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262

DaoBuchfürAÜe

Heft 22

„Ich nicht. Die Abwesenden
sind immer die Schuldigen."
„Das ist aber nicht immer
richtig."
„In diesem Falle sicher. Kann
ich dafür, wenn sich Hedwigs
Herz für jemand entzündet, der
gar nicht nach ihr fragt?"
Mangold antwortete nicht.
Die Schwatzerei Annis mißfiel
ihm. Das war kein lauterer
Wesenszug. Schade, daß dieses
Mädchen Hedwigs Freundin ge-
wesen war. Vielleicht hatten
ihre Charaktereigenschaften doch
verwandte Züge, denn sonst wäre
die Liebelei, die sich ihm durch
den kleinen Vorfall mit der Locke
verraten hatte, nicht möglich ge-
wesen. Für ihn war es gut, daß
er diese zufällige Beobachtung
gemacht hatte.
Anni empfand sein Schwei-
gen peinlich. „Herr Doktor, Sie
haben ja die Sprache verloren.
HalL ich etwas gesagt, was Ihnen
nicht gefüllt? Dann bitte, spre-
chen Sie, ich will's gewiß nicht
wieder tun."
Schmeichelnd blickte sie ihm
ins Gesicht.
„Falsche Katze!" dachte der
junge Mann. „Unter den Samt-
pfötchen stecken die Krallen."
„Ich bitte Sie, Herr Doktor,
um unserer jungen Freundschaft
willen."
„Freundschaft? — Ich höre
den falschen Gemütston nur zu
deutlich," dachte Mangold. Laut
erwiderte er: „Fühlen Sie sich schuldig? — Ich weiß ja nicht,
was geschehen ist."
„Nicht? O, dann bin ich zufrieden." Sie atmete auf.
„Leben Sie wohl, Herr Doktor! Nein, warten Sie mal!
Wollen Sie bei Ihrem nächsten Besuch bei Herson an Hedwig
etwas ausrichten? Sagen Sie ihr, sie soll sich ja die Locke gut
aufheben zur süßen Erinnerung. Die Arme! Ein Herz zu ver-
lieren, tut weh. Auf Wiedersehen, Herr Doktor!"
Mangold sah ihr nach. Was sollte das bedeuten? — War das
ein Racheakt? Und nimmt inan es in solchen Fällen mit der
Wahrheit genau? Nein. Das glaubte er nicht.
Mangold ging langsam heimwärts. Aber anstatt in sein

kein Ende. Nächstens lasse ich in
der Zeitung veröffentlichen, daß
ich meinen Frieden haben will.
Mir wird die Anhimmelei zu
dumm. Und die Narretei ver-
dirbt mir allmählich die Laune.
Ich bin doch nicht für die Weiber-
inder Welt, und mein Friseur lacht
auch jedesmal, wenn ich wieder
eine Locke verschenken muß."
Mangold schaute den Sänger-
überrascht an. Dann begriff er-
den wahrscheinlichen Zusammen-
hang und lachte.
„Sie haben leicht lachen, Herr-
Doktor. Aber ich kann Ihnen
sagen, allmählich geht einem das
doch über die Hutschnur. Da
kommen sie gelaufen, flöten in
süßen Tönen, und man ist von
Berufs wegen verdammt, gute
Miene zu machen. Jawohl! Auch
noch treffen soll man sich nrit den
Damen, und wenn man neu-
gierig geworden ist, dann hört
and sieht man nichts mehr."
Der junge Arzt horchte auf.
Er ahnte Zusammenhänge und
wollte klar sehen.
„Herr Koleder, ich habe eine
heikle Bitte! Verschwiegenheit
ist Ehrensache. Darf ich Sie er-
suchen, mich einen Brief jener
ersten mit einer Locke Beglückter:
sehen zu lassen. Nur ein paar
Zeilen möchte ich sehen, keine
Unterschrift, vor allem aber das
Datum des Briefes."
Der Sänger sträubte sich heftig.
Da erklärte ihm Mangold den
von ihm gefaßten Verdacht, worauf ihm Koleder den ersten Brief
Annis gab. Nach vielen Bitten durfte er ihn sogar mitnehmen.
Am anderen Tag besuchte Mangold Herrn Herson in seinem
Büro, zeigte ihm den Brief Annis und fragte: „Ist dies die
Handschrift Ihrer Tochter?"
„Nein! Warum wollen Sie das wissen?"
„Wenn Ihre Tochter diesen Brief nicht geschrieben hat, dann
erlaube ich mir, zu fragen, ob ich mich um Fräulein Hedwig
bewerben darf? Ich liebe sie und hoffe, daß auch sie mich üebt."
Herson erwiderte: „Ich verstehe zwar nicht, warum Sie
mich wegen des Briefes fragten, aber bewerben Sie sich nur
um meine Tochter; mir ginge damit ein Herzenswunsch in Er-


Aus dem Film »Der Golem".

Zimmer bei Frau Barbara Windling, schritt er
Herrn Koleder und klopfte an. Als ihm nach
einigem Warten aufgetan wurde, stand Lothar
Koleder ärgerlich vor ihm.
„Sie sind's, Herr Doktor? Guten Tag!"
„Jst's mit den: Hals etwas besser?" fragte
der Arzt.
„Ja, Herr Doktor! Bitte treten Sie ein und
verzeihen Sie meine verdrießliche Stimmung.
Ich meinte, es käme wieder mal so ein dummes
Frauenzimmer. Total verrückt sind sie hier, die
Mädels!"
Der junge Arzt blickte den Sänger verständ-
nislos an. „Ich begreife nicht ..."
„Es ist zum Davonlaufen. Die siebente oder
achte schreibt oder kommt selbst um ein Bild oder
eine Locke. Eine der Beglückten muß die Ge-
schichte ausgeplaudert haben; der Unfug nimmt

zur Türe des

füllung." Er


HennyPorten als Anna Boleyn.

rief Hedwig.
Mangold gab ihr Annis Brief. „Bitte, senden
Sie dies Schriftstück samt der falschen Locke Anni
Stecker zurück."
Verständnislos sah das Mädchen den jungen Arzt
an. „Ich begreife nicht, was das heißt. Falsche
Locke, sagen Sie? Wie kommen Sie zu dem Brief,
und weshalb soll ich ihn Anni Stecker schicken?''
„Ich weiß alles. Ich fragte Herrn Koleder
geradezu. Und Fräulein Annis Betragen gegen
Sie und mich entbindet Sie von Ihrer Pflicht
des Schweigens. Fräulein Hedwig! Ich hoffe
auf Ihre Liebe — darf ich hoffen?"
Hedwig hatte in den letzten Tagen so oft und
viel an ihn gedacht. Sie wußte, er war der
einzige, den sie lieben konnte.
Eine halbe Stunde später geleitete der Vater
das glückliche Paar zur Mutter.
 
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