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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 16.1995

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Oehlke, Horst: Darstellung des Nichtdarstellbaren
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https://doi.org/10.11588/diglit.31840#0164

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Ich werde im Folgenden beispielhaft einige
Phänomene, Situationen und Gegenstände
ohne stringente Systematik und wissenschaft-
liche Akribie, nur unter dem Aspekt des da-
bei feststellbaren inkongruenten Verhäitnis-
ses von sinnlicher Wahrnehmung, abstra-
hierendem Denken und Wissen, aber auch
durchaus dunkler Ahnung, vorstellen und
dann schlußfolgernde oder vielleicht eher
konditionierende Aussagen für gestalterische
Aufgaben und zum Umgang mit gestalteri-
schen Mitteln versuchen.

Das erste mache ich wie gesagt sehr subjek-
tiv in einer Mischung von Fakten und Deu-
tungen. Für das letztere stehen Überlegun-
gen aus der gestalterischen Praxis zur
Verfügung.

Gegenstände und Prozesse, Phänomene und
Wahrnehmungen, durch die eine, wenn auch
behinderte, „Erfahrung" von Unendlichkeit
aufdämmert, ahnbar wird, sich vielleicht so-
gar aufdrängt, findet man in unterschiedli-
chen Bereichen und Situationen.

Sie werden hervorgerufen, gestützt und be-
grenzt durch Wissensangebote, -bestände
oder -barrieren einerseits, zum anderen na-
türlich durch ihre Gebundenheit an Sinnes-
modalitäten und die Einbettung von Wahr-
nehmung in Raum und Zeit.

Es durchmischen sich elementares Erleben
und künstlerischer Ausdruck, diese wiederum
fundiert und flankiert von mathematischem
Wissen und geometrischen Vorstellungen. Sie
existieren in der Gegenständlichkeit, Räum-
lichkeit und Zeitlichkeit des Alltagslebens wie
in den Äußerungen von Kunst und Literatur,
und werden zum Teil vermittelt über philo-
sophische Aussagen und Glaubenssätze.

In dieser Mischung kann Ordnung nur mit der
systematischen Hilfe wissenschaftlicher Diszi-
plinen geschaffen werden. Erklärungen und
Definitionen dazu sind in Sprachwissenschaft,
Philosophie, Mathematik und Naturwissen-
schaft zu haben.

Die Auf- und Einarbeitung der dazu gegebe-
nen Bestände kann hier nicht geleistet wer-
den.

Die zur Veranschaulichung meines Anliegens
zusammengetragenen Beispiele entstammen
ganz unterschiedlichen Wahrnehmungs-
bereichen und Erlebenssituationen. Sie stam-
men aus Alltag und Naturerleben, aus Kunst,

Literatur und Sprache. Sie sind weder syste-
matisch geordnet, noch klassifiziert. Aber ir-
gendwie hängen sie alle untereinander zu-
sammen, nicht nur, weil sie zu meinem
Veranschaulichungszweck versammelt wur-
den, sondern aufgrund der bereits erwähn-
ten Überschneidungen und Berührungen der
angrenzenden Wortbedeutungen, aber doch
wohl noch mehr wegen der ihnen zugrunde-
liegenden mathematischen und geometri-
schen Überlegungen, d.h. Gesetze und Defi-
nitionen. Diese stecken überall darin, soweit
es sich nicht um ganz allgemeine und vage
strukturierte subjektive Beobachtungen/Ein-
drücke und Interpretationen handelt.

Die von mir in den Kasten „Alltagsphäno-
mene" gelegten Beispiele sind allesamt mit
mathematischen Gesetzmäßigkeiten erklär-
bar. Geometrie und Topologie liefern für vie-
le der vorgebrachten Beispiele sinnfällige
und logische Definitionen der Form- und
Strukturbildung durch Funktions- bzw.
Bewegungsverläufe. /14/ 715/

Parallele Geraden schneiden sich nicht, da-
mit geht man praktisch denkend um.
Allerdings würde beim Zeichnen mit Stift und
Schiene schon in nicht allzu ferner Distanz
außerhalb des Reißbrettfeldes das Gegenteil
geschehen. Es liegt am Ungeschick des Zeich-
ners und an der Unzulänglichkeit der Mittel.
Aber es ist eine unübersehbare Tatsache, daß
es sich so verhält. /16/ Mit Laserstrahlen kann
man wesentlich präziser arbeiten.

Wer sich des Bahnfahrens nicht völlig enthält,
kann es immer wieder selbst beobachten.
Wenn keine Gleisbiegung dazwischen
kommt, sieht man, aus dem Zug hinten her-
ausschauend noch vor dem Horizont die par-
allelen Eisenbahnschienen zusammenlaufen!
Sie berühren sich dem visuellen Eindruck nach
bereits in einigen Kilometern Entfernung. Das
Unendliche müßte aber doch etwas weiter
weg liegen.

In der Bewegung, auf den Gleisen entlang,
erfahren wir hinreichend genau, daß diese
sich zum Glück doch nicht berühren und
schon gar nicht schneiden.

Das ist die visuelle Erfahrung bei der Wahr-

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