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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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2M- ... -
OesLiede ewig wechselnd Lied.
Roman von en'ch kbenstoin.
(roUseüung.) -. — iNgchdruck verholen.)
vreirehntes Kapitel.
lse v. Römer war wirklich nicht nur eine ent-
zückende Wirtin in ihrer frischen Natürlich-
keit, sondern ein ganz prächtiger Mensch
überhaupt.
Es war etwas kraftvoll Unbekümmertes und
Sicheres in ihrem Wesen, das auf Sibylle immer
belebend wirkte. Vieles an ihr erinnerte sie an ihre
Mutter. Die hatte auch nach keines Menschen Mei-
nung gefragt und mit sicherer Hand ihr Schiff durchs
Leben gesteuert. Der war Arbeiten und Regieren
auch eine Lust gewesen. Kein Fünkchen Kraft in
ihrem Wesen verkam ungenützt, alles wurde in
Energie umgewandelt.
Aber sie war kalt und hart dabei, das Herz spielte,
wie sie selbst oft gesagt hatte, keine Rolle in ihrem
Leben. Und was immer sie tat, sie nannte und emp-
fand es als ihre — Pflicht.
Ilse aber war warm und weich, wie nur je ein
echtes Weib gewesen war. Dabei so hilfsbereit und
gutmütig! Sibylle kam in allen Nöten zu ihr. Ob
es nun sie selbst war, die in ihrer Wirtschaft Rat
brauchte, oder ob sie für Leo, der sich immer mit
tausend Fragen an sie wandte, einen benötigte —
Ilse war immer bereit dazu.
Als Sibylle heute mit dem Kleinen gekommen
war, fand sie Ilse in der Milchkammer vor der
großen Zentrifugenmaschine mit Buttern beschäftigt.
Sie trug ein bequemes Kleid aus Rohleinen, mit
bosnischer Handstickerei verziert, dessen Ärmel bis
über den Ellbogen aufgekrempelt waren, und dessen
Rocksaum gerade nur bis an die Knöchel reichte.
„Sehr salonmäßig sehe ich nicht aus!" rief sie
ihr entgegen. „Aber das verzeihen Sie Wohl?
Setzen Sie sich nur für einen Augenblick dort auf
die Bank, liebste Frau v. Degenwart, ich bin in
fünf Minuten fertig. Möchte die Butter nur noch
in die Kühlanlage bringen. Ich habe nämlich alle
meine Leute, Knechte und Mägde, hinaus auf die
große Teichwiese geschickt, wo wir vorgestern das
Grummet mähten. Das muß unbedingt noch heute
eingebracht werden, denn in der Nacht gibt's be-
stimmt Regen. Das kommt Ihnen Wohl komisch
vor — nicht wahr, daß ich so besorgt um das Heu
bin?"
„Gar nicht. Meine Mutter hielt es genau so
auf Neuthuren. Immer die Pflicht zuerst! Ich wollte
nur, sie hätte mich dabei mehr mit herangezoaen,
dann hätte ich jetzt nicht noch so schrecklich viel zu
lernen!"
„Sie packen es doch kräftig genug an auf Hagen-
bach! Als ich neulich drüben war, hatte ich meine
Helle Freude an dem frischen Zug, der in allem ist.
Die Leute haben ja unverschämt gestohlen und ge-
faulenzt! Ich habe es Herrn v. Degenwart oft ge-
sagt. Aber für derlei ist er viel zu sehr Kavalier.
Deshalb gehört ins Haus die Frau, die nach dem
Rechten sieht. Man glaubt gar nicht, was sonst oft
alles versäumt wird. Würde ich zum Beispiel heute
nicht selbst buttern, so könnten wir entweder das
Grummet nicht mehr trocken einbringen, oder ich
könnte morgen früh dem Butterhändler die Lieferzeit
nicht einhalten. Um solche Kleinigkeiten kümmert
sich ein Degenwart natürlich nicht!"
„Und seine erste Frau?"
„Die war eine schöne Puppe, die dreimal im
Tag Toilette machte und sich in die Wirtschafts-
räume überhaupt nie verirrte."
„Das war ihm recht?"
Ilse zuckte die Achseln. „Manchmal wohl nicht.
Zuwellen hat er sich recht unmutig zu Bernd ge-
äußert, besonders darüber, daß so gar keine rechte
Behaglichkeit im Hause herrschte. Immer fehlte
etwas oder war verlegt. Immer waren Gäste da,
immer wurden Feste arrangiert — oft mitten in der
Erntezeit, wo man die Leute anderweitig so nötig
gebraucht hätte. Aber sie verstand es doch immer,
ihm die Wolken von der Stirn zu scherzen durch ihr
verliebtes Getändel, und wenn sie dann so stolz
und wunderschön gekleidet im Salon erschien und
selbst ihre Freundin, die schöne Testen, überstrahlte,
dann war er immer wieder mächtig stolz auf sie."
Ilse lachte leise. „Ja, ja, mit der konnte sich nicht
leicht eine messen! In der Eleganz war sie ton-
angebend, wie es jetzt Meta Testen als ihre Erbin
ist. So —" sie wies auf ihr Kleid — „wäre die nie
vor jemand sichtbar geworden, und wenn sie zum
Beispiel wüßte, daß ich vorhin in diesem Aschen-
brödelgewand die Exzellenz Rohrbach mit ihrer
Enkelin kaltblütig gebeten habe, weiterzufahren und
mich lieber ein andermal zu besuchen — ich glaube,
die gute Ada drehte sich noch im Grabe um!"

... . - v38 Luch sül- M!e .-I
Sibylle blickte staunend in die lachenden dunkel-
blauen Augen, die unter der ährenblonden Flechten-
krone wie ein paar Kornblumen standen. „Dazu
hatten Sie wirklich den Mut, Ilse?"
„Warum denn nicht? Sic sind ja ein vernünftiges
Frauenzimmer, das ich ruhig zu mir in die Milch-
kammer bitten konnte, aber die Exzellenz Rohr-
bach —"
„Wird sie Ihnen nicht böse sein?"
„Mag sie. Ich hänge ja gottlob nicht von ihr ab!
Wer mich nimmt, wie ich bin, ist mit offenen Armen
willkommen. Die anderen mögen fortbleiben!"
Sie zog den Stöpsel aus der Maschine und ließ
die Buttermilch in einen Eimer ablaufen.
„Ich wollte, ich wäre so mutig und innerlich
frei wie Sie!" sagte Sibylle, einen Seufzer unter-
drückend.
„Das wird schon noch kommen. Sie sind ja auch
noch viel jünger als ich."
Ilse brachte das Buttergemengsel in eine Ent-
wässerungsvorrichtung.
„Wie steht es denn auf Neuthuren?" fragte sie
nebenher. „Hat Ihr Vetter mit der Wintersaat
bereits begonnen, wie ich Ihnen riet?"
„Ja. Aber er ist wieder in tausend anderen
Nöten. Frau Brinken ist erkrankt, und der Oberknecht
hat gekündigt. Nun soll Leo überall allein Rat
schaffen und versteht doch kaum etwas von den
Dingen! Dabei wachsen die Auslagen immer mehr.
Er schreibt, er werde nun doch wohl daran denken
müssen, einen Teil des Waldes schlagen zu lassen."
Ilse drehte sich erschrocken um und sagte heftig:
„Nur das nicht! Der Waldbestand muß erhalten
bleiben. Halten Sie ihn ja davon zurück! Die Wälder
find sein Hauptreichtum. Übrigens muß sich in
Ihrer Gegend doch mit der Viehzucht leicht arbeiten
lassen. Er soll gute Zuchttiere einstellen und sich
ganz auf die Aufzucht werfen. Aber," schloß sie
verlegen lächelnd, „es kommt Ihnen gewiß recht
sonderbar vor, daß ich mich um einer fremden
Wirtschaft willen so aufrege! Eigentlich geht's mich
ja gar nichts an!"
„Es ist im Gegenteil sehr lieb von Ihnen, Ilse!
Was fingen wir denn ohne Ihren Rat an? Ich
wüßte wirklich nicht, wie ich ohne Sie alle seine
vielen Anfragen beantworten sollte!"
„Aber Sie schreiben ihm doch hoffentlich nie,
daß die Ratschläge von mir stammen?" sagte Ilse
hastig und beschäftigte sich so eifrig mit ihrer Butter,
daß sie feuerrot dabei wurde. „Sie wissen — das
habe ich mir ausbedungen!"
„Ich halte mich genau an Ihr Gebot, liebe Ilse,
obwohl ich gar nicht einsehen kann, warum Sie es
durchaus so wollen."
„Es wäre Ihrem Vetter vielleicht peinlich,
wenn Fremde Einblick in seine wirtschaftlichen Nöte
hätten," murmelte Ilse. „Übrigens," fuhr sie dann
kopfschüttelnd fort, „warum bespricht er sich denn
nicht mit Ihrem Mann? Degenwart ist doch ein
tüchtiger Ökonom und würde ihm sicher helfen."
Sibylle blickte verlegen in ihren Schoß. „Ich
schlng es Leo schon einmal vor," sagte sie endlich,
„aber er mag weder nach Hagenbach kommen noch
meinen Mann brieflich belästigen."
„Aber er ist doch Ihr Vetter und somit nun auch
ein Verwandter Ihres Mannes!"
Sibylle schwieg. Es war ihr peinlich, einzu-
gestehen, daß Degenwart Leo mit keinem Wort auf-
gefordert hatte, sie in Hagenbach zu besuchen.
Warum er, der sonst so Liebenswürdige, es unter-
lassen und Leo überhaupt höchst kühl behandelt hatte,
glaubte sie längst erraten zu haben: er wollte mit
der Verwandtschaft feiner ungeliebten Frau eben
nichts zu tun haben!
Ilse schob die fertigen Butterballen in den Kühl-
kasten und streifte die Ärmel herab. „So, nun können
wir gemütlich im Garten unseren Kaffee trinken.
Vorbereitet habe ich schon alles und auch Obst ge-
pflückt für Roland. Bernd sitzt mit seiner Zeitung
als Wache neben dem gedeckten Tisch und paßt auf,
daß keine Fliegen in den Honig fallen."
Sibylle rief Roland, der vor der geöffneten Milch-
kammertür inzwischen mit zwei jungen Kätzchen ge-
spielt hatte, und dann ging man in den Garten, wo
die summende Kaffeemaschine bald einen ange-
nehmen Duft verbreitete.
Bernd empfahl sich bald nach dem Kaffee. Da
Degenwart nicht mitgekommen sei, meinte er, wolle
er nun noch ein wenig über die Felder gehen, nach
Rebhühnern zu suchen. In Wahrheit war er äußerst
schlechter Laune und gegen alle Welt verstimmt.
Gegen Sibylle, deren traurige Augen ihn stets
quälten, weil er durch wiederholte Parteinahme für
sie im Begriff stand, sich Degenwart zu entfremden.
Gegen Degenwart, weil dieser nicht gekommen war,
und gegen Ilse, weil sie die Generalin v. Rohrbach,
die offenbar Anschluß für ihre Enkelin fucyte, so
rücksichtslos behandelt hatte.

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Jawohl — gegen Ilse war er am stärksten ver-
stimmt! Es wäre so nett gewesen, wenn Rohrbachs
dageblieben wären und den Kaffee mit ihnen ge-
trunkenhätten! Sie waren noch fremd in der Gegend
und auf derartige Ungastlichkeit gewiß nicht gefaßt
gewesen. Ilse ging in ihrer rücksichtslosen Abwehr
gegen neue Bekanntschaften wirklich zu weit!
Ilse selbst hatte keine Ahnung von dieser Ver-
stimmung des Bruders. Sie merkte auch Sibylles
Zerstreutheit nicht, deren Gedanken in schmerzlicher
Eifersucht immer wieder um Reitzenstein kreisten,
wo zwei schillernde Nixenaugen heute ungehindert
ihre Macht entfalteten.
Unbefangen plauderte Ilse weiter von ihrer
Musterwirtschaft und war im Handumdrehen wieder
bei Neuthuren angelangt. „Wissen Sie, daß es
eigentlich ganz großartig ist von Ihrem Vetter, daß
er sich als ehemaliger Offizier nun doch in die ihm
bisher fernliegende Landwirtschaft einarbeiten will?"
sagte sie mit einem deutlichen Unterton von Be-
wunderung.
„Ja, er nimmt es sehr ernst mit seinen Pflichten,"
bestätigte Sibylle, „und dabei war gerade Leo früher
ein Mensch, der immer geringschätzig spottete, wenn
Mama von Pflichten sprach!"
Ilse lächelte leise vor sich hin. „Darin kann ich
ihm gar nicht so unrecht geben. Ich habe das Wort
auch nie ausstehen können. Es ist wie ein häßlicher
eiserner Panzer, den man um etwas Schönes,
Warmes, Lebendiges legt, bis es darunter erstickt."
Sibylle horchte auf. Diese Ansicht kam ihr, der
man von klein auf die Pflicht immer als Höchstes
im Leben gepriesen hatte, unfaßbar vor. „Aber die
Pflicht ist doch der feste Stab, an dem wir durchs
Leben wandern!" sagte sie fast heftig. „Wie sollten
wir denn ohne sie überhaupt bestehen können?"
Wieder lachte Ilse ihr frohmütiges Lachen. „Ach,
sehr leicht. Ich meine, wo Pflicht nur eben als
, Pflicht" getan wird, hat sie gar keinen Wert. Sie
bedeutet dann nur einen Zwang, der zu Unauf-
richtigkeit führt. Das Gute und Nützliche aber sollte
man ganz zwanglos von selber tun, so recht aus
innerstem Herzensdrang heraus. Dann bleibt man
im Einklang mit sich selbst."
„Aber Sie, die Sie so musterhaft und pünktlich
sind in allem —"
„Es war mir nie ein Zwang, sondern stets inneres
Bedürfnis. Jeder Handgriff, den ich mache, ist
mir lieb, jeder Schritt und jede Handlung scheinen
mir ganz selbstverständlich," sagte Ilse einfach.
„Und Leo —"
„Ich glaube, er denkt nicht einmal im Traum
daran, daß er ,Pflichten" erfüllt! Das Schicksal hat
ihn als Herrn nach Neuthuren gesetzt, und er paßt
sich einfach den selbstverständlichen Forderungen der
neuen Lage an. Das muß doch jeder vernünftige
Mensch einsehen? Großartig ist nur sein rasches An-
passen."
„Wenn das jeder könnte, wäre das Leben sehr
einfach," murmelte Sibylle, die in immer größere
Aufregung geriet.
„Es ist allerdings sehr einfach," meinte Ilse ge-
lassen. „Man braucht nur zu lieben, was man tun
muß — das ist das ganze Geheimnis!"
„Wenn aber die Verhältnisse — oder andere
Personen es uns unmöglich machen?"
„Wie könnte irgend etwas uns hindern an dem,
was wir selbst wollen? -Wenn ich den Samen in die
Erde streue, kann ich die Erde natürlich nicht zwingen,
ihn aufzunehmen, oder wenn ich freundlich bin mit
einem herzlosen, bösen Menschen, kann ich ihn nicht
hindern, dabei ungerührt zu bleiben. Trotzdem aber
werde ich beides tun, wenn meine Vernunft oder
mein Herz mich dazu treiben."
Ihre fröhlichen Augen waren sehr ernst geworden,
als sie nun auf der schwer atmenden jungen Frau
ruhten. Sie hatte plötzlich begriffen, daß Sibylles
Herz irgendwie mit ihrer Pflicht im Kampf lag.
Zugleich erinnerte sie sich an manche Andeutungen
ihres Bruders über Degenwarts Ehe, in der leider
vieles nicht stimme.
„Vielleicht erscheint Ihnen manches nur schwer,
solange Sie es als Pflicht empfinden, und würde
ganz leicht, wenn Sie es aus Ihrem Herzen heraus
täten," sagte sie vorsichtig mahnend.
Sibylles Blick begegnete tränenschwer dem ihren.
„Ich wollte, ich hätte Sie früher schon gekannt.
Ich wollte, Sie wären meine Mutter gewesen!"
murmelte die junge Frau halb erstickt.
Ilses kräftige Arme umschlangen plötzlich ihre
Schultern. „Und darf ich dann nicht wenigstens jetzt
Ihre Freundin sein, liebe Sibylle?"" sagte sie herz-
lich. „Wollen wir du sagen?"
„Ja — so gerne!"
Das in den wenigen Wochen ihrer Ehe blaß und
schmal gewordene Kindergesicht der jungen Frau
drückte sich hilflos an die kräftige Walkürengestalt
der neuen Freundin.
 
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