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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Jonas, Wolfgang: De-Materialisierung durch Körperorientierung - ein Gedankenexperiment
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0083

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STELARC erforscht die „schlüpfrige" Zone
zwischen Mensch und Maschine, denn, so
seine Worte, wir sind nicht mehr nur biologi-
sche Körper, aber wir sind auch keine au-
tomatischen Maschinen. Es geht ihm darum,
die menschliche Architektur neu zu gestalten,
zu vernetzen, mit Schnittstellen zu versehen,
so daß der Mensch in dieser neuen Umge-
bung des Informationsüberflusses, der präzi-
sen und machtvollen Technologien und der
neuen außerirdischen Räume funktionieren
kann.

Für Design bedeutet das: Info-Design läßt sich
nicht auf das Gestalten von Interaktionen via
Bildschirmoberflächen (dazu gehört auch VR)
reduzieren, sondern umfaßt potentiell unse-
re gesamte äußere und innere Sensorik.

Bisher sind dies recht halbherzige Versuche.
Die andere Variante der völligen Entkörperli-
chung des Geistes klingt wenig überzeugend.
Der Geist ist, wie es scheint, auf den Körper
als Substrat angewiesen, ist ein körperliches
Emergenzphänomen. Und wichtiger: das
Körperinnere ist und bleibt das wichtigste
Sensorium. VON FOERSTER: „Da wir nur über
rund 100 Millionen Sinneszellen verfügen,
unser Nervensystem aber an die 10.000 Milli-
arden Synapsen enthält, sind wir gegen-
über Änderungen unserer inneren Umwelt
lOO.OOOmal empfänglicher als gegenüber
Änderungen in unserer äußeren Umwelt."
Nutzen wir also die immensen Möglichkeiten
dieses Sensoriums. Die Selbstbeteiligung
macht erst den Reiz. Überschreiten wir die
Grenze und machen Design im Innern des
menschlichen Körpers. Gehen wir näher ran
an die sensorischen Apparate mit den Quel-
len der Reize:

Die chemische Industrie arbeitet mit Hoch-
druck an legalen Drogen zur Herstellung von
Pharma-Wirklichkeiten. Stanislaw LEM hat in
seinem „Futurologischen Kongreß" ein-
drucksvoll geschildert, wie es aussehen könn-
te, wenn maßgeschneiderte, beliebig ab-
gestufte Wirklichkeitsschichten pharmakolo-
gisch hergestellt und im System der „Phar-
makokratie" verteilt werden, ohne daß die
Menschen davon erfahren. Heute sind wei-
tere technologische und wissenschaftliche
Voraussetzungen in der Entwicklung: VR-
Techniken, Bio-Engineering, Prothetik und
insbesondere die Nanotechnik („Molekulare
Maschinen": mechanisch, sensorisch, com-

putational. Bereits verfügbar: Logik-Elemen-
te, Fullerene, Nano-Tubes, etc.). Der Größen-
vergleich zwischen einer Synapse und einem
Nano-Bauteil läßt erahnen, was dort möglich
sein wird.

Synapse (Größenordnung 10 Mikrometer), Nano-Bauteil
(Größenordnung 2 Nanometer)

Insbesondere Kombinationen dieser Techno-
logien sind erfolgversprechend. Die moder-
ne Medizin steht hier in der vordersten Rei-
he der Entwicklung. Sie scheint momentan
geradezu „gierig" zu sein nach den Bildern
aus dem Inneren des Körpers, den optischen
(endoskopischen) und den „künstlich" er-
zeugten und den sich daraus ergebenden
Möglichkeiten.

Gehirn, MRT (Magnetresonanztomographie) und 3D-Modell

Das Besondere der neuen Modelle besteht
darin (MALDONADO), „daß sie die realsten
virtuellen Modelle sind, die je konzipiert
wurden - realste Modelle im Sinne einer grö-
ßeren formalen, strukturellen und funk-
tionalen Ähnlichkeit mit den dargestellten
Gegenständen, das heißt operativ zuverläs-
sigere Modelle, die als kognitive Instrumente
zu nutzen sind."

Andererseits: Es handelt sich um Phänome-
ne, die unserem externen menschlichen Sen-
sorium unzugänglich sind (physikalische Ef-
fekte in der Interaktion mit unserem Körper

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