Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

DOI article:
Oehlke, Horst: Darstellung des Nichtdarstellbaren
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0163

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Auf Wahrnehmungsphänomene nun will ich
mich konzentrieren, um diese dann mit dem
begrifflichen Gegenstand Unendlich zu ver-
gleichen.

Das wird vorwegnehmend ergeben, daß Un-
endliches nur mit Endlichem beschrieben und
"dargestellt" werden kann. Wir wissen es
ohnehin.

Für uns ist Unendliches nur vermittels schein-
bar nicht endendem Endlichen erfahrbar. Der
zurückweichende Horizont, die praktisch
nicht mehr weiter zu verkleinernde Form
belehren uns darüber.

Sein istendlich. ,Unendlich, kann nurgedacht,
nicht „vorgestellt" werden. Es gibt dafür nur
Symbolismen und Näherungsmodelle.

Raum und Zeit, Materie und Energie setzen
die Grenzen für sinnliche Wahrnehmung.
Überschritten werden können sie nur den-
kend, im "axiomatischen Akt".

Mit anderen Worten, für die bloße sinnliche
Wahrnehmung setzen die physikalischen Ge-
gebenheiten der Naturerscheinungen die
Grenzen. Die Grenzen der Wahrnehmung
können nur überschritten werden durch Ver-
zicht auf Wahrnehmbarkeit und Anschaulich-
keit.

Mathematische und philosophische Logik und
sinnliche Wahrnehmung sind allerdings als
Komplemente zu werten und iri ihrer gegen-
seitigen Ergänzung praktisch sinnvoll.

Unendlichkeit ist nicht vorstellbar und nicht
darstellbar. Die Unvorstellbarkeit und Nicht-
darstellbarkeit von Unendlich, ist ein wesent-
licher Teil des Inhalts des Begriffes Unendlich.
Alle Zeichen und Bilder, die dafür gefunden
und benutzt werden, sind mit endlichen Mit-
teln erzeugt, haben endliche Struktur und
sind damit schwache Behelfe, nicht potenti-
elle Vertretungen.

Der Begriff Unendlich ist ein synthetischer,
ein axiomatisches Konstrukt. Er ist Denk-
produkt, nicht Erfahrungsgegenstand.
Unendlichkeit liegt nicht im physikalisch de-
finierbaren Raum/Zeit-Kontinuum und nicht
in unserer sinnlich erlebbaren Welt. Sie ist
kein Merkmal davon. /13/

Sie liegt in einem ideellen Raum. Sie kommt
selbst aus der „Unendlichkeit" der Kombinat-
ions- und Innovationsfähigkeit des menschli-
chen Geistes, mit dem sie verschwindet, wenn
keine kommunikativen Brücken dafürsorgen,

daß Kommunikation stattfinden und Infor-
mation weitergegeben werden kann. Die
Möglichkeiten eines Endes scheinen potenti-
ell vorhanden und von höherer Wahrschein-
lichkeit des Eintreffens, als sein Gegenteil. Für
den einzelnen Menschen und jeden einzel-
nen Gegenstand ist das Ende sicher, wenn
auch aus anderen Motiven heraus unvorstell-
bar bzw. verdrängt.

Mit dem Computer sind Operationen mög-
lich geworden und vor allem darstellbar, die
im Feld des Unendlichen völlig neue Perspek-
tiven eröffnet haben. In den Form- und
Strukturbildungsprozessen fraktaler Bilder, in
ihren zoomenden Bewegungen nähert man
sich immer mehr der Vorstellung vom Endlo-
sen, vom Unendlichen.

Scheint nicht der Computer das Prinzip Un-
endlichkeit zu ermöglichen ? Können die
genannten Grenzen durch die digitale Tech-
nik überwunden werden? Die Anschauung
fraktaler Computerdarstellungen könnte das
verrmuten lassen. Die prozessualen Näherun-
gen sind faszinierend.

Oder ist das Windowing der Abbildungs-
prozesse nur ein Abschnitt in einer Kreisbe-
wegung, bildlich gesprochen? Als wenn man
auf den Horizont in einer Ebene oder auf ei-
ner gedachten Kugeloberfläche zuschreitet?
Er weicht zwar zurück, man kommt an keine
Grenze, an kein Ende, sondern höchstens
wieder auf einen vorherigen Punkt zurück.
Außerdem, der Computer kann abstürzen
und er benötigt Energie, deren unterbroche-
ne Zufuhr eine Grenze setzt.

Das Resultat ist und bleibt der Widerspruch
oder besser die Kluft zwischen einer theore-
tisch formulierbaren Unendlichkeit von Lini-
en, Reihen, Strukturen usw. in jedweder Rich-
tung und der immer wieder erfahrbaren
Endlichkeit, dem Abschluß, dem Ende, dem
letzten Mal in unserer wahrnehmbaren Welt.

161
 
Annotationen