Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
366

Deutsche Kunst.


pietätvoll in das Ganze des Baues mit allen ihren Formen
und in ihren ursprünglichen Größeverhältnissen eingereiht
worden sind.
Wir verlassen so den Rathsaal von Mellingen aus
dem Jahre 1466 und begeben uns in die Säle der alten
Fraumünsterabtei, die uns nach vier Jahrhunderten von
den Geheimnissen der Aebtissin Katharine erzählen und
uns beweisen» daß die Rönnen aus dem Jahre 15OO
deswegen» weil sie eingeschlossen waren» noch nicht auf
alle Lrdenfreuden verzichteten. Zweifellos würden sich diese
frommen Damen noch in ihrem Kloster glauben» wenn sie
heute in diese Säle zurückkommen könnten» welche pietät-
volle Sorgfalt so gut erhalten und so rekonstruirt hat»
wie sie verlassen wurden. Ihre Ahnen» Herr Gtadtpräsi-
dent» haben 1583 nicht übel in Lhiavenna gewohnt» ebenso
wenig wie jener Marschall Lochmann» der aus fremden
Diensten heimkehrend» sich in Zürich mit den Bildern her-
vorragender Personen, die er gekannt hatte» umgab» jeden-
falls um noch mit ihnen über seine Feldzüge und Aben-
teuer plaudern zu können. Und diese Täftleien» diese
Holzschnitzereien» das ist so recht unsere einheimische Kunst;
das sind unsere ureigenen Formen» die bei uns geschaffen
wurden» und die nicht von der Nachbarschaft entlehnt
wurden. Und weiter hier» entsprechend dem genannten
Wand- und plafondschmuck» als wollten sie ihm mehr
Wärme und Behaglichkeit verleihen» unsere Glasmalereien
aus dem 16. Jahrhundert» die unsere Nachbarn aus unsern
Fenstern nahmen» um sie zum schönsten Schmuck ihrer
Sammlungen zu machen! Man betrachte den Glanz ihres
Roth und Gold, ihr sattes Blau» das heute noch nicht ge-
bleicht und niemals erreicht worden ist, und man wird
gestehen müssen» daß die Künstler, die sie geschaffen, die
großen Meister ihrer Kunst sind und bleiben. Ihnen zur
Seite stehen unsere Goldschmiede und Lifeleure des
16. Jahrhunderts, mit ihren so mannigfachen und so
schönen Prunkschalen, und unsere Schmiede mit ihren ebenso
soliden leichten Gittern.

A. Feuerbach. Medea, Handzeichnung.
Original im Besitz der Kunsthandlung ^fritz Gurlitt, Berlin.
Sorge zu tragen, daß wir den uns zukommenden Platz
in der Lntwickelungsgeschichte unseres Landes und
Volkes ehrenvoll einnehmen, daß wir in unseren Denk-
mälern auch würdige Zeugen unseres Daseins hinter-
lassen."
Herr Stadtpräsident Pestalozzi schilderte einen Gang
durch die Räume, von denen jeder ganz im Charakter einer be-
stimmten Epoche gehalten ist:

Vervollständigt wird dieses Gesammtbild durch die weib-
lichen Arbeiten: Spitzenklöppeleien, Tapeten- und Teppich-
arbeiten, deren Zeichnungen nicht gewoben, sondern im Wallis
oder in der Csstschweiz gestickt wurden und von denen ein schönes
Muster uns den Beweis dafür leistet, daß die Frauenemanzipation
nicht von heute stammt, indem schon im 16. Jahrhundert die Königin
von Saba, Dalila, Bathseba und Judith die Fähigkeiten der
Frau und ihre Ueberlegenheit über den Mann offenbarten. Nicht
vergessen will ich unsere Töpferkunst. Die großen Winterthurer
Kachelöfen in Blau und abwechselnd in Gelb und Blau; die

Wir sehen das Leben unserer vorfahren, sprach er,
unserer ältesten Vorfahren, aus den Zeiten des „Schweizer-
bildes" und der Pfahlbauten vor uns. Wir kämpfen mit
ihnen in den Höhlen von Schaffhausen, an den Ufern
unserer Seen gegen eine undankbare, von gefährlichen
Feinden wimmelnde Natur. Und in diesen entfernten und
rauhen Zeiten stoßen wir schon auf Rudimente künstlerischen
Schaffens in ihren schüchternen Örnamentationsversuchen,
in ihren Zeichnungen, deren Naivetät dennoch nicht des
Reizes entbehrt. Ls folgen die Spuren einer raffinirten
Livilisation, die die Römer zu uns brachten und von deren
Glanz die wissenschaftlich geleiteten Ausgrabungen in den
großen Städten Augusta Rauracorum, Vindonissa und
Aventicum beredtes Zeugniß ablegen. Die alemannisch-
burgundifche Periode wird uns zweifellos nicht allzu lange
aufhalten, denn wir werden zu fehr durch das Erwachen
unserer Schweizer Kunst gefesselt, welches im Mittelalter be-
ginnt, um sich bis auf unsere Tage zu erstrecken. Jetzt
erst beginnen für uns die eigentlichen, künstlerischen Genüsse.
Und wie könnte dies auch anders sein gegenüber dieser
herrlichen Sammlung von Interieurs, die uns nicht in der
gewöhnlichen Art eines Museums geboten werden, sondern


A. Feuerbach. Alexander und Bukephalus, Handzeichnung.
Original im Besitz -er Kunsthandlung Mtz Gurlitt, Berlin.
 
Annotationen