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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Jonas, Wolfgang: De-Materialisierung durch Körperorientierung - ein Gedankenexperiment
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0077

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Damit wird Rückkopplung (Projektion - Rück-
projektion) möglich, die zur Beschleunigung
des Prozesses führt. So etwa, wenn das Ge-
hirn als Computer, der Computer als Elektro-
nengehirn bezeichnetwird. Der Körpertaugt
nicht einmal mehr als exklusiver Sitz des Gei-
stes. Geist ist nun die substanzlose Software
im Gegensatz zur Hardware des Körpers, die
auch in beliebiger anderer Form vorstellbar
ist. Man denke an die Projekte einiger Ver-
treter der Kl-Gemeinde (z.B. MINSKY, MORA-
VEC).

Die perfekte Beherrschung von Materie / En-
ergie / Raum / Zeit / Information ist verbun-
den mit den Dualismen Innen - Außen, Sub-
jekt - Objekt, Körper - Geist und virtuell - real.
Wirklichkeit ist nun dasjenige, dessen Ursa-
chen im Außen liegen. Das Außen ist mani-
pulierbar, über das Außen sind Ängste und
Wünsche kontrollierbar.

Soweit ist die Geschichte bekannt. Und nun
stehen wir ratlos vor den Problemen, die wir
uns mit der Massenproduktion von Wunsch-
und Angstmaschinen beschert haben: Die
Körper kehren mit Macht zurück, reklamie-
ren ihre innige Verbundenheit mit dem Geist.

Körper - Geist (Werbung Davidoff Relax)

Das autonome Subjekt und das objektive
Objekt werden zur Fiktion und nicht einmal
mehr die mühsam erarbeitete Trennung real
- virtuell funktioniert. Dazu zwei Beispiele:

1) Sie tätigen ein Bankgeschäft vom heimi-
schen PC aus, die Schnittstelle ist als realisti-
scher Schalterraum gestaltet. Vielleicht ist da,
obwohl es spät am Abend ist, sogar Ihr per-
sönlicher Sachbearbeiter lebensecht zu sehen.

2) Sie besuchen ein Theater: absurdes Stück,
lebendige Schauspieler, viel Bühnentechnik,
Holografie, etc. ...

Frage: Welche der beiden Situationen ist real,
welche virtuell? Sind die Begriffe noch an-
gemessen? Waren sie es je?

Der Geist ist willig,

Z.B. Entmaterialisierung

Eine typische Klage: Der blasphemische
Mensch ist dabei, die Schöpfung incl. sich sel-
ber durch seine Hybris zu zerstören. Aber:
Warum denn Blasphemie? Warum denn Hy-
bris? Der Schöpfer ist eine menschliche Eigen-
konstruktion, wie wir gesehen haben. Das
Entwickeln von Wissenschaft und Technik ist
die aktive Wendung, anhand derer die Men-
schen versuchen, eine Antwort auf die durch
ihre originäre Krankheit erzeugten entsetz-
lichen Ängste zu finden. Aber die Wunsch-
und Angstmaschinen funktionieren nicht
mehr so reibungslos.

Produktion-Konsumption - Müli

Die Immaterialisierung als Faktum, wie viele
Postmoderne sagen, existiert nicht. Was sie
sagen, hört sich oft an wie die Werbeparolen
der Telekommunikationsindustrie. Mag sein,
daß wir schon im Informationszeitalter leben,
aber die Informationsprodukte gibt es nicht
anstelle, sondern zusätzlich zu den materiel-
len Produkten. Sie schieben sich - oder bes-
ser: wir schieben sie - zwischen uns und die
Welt.

Die Welt leidet an der Überfülle der Dinge,
sagt man. Immer mehr Dinge, immer mehr
Lösungen, immer mehr Probleme. Leiden wir
tatsächlich darunter? Es scheint so, als brau-
chen wir die Dinge. Nur manchmal haben wir
ein schlechtes Gewissen.

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