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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Bergius, Hanne: Ästhetische Imaginationen zum künstlichen Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0017

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waren kultur- und zivilisationskritische Pole,
die diese Avantgarde der zwanziger und
dreißiger Jahre neu bestimmten. Daß diese
Dynamisierung und Mechanisierung ambiva-
lent gesehen wurde, das haben vor allem die
Künstler der zwanziger Jahre in Deutschland
gezeigt; dazu veranlaßte die Erfahrung der
gigantisch-zerstörerischen Maschinerie des
Ersten Weltkrieges. Der Körper wurde zur
Angriffsfläche von Kräften, die ihn fragmen-
tierten. Der Mensch wurde verkrüppelt und
künstlich mit Prothesen nach dem Krieg wie-
der zusammengesetzt. Die Analogie von ei-
ner synthetischen Mensch-Montage miteiner
vollkommen mechanisierten Gliederpuppe,
die unter dem Diktat eines beschleunigten
tayloristischen Arbeitsprozesses stand, das
stellte Hoerle 1920 in dieser Allegorie der Zeit
dar. (Abb. 5)

Abb. 5: Heinrich Hoerle: Arbeiter 1922

ln der Dada-Plastik von Raoul Hausmann „Der
Geist unserer Zeit" (1921) verlieh er diesem
Vorgang der Transformation des Menschen
in eine Mechano-Puppe eine ebenso eigen-
willige wie gültige Form, versehen mit den
maschinoiden Zeichen der Zeit: An den stan-
dardisierten Holzkopf einer Schaufensterpup-

pe schraubte er Stempelwalze, Taschenuhr,
Portemonnaie, Holzlineal und Messingteile
von einem Photoapparat, klebte ein Stück
Zentimetermaß auf die Stirn und krönte das
Haupt mit einem ausziehbaren Meßbecher.
Hierzu sein ironischer Kommentar: „Wozu
Geist haben in einer Zeit, die mechanisch
weiterläuft?" (16)

Expressionistisch gefärbt wurde die Kritik an
der Mechanisierung des Menschen im Film
„Metropolis" (1927) von Fritz Lang. Hier hält
der unerbittliche Takt der Maschine das von
der Außenwelt und vom Leben abgeschnit-
tene Arbeiterheer gefangen - düstere Vision
einer kollektiven Versklavung, in die sie der
künstliche Mensch Maria, dämonisiert durch
die elektrischen Stromstöße, die sie gleich
Strahlenkränzen bei ihrer Entstehung um-
zuckten, als wissenschaftlich manipuliertes
„Teufelswerkzeug" des Kapitals immertiefer
ziehen wollte. Mit Fronarbeit und Sklaven-
tum verbindet sich seit 1920 auch der Begriff
des Roboters, der aus dem Tschechischen
stammt und der von Carel Capeks Theater-
stück „R. u. R." (Rossum Universal Roboter)
geprägt wurde.

5. Von der Industrialisierung der
Sinneswerkzeuge bis zur
virtuellen Schwerelosigkeit

Wie sich die Vorstellung vom Neuen Men-
schen seit der Industrialisierung vom Körper
auf den mechanischen Apparat verschob, so
begannen auch die Grenzen zwischen Orga-
nischem und Mechanischem zu verschwim-
men. Bei der mit Stangen in den Raum ver-
längerten Gestalt des Tänzers aus Oskar
Schlemmers mechanischem Ballett „Stäbe-
tanz" (1928/29) (17) (Abb. 6) ließ sich nicht
mehr eindeutig definieren, ob die Technik
eine Prothese des menschlichen Körpers oder
umgekehrt der um neue mechanische Glied-
maßen bereicherte Mensch eine Verlänge-
rung der technischen Apparatur darstellte.
Die Extension des Körpers durch neue Tech-
nologien - sie sollte eine neue künstlerische
und geistige Identität hervorrufen, mit der
sich positiv gewendet eine Erweiterung der
Wahrnehmung verband.

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