleicht nütz-
lich sein. Wollen Sie den Herrn Kommissar be-
gleiten?"
„Danke."
Der plötzlich umgewandelte Beamte hob etwas
die Stimme: „Polizeibefehl: Die Mordkommission
ist sofort zu benachrichtigen, der Tatbestand an
sämtliche Reviere telephonisch mitzuteilen. Zusatz:
Als verdächtig gilt der kürzlich entlassene Zucht-
haussträfling Heinz Krüger, genannt der Schloffer-
Hein. Er ist im Betretungsfall festzunehmen."
Da war das Wort gefallen und es ging hinaus
iu alle Winde. —
 
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