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Heft 23_ DasBuchfürAlle _ 263

pariser Guillotineszene (179Z) aus dem Film „Madame Dubarry": pola Neger in der Titelrolle.


Mr und wider das Kino. Bon K. A. Meran.
Mit sechs Bildern.
eine andere Erfindung ist so hartnäckig wie das Kino angefeindet
worden, und zwar nicht nur von kurzsichtigen Leuten, sondern
vom ehrlichsten guten Willen, wenn es auch in diesem
Kampf der Meinungen sogar unier namhaften Kunstfreunden Verteidiger
fand. Offenbar geht der Streit um Äußerlichkeiten und Zufälligkeiten, die
mit dem Kern der Sache nichts zu tun haben und nur so lange im Vorder-
grund stehen, wie jener nicht zur Hauptsache gemacht ist.
Worauf beruht die Macht des Kinos auf die große Menge, die es aus
den Theatern herauszog, so daß diese trotz der ernstesten Bemühungen
heute kaum mehr zur Hälfte zu füllen sind?
Die dramatische Kunst, die ernste wie die
heitere, ist eine „Zwei-Sinnen-Kunst" und
verlangt als solche die Aufmerksamkeit von
Auge und Ohr, was umso größere geistige
Tätigkeit und Regsamkeit erheischt, je feiner
die Mittel der Darstellung sind. Sie kann
daher voll nur auf Leute von geschulter
und daher gesteigerter Aufnahmefähigkeit
wirken,- viel weniger ist dazu der Durch-
schnittsmensch und selbst der Gebildete be-
fähigt, wenn dieser nach der Kärrnerarbeit des
Tages Ausspannung und Erholung sucht.
Das Kino aber ist eine „Ein-Sinn-Kunst"
wie die Musik und teilt daher mit dieser die
bezwingende Wirkung auf die Menge.
Als reiner „Augenschmaus" aber vermag
das Kino nur durch die Wandlung, den
Wechsel, zu wirken; die B ew egung ist sein
Element. Allerdings muß hier gleich betont
werden: es ist keine wirkliche Be-
weg u n g, die es zeigt; sie wird nur vor-
getäuscht und beruht auf dem Wechsel
der Verhältnisse von Größe und
Lage. Indem ein Mensch auf der Leinwand
klein auftaucht und rasch größer wird,
bis er schließlich förmlich auf den Zuschauer
loszuspcingen scheint, oder indem ein

großes Auto immer kleiner und kleiner wird, während sich die
Landschaft oder sonstige Staffage kulissenartig zusammen- oder ausein-
anderschiebt, wird derEindruck der Bewegung hervorgerufen.
Wird nun wie in den zahllosen Trickfilmen der Beschauer aus seiner
Ruhe gerissen, indem er sich über die gewohnten Möglichkeiten von Vor-
gängen, die sich in Raum und Zeit abspielen, hinaussetzen soll, so erhöht
das noch ganz beträchtlich die Wirkung. Nicht zur ruhigen Betrachtung
kommen lassen, sondern mitreißen und zur höchsten Neugier auf immer
neue Wandlungen, Entwicklungen spannen, das ist das Wesen des Films,
und seine Wirkung auf die Menge ist darum noch stärker als die der mehr
auf passives Genießen eingestellten Musik, zumal da diese wenigstens für ihre
künstlerischen Schöpfungen noch ein Mindestmaß von Schulung verlangt.
Das Auge aber ist als der Sinn, der für sich allein fünf Sechstel aller
Beziehungen unseres Jnnenmenschen zur
Außenwelt vermittelt, von Kindesbeinen an
zwar nicht geschult, aber doch hochgradig
geübt in der Aufnahmefähigkeit.
Hier klafft nun die große Kluft Zwischen
dein Kino von heute und den Künsten, für die
längst mehr oder weniger allgemeingültige
Normen entwickelt worden sind. Für den
Künstler bestand fast vom Anfang an der
Zwang, sich gewisse Grundprinzipien zu er-
fühlen oder zu erdenken.
Wie ist nun das, was von den anderen
Künsten geschaffen wurde, von den Pionieren
der Filmkunst ausgenützt worden?
Sechsundzwanzig Jahre der Entwicklung
der Filmtechnik sind eine geringe Zeit, ge-
messen an der Geschichte anderer Künste.
Dennoch kann man sagen: es wurde technisch
Außerordentliches geleistet, und ohne das
Mißgeschick verfrühter Erfolge wären wir viel-
leicht sogar bedeutend weiter.
Die Amerikaner boten zuerst Bewegung
in allen erdenklichen Formen: Rennen, Klet-
tern, Fallen, Reiten, Fahren, zerstiebendes
Wasser und so fort bis zu zusammenstoßenden
Lokomotiven und ähnlichem mehr. Auch der
burleske Film und der Uberraschungs- (Trick-)
Film bewegten sich in diesen Bahnen. Aber


Paul Wegener und pola Neger in „Sumurun".
 
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