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364

DasVuchfürAüe

Heft 23

da die neuen Darbietungen trotz ihrer
kindlichen Anfänge sogleich dieMassen aus
den Theatern lockten, hielt sich das Kino
für berufen, der Nebenbuhler der Bühne
zu sein, ihr Nachfolger und schließlich ihr
Besieger zu werden. Ein gröblicher Miß-
griff, der sich rasch rächte! Nun war man
gezwungen, Wege zu gehen, die das
Theater schon zurückgelegt hatte.
Aus den Bock- und Satyrspielen der
alten Griechen am Dionysosfest entwickel-
ten sich die Dramen der Blütezeit; als
aber diese fast religiöse Kunst sich in breite
Alltäglichkeit und Sophistik wandelte, ver-
lief sich der Strom rasch und versandete.
Aus den Rüpel- und Hanswurstkomö-
dien des Mittelalters erwuchsen nach und
neben dem Zwischenspiel französischer
Deklamationsdram en die Tragödien eines
Shakespeare und unserer Klassiker. Mit
steigender Kenntnis der geschichtlichen
Vergangenheitundwachsendem Sinn für
naturalistische Darstellung gelangte man
immer mehr zur Betonung von Äußerlich-
keiten. DieMeiningerei mit ihrem Pomp
unddem Streben nach historischer Treueund
Realistik Hub an, und daneben entwickelte
sich das naturalistische Konversationsstück.
Auch das Kino begann sozusagen als
Hanswurst und Rüpel in den Darbietun-
gen drastisch wirkender Bewegungsfilme.
Als diese doch zu eintönig wurden, ent-
schloß man sich zum szenischen Aufbau,
zur „Handlung". Aber da in jener wich-
tigen Zeit bedeutende Schriftsteller die
Berührung mit dem Kino noch mieden, standen dem neuen Filmstück
nur Winkelschmierer und Pfuscher zur Verfügung. So entstanden Sen-
sationsfilme, Mißgeburten von Kolportagephantasie und Wimmer -
theatralik, die heute noch nicht überwunden sind. Mit Recht hat sich jedes
künstlerische, überhaupt jedes gesunde Empfinden dagegen aufgebäumt.
Wie einst beim Theater griff man dann zur Wirkung mit äußerlichen
Mitteln; es entstand der historische Film, der vorläufig als Gipfelpunkt
der Kinokunst gilt. Das Volksempfinden entschied richtig, sobald ihm
Besseres geboten wurde. Als der deutsche „Dubarry-Film" in Rom zu-
fällig mit einem amerikanischen zusammentraf, der denselben Stoff in
der alten kitschigen Sensationsmache behandelte, trug der deutsche den
Sieg davon. Noch mehr: als man ihn vorsichtshalber in „neutraler"
Verkleidung nach Amerika brachte, feierte er dort dieselben Triumphe.
Deutscher Kunstsinn zeigte sich dem amerikanischen Geschmack überlegen.
Aber das höchste künstlerische Ziel der Kinokunsi ist der historische
Film noch nicht. So unentbehrlich die Staffage für die maßstäblichen
Verhältnisse im Bilde sein kann, um die Illusion der Bewegung hervorzu-
zaubern, der künstliche szenische Aufbau ist, auch wenu er die Glanzleistung

eines Architekten ist, letzten Endes doch
Nebensache. Auch die Massenszene ist
nur ein Nebenher, so lebendig und
prächtig beispielsweise der „Opernball"
im „Dubarry-Film" oder die zwischen den
hohen, giebligen Häusern der Judengasse
im „Golem"hervorquellendeMengewirkt.
Die Massenszenen sind eigentlich Ruhe-
punkte in der Handlung, aus der sich das
Schicksal einer oder weniger Personen
packend heraushebt. Der einzelne Mensch,
sein Schicksal sind auch im Film das wichtig-
ste, und da der Mensch sein Erleben nur durch
Gebärden verdeutlichen kann, sind diese-
also wieder B ew e gu n g —die Hauptsache.
Je meisterhafter die Schauspieler zum
Ausdruck bringen, was ihnen die Dichter-
eingaben, desto tiefer ist die Wirkung.
Wie sich sonst das Kino seinem Wesen
gemäß weiter entwickeln könnte, das auch
nur anzudeuten, fehlt hier der Raum.
Wenn es gelingen sollte, den Film in
Naturfarben zu bringen, wäre viel er-
reicht. Ein anderes Ziel ist die Verbin-
dung mit dein Phonographen. Aber damit
würde das Kino wieder „Zwei-Sinnen-
Kunst", und ob ihm das nicht die Massen
zum Teil wieder entfremden würde, liegt
nicht außerhalb des Möglichen.
Der ganze Streit für und wider das
Kino galt mrr dem Film als Ausdrucks-
mittel einer n eu en Kunstform; sein
erzieherischer Wert ist nie bestritten wor-
den. Der „Lehrfilm " wurde ja bewußt dem
„Schaufilm" als Kampfmittel gegenüber-
gestellt. Unschätzbar sind die Dienste, die derKinematograph fast allenWissen-
schaften geleistet hat. Unablässig ist die Kinotechnik bemüht, Forschungsergeb-
nisse weiten Kreisen zugänglich zu machen. Das kleine Hauskino ist schon seit
Jahren von der Firma Ernemann in Dresden immer mehr vervollkommnet
worden; noch bequemer scheint der neue amerikanische Spirograph zu sein,
der sich statt des Filmbandes einer Filmscheibe nach dem Vorbild der Ton-
platte des Grammophons bedient. Die Petra-Gesellschaft in Berlin hat mit
ihrer „Petrawand" die Möglichkeit geboten, Filmbilder jederzeit, auch bei
Tageslicht, vorzuführen und will damit besonders dem Unterricht in den
Schulen dienen. Technische Firmen aller Industriezweige fangen an, statt
schreiender Reklametafeln die Vorführung ihrer Betriebe mittels des Films
zu Werbezwecken auszunützen. Kurz, das Kino ist ebenso wichtig wie unent-
behrlich geworden. Der von beachtenswerter Seite erhobene Vorwurf,
daß das Kino, weil es bloß durch rasche Handlung, starke Effekte und
heftiges Umbiegen in den Vorgängen wirkt, ein völlig neues Geschlecht
heranziehe, das sich des Denkens ganz entschlägt und nur nach Augen-
blickseindrücken urteilt, ist sicher nur zum Teil berechtigt, und der Fehler-
wird sich mit der Vervollkommnung des Kinos ständig noch verringern.


1. Der Spirograph, ein leicht zu bedienender Hausktno-
apparat. 2. Reisekino derIndustrie-Film-Gesellschast in. b.H.,
Berlin.


Bildern.

Zum vierhundertfünfzigsten Geburtstage Albrecht Dürers. Von Markus Seibert.
Mit vier

Jahre 1471 am St. Prudentientag in der Kreuzwoche au einem
Dienstag ward dem Goldschmied Dürer in Nürnberg ein Sohn
geboren, dem er seinen Vornamen Albrecht gab. Der Vater er-
zog den Knaben für sein eigenes Handwerk, ließ ihn dann aber halb wider
Willen Maler werden, da der fünfzehnjährige Albrecht dies sehnlichst
wünschte. Zu Ostern 1490 ging Dürer nach vollendeter Lehre zum ersten-
mal auf die Wanderschaft und blieb der Heimat vier Jahre fern. Dem
Wunsch des Vaters gehorsam, kam er 1494 zurück und heiratete. Früh zum
Meister geworden, reifte er nun zu dem großen Menschen und Künstler
heran, den seine Zeitgenossen ehrend den „Fürsten der Maler" nannten.
In der Natur dieses groß angelegten Mannes lag der nie rastende Trieb
zur Vollkommenheit all seiner Fähigkeiten. Er nahm an allem teil, was
seine Zeit geistig und sittlich bewegte, und ein wahrhaft unstillbarer Wissens-
drang ließ ihn bis zu seinem Ende niemals ruhen. Nach seinem eigenen
Bekenntnis vermochte er sich nie genug zu tun. Nach Dürers 1528 erfolgtem
Tode schrieb Philipp Melanchthon: Dürer sei „ein Weiser zu nennen, an
dem die künstlerische Begabung, so stark sie auch gewesen, doch nur das
Wenigste seiner Vorzüge sei". In Dürer, wie bei allen wahrhaft Großen,
deckt sich die höchste Vollendung des Könnens mit der menschlichen Be-
deutung, ihn beseelte nicht nur der bloße Trieb nach Erkenntuis um ihrer

selbst willen, in ihm lebte der faustische, hohe sittliche Trieb zur innern Durch-
bildung des ganzen Menschen. So konnte vier Jahre nach seinem Abscheiden
der gelehrte Joachim Camerarius von Dürer sagen: „Und hatte schon seine
Hand als Zeichner und Maler ihre ganze Reife erlangt, so ersieht man an
seinen schriftlichen Werken nur umso deutlicher den hohen Geist, der sie
lenkte. . . . Obwohl er so hoch stand, strebte er in seinem großen und er-
habenen Geiste immer noch nach Höherem. . . . Wenn irgend etwas in
diesem Manne war, was einem Fehler ähnlich sah, so war es einzig der
unendliche Fleiß und die oft bis zur Ungerechtigkeit an sich geübte Selbst-
kritik." Von Dürer stammen die schönen Worte: „Aus Begierde könnten
wir gerne viel, denn es ist uns aus Natur gegeben, daß wir gern alle Dinge
wüßten, dadurch zu erkennen die Wahrheit aller Dinge." Daß ihn der
Wissenstrieb nicht allein um eigener Ziele willen zur Tätigkeit spornte, be-
zeugen viele seiner Worte: „Wenn es möglich wäre, so wollt" ich gern alles
das, was ich kann, klar an den Tag bringen den geschickten Jungen zulieb."
Er hoffte und glaubte, daß in den Künsten die Deutschen „mit der Zeit
keiner anderen Nation den Preis vor ihnen lassen". In tiefer Bescheiden-
heit will er durchaus nicht haben, daß man ihm durchweg überall folgen
solle. Jeder möge mit seinem Werk einen besseren Weg zeigen, denn es
zeuge von geringer Vernunft, wenn man zu allen Zeiten einem anderen
 
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