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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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liest 1 -- --
ist, dann macht sich dach mich ein rein menschliches
Interesse geltend."
Er trat auf den Zehen in das Nebengemach und
betrachtete einige Sekunden die düster beleuchtete
Gruppe. Sie hatten den Verwundeten entkleidet
und in sein Bett gebracht; der alte Diener saß am
Kopfende und legte Kompressen auf, der junge
Arzt kontrollierte den Puls mit der Uhr in der Hand.
Als er den Rechtsanwalt erblickte, erhob er sich
und stellte sich vor: „Doktor Gerber!"
„Rechtsanwalt Doktor Groote aus Berlin."
„Sie kennen den Unglücklichen?"
„Eine oberflächliche Badebekanntschaft, weiter
nichts. Wird er davonkommen?"
„Vielleicht. Das Herz ist unverletzt, die Lunge
scheint nur angestreift, das Geschoß sitzt in: Rücken.
Im besten Falle müssen wir uns allerdings auf eine
langwierige Kur gefaßt machen."
„Er ist bewußtlos?"
„Vollkommen. Von einer Vernehmung kann
für die nächste Zeit keine Rede fein."
„Er ist Junggeselle, soviel ich weiß?"
„Ja. Aber fein Tod würde einen Verlust für
die Wissenschaft bedeuten. Doktor Janson war seit
einigen Jahren Spezialist auf dem Gebiete der Gift-
forschung. Die Praxis hatte er ganz aufgegeben."
„Und mitten in feinen Arbeiten traf ihn die
Kugel!"
Der Arzt nickte. „Heimtückisch, wie der Gegen-
stand seines Forschens. Ob es wirklich auf einen
Raub abgesehen war?"
Groote zuckte die Schultern. Der andere machte
es ebenso. Und sie sahen sich an wie zwei Auguren.
Dann gaben sie sich mit einer stummen Verbeugung
die Hand.
Draußen aber, über der großen Stadt, erschien
nun wirklich der Morgen. Hamburg wachte all-
mählich aus, man vernahm in der Ferne das Rollen
der Lastwagen, und von der Alster stieg eine Nebel-
wolke auf.
Vor dem Gartentor der Villa stand ein unifor-
mierter Polizeibeamter, der einen ruppig aus-
sehendeu Schäferhund an der Leine hielt.
„Hat der da was herausgekriegt?" fragte Groote.
„Nein, mein Herr. Es ist unser bester, aber die
Weiber haben den ganzen Rasen zertrampelt. Die
Weiber find immer das schlimmste in unserem Be-
ruf. Da kommt auch die beste Hundenase nicht
gegen an. Aber auf dem Schlosser-Hein bleibt es
doch hängen, und in diesem Augenblick ist die ganze
Hamburger Polizei ihm auf den Fersen."
„Ich möchte ihn wohl verteidigen," murmelte
Groote und lüftete seinen Hut.
(Fortsetzung folgt.»

öeim klang der Laute.
Kietze Vie erste Kunstbeiivge.)
^sichtlich, wenn im Mondenschein
Die Granatenblüten zittern,
Stillgeliebte, denk' ich dein;
Wie von tobenden Gewittern
Wird durchwühlt das Herze mein.
Nächtlich, wenn im Mondenschein
Meiner Laute Saiten klingen.
Werden meine Lippen rein,
Und ein Lied aus zarten Schwingen
Schwebt zu dir, o Mädchen fein.
Nächtlich, wenn im Mondenschein
Du auf den Balkon wirst treten,
Werd' ich vor dem Hause sein,
Klingend, singend zu dir beten:
Schenk mir, Lieb, dein Händchen fein!"
So schwärmt Josö Perez, der schmuckste Zuckerbäcker in
Valencia, seine drei Freundinnen an. Joss ist ein ge-
wandter Lautenspieler, ein dichterisches Talent, das sich
seine Liedchen selbst erfindet, aber auch ein Schwerenöter.
Er hat wie alle künstlerischen Naturen ein weites Herz, in
dem für jedes der drei Mädchen, die in einer Mußestunde
seinem Spiel und Gesang lauschen, Platz ist. Es bereitet
ihm, wie es unsere anmutige Kunstbeilage andeutet, ein
prickelndes Vergnügen, feine hübschen Zuhörerinnen
im Zweifel zu lassen, an wen sein werbendes Lied ge-
richtet ist Denn er selbst weiß noch nicht, wie er sich
entscheiden soll. Vielleicht verrät ihm ein Aufleuchten
der Augen die, die ihn am innigsten liebt, und dann
geht er wirklich in der Dunkelheit vor ihr Haus, um
ihr eine Serenada zu bringen undZwim Klang der Laute
ernstlich zu ihr hinauszusingen: „Schenk mir, Lieb, dein
Händchen fein!"
DepkaloanendeLgmaLktinwien(Hemai8).
(Ziehe das 8ild auf Zeite 4 und 5.)
allen katholischen Ländern gibt es entweder in Ver
bindung mit einer Kirche oder als selbständigen Wall
fahrtsort Kreuzwege mit den 14 Leidensstationen oder,
wie sie auch genannt werden, Kalvarienberge, die nn
kleinen eine Nachbildung des Leidensganges Jesu Christ:
zur Hinrichtungsstätte darstellen. In der Wiener Nor
stabt Hernals ist ein solcher Kreuzweg in eine Kirche emge
baut. Es ist die Kalvarienbergkirche, die im Hintergründe
l. 1914.

Vas Luch füi- MIe

7

unscrcs nach dcm Loben gezeichneten Bildes sichtbar
werd. Zuweilen werden die Kreuzwege von den Glüu
lugen lnieend znrückgelegt. Während der Fastenzeit bis
nach ^Ostern vergeht fast kein Tag, ohne daß
Andächtige in Scharen zur Wiener Kalvarienbergkirche
pügern. Es hat sich daher in dieser Zeit seit alters her
ans dem Platz bei der Kirche ein Markt mit zahlreichen
Hilden und Prrkaussständen aufgetan, in denen die be
kannten, auf allen Messen und Jahrmärkten zu findenden
Waren und Kinderspielsachen seilgebolen sowie die nötigen
Stärkungen des LeibeS verkauft werden. Wird der Markt
meist auch nur von Landleuten und Angehörigen der
unteren Stände besucht, so kommt doch auch eine Anzahl
Dcnnen der oberen Stände hin, um ihren Kindern irgend
ein Spielzeug, etwa einen der beliebten Baumkraxler,
oder süßes Backwerk zu kaufen. Jedes den Markt be-
suchende Kind muß durchaus einen Baumkraxler haben,
einen Stab, der mit Bändern umwunden und oben mit
einem Buschen bunter Bänder verziert ist.
Vie vodenfee —loggendurg-vahn.
Cietze vss NUd auf 5e!te L.)
bmen Teil des schweizerischen Kantons St. Gallen
bildet das Toggenburg, das mit hohen landschaftlichen
Reizen ausgestattete, mit einen: gesunden Klima beglückte
und von einer liebenswürdigen, aufgeweckten und betrieb-
samen Bevölkerung bewohnte Voralpenland an der oberen
Thurund ihrem Nebenflüsse Necker im Gebiete des trutzigen
Säntis und der zackigen Churfirsten. Bis vor wenigen
Jahren noch war dieses herrliche Ländchen durch Eisen-
bahnen noch wenig erschlossen und besonders von der
Bodenseegegend und ihrem süddeutschen Hinterlande aus
nur auf zeitraubenden Umwegen zu erreichen. Diesem Übel-
stande ist durch die im Jahre 1910 eröffnete Bodensee-
Toggenburg-Bahn abgeholfen. Sie führt von Romanshorn
über St. Gallen nach Lichtensteig, dem reizend an der
Thur gelegenen Hauptort des Toggenburg, und weiter
nach Wattwil. Dort stößt sie auf die von Wil nach Ebnat-
Kappel führende alte Toggenburgbahn und findet in
der ebenfalls 1910 eröffneten sogenannten Rickenbahn
eine Fortsetzung nach dem Glarner Land und dem Züricher
See. Das Ober-Toggenburg aber, das für Kurzwecko ganz
besonders in Betracht kommt und auch als prächtiges
Wintersportgelände neuerdings sehr viel aufgesucht wird,
ist seit Ende vorigen Jahres durch die Eröffnung der als An-
hängsel der Bodensee—Toggenburg-Bahn erbauten Strecke
Ebnat—Neßlau zu jeder Zeit leicht und bequem erreichbar.
Nicht nur die Fülle reizender, abwechslungsreicher Land-
schaftsbilderist es, die eine Fahrt auf der Bodensee—Toggen-
burg-Bahn so interessant nnd genußreich gestaltet, sondern
auch die hervorragende technische Leistung, die man an ihr
bewundern muß. Auf der nur SS Kilometer langen Strecke
gibt es nicht weniger als 9 große, durch das harte Nagel-
fluhgestein hindurchgetriebene Tunnel und 17 imposante
Viadukte, deren gewaltigster der auf unserem interessanten
Bilde auf Seite 8 dargestellte Sitterviadukt ist, ein Bau-
werk von 98 Meter Höhe und 379 Meter Länge. Er über-
setzt unweit dem Dorfe Brüggen zwischen St. Gallen und
Herisau den über 100 Meter tiefen, romantischen Sitter-
tobel, nach allen Seiten die wundervollste Aussicht bietend.
gefangen.
triebe Vas MIV auf5Äte Y.)
"^*Hie erhabene Schönheit des Kaukasusgebirges mitsamt
I-/ seiner buntscheckigen, vielgestaltigen Bevölkerung, die
dort an der Grenze zweier Erdteile einst vor mächtigen
Bedrängern Zuflucht gefunden und durch die Jahrhun-
derte hindurch ihre Eigenart bewahrt hat, persönlich zu
schauen und kennen zu lernen und das Geschaute auf
die Leinwand zu zaubern, war er ausgezogen. Keine
Besorgnis, daß ihm dort von feiten der Menschen etwas
Schlimmes zustoßen könnte, beschwerte des Künstlers
Herz. War es ihm doch wohlbekannt, daß die Kaukasus-
bewohner, welchem Stamme sie auch angehören mögen,
zwar Menschen von rauhen Sitten und geringer Kultur-
höhe, doch in ihrer überwiegenden Mehrzahl ehrenhafte
und biedere, dazu auch gastfreundliche Leute sind.
Es ist ihm bisher auch alles nach Wunsch gegangen. In
den entlegensten Tälern und schwer erreichbaren Höhen
hat er monatelang geweilt, überall bei den Eingeborenen
freundliche Aufnahme gefunden und sein Skizzenbuch mit
den prächtigsten Motiven angefüllt. Nur die wilde Felsen-
landschaft Daghestan, den öden, nnfruchtbaren Nordostteil
des Kaukasus, hat er bisher gemieden. Nicht ohne Grund;
sind cs doch gerade die dort hausenden Lesghier, die den
guten Ruf der Kaukasusbswohner einigermaßen beein-
trächtigen. Denn ist ihnen auch die Gastfreundschaft un-
bedingt heilig, so tragen sie doch gelegentlich kein Bedenken,
Fremde, die ihr Gebiet durchziehen, gründlich auszurauben.
In des unternehmungslustigen und mutigen Künstlers
Brust aber ist jetzt das Verlangen erwacht, auch das
Daghestan und seine rauhen Bewohner kennen zu lernen.
Es wird ja nicht gleich so gefährlich werden, und seit
langem hat man nichts von lesghischen Räubereien ge-
hört. Im übrigen kann er sich ja in die Obhut eines
der dortigen Großen begeben, der ihn schon vor seinen
Stammesgeno.ssen schützen wird. Gedacht, getan. Keck
zieht er los im Vertrauen auf sein gutes Glück. Doch
zu seinem Schaden wird er gar bald gewahr, daß es
ihn verlassen hat. Er ist noch gar nicht weit gekommen,
da wird er plötzlich von einer Schar berittener, bis an
die Zähne bewaffneter Lesghier überfallen. Ehe er es
sich versieht, ist er gefesselt, wird auf einen Gaul ge-
hoben und im Triumphe fortgeführt. Wohl hat er nur
wenig bei sich, was der Räuber Verlangen reizen könnte,
aber'sie hoffen, für den gut gekleideten Fremden em
hübsches Lösegeld herauspresscn zu können. Im übrigen
werden sie ihm nichts zuleide tun, denn an seinem
Blute ist ihnen nicht gelegen.

Vie im Schatten leben.
vornan von Lp. Lehne.
^khe5 lLnpitel. —. (Nachdruck verboten.)
einem leisen Seufzer, den sie nach
I /I /I einem schnellen, verstohlenen Blick aus
I! 8 / I Töchter noch rechtzeitig unter-
I MI D drückte, klappte die Gräfin Bernhausen
ihr Haushaltungsbuch zu.
Ein Lächeln um die Lippen zwingend, das aber
seltsam müde und gequält wirkte, sagte sie mit ge-
machter Fröhlichkeit: „So, Kinder! Ich denke, jetzt
hört ihr auf mit der Näherei. Papa muß bald nach
Hause kommen, und ihr wißt, daß er es nicht gern
hat, euch so beschäftigt zu sehen. Nähmaschinen-
geräusch ist ihm äußerst unsympathisch. Die Gas-
flammen im Eßzimmer können nun auch angezündet
werden, denn er liebt es, wenn sein Haus ihn von
weitem grüßt. Ich werde inzwischen selbst das
Abendessen für ihn richten. Die Filets hat der
Fleischer gar nicht besonders geliefert, und auf die
Köchin ist sowieso kein Verlaß."
Die überschlanke, grauhaarige Frau mit der etwas
vornübergeneigten Haltung stand auf, legte das
Haushaltungsbuch in ein Schubfach des altmodischen
Schreibtisches, nickte den Töchtern freundlich zu
und verließ das Zimmer, das in der Tat einem
Schneideratelier glich. Eine Nähmaschine stand
neben einem Tisch, dessen Platten ausgezogen und
mit allerlei Stoffen bedeckt waren.
Annelies warf jetzt die Schere und das Meter-
maß darauf und rief erregt: „Natürlich! Filets für
Papa! Der Mama wären sie nötiger! Jst's euch
nicht aufgefallen, wie blaß und versorgt sie ausfieht?"
„Nicht so laut, Annelies! Als ob du erst nötig
hättest, nns auf Mamas Aussehen aufmerksam zu
machen!" sagte Gisela, die vor der Nähmaschine
saß. „Sie tut mir so leid, aber —"
„Mama ist selbst schuld!" warf Thora, die zweite
der drei Schwestern, ein. „Sie ist wirklich selbst
schuld! Warum verwöhnt sie Papa so? Sie handelt
ganz falsch. Sie ist — feige!"
Gisela, die Älteste, errötete vor Unwillen. „Ur-
teile nicht so lieblos, Thora! Mama ist eine Heldin
— freilich eine von den stillen Heldinnen, deren
Heldentum nicht bekannt wird, weil sie es täglich,
stündlich nur in ihren vier Wänden ausüben."
Sie beobachtete, während sie sprach, die jüngste
Schwester, die sich jetzt am Schreibtisch zu schaffen
machte. „Was tust du denn da, Annelies?"
Annelies brachte das Haushaltungsbuch der
Mutter. „Es hat nämlich wieder nicht gestimmt
— oder vielmehr: Mama ist bereits am Ende, und
heute haben wir erst den Einundzwanzigsten! Warum
sollen wir uns nicht darüber orientieren? Hier,
Große, schau —"
Gisela und Annelies neigten ihre Köpfe über
das Buch und gingen die einzelnen Posten sowie
die dabeiliegenden Rechnungen durch.
„Fleisch, Milch, Butter — es ist nur das Nötigste
gekauft worden," sagte Gisela. „Und doch ein
Manko! Papa gibt Mama eben viel zu wenig und
stellt dabei zu große Anforderungen. Und sie sorgt
und grämt sich: wo hernehmen! Wir drei Mädel,
die Köchin, das Hausmädchen, der Diener — sie
kann ja unmöglich mit den paar Mark zurecht-
kommen bei den Extrawünschen des Vaters! Darum
auch verwehrt sie mir so ängstlich einen Einblick,
obwohl ich die Älteste bin und sie so oft gebeten habe,
sich mir anzuvertrauen — arme Mama!"
Thora hob die Schultern und lächelte bitter.
„Das eben nenne ich Feigheit, wenn sie nicht den
Mut hat, Papa kurz und entschlossen zu erklären:
Gib mir mehr, und schränke du dafür deine unnützen
Ausgaben ein! Ich an ihrer Stelle würde ihm kurz
entschlossen den Bettel vor die Füße werfen, wenn er
kein Einsehen hätte! — Ich bin nicht lieblos, Große,
wie du mir vorgeworfen hast, mir tut die Mama
genau so leid wie euch! Aber alles in mir empört
sich, wenn ich unser Leben sehe! Was braucht
Papa so teure Importen zu rauchen, so schwere
Rotweine zu trinken ß Vor einigen Tagen erst ist
wieder eine Kiste gekommen, die noch unausgepackt
im Keller steht! Und für Mama find nicht einmal
ein paar Mark übrig, damit sie eine Badekur macht!
Sie ist eben zu bescheiden und läßt sich zu sehr unter-
drücken. Sie trinkt dünnen Kaffee — wir gefunden
Mädel daaegen bekommen den besten Kakao! Und
für Papa nur das Leckerste! Wir fitzen hier, arbeiten
uns unsere Kleider selbst, um die Schneiderrech-
nungen zu sparen — aber beileibe darf er das nicht
wissen, wenigstens nicht offiziell! Für ihn wird
festlich beleuchtet — fünf Flammen im Eßzimmer:
er muß ja denken, daß alles wunderschön und gut
und sorgenlos geht!"
Obwohl Thora in steigender Erregung sprach,
 
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