260 DasBuchfüvAlle Heft 16
sehen; sie war fast menschenleer. Wer bei dieser Glut nicht
unterwegs sein mutzte, ging jetzt nicht aus.
Da sah er Pedro Tello auf der Stratze. Er schien müde zu
sein und hielt den Kopf gesenkt.
Warum lief er in der größten Mittagshitze umher? Ein
Auftrag war ihm doch nicht erteilt worden.
Mißtrauen regte sich in Fontana.
Was er bis jetzt gegen den „Capakaz" gemeinsam mit Pedro
unternommen hatte, war immer fehlgeschlagen.
Der jugendliche Bürodiener, ein halbwüchsiger, geschmeidiger
Jndianersprötzling, brachte frisches Wasser.
„Siehst du dort den Vigilanten Tello?" sagte der Inspektor
ZU ihm. „Lauf hinterdrein, gib acht, wohin er geht. Latz dich
nicht von ihm sehen, und bring' mir Nachricht."
Der Junge schlüpfte zur Tür hinaus.
Pedro Tello blieb in einer engen Hafengasse vor einem der
einstöckigen, weitzgetünchten, aber mit einer Rauch- und Schmutz-
kruste überzogenen Häuser stehen.
Er mutzte öfter klopfen, bis man ihm öffnete.
Die alte Frau, die ihn erst durch das Guckloch gemustert hatte,
kauute ihn augenscheinlich und beantwortete seine Frage, ob
Diego da sei, mürrisch und widerwillig. Ja, er sei im Hause.
Umso lebhafter begrüßte ihn der, dem sein Besuch galt.
Als Pedro iu sein Zimmer trat, lag er auf einem unsauberen,
Zerrissenen Ruhebett, rauchte und las die Zeitung. Es war ein
hübscher, aber wüst aussehender Mensch.
„Ich wußte, daß du heute kommen würdest, mein Junge!"
rief er. „Sonst hätte ich wohl noch lange nicht das Vergnügen
gehabt ..."
„Du wußtest . . .?"
„Daß du kommen würdest, um dich mit mir über den heutigen
Abend Zu unterhalten."
Er lachte über Pedros Verdutztheit.
„Nun begreife ich," sagte dieser endlich. „Das ist wieder von dir
ausgegangen; du wolltest meinen Kapitän zum Narren halten."
„Diesmal nicht! Nein, es wird nicht umsonst sein. Er soll
mich treffen! Juanita, Rasos Tochter, hat ihn nicht belogen;
auf meinen Wunsch hat sie ihm die Wahrheit gesagt. Ich bin
heute abend bei Raso."
„Was hast du vor?" fragte Pedro.
„Ich will mich von deinem Herrn verabschieden; ich weiß
ja, er erscheint meinetwegen persönlich. In der Nacht noch fahre
ich mit einem Schiff weg. Doch das geht dich nicht an."
„Du willst doch uicht. . .?"
„Er hat mir keine Ruhe gelassen, er treibt mich von hier fort.
Ich will mich und meine Kameraden rächen."
„Das könnte für dich schlimm ausgehen."
„Willst du dafür sorgen? Er hört ja nicht auf deine War-
nungen."
„Du sollst mit dem Kapitän nicht Zusammentreffen," meinte
Pedro. „Gegen meine Dienstpflicht hab' ich's bisher verhindert —
du wärest sonst längst da, wo deine Kameraden sind. Ich werde
es auch heute tun."
„Ohne dich wäre er längst abgetan."
„Er hat mir das Leben gerettet," sagte Pedro. „Das ver-
gesse ich ihm nicht. Seine Feinde sind meine Feinde."
„Auch ich?"
„Du würdest heute abend auch mit mir zu tun haben. Ich
soll den Kapitän begleiten. Denk' an mich und besinne dich."
„Nein! Ich hab' mir's geschworen."
„Ich habe deinetwegen viel ertragen. Erspare mir dies!"
bat Pedro. „Du machst mich unglücklich."
Diego lachte.
„Du bist ein Schwachkopf! Erst warst du Soldat, dann
Vigilant. Kannst du nicht dein freier Herrn sein wie ich? Warum
machst du dich zum Knecht?"
„Ein freier Herr wie du — ein Verbrecher!" erwiderte Pedro
bitter.
„Aderlaß deinen Kapitän seinem Schicksal, folge mir in dieser
Nacht, und du wirst es nicht bereuen."
„Werde du ein ehrlicher Mensch!" sagte Pedro. „Kehre um!
Versprich mir, daß du meinem Kapitän nichts tun wirst."
„Ich rechne mit ihm ab. Das verspreche ich dir."
„Dann verhafte ich dich!" sagte Pedro und zog seinen Dienst-
revolver.
Diego sprang auf.
„Du willst mich — du . . .? Wage es, mich anzurühren!"
Er hielt einen Dolch stotzbereit.
Pedro schritt furchtlos auf ihn Zu.
ls Fontana mit mehreren seiner Beamten Einlaß forderte,
^hörte er hinter der verschlossenen Tür Schreie eines Weibes.
Er wollte sich mit Gewalt den Weg bahnen, da ward die
Tür aufgerissen, und Pedro erschien.
„Vigilant Tello, was habt Ihr hier zu tun?" fragte Fontana.
„Es ist dasselbe Haus, in dem wir schon einmal nach dem ,CapataZ<
suchten. Kennt Ihr seiue Schlupfwinkel? Kennt Ihr Diego?"
„Ich kenne ihn," antwortete Pedro.
„Nehmt ihn fest!" befahl Fontana und betrat das Zimmer.
Nach kurzer Zeit kehrte er langsam zurück.
„Der ,Capakaz' ist tot!" sagte er, sich wieder an Pedro wen-
dend, dem das Blut aus einer Armwunde tropfte. „Das Weib
behauptet, Ihr hättet ihn erschossen."
„Ja. Er hatte geschworen, heute abend mit Euch abzurechnen.
Ich wollte ihn verhaften, und er widersetzte sich."
„Woher kanntest du ihn?" fragte Fontana.
„Er war mein Bruder!"
Der Vigilant Pedro Tello war wenige Tage später ver-
schwunden. Fontana ließ nach ihm forschen, nicht um ihn zu
bestrafen, sondern um ihn zu belohnen. Er sah ihn nicht wieder.
Man hörte nur, daß Pedro tief in die Pampa hineingewan-
dert sei.
Mütter^ie^lungen. Von Stadtoberfürsorger Rottmann.
utter und Kind gehören Zusammen." Aus dieser Erkenntnis hat
der Verein „Mutter uud Kind", Berlin-Weitzensee, Müttersied-
lungen ins Leben gerufen, um Müttern Gelegenheit zu geben,
mit ihrem vaterlosen Kinde zusammen zu sein und gleichzeitig ihrem Er-
werb nachgehen zu können. Mit privaten Mitteln, die ihm von zahl-
reichen Freunden zur Verfügung gestellt werden, sucht der Verein seine
Aufgabe zu verwirklichen. Wer die vielgestaltigen Nöte der Vaterlosen
und ihrer Mütter, besonders in der Großstadt, kennt, der wird nut den
Zielen des Vereins einverstanden sein. Die Mutter möchte doch gern
arbeiten und sich für ihr Kindchen mühen, um es zu einem brauchbaren
Menschen zu erziehen, doch niemand sorgt für das Kind, während sie
ihrer Arbeit nachgehen mutz. Um dem guten Willen vieler Mütter, der
unzweifelhaft vorhanden ist, entgegenzukommen, hat der Verein Mütter-
siedlungen gegründet. Eine ausgedehnte Werbetätigkeit im ganzen Reiche
soll überall Anteil an diesen sozialen Einrichtungen erwecken. Wenn Platz
vorhanden ist, nimmt der Verein Mutter und Kind auf, aber die eigenen
Vereinssiedlungen können vorläufig nur wenigen Unterkunft bieten.
W
Jeder Siedlung, die fünf bis sieben Räume umfaßt, steht eine Sied-
lungsleiterin vor. Sie besorgt den Haushalt, betreut die Kinder während
der Abwesenheit der anderen Mütter und führt die Geschäfte der Siedlung.
Grundsätzlich bestreiten die Mütter die Kosten für ihren Lebensunterhalt
selbst. Jede Mutter Zahlt jetzt für sich und ihr Kind für Verpflegung,
Wohnung, Licht, einschließlich Milch und Nährmittel, rund 340 Mark.
Im Vergleich zu den Kosten der heutigen Teuerung ist dies ein wirklich
kleiner Betrag. Je umsichtiger die Siedlungsleiterin zu wirtschaften
versteht, je geringer wird der Betrag sein, den jede Mutter zu den Kosten
des gemeinsamen Haushaltes beizusteuern hat. Der Siedlungsleiterin fällt
es nicht immer leicht, und manchmal fragt sicksts, ob die ihr zur Verfügung
stehenden Mittel auch ausreichen. In solchen schwierigen Zeiten hilft der
Geschäftsführer der Müttersiedlung dann und wann mit einein Darlehn
aus. Grundsätzlich werden nur Darlehn gegeben, um die Mütter, die doch
alle einen schweren Kainpf zur Erhaltung ihres Kindes zu führen haben,
daran zu gewöhnen, mit ihren eigenen Geldmitteln zu rechnen.
Während die Mütter ihrem Erwerbe nachgehen, werden die Kleinen
sehen; sie war fast menschenleer. Wer bei dieser Glut nicht
unterwegs sein mutzte, ging jetzt nicht aus.
Da sah er Pedro Tello auf der Stratze. Er schien müde zu
sein und hielt den Kopf gesenkt.
Warum lief er in der größten Mittagshitze umher? Ein
Auftrag war ihm doch nicht erteilt worden.
Mißtrauen regte sich in Fontana.
Was er bis jetzt gegen den „Capakaz" gemeinsam mit Pedro
unternommen hatte, war immer fehlgeschlagen.
Der jugendliche Bürodiener, ein halbwüchsiger, geschmeidiger
Jndianersprötzling, brachte frisches Wasser.
„Siehst du dort den Vigilanten Tello?" sagte der Inspektor
ZU ihm. „Lauf hinterdrein, gib acht, wohin er geht. Latz dich
nicht von ihm sehen, und bring' mir Nachricht."
Der Junge schlüpfte zur Tür hinaus.
Pedro Tello blieb in einer engen Hafengasse vor einem der
einstöckigen, weitzgetünchten, aber mit einer Rauch- und Schmutz-
kruste überzogenen Häuser stehen.
Er mutzte öfter klopfen, bis man ihm öffnete.
Die alte Frau, die ihn erst durch das Guckloch gemustert hatte,
kauute ihn augenscheinlich und beantwortete seine Frage, ob
Diego da sei, mürrisch und widerwillig. Ja, er sei im Hause.
Umso lebhafter begrüßte ihn der, dem sein Besuch galt.
Als Pedro iu sein Zimmer trat, lag er auf einem unsauberen,
Zerrissenen Ruhebett, rauchte und las die Zeitung. Es war ein
hübscher, aber wüst aussehender Mensch.
„Ich wußte, daß du heute kommen würdest, mein Junge!"
rief er. „Sonst hätte ich wohl noch lange nicht das Vergnügen
gehabt ..."
„Du wußtest . . .?"
„Daß du kommen würdest, um dich mit mir über den heutigen
Abend Zu unterhalten."
Er lachte über Pedros Verdutztheit.
„Nun begreife ich," sagte dieser endlich. „Das ist wieder von dir
ausgegangen; du wolltest meinen Kapitän zum Narren halten."
„Diesmal nicht! Nein, es wird nicht umsonst sein. Er soll
mich treffen! Juanita, Rasos Tochter, hat ihn nicht belogen;
auf meinen Wunsch hat sie ihm die Wahrheit gesagt. Ich bin
heute abend bei Raso."
„Was hast du vor?" fragte Pedro.
„Ich will mich von deinem Herrn verabschieden; ich weiß
ja, er erscheint meinetwegen persönlich. In der Nacht noch fahre
ich mit einem Schiff weg. Doch das geht dich nicht an."
„Du willst doch uicht. . .?"
„Er hat mir keine Ruhe gelassen, er treibt mich von hier fort.
Ich will mich und meine Kameraden rächen."
„Das könnte für dich schlimm ausgehen."
„Willst du dafür sorgen? Er hört ja nicht auf deine War-
nungen."
„Du sollst mit dem Kapitän nicht Zusammentreffen," meinte
Pedro. „Gegen meine Dienstpflicht hab' ich's bisher verhindert —
du wärest sonst längst da, wo deine Kameraden sind. Ich werde
es auch heute tun."
„Ohne dich wäre er längst abgetan."
„Er hat mir das Leben gerettet," sagte Pedro. „Das ver-
gesse ich ihm nicht. Seine Feinde sind meine Feinde."
„Auch ich?"
„Du würdest heute abend auch mit mir zu tun haben. Ich
soll den Kapitän begleiten. Denk' an mich und besinne dich."
„Nein! Ich hab' mir's geschworen."
„Ich habe deinetwegen viel ertragen. Erspare mir dies!"
bat Pedro. „Du machst mich unglücklich."
Diego lachte.
„Du bist ein Schwachkopf! Erst warst du Soldat, dann
Vigilant. Kannst du nicht dein freier Herrn sein wie ich? Warum
machst du dich zum Knecht?"
„Ein freier Herr wie du — ein Verbrecher!" erwiderte Pedro
bitter.
„Aderlaß deinen Kapitän seinem Schicksal, folge mir in dieser
Nacht, und du wirst es nicht bereuen."
„Werde du ein ehrlicher Mensch!" sagte Pedro. „Kehre um!
Versprich mir, daß du meinem Kapitän nichts tun wirst."
„Ich rechne mit ihm ab. Das verspreche ich dir."
„Dann verhafte ich dich!" sagte Pedro und zog seinen Dienst-
revolver.
Diego sprang auf.
„Du willst mich — du . . .? Wage es, mich anzurühren!"
Er hielt einen Dolch stotzbereit.
Pedro schritt furchtlos auf ihn Zu.
ls Fontana mit mehreren seiner Beamten Einlaß forderte,
^hörte er hinter der verschlossenen Tür Schreie eines Weibes.
Er wollte sich mit Gewalt den Weg bahnen, da ward die
Tür aufgerissen, und Pedro erschien.
„Vigilant Tello, was habt Ihr hier zu tun?" fragte Fontana.
„Es ist dasselbe Haus, in dem wir schon einmal nach dem ,CapataZ<
suchten. Kennt Ihr seiue Schlupfwinkel? Kennt Ihr Diego?"
„Ich kenne ihn," antwortete Pedro.
„Nehmt ihn fest!" befahl Fontana und betrat das Zimmer.
Nach kurzer Zeit kehrte er langsam zurück.
„Der ,Capakaz' ist tot!" sagte er, sich wieder an Pedro wen-
dend, dem das Blut aus einer Armwunde tropfte. „Das Weib
behauptet, Ihr hättet ihn erschossen."
„Ja. Er hatte geschworen, heute abend mit Euch abzurechnen.
Ich wollte ihn verhaften, und er widersetzte sich."
„Woher kanntest du ihn?" fragte Fontana.
„Er war mein Bruder!"
Der Vigilant Pedro Tello war wenige Tage später ver-
schwunden. Fontana ließ nach ihm forschen, nicht um ihn zu
bestrafen, sondern um ihn zu belohnen. Er sah ihn nicht wieder.
Man hörte nur, daß Pedro tief in die Pampa hineingewan-
dert sei.
Mütter^ie^lungen. Von Stadtoberfürsorger Rottmann.
utter und Kind gehören Zusammen." Aus dieser Erkenntnis hat
der Verein „Mutter uud Kind", Berlin-Weitzensee, Müttersied-
lungen ins Leben gerufen, um Müttern Gelegenheit zu geben,
mit ihrem vaterlosen Kinde zusammen zu sein und gleichzeitig ihrem Er-
werb nachgehen zu können. Mit privaten Mitteln, die ihm von zahl-
reichen Freunden zur Verfügung gestellt werden, sucht der Verein seine
Aufgabe zu verwirklichen. Wer die vielgestaltigen Nöte der Vaterlosen
und ihrer Mütter, besonders in der Großstadt, kennt, der wird nut den
Zielen des Vereins einverstanden sein. Die Mutter möchte doch gern
arbeiten und sich für ihr Kindchen mühen, um es zu einem brauchbaren
Menschen zu erziehen, doch niemand sorgt für das Kind, während sie
ihrer Arbeit nachgehen mutz. Um dem guten Willen vieler Mütter, der
unzweifelhaft vorhanden ist, entgegenzukommen, hat der Verein Mütter-
siedlungen gegründet. Eine ausgedehnte Werbetätigkeit im ganzen Reiche
soll überall Anteil an diesen sozialen Einrichtungen erwecken. Wenn Platz
vorhanden ist, nimmt der Verein Mutter und Kind auf, aber die eigenen
Vereinssiedlungen können vorläufig nur wenigen Unterkunft bieten.
W
Jeder Siedlung, die fünf bis sieben Räume umfaßt, steht eine Sied-
lungsleiterin vor. Sie besorgt den Haushalt, betreut die Kinder während
der Abwesenheit der anderen Mütter und führt die Geschäfte der Siedlung.
Grundsätzlich bestreiten die Mütter die Kosten für ihren Lebensunterhalt
selbst. Jede Mutter Zahlt jetzt für sich und ihr Kind für Verpflegung,
Wohnung, Licht, einschließlich Milch und Nährmittel, rund 340 Mark.
Im Vergleich zu den Kosten der heutigen Teuerung ist dies ein wirklich
kleiner Betrag. Je umsichtiger die Siedlungsleiterin zu wirtschaften
versteht, je geringer wird der Betrag sein, den jede Mutter zu den Kosten
des gemeinsamen Haushaltes beizusteuern hat. Der Siedlungsleiterin fällt
es nicht immer leicht, und manchmal fragt sicksts, ob die ihr zur Verfügung
stehenden Mittel auch ausreichen. In solchen schwierigen Zeiten hilft der
Geschäftsführer der Müttersiedlung dann und wann mit einein Darlehn
aus. Grundsätzlich werden nur Darlehn gegeben, um die Mütter, die doch
alle einen schweren Kainpf zur Erhaltung ihres Kindes zu führen haben,
daran zu gewöhnen, mit ihren eigenen Geldmitteln zu rechnen.
Während die Mütter ihrem Erwerbe nachgehen, werden die Kleinen