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360

DasBuchfürAlls

Hsst 23

Friedrich Mangold kam nun oft als Gast ins Haus. Einmal
war auch Anni Stecker zum Mittagmahl da. Die beiden freun-
deten sich an. Der sonst ernste junge Mann scherzte und lachte.
Hedwig beobachtete manchmal Anni mit trotzigem Blick.
Weshalb lachte die so? Sie ärgerte sich über das kokette Betragen
der Freundin. Hatte die ihren Schwarm für den Opernsänger
aufgegeben?
Als sie dann in Hedwigs Zimmer allein beisammen saßen,
fragte Hedwig: „Anni, mir scheint, du hast Herrn Koleder ver-
gessen."
„Warum?"
„Nun, weil du dem jungen Mangold io schöne Augen machst."
„Kann ich dafür, wenn mich auch andere Herren hübsch fin-
den? Das war doch nur Künstlerschwärmerei für Lothar Koleder."

„Was sagst du da? — Hast du ihm denn geschrieben?"
„Ja. Für die Locke mußt' ich ihm doch danken. Und dann
bat er mich um eine Zusammenkunft. Leider konnte ich ihn nicht
treffen, denn meine Mutter ist seither nicht nur mit Reden, son-
dern auch sonst scharf hinter mir her. Ich bin großmütig. Meinet-
wegen sollst du dir wegen Koleder keinen Zwang antun."
Hedwig erhob sich empört. „Ich danke. Und danke auch für
deine ferneren Besuche."
Da rief Anni: „Du wirfst mich hinaus? Nun, dann sollst
du an mich denken!" Entrüstet stand sie auf. An der Türe fragte
sie: „Hast du dich anders besonnen? Soll's dabei bleiben?"
Hedwig wandte sich ab und schaute zum Fenster hinaus.
Als Anni draußen war, nahm ihr Gesicht einen bitteren, ver-
ächtlichen Ausdruck an. Lange blieb sie am Fenster stehen und

„So? Also ist's schon wieder vor-
bei damit?"
„Die Locke hab' ich zwar noch,
aber das hält mich doch nicht ab, an
eine gesicherte Zukunft zu denken.
Meine Mutter sagt, für mich wäre
ein Professor oder ein Arzt das rich-
tige. Und sie hat wohl recht, wenn
sie meint, ich solle ja keine Möglich-
keiten mehr verscherzen."
Hedwig blickte das Mädchen ver-
drießlich an. „Du weißt wohl gar
nicht, wie albern du sprichst. Offen
bist du allerdings. Das muß ich sagen.
Du willst also die Möglichkeiten mit
dem jungen Mangold nicht außer acht
lassen?" '
„Hab' ich denn nicht recht? Oder
bist du vielleicht eifersüchtig? Dann
sag' es. Einstweilen bin ich noch nicht
besonders eingenommen für Herrn
Mangold. Ich kann ihn dir noch über-
lassen. Später — ja, später vielleicht
nicht mehr. Und dann würde es viel-
leicht auch uichts mehr nützen. Wenn
ich es einmal ernstlich darauf anlege,
dann fängt er gewiß Feuer, und dann»
wäre es für dich zu spät."
Zorn und Trotz flammten in Hed-
wigs Blick. „Du redest häßlich. Und
was du mir gnädigst überlassen willst,
darauf verzichte ich. Was geht mich
Herr Mangold an? Ich sage dir die
Freimdschaft auf."
„Nur nicht gleich so heftig. Wenn
es nicht Mangold angeht, dann ist's
Koleder, wegen dem du mir Moral-
predigten halten willst. Aber auf den
verzichte ich noch lieber als auf Man-
gold. Ich will dir gern die Locke
schenken."
Anni brachte ein kleines Medaillon
hervor und warf es vor Hedwig auf
den Tisch. Es streifte im Niederfallen
den Blumenstrauß, der in der Mitte
stand, und Nosenblütter regneten dar-
auf nieder.
Hedwig wandte sich empört ab.
Sie schämte sich, Anna ihre Freundin
genannt zu haben. „Seit wann bist
du denn so? Ich kenne dich ja gar
nicht mehr."
„Ich habe eingesehen, daß meine
Mutter doch recht hat. Sie ist hinter
meinen Briefwechsel mit Koleder ge-
kommen und —"


Der Austrieb zum Werdegang.

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DasBuchfürAlls

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schaute nachdenklich hinaus. Sie schämte sich ihrer Neigung zu
dem leichtfertigen, oberflächlichen Mädchen. Bisher hatte Hedwig
ihr Herz gehütet vor leichter Liebelei und über Annis leichtent-
zündliches Wesen gelächelt. Nun empfand sie, daß einer da war,
der sich mit seinen ernsten, klugen Augen in ihr Herz stehlen
wollte.
Ging ihr das Gefühl schon so tief, daß sie nicht mehr los-
kommen konnte?
Wenn er an Anni Gefallen fand, dann war er nicht wert,
daß sie auch nur mit einem Gedanken sich mit ihm beschäftigte.
Mit allem Trotz wollte sie sich dagegen wehren.
Sie raffte sich auf und ging zur Mutter. Sie wollte ihre
Gedanken vergessen.
Bei der Mutter saß Friedrich Mangold und plauderte.

„Sie sind noch da?" fragte Hedwig fast unwillig.
„Ja, gnädiges Fräulein! Ich habe heute einen freien Tag,
und Ihre Frau Mutter war so freundlich, mich dabehalten zu
wollen bis zum Abend."
Hedwig setzte sich an das Arbeitstischchen am Fenster.
Als Frau Herson eine kleine Wnle später von der Köchin
abgerufen wurde, begann Mangold: „Fräulein Hedwig, wo ist
Ihre Freundin?"
„Haben Sie Sehnsucht nach ihr?" fragte sie gereizt.
„Nein. Als Sie vorhin hereinkamen, dachte ich, daß Sie sich
mit ihr entzweit haben müßten. Sie sahen so empört aus."
„Sie habeu recht! Anni Stecker ist gegangen. Sie wird
nicht wiederkommen."
„Mädchenfeindschaften lösen sich leicht wieder in Wohl-


Nach einem Gemälde von A. Chelius.

gefallen auf.'st
„Nein, diesmal täuschen Sie sich.
Sie müssen nun schon darauf ver-
zichten, Anni nochmals bei uns zu
treffen. Es tut mir wirklich sehr leid,
Ihnen ..."
Er unterbrach sie. „Mir nicht. Mir
tut es gar nicht leid. Ganz und gar
nicht."
„Das sagen Sie so, weil —"
„Warum glauben Sie mir nicht?"
„Ach, ich mag nichts weiter sagen."
Der frohe Ausdruck in Mangolds
Gesicht veränderte sich. Tiefer Un-
mut verdüsterte seine Züge. Dann
schwieg er, in ernstes Nachdenken ver-
sunken.
Nach einer Weile sah er Hedwig
an. „Wissen Sie, daß ich Sie ein
paarmal gesehen habe, bevor ich in
Ihr Haus kam?"
„Ich weiß es," sagte sie unwillig.
Wozu erinnerte er sie jetzt daran? Sie
hatte sich genug darüber geärgert.
Frau Herson kam zurück. Hedwig
fing an, eifrig an ihrer Handarbeit zu
sticheln. Selten sah sie auf; nur hie
und da beteiligte sie sich am Gespräch
und gab meist nur ihrer Mutter Ant-
wort. Mangold wußte sich ihr Be-
nehmen nicht zu deuten.
Nachdenklich betrachtete er das junge
Mädchen. Bange Qual lag in seinem
fragenden Blick. Hedwig bemerkte aber
nichts davon.
(^<m nächsten Vormittag, als Man-
^gold aus der Klinik heimging, be-
gegnete er Anni Stecker. Lächelnd sah
sie ihn an. Er grüßte, und sie blieb
stehen. Sie plauderte lebhaft, aber er
hörte meist nur zu und blieb einsilbig
und zurückhaltend.
Da fing sie von Hedwig zu sprechen
an. „Wissen Sie, daß wir uns ent-
zweit haben?" Ohne seine Antwort
abzuwarten, sagte sie: „Eigentlich um
nichts und wieder nichts. Hedwig hat
aus einer Bagatelle eine Szene ge-
macht. Das tut sie gern. Es liegt in
ihrer Natur. Beim geringsten Anlaß
macht sie leicht große Worte, und das
Feuer schlägt dann gleich zum Dach
hinaus. Na, ich lösch' die Flamme nicht."
„Wer hat denn das Feuer ange-
zündet?"
 
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