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Frimmel, Theodor von [Editor]
Blätter für Gemäldekunde — 2.1906

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Heft 5
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Gedanken über Kunst-Philosophie, [2]: künstlerische "Empfindung" und Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.27899#0116

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92

Nr. 5.

BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.

sammenhängt. Das künstlerische „Emp/
finden“ wäre also wohl mehr etwas,
das zum Fühlen der Psychologen ge-
hörte. Ohne definieren zu wollen, könnte
man sagen: Empfindung in der Kunst
ist Lust am Schaffen, und empfindungs-
los wäre ein Kunstwerk, das ohne Lust
oder mit Unlust geschaffen ist. Soweit
wäre es ja ganz vernünftig, wenngleich
nicht wissenschaftlich ausgedrückt, von
einem empfundenen Kunstwerke und
von Empfindung in der Kunst zu
sprechen. Der Ausdruck wird aber gar
oft mißverstanden, mystisch umhüllt
und ganz äußerlich angewendet. Völlig
unvernünftig wird die Sache, wenn die
„Empfindung“als etwas genommen wird,
das ganz undefinierbar wäre, sondern
das geahnt und auf übernatürlichem
Wege erhascht werden müßte. Ich meine
hier nicht das Auftreten von Lust oder
Unlust beim Schaffen der Künstler, eine
Angelegenheit, die vorläufig nicht hier-
her gehört, sondern ich ziele auf das
Herausfinden der Empfindung an den
fertigen Kunstwerken hin, auf das Er-
kennen des Umstandes, ob der Künstler
mit oder ohne Lust beim Schaffen war.
Manche Schriftsteller sprechen ganz un-
verhohlen aus, daß die Empfindung im
Kunstwerk nicht durch Äußerliches ver-
mittelt werde, also nicht durch Form
und Farbe.

Ich frage nun, wodurch denn, wenn
nicht durch Form und Farbe, welche
eben die Ausdrucksmittel der bildenden
Künste sind. Man müßte Okkultist sein,
um an eine andere Vermittlung zu
glauben, als ob etwa die Empfindung
unsichtbar und unfaßbar jedes Kunst-
werk begleitete. Ob ein Bild mit oder
ohne Empfindung gemalt ist, muß aus
dem abzulesen sein, was man darauf
sieht, oder es ist im gegebenen Falle
überhaupt nicht zu erkennen. Gedanken
und Gefühle, die in das Bild hinein-
geträumt worden sind, ohne darin ma-
teriellen Ausdruck gefunden zu haben,

sind dort überhaupt nicht zu holen;
niemand wird sie hinterher heraus-
zwingen. Man ist in weiten Kreisen
gewohnt, sich in solchen Angelegenheiten
den gröbsten Täuschungen hinzugeben.
Ein Hinweis: Viele bildende Künstler
sind durch bestimmte Werke der Musik
zum Schaffen angeregt worden. Einige
brachten dabei bewunderungswerte Dinge
zustande, die uns zu fesseln verstehen.
Wer erinnerte sich nicht einiger Erfin-
dungen von G. Max, die hierher gehören,
wer kennte nicht M. Klingers Brahms-
Phantasien. Ist man jedoch aufrichtig
und sieht man von allen Überschriften
in Buchstaben und Musiknoten ab, so
muß man zugestehen, daß mit Aus-
nahme einer ganz allgemeinen nebel-
haften Stimmungs-Verwandtschaft jede
Brücke fehlt, die irgendwie eine Ver-
bindung zwischen Musik und Malerei
herstellen könnte. Das Farbenhören,
die „audition coloree“ ist ja auch nichts,
aus dem sich für bestimmte Fälle mit
scharf umrissenen Grenzen sichere
Schlüsse ziehen ließen, und die „Experk
mental-Untersuchungen über Musik-
phantome“ von Dr. Ch. Ruths beweisen
(allerdings meist unfreiwillig) die schwan-
kende Nebelhaftigkeit der Formvor-
stellungen und Farben, welche durch
das Hören von Musik hervorgerufen
werden. Alles Bestimmtere geht auf
individuelle Erinnerungen zurück. Was
sich etwa vorsichtig verallgemeinern läßt,
sind Vorstellungen wie Wasser, Wellen,
Helligkeit, Finsternis, Steigen, Fallen.
Dies hängt offenbar mit der augenschein-
lich recht bestimmten Trennung der
Bezirke zusammen, die in unserer grauen
Gehirnrinde jedem Sinnesorgane zu-
kommen.

Daß nun bei so vielen Musik und
räumliche Formvorstellungen scheinbar
zwingend miteinander verbunden sind,
liegt gewiß vielfach an der mächtigen
Wirkung der Suggestion durch einen
Titel, durch ein Programm. Nicht jedem
 
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