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Frimmel, Theodor von [Editor]
Blätter für Gemäldekunde — 2.1906

DOI issue:
Heft 10
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Zu Vermeer van Delft
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https://doi.org/10.11588/diglit.27899#0208

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184

BLÄTTER FÜR GEMÄLDEKUNDE.

Nr. io.

künstlerischen Vertiefung, mit der seine Werke geschaffen sind. Die Fruchtbarkeit
eines Rembrandt war ihm nicht gegeben, noch weniger die ungeheuere Schaffens'
kraft eines Rubens, eines Tizian und Tintoretto, auch nicht der Witz und Humor
eines Jan Steen. Dafür haben seine Bilder alle etwas Bezauberndes, Faszinierendes,
um mit einem ganz subjektiven Urteil zu beginnen. Objektiv angesehen, sind sie
künstlerisch höchst ausgereift, durchdacht, ohne daß sie dabei irgendwie ein theo'
retisches Studium prahlend herauskehren würden, wie Vermeer es doch unbedingt
sehr gründlich durchgemacht hat. Das kommt bei wenigen anderen Künstlern
vor. Sogar Pieter de Hooghe kann in seinen Werken nicht ganz über das Ge'
machte, Berechnete hinwegtäuschen. Vermeer, auf der höchsten Stufe der Ent'
wicklung, schwelgt nun so gänzlich in den Wirkungen malerischer Perspektive,
in Licht und Farbe, er beherrscht die Kunstmittel mit solch spielender Leichtig'
keit, daß er bei den meisten Beschauern alles Technische vergessen macht und
in einer höchst vollkommenen Weise den Eindruck vermittelt, den er von den
Dingen gehabt hat. In diesem Sinne ist Vermeer als Impressionist angesprochen
worden. Streng genommen vertritt Vermeer das größte Raffinement einer korm
ponierenden, wenngleich im übrigen ganz realistischen Malerei. Daß man die
schlaue Berechnung nicht merkt, verdankt Vermeer seinem ungeheueren Talent.
Dieses war jedoch nicht vielseitig, und es mag rasch ermüdbar gewesen sein.
Man kann im Verhältnis zur Lebensdauer des Künstlers — er ist 1632 geboren
und 1675 gestorben*) — eine nur geringe Anzahl von Werken nachweisen. Es
sind deren nicht viele über 30 bekannt geworden. Vor einigen Jahren zählte
man 31.**) Dann ist Vermeers Talent auch in der Beziehung begrenzt, daß
der Mann, soweit man ihn heute kennt, keine großen Historien gemalt
hat; welche weise Beschränkung! Von unserem Künstler sind ferner keine
handwerklich hergestellten Bildnisse bekannt und nur wenige Gemälde, die man
im allgemeinen Landschaften nennen kann. Mehr sind es Ansichten von
Straßen und Plätzen als Landschaften. Zumeist aber finden wir Innenräume
auf seinen Bildern dargestellt. Darin wenige Personen, meist nur eine Figur
beschaulichen, ruhigen Charakters. Keine wildbewegten Szenen, keine leidenschaft'
liehen Auftritte. Ein Mädchen steht vor dem Spiegel, eine Köchin gießt
Milch in einen Topf, eine Dame steht beim Spinett, ein Geograph neigt sich
über seinen Arbeitstisch vor. Auch das Hauptbild des Meisters ist von stiller,
schlichter Art: der Maler sitzt vor der Staffelei. Nur ein weibliches Modell steht
noch im Atelier. Was aber die Hülle und Fülle hereinströmt, das ist Licht,

*) Durch Obreen, Havard und Bredius ist eine Reihe von Daten aus dem Leben dieses
Vermeer festgestellt worden. Vermeer heiratete am 5. April 1653 zu Delft Katharina Bolnes.
Am 29. Dezember 1653 trat er in die Delfter Gilde ein, deren Hauptmann er 1662, 1663, 1670
und 1671 war. Am 15. Dezember 1675 wurde er zu Delft begraben. Er hinterließ eine Witwe
und acht unmündige Kinder. Im Nachlaß kommen unter anderem Bilder von Karel Fabritius
vor, ferner neben zwei Staffeleien auch Leinwänden und Bretter für Gemälde.

**) C. Hofstede de Groot, „De een en dertigste Delftsche Vermeer“. Artikel im „Neder-
landsche Spectator“, 1899, Nr. 27. Beschreibung des Bildes bei Lewis Frey in Goldney House zu
Clifton nächst Bristol. — 1895 wurden nach Ausschluß der vielen Landschaften des Haarlemer
Vermeer aus dem Werk des Vermeer van Delft 30 gezählt. Wollte ich den sogenannten
G.Metsu der Sammlung Pelham Clinton Hope hinzurechnen, dessen Metsu-Signatur ich bei eigen'
äugiger Besichtigung als falsch notiert habe und dessen Verwandtschaft mit Vermeer allgemein
bekannt ist, so käme ich heute auf 33. Indes lasse ich dafür andere aus den älteren Listen
fallen. Von einer neuen Großfoliopublikation, die De Groot bei K. W. Hiersemann erscheinen
läßt, liegt die erste Lieferung vor.
 
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