Heft 26
DasBuchfüvAlle MI
„Aber Tante, es ist doch natürlich, daß ich besorgt um dich bin,
wenn du dich nicht wohl fühlst."
„Bist du wirtlich besorgt um mich? Denkst du nicht, daß ich
besser stürbe und euch mein Geld hinterlasse?"
„Aber, Tante Mia, wie magst du so etwas sagen! Wir haben
dich doch alle so lieb."
Tränen standen dem alten Fräulein in den Augen. „Früher-
glaubt ich's.ja auch, da freutet ihr euch, daß ich zu eurem Haushalt
beisteuerte, aber jetzt ist's euch nicht genug, was ich tun kann. Wenn
ich dem Alois seine Schulden bezahle — nicht wahr — dann werdet
ihr wieder freund-
licher zu mir sein?"
Ella fühlte die
WahrheitdieserWor-
te. Man ließ es die
Tante fühlen, daß sie
nicht freigebiger war.
Mit welchem Recht
erwartete man von
ihr, daß sie den Ver-
wandten aus allen
Nöten helfen sollte?
„Wirsaugen sie aus,"
dachte Ella, indes ihr
die Schamröte in die
Wangen stieg. „Ge-
mein ist das von uns
— gemein und er-
bärmlich !"
Da sie das aber
dochnicht eingestehen
konnte, begnügte sie
sich damit, der alten
Dame die Hand zu
küssen und zu sagen:
„Du irrst, Tante Mia,
wenn du meinst, daß
wir unfreundlich zu
dir sind. Wir sind nur-
verstimmt, weil die
Sorgen uns quälen
— das ist's!"
„Ich weiß,daßihr
Sorgenhabt, aber-
es wird noch alles gut
werden, Herzt. Die
Muttergottes wird
helfen." Dann schloß
sie die Augen, als ob
sie schlafen wollte,
aber ihre Lippen be-
wegten sich noch im-
mer, unverständliche
Worte murmelnd.
„Soll ich dir hel-
fen, dich zu Bett zu
legen, Tante?"
„Nein, ich muß noch arbeiten. Ich geh' noch nicht zu Bett."
„Heute noch? So angegriffen, wie du bist?"
„Gut, so kann ich's auch auf morgen verschieben. Geh nur
schlafen, Ellerl!"
„Aber es ist ja noch so früh, Tante — kaum acht!"
„So? Ich dachte, es wäre schon spät. Geh nur, Herzerl,
und beunruhige dich nicht um mich. Morgen bin ich wieder
frisch und geh' aus, und dann bringe ich dir auch was Schönes
mit. Was möchtest du haben?"
„Nichts, Tante. Ich danke dir für deine freundliche Absicht, aber
ich brauche wirklich nichts — du hast mich ja mit allem so reichlich
bedacht." Sie beugte sich über die gebrechliche Gestalt und küßte sie
auf Stirn und Wangen; dann ging sie leise aus dem Zimmer.
Das Benehmen der Tante war doch zu sonderbar. Genügte
es denn nicht, daß sie ihrem Bankier schrieb und sich das Geld
kommen ließ? Zum erstenmal dachte sie darüber nach, daß man
nicht einmal den Namen ihres Bankiers kannte. Daß sie mit
einem solchen in Verbindung stand, war richtig, denn wenn
man sie fragte, warum sie täglich ausginge, erwiderte sie immer,
daß sie geschäftlich zu tun hätte. In jedem anderen Hause wäre
man darüber erstaunt gewesen, daß das so häufig geschah, aber
in der Familie Hattas lebte man von der Hand in den Mund;
keiner, der ihr angehörte, war je in der Lage gewesen, auch nur
einen Zwanzigkro-
nenschein auf die
Postsparkasse zu tra-
gen, daher lag alles,
was mit der Verwal-
tung eines Vermö-
gens zusammenhing,
ihnen so fern, daß sie
keinen Begriff davon
besaßen. Sie hatten
wohl von Bankab-
rechnungen, Bank-
kontos und Scheck-
büchern gehört, doch
waren das fürste ge-
heimnisvolle Dinge,
deren Verständnis
ihrer Ansicht nach eine
umfassende finan-
zielle Kenntnis for-
derte. Einmal hatte
Oskar Taußick, einer
der Pensionäre, der
Bankbeamter war,
von Türkenlosen ge-
sprochen und Frau
Johanna daraufhin
geäußert, daß sie, sm
fern sie von einer
Zahl träumen sollte,
auf diese in der türki-
schen Lotterie setzen
wollte, worauf Herr
Taußick ihr die Be-
deutung der Prämien-
scheine zu erklären
versucht hatte. Frau
Johanna aber hatte
von der ganzen Aus-
einandersetzung nichts
verstanden, als daß
Kapitalisten biswei-
len einen Teil ihres
Geldes in Prämien-
scheinen anzulegen
pflegten, und da, wie
sieausdenRedendes
jungen Mannes herausgehört, das auch eine Art von Lotterie-
spiel war, so hatte sich die Befürchtung in ihr geregt, die Tante Mia
könnte ihr Vermögen bei einer so unsicheren Kapitalsanlage
riskieren. Wenn sie von Lotterie sprechen hörte, so dachte sie
immer nur an die Zahlenlotterie.
„Es wäre schrecklich, wenn die Tante so unvorsichtig sein sollte,"
äußerte sie später zu Ella. „Da müßte sie fortdauernd Hunderte
von Nummern gleichzeitig besetzen, und daß dann auch viele davon
gewinnen, ist ja höchst wahrscheinlich, aber vernünftig ist das
doch nicht."
Daß diese Vorstellung ihrer Mutter kindisch war, begriff
Ella wohl; aber gab es außer dem Spiel in der Zahlenlotterie
nicht noch ein anderes, weit gefährlicheres, das Spiel an der
Frühe Pflichten.
Nach einem Gemälde von N. Konopa.
DasBuchfüvAlle MI
„Aber Tante, es ist doch natürlich, daß ich besorgt um dich bin,
wenn du dich nicht wohl fühlst."
„Bist du wirtlich besorgt um mich? Denkst du nicht, daß ich
besser stürbe und euch mein Geld hinterlasse?"
„Aber, Tante Mia, wie magst du so etwas sagen! Wir haben
dich doch alle so lieb."
Tränen standen dem alten Fräulein in den Augen. „Früher-
glaubt ich's.ja auch, da freutet ihr euch, daß ich zu eurem Haushalt
beisteuerte, aber jetzt ist's euch nicht genug, was ich tun kann. Wenn
ich dem Alois seine Schulden bezahle — nicht wahr — dann werdet
ihr wieder freund-
licher zu mir sein?"
Ella fühlte die
WahrheitdieserWor-
te. Man ließ es die
Tante fühlen, daß sie
nicht freigebiger war.
Mit welchem Recht
erwartete man von
ihr, daß sie den Ver-
wandten aus allen
Nöten helfen sollte?
„Wirsaugen sie aus,"
dachte Ella, indes ihr
die Schamröte in die
Wangen stieg. „Ge-
mein ist das von uns
— gemein und er-
bärmlich !"
Da sie das aber
dochnicht eingestehen
konnte, begnügte sie
sich damit, der alten
Dame die Hand zu
küssen und zu sagen:
„Du irrst, Tante Mia,
wenn du meinst, daß
wir unfreundlich zu
dir sind. Wir sind nur-
verstimmt, weil die
Sorgen uns quälen
— das ist's!"
„Ich weiß,daßihr
Sorgenhabt, aber-
es wird noch alles gut
werden, Herzt. Die
Muttergottes wird
helfen." Dann schloß
sie die Augen, als ob
sie schlafen wollte,
aber ihre Lippen be-
wegten sich noch im-
mer, unverständliche
Worte murmelnd.
„Soll ich dir hel-
fen, dich zu Bett zu
legen, Tante?"
„Nein, ich muß noch arbeiten. Ich geh' noch nicht zu Bett."
„Heute noch? So angegriffen, wie du bist?"
„Gut, so kann ich's auch auf morgen verschieben. Geh nur
schlafen, Ellerl!"
„Aber es ist ja noch so früh, Tante — kaum acht!"
„So? Ich dachte, es wäre schon spät. Geh nur, Herzerl,
und beunruhige dich nicht um mich. Morgen bin ich wieder
frisch und geh' aus, und dann bringe ich dir auch was Schönes
mit. Was möchtest du haben?"
„Nichts, Tante. Ich danke dir für deine freundliche Absicht, aber
ich brauche wirklich nichts — du hast mich ja mit allem so reichlich
bedacht." Sie beugte sich über die gebrechliche Gestalt und küßte sie
auf Stirn und Wangen; dann ging sie leise aus dem Zimmer.
Das Benehmen der Tante war doch zu sonderbar. Genügte
es denn nicht, daß sie ihrem Bankier schrieb und sich das Geld
kommen ließ? Zum erstenmal dachte sie darüber nach, daß man
nicht einmal den Namen ihres Bankiers kannte. Daß sie mit
einem solchen in Verbindung stand, war richtig, denn wenn
man sie fragte, warum sie täglich ausginge, erwiderte sie immer,
daß sie geschäftlich zu tun hätte. In jedem anderen Hause wäre
man darüber erstaunt gewesen, daß das so häufig geschah, aber
in der Familie Hattas lebte man von der Hand in den Mund;
keiner, der ihr angehörte, war je in der Lage gewesen, auch nur
einen Zwanzigkro-
nenschein auf die
Postsparkasse zu tra-
gen, daher lag alles,
was mit der Verwal-
tung eines Vermö-
gens zusammenhing,
ihnen so fern, daß sie
keinen Begriff davon
besaßen. Sie hatten
wohl von Bankab-
rechnungen, Bank-
kontos und Scheck-
büchern gehört, doch
waren das fürste ge-
heimnisvolle Dinge,
deren Verständnis
ihrer Ansicht nach eine
umfassende finan-
zielle Kenntnis for-
derte. Einmal hatte
Oskar Taußick, einer
der Pensionäre, der
Bankbeamter war,
von Türkenlosen ge-
sprochen und Frau
Johanna daraufhin
geäußert, daß sie, sm
fern sie von einer
Zahl träumen sollte,
auf diese in der türki-
schen Lotterie setzen
wollte, worauf Herr
Taußick ihr die Be-
deutung der Prämien-
scheine zu erklären
versucht hatte. Frau
Johanna aber hatte
von der ganzen Aus-
einandersetzung nichts
verstanden, als daß
Kapitalisten biswei-
len einen Teil ihres
Geldes in Prämien-
scheinen anzulegen
pflegten, und da, wie
sieausdenRedendes
jungen Mannes herausgehört, das auch eine Art von Lotterie-
spiel war, so hatte sich die Befürchtung in ihr geregt, die Tante Mia
könnte ihr Vermögen bei einer so unsicheren Kapitalsanlage
riskieren. Wenn sie von Lotterie sprechen hörte, so dachte sie
immer nur an die Zahlenlotterie.
„Es wäre schrecklich, wenn die Tante so unvorsichtig sein sollte,"
äußerte sie später zu Ella. „Da müßte sie fortdauernd Hunderte
von Nummern gleichzeitig besetzen, und daß dann auch viele davon
gewinnen, ist ja höchst wahrscheinlich, aber vernünftig ist das
doch nicht."
Daß diese Vorstellung ihrer Mutter kindisch war, begriff
Ella wohl; aber gab es außer dem Spiel in der Zahlenlotterie
nicht noch ein anderes, weit gefährlicheres, das Spiel an der
Frühe Pflichten.
Nach einem Gemälde von N. Konopa.