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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

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Heft 8
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Bock, Fr.: Byzantinische Purpurstoffe mit eingewebten neugriechischen Inschriften: "Pallium litteratum" mit Elephantenmuster im reliquienschreine Karls des Großen des Aachener Münsters
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https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0078

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dem 8. und 9. Jahrhundert bezeichneten Llephantenstoffe
als ältere formverwandte Vorbilder zu dem jüngeren pal-
lium elephantinum zu betrachten, das in verkleinerter Ab-
bildung auf unserer Tafel ersichtlich ist.

Am unsere Leser, insbesondere aus dein Kreise der Kunst-
industriellen, durch Wiedergabe von lateinischen Titaten nicht
zu ermüden, seien int Folgenden nur wenige der betreffenden
Angaben aus den Vitae Papa nun des Anastasius im Urtext
angeführt zum Beweise, daß Tlephantenstoffe bereits vor
dem 9. Jahrhundert in der orientalischen Seidenfabrikation
häufig Vorkommen. So lesen wir unter anderetn zum Jahre
795 in der Lebensbeschreibung Papst Leo's III., der int
Jahre 80 s Larl d. Gr. in der St. Peter's Basilica zunt
abendländisch-fränkischen Kaiser krönte und später (80^) die
von demselben glorreichen Kaiser in Aachen erbaute, heute
noch bestehende Psalzkapelle feierlichst einweihte: . . . fecit
vestes . . . duas de tyrio . . . cum historia de elephantis
. . . Et fecit vestem de tun dato cum historia de elephantis1 *).
Nicht viel später berichtet der Thronist der altberühmten Abtei
Monte Casino die Geschenkgabe eines großen Behanges
mit Tlephanten durchwirkt, der als Wandbekleidung der
Thorsitze (Dossale) gebraucht wurde"). Ferner ntacht eilt
alter Historiograph der Abtei von Saint-Flotent zu Saumur
zum Jahre 985 die Mittheilung, daß der Abt an den vor-
nehmsten Kirchenfesten „cum elephantinis vestibus", ein
anderer der prioren „cum leoninis vestibus" liturgisch
bekleidet worden sei3). Dem eben Angeführten zufolge
scheint das mit Tlephanten gemusterte Meßgewand, das der
int Range höher stehende Abt an hohen Festen trug, reicher
und kostbarer von Stoff und Akusterung, vielleicht auch
jüngeren Datums gewesen zu sein als das mit Löwen ge-
musterte Gewand, das der Prior zu tragen pflegte.

Im pinblick auf das Vorfinden von zahlreichen Purpur-
geweben gerade zur Karolingerzeit, die mit großen Kreis-
einfaffungen und den Darstellungen von Tlephanten durch-
webt waren, neigte man bei der früheren Tröffnung des
Kaiserschreins der Ansicht zu, daß der in der ebengedachten
„arca" befindliche Tlephantenstoff ebenfalls aus der Karo-
lingerzeit , dem 9- Jahrhundert, herrühre undvielleicht
als integrirender Theil eines Kaisermantels oder einer ehe-
maligen reichen Funeralbekleidung zu betrachten sei. Tin-
gehendere vergleichende Studien auf den einschlagenden textilen
Gebieten des Mittelalters haben jedoch in letzten Jahren
zu der begründeten Ansicht geführt, daß der betreffende mit
Rundkreisen und Tlephanten gemusterte Purpurstoff nicht
der Karolingerepoche, sondern den Tagen der letzten pohen-
staufen angehöre, für welche Tntstehungszeit, wie im Folgenden
nachgewiesen werden soll, die im Ornament so reich ent-
wickelten vielfarbigen Musterungen, desgleichen auch der
Tharakter der Webe-Inschrift maßgebend seilt dürfte.

Noch aus eine Tigenthümlichkeit der kreisförmigen
Musterungen unseres Tlephantenstoffes fei hier schließlich
hingewiesen, die sonst seltener an den sormverwandten pallia
rotata oder orbiculata der romanischen Kunstepoche anzutreffen

9 Anastasius Biblioth., De Vit. Roman. Pontif., No. XCVIII.
Leo III. A. C. 795 (Rerum Ital. Script., tom. III, pag. 202 col. 1, D.)

9 Chron. S. monast. Casin., üb. III, Cap. XXXII. (Ib., tom IV,
pag. 450, col. 2, B.)

3) Hist. mon. S. Florent. Salmur., No. 24, apud Marten, et
Durand. (Veter. script. et monum. ampl. Collect., tom. V, col. 1106 D.)

ist. Ts stehen nämlich die Kreisbildungen, welche die Tle-
phantenfiguren gleichtnäßig einfaffen, nicht verntittels kleiner
Kreise zusammenhängend in Verbindung sondern diese im
Durchmesser 76,5—77,5 cm großen Kreismedaillons sind
radförmig ohne Verbindung, neben einander nach kurzen
Zwischenräumen aufgestellt, so zwar, daß sich jedesmal
zwischen vier Kreismedaillons ein größerer Zwischenraum
im dunkelrothen - Fond ergibt, der jedesmal durch kleinere,
zierlich gestaltete Pfianzenornamente -ebenfalls in Kreisform
ausgefüllt wird. Dieses schön stilisirte Füllungs-Ornament
im Durchmesser von 27—29 cm läßt im Innern zwei über-
einander gefügte Quadrate erkennen, eine häufig in byzan-
tinischen Verzierungen vorkommende geometrische Figur mit
acht Tcken, die man als „sigillum Salomonis" zu bezeichnen
pflegt.

Ts erübrigt noch, im Folgenden die Lesung der oft be-
sprochenen Inschrist klar zu stellen, die sich am unteren Saunte
unmittelbar über der Weberkante (lisiere) vorfindet. Die
beifolgende Abbildung unter Fig. I veranschaulicht dieselbe
nach einer genauen Durchpause auf dem Original in natür-
licher Größe. Diese Inschrift ist in gelber Farbe aus dunkel-
rothem Purpurgrund nicht gestickt, wie man früher glaubte,
sondern eingewebt, also nicht als opus acus, sondern als
opus pectinis oder textoris zu betrachten.

Seit dem ersten Tntziffern der sehr gekünstelten Inschrist
durch Abbe Martin bei Gelegenheit der ersteit Tröffnung der
atca b. Caroli Magni im Sommer 1843') hat das abgekürzte
Legendarium den Scharfsinn gelehrter Paläographen auf
die Probe gestellt. Tinzelne derselben haben ganz abweichende
Lesungen zu Vorschein gebracht; andere, die sich eingehender
mit der Tntzifferung der Webe-Inschrist in neuester Zeit be-
schäftigten, stellten fest, daß abgesehen von kleineren Anrichtig-
keiten Abbe Martin") die Lesung ziemlich richtig fixirt habe.
Außer der Tntzifferung der Itischrift und der ersten, wenit
auch in einigen Theilen mangelhaften Kopierung der Stoff-
musterung und seiner Webe-Inschrift gebührt dem oft citirten
pariser Archäologen auch noch das unbestrittene Verdienst,
daß er ebenfalls im Jahre 18^3 an entlegener Stelle in der
Sakristei des Münsters zu Aachen eine große Anzahl der
seltensten, meist naturhistorisch gemusterten Seidenstoffe des
6. bis 15. Jahrhunderts wieder auffand, die im Iittereffe
der Kunstindustrie und der Alterthuntswissenschaft einer
baldigen Abbildung und Veröffentlichung entgegensehen. Um
heute zur endlichen richtigen Lesung der oft ventilirten In-
schrift und zur genauen Feststellung der Tntstehungszeit und
der Anfertigungsstätte unseres tegumentum zu gelangen,
haben wir es nicht versäumt, die Ansichten und Meinungen
der angesehensten in- und ausländischen Fachgelehrten ein-
zuholen. Der mangelhaften, weil übereilten Kopierung wegen
lautet die zum ersten Mal 1851 von Martin3) und Tahier ver-
suchte Tntzifferung der Inschrist in Ancialbuchstaben wie folgt:
fi LAI MIX AHA ÜPIMIKHPIOr X0ITQN02 EIAIKOI
f nETPOr APXONTOS EPPHnOr (sic) INAKTIQNOS (B)

*) Dgl. das Eröjfnungsprotokoll in den »Melanges d’Archeologie«,
tom. II. paris ;85;, Seite 236.

9 Dgl. diese Lesung in den oft citirten »Melanges d'Archeologie«
tom. II pag. 238, paris ;85; und die abweichende Lesung von prof.
Dr. Floß in unserem Werk: Karls d. Großen pfalzkaxelle und ihre
Aunstschätze, Seite Löln u. Neuß ;866.

3) Dgl. MÄanges d’Archeologie p. Charles Cahier et Arthur
Martin, pag. 103 et 238, vol. II, pl. IX, X, XI, paris ;85;.
 
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