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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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Z46- ....
Sibylle ließ sich durch die unfreundlichen Worte
wirklich einschüchtern. Ganz blaß und erschrocken
hatte sie danach ausgesehen.
Leo war innerlich wütend. Am liebsten hätte
er Degenwart eine scharfe Zurechtweisung erteilt.
Aber das durfte er ja nicht wegen Sibylle! Sv
begnügte er sich, ihr nachher, während sie zu Tisch
gingen, rasch zuzuflüstern: „Sieh doch nicht drein
wie ein Schulkind, das Schelte bekommen hat,
Billa! Mußt du diesem Menschen denn zeigen,
wie dir ums Herz ist? Zeige ihm lieber, daß du dir
nichts aus ihm machst! Sei lustig und kümmere
dich gar nicht um ihn. So viel Stolz wirst du doch
noch aufbringen können in dir! Denk auch daran,
daß du heute nicht allein dastehst, sondern daß einer
neben dir steht, der jeden Augenblick bereit ist, dich
zu verteidigen!"
Diese Worte hatten Wunder gewirkt. Sibylle
war wie umgewandelt.
„Tapfere kleine Billa!" dachte der Rittmeister
gerührt, während er sie so unbefangen mit den
anderen plaudern und scherzen hörte. „Wie sie
sich auf einmal verstellen kann! Kein Mensch würde
zweifeln, daß sie eine ganz glückliche, zufriedene Frau
ist. Ach, könnte ich ihr doch helfen!"
Aber wie er auch sann, es wollte ihm kein passen-
der Weg einfallen, Sibylle aus der Hölle zu be-
freien, in der sie neben diesem gefühllosen Mann
lebte.
Auch die Gräfin Tessen war innerlich verblüfft
über die Wandlung, die sich nkit Sibylle heute
vollzogen zu haben schien. Natürlich geschah es
nur dem hübschen Vetter zuliebe, daß sie sich heute
so schön gemacht hatte, und dieser Umstand wog
in Meta den Arger auf, den sie darüber empfand,
diesmal von dieser unbedeutenden Frau in den
Schatten gestellt zu werden. Nun hieß es, die Dinge
klug benützen und das Feuer schüren, das in Degen-
warts Innerem schon verheerend brannte, wie sie
ja deutlich merkte.
Bisher war sie sehr vorsichtig gewesen darin,
vor Degenwart Mängel an Sibylle zu bespötteln.
Aber heute brauchte sie wirklich nichts, als die Tat-
sachen in die richtige Beleuchtung zu rücken. „Wissen
Sie nicht, woher Ihre Frau diese Toilette bezogen
hat?" fragte sie ihn leise. „Sie sieht entzückend
darin aus!"
Er zuckte die Achseln. „Ich kümmere mich nicht
um Toiletteangelegenheiten. Vermutlich doch wohl
von Ihrer Schneiderin? Sie gaben ihr ja doch
einmal deren Adresse, wenn ich nicht irre?"
„Ach nein! Ihre Frau lehnte damals meine
wohlgemeinten Ratschläge recht schroff ab. Wußten
Sie das nicht?"
„Nein."
„Jetzt sehe ich freilich ein," fuhr Meta fort,
„daß meine Einmischung in der Tat überflüssig
war. Ihre Frau brauchte die große Kunst der
Frau, sich schön zu machen, wirklich nicht mehr zu
lernen. Nur daß sie erst dann von ihr Gebrauch
macht, wenn — sie das geeignete Publikum dafür
hat."
Degenwart, der ihren Worten bisher nur zer-
streut gelauscht hatte, richtete sich plötzlich auf und
maß die Sprecherin mit demselben Blick voll drohen-
der Abwehr wie wenige Stunden zuvor im Walde,
als sie auf seinen Ärger über Thurens Erscheinen
angespielt hatte. „Wollen Sie sich nicht gütigst
näher darüber erklären, was Ihre Worte besagen
sollen, Gräfin?" fragte er.
Sie nahm gelassen eine Krachmandel und brach
sie auf. „Sollten Sie wirklich die Fähigkeit, das
zu erraten, ganz verloren haben, lieber Freund?
Damals in Reitzenstein gab es große Gesellschaft,
und Ihre Fran erschien in einem armseligen Kon-
firmandenkleidchen und tat den Mund kaum auf.
Vermutlich doch, weil es nur Ihre Kreise waren, mit
denen sie da zu tun hatte. Heute ist sie gekleidet
wie eine Prinzessin und strahlt vor Heiterkeit und
Geist. Nun — diesmal kamen eben andere Gäste.
Muß ich wirklich noch deutlicher werden?"
Degenwarts stolze Seele litt Höllenqualen. Er
hätte sich in ohnmächtiger Wut auf die schöne Frau,
deren rote Lippen mit höhnischem Lächeln seine
Schmach ausplauderten, stürzen und die Worte
darauf mit Gewalt ersticken mögen. Aber er be-
herrschte sich. Sein Gefühl sagte ihm, daß jedes
Zeichen von Erregung nur ein Zugeben ihres Ver
dachtes bedeuten würde. „Sie vergessen dabei
nur eines, liebe Gräfin," sagte er leichthin, „daß all
dies seine natürliche Erklärung in dem Umstand
findet, daß Sibylle damals ihr meist noch ganz
fremden Leuten gegenübertrat, was natürlich Be-
fangenheit erzeugt. Heute liegen die Dinge inso-
fern für sie anders, als sie nicht nur meine Wünsche
besser kennt, sondern auch, wie Sie ganz richtig
bemerkten, sich behaglicher fühlt unter guten Freun
den. Ilse Römer ist ihre beste Freundin und Leo

— _s? ...ü V38Such fürMle --
v. Thuren der Gespiele ihrer Kindheit. Übrigens
irren Sie, wenn Sie vermuten, daß er nicht auch
— mein Freund ist. Ich hosfe, Sie werden noch
Gelegenheit genug haben, sich davon zu über-
zeugen."
Er atmete tief auf. Es war ihm offenbar ge-
lungen, sie irre zu machen. Ihr betroffener unsicherer
Blick bewies es ihm.
Nur jetzt weiter auf dem einzigen Weg, der
ihm noch blieb, wollte er zum Schaden nicht auch
noch Spott und Mitleid haben.
Gleich nachdem Ilse die Tafel aufgehoben hatte
und man sich zu zwanglosem Geplauder in den
anstoßenden Salon begab, näherte er sich dem Ritt-
meister v. Thuren. Leo war nicht wenig erstaunt,
als Degenwart plötzlich sich ihm gegenüber als der
liebenswürdigste Gesellschafter entpuppte. Er gab
sich also gleichfalls Mühe, den Liebenswürdigen zu
spielen.
Degenwart erkundigte sich nach Neuthuren,
sprach dann von der heutigen Jagd und lenkte
geschickt auf die in Hagenbach nächstens stattfindenden
Jagden hin. Das Gespräch endete mit einer Ein-
ladung, die dankend angenommen wurde.
Degenwart trat zurück. Leos Blick suchte
Sibylle. Er wollte ihr die große Neuigkeit gleich
mitteilen. Gewiß war es auch für sie eine gute
Vorbedeutung, daß ihr Mann sich so freundlich zu
ihm stellte.
Aber Sibylle war ganz von Herrn v. Mander-
scheid und den jungen Millners in Beschlag ge-
nommen. Leo sah sich also nach Ilse um. Bei
Tisch hatten sie nur wenig miteinander gesprochen.
Jetzt fühlte er eine förmliche Sehnsucht, sie ein-
mal wenigstens fünf Minuten für sich zu haben.
Er wußte ja, es war zwecklose Torheit. Es hieß
nur, sich wieder einmal die Flügel gründlich ver-
brennen an dem Licht dieser klaren blauen Augen,
die ihm schon einmal so deutlich gesagt hatten:
Ich will nicht!
Aber jetzt wollte er ja auch nichts mehr von ihr,
als sich freuen an ihrer frischen, gesunden Schön-
heit. Konnte gar nichts mehr wollen, ein armer,
bis über die Ohren verschuldeter Landwirt, der
er war. Sie hätte ihn ja für einen Mitgiftjäger
halten müssen.
Immerhin — es war fo füß, ihr zuzuhören,
sich von ihr Ratschläge geben zu lassen, den Klang
ihrer Stimme in sich aufzunehmen und als Talisman
dann mitzunehmen in die graue Eintönigkeit seines
Neuthurener Lebens.
Sie stand am Klavier zwischen der Generalin
und der Gräfin Tessen, die sie um etwas zu bitten
schien. Eben wollte er unauffällig in ihre Nähe
kommen, als sich Lulu v. Rohrbach an ihn heran-
schlängelte und ihn in ein Gespräch verwickelte,
aus dem er sich beim besten Willen nicht losmachen
konnte. Der kleine Kobold war von einer so unwider-
stehlichen Liebenswürdigkeit, machte Augen wie
Feuerräder und kokettierte nach allen Regeln der
Kunst, so daß es Bernd, der sie nicht aus den Augen
gelassen hatte, ganz heiß wurde vor Eifersucht.
Was fiel ihr denn nur ein? Was ging sie dieser
Thuren an, den sie heute zum ersten Male im
Leben gesehen hatte?
Auch Ilse sah es. Und das Notenblatt, das
sie, eben in Händen hielt, zitterte. Wie aus weiter
Ferne nur hörte sie die Generalin neben sich sagen:
„Ach, ja, das Heideröschen, liebe Gräfin! Bitte,
singen Sie doch das!"
„Gerne," antwortete Meta, „nur muß mich
jemand begleiten." Sie winkte Sibylle zu sich, die
allein stand. „Sie spielen ja, Frau v. Degenwart,"
sagte sie kurz. „Die Generalin wünscht, daß ich
singe. Bitte, begleiten Sie mich."
Das klang weit eher wie ein Befehl denn wie
eine Bitte.
Sibylle sah sie groß an. Galt sie dieser Frau
denn so wenig mehr, daß sie es wagte, mit ihr zu
sprechen wie mit einer Untergebenen? Am liebsten
hätte sie ihr stnmm den Rücken gekehrt. Aber das
wollte sie Ilse nicht antun. Darum sagte sie ebenso
kurz: „Sie werden mich entschuldigen müssen,
Gräfin. Ich habe heute gar keine Lust, Klavier zu
spielen."
Die Gräfin wandte sich achselzuckend ab. „Sie
sehen, daß es unmöglich ist, liebe Generalin. Fräu
lein Ilse spielt nicht und die Herren, soviel ich weiß,
auch nicht — außer Degenwart." Sie blickte sich
suchend nach ihm nm. Aber er stand ganz entfernt
in einer Fensterecke und schien in Gedanken ver
tieft.
„Luln könnte Sie begleiten," sagte die Gene
ralin und wandte sich an Bernd. „Bitte, lieber
Herr v. Römer, holen Sie meine Enkelin."
Ilse atmete ans wie befreit. Nun mußte das
schamlose Kokettieren dort drüben doch ein Ende
nehmen!

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Bernd näherte sich den beiden und gab Lulu
einen Wink. Sie trat auch gleich zu ihm, aber nicht
ohne Leo noch mit süßem Lächeln vorher zuzu-
rufen: „Laufen Sie mir ja nicht inzwischen davon,
Herr Rittmeister! Ich habe noch so viele Fragen
an Sie." Als sie dann von Bernd erfuhr, um was
es sich handelte, fuhr sie ihn ganz ungnädig an:
„Was fällt dir ein, mich deshalb zu stören? Sage
der Gräfin, ich könne nicht vom Blatt spielen."
„Aber, Lulu, dann höre wenigstens auf —"
„Still!" zischelte sie ihm zu, während ein Lächeln
über ihr Gesicht huschte. „Du brauchst gar nicht
eifersüchtig zu sein! Ich weiß jetzt, wer es ist, und
habe meinen Schlachtplan danach entworfen. Störe
mich nur jetzt nicht!"
Damit ließ sie ihn stehen und kehrte zu Leo
zurück.
Bernd starrte ihr verblüfft nach. Dann ging
auch er zu den Damen zurück.
Man bat endlich Degenwart, die Gräfin zu be-
gleiten, und er erklärte sich bereit dazu. Meta
hatte eine sehr schöne, weiche Altstimme, die gut
geschult war. Sie wurde immer wieder gebeten,
noch ein Lied zu singen, und da sie dadurch Degen-
wart an ihrer Seite festhielt, tat sie es sehr gerne.
Inzwischen war es Leo doch gelungen, sich von
Lulu loszumachen, oder vielmehr Ilse hatte diese
zu sich gerufen, und nun konnte er endlich Sibylle
die Neuigkeit mitteilen. Sich mit ihr an das äußerste
Ende des Salons zurückziehend, teilte er ihr, während
die Gräfin ein neues Lied begann, leise flüsternd
seine Unterhaltung mit ihrem Manne mit.
„Er hat dich nach Hagenbach eingeladen? Wirk-
lich?" fragte Sibylle erstaunt. „Du haft ihn nicht
falsch verstanden?"
„Nein. Samstag soll ich von Waldried nach
Hagenbach übersiedeln und einige Wochen dort
bleiben."
Sibylle konnte es nicht fassen. Stumm starrte
sie vor sich hin.
Da beugte sich Leo dicht an sie heran und flüsterte
lächelnd: „Mach doch kein solch bestürztes Gesicht,
Billa! Freu dich lieber! Ich habe so eine Ahnung
in mir, als würde alles nun gut für dich!"
Sie ahnten beide nicht, daß der große Spiegel
neben dem Klavier ihr Bild wiedergab, und daß
dieses Bild für andere Augen lange nicht so harm-
los aussah, als es in der Tat war.
Degenwarts Begleitung riß plötzlich mit einem
schrillen Mißton ab. Zufällig aufblickend, hatte
er im Spiegel die beiden erblickt, wie sie so ver-
traulich beieinander saßen. Niemand sonst als er
und Meta konnte in den Spiegel sehen. Die
anderen saßen alle auf Stühlen und Sofa ver-
streut, hörten aufmerksam zu und fuhren erschrocken
zusammen, als das Spiel so jäh abbrach.
Nur die Gräfin lächelte ihn an, mitleidig, ver-
ständnisinnig. Ihr Blick war dem seinen gefolgt.
Das gab Degenwart die Besinnung wieder. Er
entschuldigte sich mit einem plötzlichen Krampf in
der Hand, begann die Begleitung von neuem und
führte sie diesmal tadellos zu Ende.
Dann stand er auf. Und während am Klavier
sich alles bewundernd und schmeichelnd um die
Gräfin drängte, eilte er zu Sibylle. Mit verstörten
Zügen, etwas wie Wahnwitz im Auge, herrschte
er sie, ohne Leo zu beachten, an: „Ich muß dich er-
suchen, künftig wenigstens in Gesellschaft etwas
mehr Rücksicht auf mich zu nehmen. Noch bin
ich immerhin dein Mann — und verbiete dir, mich
lächerlich zu machen!"
„Ich?" stammelte Sibylle erschrocken.
„Jawohl. Es wäre entschieden klüger und
taktvoller gewesen, die Gräfin nicht durch eine Ab-
lehnung der Begleitung zu kränken, anstatt hier
diese alberne —"
„Besinnen Sie sich, Herr v. Degenwart," unter-
brach ihn da Leo, der aufgesprungen war und
dem das Blut jäh zu Kopf schoß.
Einen Augenblick lang tauchten die Blicke beider
Männer ineinander, der Degenwarts fast irr vor
blindem, maßlosem Haß.
Sibylle, die zurückgewichen war, hob unwill-
kürlich abwebrend die Hände. „Richard, um Gottes
nullen — was ist — was hast du?" stammelte sie.
Ihre Angst brachte ihn wieder zu sich. Er strich
sich über die Stirn. Scheu blickte er um sich. Nein
- gottlob, es hatte niemand auf sie geachtet. „Ver-
zeihung ich bin nervös. Wohl ermüdet von der
Jagd," murmelte er, ohne die beiden anzufehen.
„Wenn es dir recht ist, möchte ich nach Hause
fahren."
Sie bejahte sofort, in tiefster Seele erleichtert.
Stumm bot ihr Leo den Arm, da Degenwart
es vergessen zu baben schien und bereits auf Ilse
zuschritt, um sicb zu verabschieden.
Der Haß in Degenwarts Augen, den er so deutlich
heransgefülüt batte, gab Thuren zn denken. Also
 
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