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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Jonas, Wolfgang: De-Materialisierung durch Körperorientierung - ein Gedankenexperiment
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0080

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also ein „wieviel", aber nicht ein „was". Di<
Neuronen als Sinneszellen sind darauf spezia
lisiert, nur auf einen universellen „Wirkstoff'
/ „Reizstoff" anzusprechen.

Impulsfrequenzen, zum Prinzip der undifferenzierten Ko-
dierung (VON FOERSTER)

VON FOERSTER: „Es gibt 'da draußen' weder
Licht noch Farbe, es gibt lediglich elek-
tromagnetische Wellen; weder Schall noch
Musik, es gibt nur periodische Schwankungen
des Luftdrucks; 'da draußen' gibt es weder
Wärme noch Kälte, es gibt nur Moleküle, die
sich mit mehr oder minder großer mittlerer
kinetischer Energie bewegen, usw. ..."

ROTH: „Dies alles führt zu der merkwürdigen
Feststellung, daß das Gehirn, anstatt weltof-
fen zu sein, ein kognitiv in sich abgeschlosse-
nes System ist, das nach eigenentwickelten
Kriterien neuronale Signale deutet und be-
wertet, von deren wahrer Herkunft und Be-
deutung es nichts absolut Verläßliches weiß."
Das Nervensystem ist also so organisiert - oder
organisiert sich selbst so -, daß es in der dau-
ernden rekursiven Verknüpfung von Senso-
rik und Motorik eine stabile Wirklichkeit er-
rechnet. LUHMANN: „Das Bewußtsein inter-
pretiert Körpervorgänge als Welt." Die in-
formationelle Geschlossenheit ist Vorausset-
zung dafür, daß Autonomie und so etwas wie
Bewußtsein / Selbstbewußtsein entstehen
kann. Sie ist aber ebenso Voraussetzung für
soziale Interaktion und dafür, daß Erkennt-
nis möglich ist. Ein informationell offenes
System wäre ein bloßes Reflexsystem, starr an
seine Umwelt angekoppelt und in diesem Sin-
ne fremdgesteuert, heteronom.

<X>

Senso-motorisch-instrumentelle Kreise um den Menschen

Der Mensch hat im Laufe seiner Entwick-
lung immer weitere, technisch und wissen-
schaftlich gestützte, Kreise von Aktion (Mo-
torik) und Perzeption (Sensorik) um sich ge-
zogen. Er war sogar auf der Suche nach ei-
nem göttlichen Standpunkt außerhalb aller
Kreise. Er erkennt nun, daß er letzlich be-
schränkt ist auf den innersten, geschlossenen
Kreis seiner körperlichen Sensorik und Mo-
torik und allein daraus seinen Weltbezug
konstruiert: Information, Kommunikation,
Technik, Wissenschaft. Und er wundert sich,
wie erfolgreich er bisher doch damit war.
Also: Wir haben keinen Körper, wir sind un-
ser Körper. Die gegenteilige Behauptung ist
eine mühsame kulturelle Konstruktion, die
unweigerlich zusammenbricht, sobald wir
krank und gebrechlich werden (LUHMANN,
Der med. Code).

Wir haben es mit einer Wiederannäherung
von erster und zweiter Natur des Menschen
zu tun, von Innen- und Außenwelt, von Kör-
per und Geist. Wir erleben den intellektuel-
len Zusammenbruch bzw. das Verschwimmen
der Grenzen zwischen Tier, Mensch und Ma-
schine, die Cyborgs sind im Anmarsch. HARA-
WAY (S. 40): „Aus einer anderen Perspektive
könnte die Cyborgwelt gelebte soziale und
körperliche Wirklichkeiten bedeuten, in der
niemand mehr seine Verbundenheit und
Nähe zu Tieren und Maschinen zu fürchten
braucht und niemand mehr vor dauerhaft
partiellen Identitäten und widersprüchlichen
Positionen zurückschrecken muß."

Dies alles trägt dazu bei, unsere inneren Wirk-
lichkeiten zu rehabilitieren, unsere Gefühle
und Träume für wirklich zu nehmen. Unser
scheinbar bewußtes und rationales Handein

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