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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 49.1914

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liest 28 —. .
färbe blieb dieselbe. Auch seine Hand, die sie noch
in der ihren hielt, zuckte nicht.
„Bald nach dem Tode des kleinen Sohnes van
der Leyens haben sie geheiratet. Ich wollte dir
das längst sagen, Hans, aber ich fürchtete —"
„Du hast nichts mehr zu fürchten, Victoire."
„Desto besser. Also sie haben in aller Stille in
Innsbruck geheiratet und bleiben auf ihrem Besitz
trotz Ruß und Kohlenstaub. Die niedergebrannte
Villa wird vorläufig nicht wieder aufgebaut."
Victoire zog einen Brief aus der Tasche. „,Wir
schaffen uns ein neues Heim ohne Luxus und Glanz/
schreibt Ilona hier. ,Einfach und behaglich? Na,
und dann kommt noch ein Gefühlsausbruch über
ihren Jürgen. ,Bei dem muß man auch tief graben,
abgrundtief. Aber dann findet man nichts als
lauteres Gold. Er hat eine starke, kühne Seele und
geht mit ruhigem Auge und festem Schritt durchs
Leben. Wir gehen miteinander Hand in Hand.
Erfolgreich wird unser Schaffen sein, und unsere
Kinder sollen einmal ebenso stark und frei werden,
wie wir es sind? Nun, sie war ja immer eine Starke,
unsere Ilona."
„Stark und stolz," sagte Lauenstein nachdenk-
lich. „Aber Ilona ist auch die Frau dazu, diese
mutigen Worte wahrzumachen."
Victoire senkte den Kopf. „Wie Ilona werde
ich wohl nie werden, Hans!"
„Das ist auch nicht nötig. Ich möchte meine Frau
jetzt nicht mehr anders haben, als fielst, und mit keiner
anderen vertauschen."
In seinen liebevoll auf sie.gerichteten Augen las
sie die Bestätigung seiner Worte. Sie lehnte den
blonden Kopf mit dem leise welkenden Blumenkranz
gegen seine Schulter.
Über ihren Kopf weg gingen feine Blicke ins
Weite. Durch das Smaragdgrün der wehenden
Birkenblätter fielen die Sonnenstrahlen über den
Grasplatz, von dem das jauchzende Lachen ihrer
Kinder zu ihnen herüberklang.
Ende.

Des Minden Irost.
(Tiehc das MId auf Teile S0d.f
^eit sieben Jahren hat Hadsch Achmed das Augenlicht
verloren. In jenen grauenvollen Tagen geschah es,
als die Franzosen Casablanca beschossen, der Stamm der
Schauja in die Stadt eindrang, die Häuser plünderte
und die Bewohner niedermetzelte. Hadsch Achmed war
ein angesehener Kaufmann, der mit den Sudanländern
in Handelsverkehr stand. Als die wilde Horde in sein
Haus stürmte, warf er sich ihr entgegen, aber ein
furchtbarer Schlag mit der Axt aus die Stirn streckte
ihn zu Boden. Als er nach langem Krankenlager
genas, war er blind. Er mußte sich von den Geschäften
zurückziehen. Seine einzige Freude ist seitdem seine lieb-
reizende Tochter Sittah. Sie widmet sich ganz der Pflege
ihres vereinsamten Vaters. Sie bereitet ihm stets selbst
sein Lieblingsgericht, den Kuskuß, einen Reisgrieß mit
Huhn, zu, sie richiet ihm die Terrakottapfeife her und stopft
sie mit Kif, Hanfsamen, sie erzählt ihm Geschichten aus
der „Siret Antar" und der „Siret Beni Hilal" und singt
ihm mit wohllautender Stimme zur Gitarre Lieder von
Feresdak, Mutanabbi und Toghrai. Versonnen lauscht
der frühzeilig Gealterte, wie es unser anmutiges Bild
auf Seite 609 zeigt, den melodischen Weisen, und Trost
und Beruhigung bringen sic in sein verdüstertes Leben.
Nschtzalle in Lottei'dam.
(Tiehe das 8ild auf Teile S12.)
Rotterdam, nächst Amsterdam die bedeutendste Handel-
»V stadt Hollands und dank seiner günstigen Lage 18 Kilo-
meter oberhalb der Mündung der bis hierhin selbst für
die größten Seeschiffe befahrbaren Maas in die Nord-
see der natürliche Seehafen des ganzen Rhein- und
Maasgebietes, ist unter anderem auch ein hervor-
ragender Platz für den Seefischhandel. Dieser wichtige
Erwerbszweig hat seinen Mittelpunkt in der großen Fisch-
halle— LsoLsnmrüd (Seefischmarkt),wie dielandesübliche
Bezeichnung dafür lautet —, die 1882 am Leuvehaven er-
baut wurde, einem breiten, am rechten Maasufer ab-
zweigenden Kanal, auf dem die Schiffe bis mitten in
den ältesten Teil der Stadt gelangen können. Das ist
ein großer Vorteil für die Fischer, die auf diese Weise
die Erträgnisse ihres Gewerbes bis unmittelbar an die
Zentralverkaufstelle bringen können. Hier findet nun
jeden Morgen Fischverkauf statt, bei dem es sehr leb-
haft zugeht, so lebhaft, wie es bei dem phlegmatischen
Charakter der Holländer eben möglich ist. Besonders
ist dies der Fall, wenn in der geräumigen Fischhalle
die Fischauktionen, wie eine solche unser Bild auf
Seite 612 veranschaulicht, abgehalten werden, bei
denen in erster Linie Zwischen- und Kleinhändler und
-Händlerinnen, Angestellte von Fischindustriellen, von
Hotels und Pensionen als Käufer ^,en x-ro«" auflreten.
Da stehen ganze Reihen von Körben, angefüllt mit
frischglänzenden Fischleibern, die einen mit mächtigen
Heilbutten, andere mit breiten Steinbutten, wieder
ändere mit gewichtigen Seelachsen oder schmächtigen
Schollen, leicht angeflammten Rotzungen, silbrigschim
mernden Heringen, Dorschen, prächtig gezeichneten
Makrelen mit breitem, meergrünem, von schwarzer Farbe

Das Luch fül- wie —
wellenförmig durchlaufenem Rückenstrich, Stören, Dorn-
haien und vielen anderen Arten. Ein Glockenzeichen
gibt den Beginn der Versteigerung kund, die in der auch
bei uns, zum Beispiel bei den großen Hamburger Fisch-
auktionen, üblichen Weise vor sich geht.
Morai-tä letzte stunden.
(Tiefte das vild aufTeite ölZ.)
I^a der Tod, genau genommen, der wahre Endzweck
unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar
Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Men-
schen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein
nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel
Beruhigendes und Tröstendes! Ich lege mich nie zu
Bett, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht, so jung als
ich bin, den anderen Tag nicht mehr sein werde, und
es wird doch kein Mensch von allen, die mich kennen,
sagen können, daß ich im Umgang mürrisch oder traurig
wäre; für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem
Schöpfer, und ich wünsche sie von Herzen jedem meiner
Mitmenschen." So steht geschrieben in einem Briefe von
Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater aus dem
Jahre 1787. Dieses Bekenntnis des damals Einund-
dreißigjährigen wirst ein Helles Schlaglicht auf das
Seelenleben des großen Meisters der Töne und läßt
durchblicken, daß der gottbegnadete Künstler auch ein
aus hoher sittlicher Stufe stehender Mensch war. Und
wie hätte es auch anders sein können, daß er bei den
fast unaufhörlichen schweren materiellen Nöten und
Sorgen, mit denen er zeit seines Lebens, wie unser
Schiller, zu kämpfen hatte, die sonnige Heiterkeit seines
Gemütes, die immer wieder siegreich durchbrechende an-
geborene Frohsinnigkeit, die von seinen Zeitgenossen
verbürgt ist und ja überall aus seinen herrlichen Ton-
schöpfungen, ihnen ewige Jugend verleihend, hervor-
strahlt, sich bis zu seinem leider allzufrühen Tode be-
wahrt hat. Die tiefe Religiosität aber, die ihn beseelte,
machte den Schöpfer unsterblicher Opern und herrlicher
sinfonischer Werke auch fähig zumhervorragendenKirchen-
komponisten. Ja, mit seinem weltberühmten Requiem
wurde er sogar ein Bahnbrecher der ganzen modernen
Kirchenmusik, das heißt, „er verlieh dieser", wie ein Bio-
graph sagt, „damit jenen bis zum erhaben Dramatischen
sich steigernden subjektiv erregten Charakter, den in der
Malerei bereits Michelangelos Jüngstes Gericht trägt,
und dem sich in der Tonkunst, angeregt durch unseres
Meisters gewaltiges Tongedicht, in der Folge zunächst
Beethoven mit seiner Llissu solsmnis und Cherubini
in seinen beiden Requiemen in würdigster Weise an-
geschlossen haben". Diese ergreifende, von den wun-
derbaren, geheimnisvollen Schauern des Unsichtbaren
durchwehte Komposition, deren Erstaufführung Mozart
einige Tage vor seinem Tode noch selbst leitete, war
nicht nur die letzte Schöpfung seines Genius, sie war
ihm auch die Ruhe und Frieden spendende Trösterin
in seinen letzten schmerzensreichen Lebensstunden. Im
Krankenstuhle sitzend, wie es unser packendes Bild aus
Seite 613 schildert, im Auge einen Glanz, der schon nichts
Irdisches mehr hat, führt er zum letzten Male im engsten
Kreise den Taktstock. Die wundervollen Klänge des
Requiems schweben durch das Zimmer, Himmelssrieden
senkend in das Herz des sterbenden Meisters, der mit
seiner treuen Gattin Konstanze das ganze Auditorium
bildet. Wenige Stunden später, kurz nach Mitternacht,
schloß der herrliche Mann die Augen zum ewigen
Schlummer.

Der einzige Zeuge.
Kriminuli'omgn von N. Wincklei'--Ignnenderg.
(roNseftung und Tchluft.) ' (Nachdruck verbalen.)
stimmte Friedel dem Ein
wand seines Prokuristen Witte zu, „aber
selbst, wenn sie Wösters morgen laufen
lassen müssen, die Sache wird doch ruch
bar, die Zeitungen werden davon er-
zählen, und der Skandal ist fertig. Mein altes,
gutes Hans in eine Mordaffäre verwickelt! Znm
Rasendwerden ist's! An den Wänden hochlanfen
möchte ich!"
„Hoffentlich wird's nicht ruchbar."
„Hoffnung ist kein Kreditpapier, und gewisse
Sensationsblätter fragen den Tenfel danach, ob
etwas wahr ist, was sie erschnüffeln. Weun'S Auf-
sehen macht, wenn's was für den Strastenverkauf
ist — das entscheidet."
„Das ist leider so."
„Gestern der Krach hier wegen der verbummelten
Wechseleinlösung "
Da wurde der Angestellte ernst. „Ju schuldigem
Respekt, Herr Friedel, da war Wösters uußer Ver-
antwortung. Sie selbst halteu die Erlediguug sich
Vorbehalten, als er vorgestern daran erinnerte. Das
hat sich doch wohl inzwischen herausgestettt "
Der Chef wurde rot vor Arger. „Zum Teufel,
ja, es hat sich herausgestellt. Mau Hut den Kaps su
vvtt, überall müßte inan sein! Sei .strmb von
gestern war doch auch nur der Tropfen, von den;
das Faß überlief. Seil dein Smumerurlanb schon
ist mir dieser WösterS so seltsam vorgelmumen "
„Darüber weiß ich nichts.'
„Nichts? Sind Sie denn btind neben ihm tun

---! 611
gegangen, Herr Witte? Tiefsinnig war er manch-
mal, nichts mehr von der Frische und Freude an der
Arbeit — nichts! Als Vorbild hatte ich ihn früher
allen hingestellt —"
„Er erschien etwas verschlossener als sonst,
aber —"
„Endlich eine eigene Wahrnehmung!"
„Aber von da bis zu einer solchen Tat ist ein
weiter Weg, auch fehlt's an jedem Motiv."
„Wissen Sie das?"
„Ich könnte keines ergründen. Denn — daß da
ein Diamantring geraubt worden ist —"
Friedel trommelte erregt mit den Fingern auf
der Pultplatte: „Fällt mir nicht ein, das als Motiv
gelten zu lassen. Ich bezahle meine Angestellten so,
daß sie nicht zu mausen brauchen! Aber das alles
ist ja auch Nebensache. Ich sagte es schon: Und
selbst wenn sie ihn heute noch laufen lassen, ruchbar
wird's, und mein Haus hat den Skandal!" —
Herr Witte war froh, als er wieder draußen im
Kontor an feinem Pult stand.
Wösters Hoffnung, am folgenden Tage wieder
frei zu sein, verwirklichte sich nicht, zugleich aber auch
nicht die Befürchtung Friedels.
Die Zeitungen brachten, dank der sorgfältigen
Diskretion aller Amtsstellen, nichts, und Wösters
sofort angebotener Alibibeweis erforderte Zeit.
Am Vormittage war der Beschuldigte dem Unter-
suchungsrichter vorgeführt worden.
Dieser, kundig und peinlich zugleich, hatte Sei-
boldt sowohl als den Polizeibeamten zu strengstem
Schweigen verpflichtet.
Vor Wösters Vernehmung hatte sich Seiboldt
mit jenem zugleich im Vorzimmer aufgehalten und
war dann in das Bureau des Landgerichtsrates ge-
rufen worden.
Dieser begann zu fragen: „In dem Herrn, der
unter Bewachung sich nebenan befindet, behaupten
Sie den Mann wiederzuerkennen, den Sie bei Er-
mordung der Sängerin Palmini zu beobachten Ge-
legenheit hatten?"
„Ja."
„Diese Überzeugung ist so fest, daß Sie vor der
schweren und ernsten Verantwortung nicht zurück-
schrecken, die an Ihre Angabe geknüpft ist? Es geht
um Tod und Leben — ich halte mich für verpflichtet,
Sie darauf aufmerksam zu machen."
Hermann Seiboldt fühlte ein frostiges Erschauern.
„Aber die Wahrheit muß ich doch sagen —"
„Die volle Wahrheit nach bestem Wissen und
Gewissen."
„Dann halte ich ihn für denselben Mann."
„Die Ähnlichkeit mit dem Kopfe, den Sie model-
lierten, ehe Sie den jetzt Beschuldigten wiedersahen,
ist unverkennbar. Sie haben ihn niemals anderswo
als am Tatorte gesehen?"
„Niemals."
Der Landgerichtsrat diktierte das Protokoll und
ließ es dann den Vernommenen unterzeichnen.
Als das geschehen war, brachte ein Gerichtsdiener
eine Depesche.
Der Untersuchungsrichter las sie und las sie
wieder. Auf Hermann Seiboldt schaute er und
dann auf das Blatt Papier. Endlich sagte er: „Sie
können gehen."
Benno Wösters wurde vorgeführt.
In erklärlicher Aufregung, aber mit Bestimmt-
heit erklärte er, von der ihm zur Last gelegten Tat
nichts zn wissen. Dann forderte er die sofortige
Ladnng des Versicherungsdirektors Balanowski, der
bekunden werde, daß er am 21. Oktober, dem Tage
der Tat, von sieben Uhr abends bis gegen elf Uhr
sich in seiner Gesellschaft befunden habe.
Es wurde sofort an das Bureau des Direktors
telephoniert, aber die Antwort lautete, daß Bala-
nowski auf eiuer Inspektionsreise begriffen sei und
erst am nächsten Mittwoch anläßlich des ersten Renn-
tages zurttckerwartet werde.
Da eröffnete der Untersuchungsrichter dem Ge-
fangenen, daß alle Schritte unternommen werden
sollten, um diesen wichtigen Zeugen früher zur
Stelle zu bekommen, aber vor dessen Zeugnisabgabc
au eine Entlassung nicht zu denken sei.
Dann gab es Konfrontationen und Zeugenver-
nehmungen.
Der alte Portier, der Schuhmacher Rauscher aus
der Villa, bekuudete, daß er den Verhafteten nie m
seinem Leben gesehen habe.
Frau Rauscher wußte etwas anderes. Eines
iageS yabe dieser Herr auf dem Kiesvorplatze ge-
slaudeu, wohl eure Viertelstunde lang, und nut gram-
vollem Gesicht hinaufgestarrt nach der Wohnung der
Sängerin.
Dasselbe bekundete Milchen.
WchwrS, der anfänglich zögerte, seine Verehrung
für die Sängerin einzugestehen, versuchte erst aus-
zuweicheu, mußte aber dann doch zugeben, sowohl

XXVIII. ISII.
 
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