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Heft 23

DasBuchsüMils

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Nachfolge. Aus „eigener Geschicklichkeit" müsse
man Besseres erstreben, denn in allen Meinungen!
sei Irrung; und so gut „wir ein Werk machten,
noch möchte es allweg besser gemacht werden".
Grast und schlicht ist auch Dürers Bekenntnis:
Wenn er durch seine Werke etwas entzündet
habe und andere, dadurch ermuntert, es nach ihm
besser machen würden, „so mag mit der Zeit ein
Feuer daraus geschürt werden, das durch die
ganze Welt leuchtet". Dah man nach Jahrhun-
derten Dürers noch gedenken kann, dast uns seine
Werke noch lebendig sind, bezeugt, dast er mit
seinem Schaffen ein „Fener angezündet" hat, das
noch leuchtet und wärmt. Dürers Geist trieb ihn
auch zu Forschungen über Geometrie, Perspektive,
Proportionslehre und Mathematik. Die Geschichte
der Mathematik gedenkt seiner ehrenvoll; ein eige-
nes Werk beschäftigt sich mit den Nachweisen
Dürers einzelner Verdienste um diese Wissenschaft.
Seine theoretischen Arbeiten über Festungsbau
sind grundlegend; er eilte darin seiner Zeit so
weit voraus, dast man erst spät seinen Ideen zu
folgen vermochte. Und auch in diesem Falle be-
schäftigten ihn außer der iu kriegerischen Zeiten
nötigen Sicherung der Grenzen „um des Frie-
dens willen" wahrhaft soziale Gedanken, wenn
er in seinem Buch über Befestigung schreibt: „Haben die Herrn viel armer
Leut, die man sonst mit Almosen erhalten must, und gäben sie ihnen
Arbeit, so brauchen sie nit betteln und werden um so weniger zu Aufruhr-
bewegt." Immer war es der ganze Mensch, der Künstler und der um Er-
kenntnis Ringende, den Herz und Verstand gleicherweise zu seinem Tun
bestimmten. Das sind Züge, woran man allein den Edlen erkennt, der
sich als dienendes Glied im Volke fühlt und danach handelt.
Manches an Dürers künstlerischen Schöpfungen, die seinen Zeitgenossen
in jedem Zuge durchaus verständlich gewesen und darum hoch geschäht
worden sind, muten uns heute rätselhaft an. Wir fühlen mehr, daß eine
besondere Bedeutung darin liegt, als daß sie uns klar erfaßbar wird. Größer
als in Worten hat Dürer das Ringen seiner faustisch strebenden Natur in dem
Kupferstich Zum Ausdruck gebracht, den er 1514 geschaffen und Melancholie
betitelt hat. Wie Faust, verzweifelnd an der menschlichen Begrenztheit

aller höheren Einsicht in die Natur, erschüttert
bekennt: „Ich sehe, dast wir nichts wissen können,
das will mir schier das Herz verbrennen", so
empfand auch Dürer in seinem steten Ringen
um Erkenntnis schmerzlich die dem Menschen
gezogenen Grenzen. Mitten unter Geräten und
Hilfsmitteln, die der wissenschaftlichen Forschung
dienen, sitzt grübelnd in sich versunken der Genius
der Menschheit. Es ist die trübe, herbe Stunde
innerer Sammlung, die Zur Einsicht führt, daß
die letzten Geheimnisse der Natur kein erschaffe-
ner Geist durchdringt. Dem Faust Goethes gleicht
er, der schmerzlich von der Natur bekennt: „Und
was sie deinem Geist nicht offenbaren mag, das
zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit
Schrauben." Gemeint ist mit diesen Worten, was
wir als experimentelle Forschung bezeichnen.
Der Genius auf Dürers Blatt sinnt und grü-
belt, müde den Kopf auf den Arm gestützt; seine
Linke hält ein Meßwerkzeug, den Zirkel. Ihm
nahe, kauert das müdgehetzte Windspiel; Eras-
mus von Rotterdam brauchte als Gleichnis für
die Flinkheit und Schnelle der menschlichen Ge-
danken den Windhund, und alle gebildeten Zeit-
genossen Dürers verstanden dies Gleichnis so.
Gleich dem sitzenden Genius ruht nun auch Ver-
menschliche Gedanke. Die Gestalt aber ist beflügelt; der ewig suchende,
nimmer rastende Menschengeist vermag ja alle Räume, alle Fernen zu
durchfliegen; wenn die Stunde des trüben Sinnens vorüber ist, wird
die Gestalt ihre starken Schwingen wieder ausbreiten und sich erheben,
um Höchstes und Fernstes forschend zu durcheilen. Nie ruht ja der Wissens-
drang in menschlichen Hirnen; um das edle sinnende Haupt sproßt ver-
heißend hoffnungsvolles Grün; die Blüten daran werden zu neuen Früch-
ten reifen. Wie Dürer mit Worten sagt, es sei der menschlichen Natur
gegeben, gern alles zu wissen und die Wahrheit der Dinge zu erkennen,
so gestaltet er diesen Gedanken hier. Er verzichtet nicht auf Erkenntnis,
sondern will sich stets strebend darum bemüheu. Der ruhend sinnende
Genius hält nur Einkehr in sich selbst.
Auf einer Studie Zur Melancholie schrieb Dürer auf das Blutt: Schlüssel
bedeutet Gewalt, der Beutel Reichtum. Man darf dafür Macht und Ver-

Selbstbildnis Albrecht Dürers.



Melancholie. Von Albrecht Dürer.


Hieronymus im Gehäuse. Von Albrecht Dürer.
 
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