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200

DasBuchfüvAlle

Heft 13

Reinhold begriff nicht,
was er tun sollte. Da nahm
Haide das Kopftuch ab und
sagte: „Nehmen Sie mal das
Ende hier in die Hand und
halten Sie fest."
Da drehte sie das Tuch so
zusammen, das; das Wasser
heraustroff. Nun kam der
alte Mcmtel daran; es gab
einen hübschen See am Bo-
den, der sich hier nach dem
Garteneingang senkte; das
Wasser lief ab.
„Das macht hier gar
nichts, nun kann ich wenig-
stens Halbwegs trocken in die
Wohnung kommen. — Wie
geht's, Petter?"
„Man wird ganz trübsin-
nig bei demWeltuntergangs-
wetter."
„Vorläufig wird sich die
Welt noch ein wenig weiter-
drehen Und dabei kom-
men wir wohl an eine Ecke,
wo's ein bißchen weniger
naß ist."
Neinhold lachte.
Haide hielt die ausgerun-
genen Stücke weit von lich
ab und sagte: „Wenn ich nicht
lustig sein tonnte, müßte ich
auf uud davon laufen."
„Nein, Büschen, das dür-
fen Sie nicht! Wir möchten
Sie alle nicht verlieren. Frau
Mika Zippelmann freut sich
jedesmal, wenu Sie kom-
men."
„Ich laufe ja auch nicht
davon. Wüßte auch gar nicht
wohin. Tante Mika hatrecht,
wenn sie sagt: Man nimmt
sich selber überall mit hilft.
Das Gerenne in die Welt
hat clso nicht viel Sinn-
Ob's wahr ist, weiß ich zwar
nicht, aber es wird schon so
sein."
Ein heftiger Windstoß
riß die Tür auf; zerstäubte
Regentropfen näßten Haide
das Gesicht, sie sprang zur
Seite.
„Guten Abend, Vetter
Reinhold, nun muß ich lau-
fen, daß ich hinaufkomme."

Auf dem Markt in Kairo,


Neinhold griff nach ihrer Hand- „Ein Wort, Fräulein Haide !
Das ist doch komisch. Warum sagen wir Sie zueinander? — Mein
Vater die Mutter und meine Schwester tun das doch auch
nicht. Oder zählen Sie mich nicht zur Verwandtschaft?"
„Darüber mach' ich mir keine Gedanken. Da alle sich duzen,
hat's doch keinen Sinn, wenn wir das nicht tun. Da wollen wir
mal richtig Brüderschaft machen."
Nocbmals reichte sie ihm die Hand.
„Leb' wohl, Base Haide," rief Reinhold.
In dem Augenblick tam Tante Amalie über die Treppe.
Haide lief an ihr vorbei und zog die Klingel an Mika Zippel-
manns -VÜr. ift-orNe^unn solgtg

Der Ring des Polykrates.
Eine lustige Erzählung von Hanns Lerch.


UN, mein Lieber, erzähle mir: wie ist dir's in der letzten
Zeit ergangen?"
„Bis auf ein paar Einzelheiten nicht besonders, Oswald."

„Du lagst nicht die Wahrheit! Alter Freund, Kandidat der
Rechte und Unrechte, du bist in deinem alten. lieben Nest zu Besuch,
trinkst in deinem Stammlokal dein Bier, machst dazu ein Gesicht
wie eine Flunder, wenn sie bei der Ebbe au, einer Sandbank

Heft 13

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Nach einem Gemälde von Leopold Earl Müller.

liegt, und beschwindelst deinen besten Freund? Nein, Fritz, da
kennst du mich schlecht." Langner blinzelte Fritz Volkmann
verschmitzt an.
„Lieber Oswald," entgegnete der in komischer Verzweiflung,
„die Zeiten sind zu ernst und die Torten zu teuer, da gewöhnt
man sich alles ab, sogar die kleinen Mädchen . . ."
„Na, eher verlernt doch eine Ente das Schwimmen! Nein, du
hast etwas; iprich dich doch aus. Was sehe ich? Früher trugst du
doch einen Ring, den ich heute wie deine gute Laune vermisse; es
war ein schmaler Goldreif mit einem vierblättrigen Kleeblatt —"
„Ach, du meinst den Ring des Polytrates?"
„Was? Ning des Polykrates?" Langner lachte. „War der alte

Tyrann von Samos ein Ur-
ururgroßvater von dir?"
„Nein, ich habe den Ring
nur so getauft, weil — weil
ich ihn immer wieder bekam,
wenn ich ihn ..."
„Wenn du ihn einmal
versetzen mußtest?"
„Laß mich doch ausreden.
Wenn ich früher einmal ein
kleines Lieb hatte, dann
schenkte ich der jeweiligen
Kleinen den Ring. Du weißt
ja, mit dem Semester ist auch
die Studentenliebe zu Ende.
Nach den Ferien, wenn man
sich frisch gestärkt in die Wis-
senshaften stürzt, geht auch
wieder eine neue Sonue der
Rebe auf."
„Sehr poetisch gesagt."
„Alle Mädchen, denen ich
bis jetzt den Ring schenkte,
schickten ihn mir entrüstet mit
dem üblichen Abschiedsbrief
zurück."
Langner lachte. „Der
Ring also ist gewissermaßen
eine Art Gradmesser deiner
Verliebtheit. Aber du weißt
ja, wie es beim alten Poly-
krates heißl: .Noch keinen sah
ich fröhlich enden, auf den
mit immer vollen Händen die
Götter ihre Gaben streun?
Ich sehe den Ring an deiner
Hand nicht, also bist du wie-
oer einmal verliebt —"
„Ach ja, leider, leider ..."
„Herrgott, isfts denn so
schlimm?"
„Ganz schlimm ..."
„Hoffentlich erscheint das
Kleinod bald wieder an dei-
nem Finger und damit deine
gute Laune."
„'Rein, um's Himmels
willen, nein!"
„Also mit Haut und Haa-
ren verliebt?"
„Ja, für ewig."
„Mensch, Volkmann, du
verübst ja Selbstmord an dei-
nen Anschauungen. Hast du
oich gemausert!"
Trotz der Späße des
Freundes besserte sich Volk-
manns Laune nicht. Sie
saßen noch lange, bis der Wirt Feierabend bot. —
Zur gleichen Zeit saß Liselotte Hübner in ihrem Stübchen
und betrachtete lange einen goldenen Reif, der ein oierblätttiges
Kleeblatt trug. „Es ist lieb von ihm," flüsterte sie, „mir das zu
schicken." In einem Brief? las sie immer wieder, daß er morgen
hier wäre. Sie lachte froh. Den Vater und die Multer hatte
sie schon vorbereitet Die beiden hatten bedenklich dreingesehen,
als sie es ihnen erzählte. Sie hatten sich früher gekannt und
oft miteinander getanzt, und Liselotte war ein wenig in den
schmucken Studenten verliebt. Aber . . . aber ... sie sah ihn
so ost mit anderen Mägdlein yerumscharmutzieren, daß sie
sich schließlich Gleichgültigkeit für einen „solchen Menschen" ein-
 
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