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378

Deutsche Kunst.

in der unteren rechten Ecke die Bezeichnung A. Graff pinx. 1781, die aller-
dings nur bei sehr guter Beleuchtung zu sehen ist. Man wußte bisher nicht,
daß man einen solchen Schatz auf dem Rathhause besaß. Nunmehr haben
sich im städtischen Archiv auch die Rechnungen dafür gefunden. Graff hat
für das Ltldniß am 25. März 1792 ein Honorar von 200 Thalern aus-
gezahlt erhalten. Das Gemälde, das nunmehr eine Zierde des Stadtmuseums
bildet, ist 2,22 Meter hoch und 1,64 Meter breit. Ls zeigt den damals
31 Jahre alten Kurfürsten in voller Rüstung, geschmückt mit dem blauen
Bande des polnischen weißen Adlerordens, im Hermelinmantel, mit dem
Marschallstabe in der Rechten, die sich auf einen Stuhl stützt; auf diesem liegt
der Kurhut. Zwei andere Bildnisse des Kurfürsten aus dem Jahre 1780 be-
finden sich im k. Schlosse zu Dresden und im Rathhause zu Leipzig.
— viele der kostbarsten und schönsten aus früheren Jahrhunderten auf
uns gekommenen Silbergeräthe sind entstanden, um bei festlichen Anlässen die
Tafeln in den Rathhäusern wohlhabender Städte zu zieren. In unserem
Jahrhundert achtete man diesen auch schon aus kunstfördernden Rücksichten so
schönen Brauch nicht mehr; an Neuanschaffungen und Vervollständigung des
alten Besitzes dachte Niemand, ja man scheute sich nicht einmal, das von den
Vätern heilig gehaltene Ligenthum zu verhandeln. In neuester Zeit erst sieht
man die in diesem Sinne begangenen Fehler ein, und ist nun bestrebt, dem
Reichthum der Bürgerschaft entsprechend, nach und nach einen Rathsschatz zu
erwerben, um wieder würdig die künstlerische und materielle Leistungsfähigkeit
des Gemeinwesens auch in dieser scheinbar so nebensächlichen Aeußerltchkeit
zur Schau bringen zu können. Im Museum für Kunst und Kunst-
gewerbe in Hamburg ist zur Zeit ein für das Rathhaus bestimmter Tafel-
aufsatz ausgestellt, der dem übrigen in Hamburgs großartigstem Monumentalbau
gemachten künstlerischen Aufwande würdig zur Seite tritt. Das als ein
Lhrendenkmal für den verewigten Bürgermeister Kellinghusen gedachte und
aus der von diesem gemachten Stiftung angeschaffte Schmuckstück ist im Lnt-
wurf und Ausführung eine Arbeit des Hamburger Goldschmieds Alexander
Schoeuauer. Das prächtige Kunstwerk verleugnet nicht die echte Künstler-
hand, es ist eine Arbeit von individuellem Gepräge, nicht angehaucht von
dem alles schematisirenden Schaffen, wie es die aus den heute herrschenden
Goldwaarenfabriken hervorgehenden Leistungen kennzeichnet. Der Künstler hat
es verstanden, gesunde Gedanken in glücklicher Form zu gestalten. Das Prunk-
stück ist im Renaissancecharakter gehalten, es war dem Meister vorgeschrieben,
wenn diese Linschränkung der künstlerischen Schaffensfreiheit in mancher Be-
ziehung zu bedauern ist, wird sie doch gerade für diesen Fall aus verschiedenen
Gründen leicht zu rechtfertigen sein, die Frische mangelt jedenfalls dem Kunstwerk
nicht. Auf einem Untersatz von schwarzem Marmor erhebt sich der aus reich
vergoldetem Silber mit Anwendung von Lmail und Vergkrpftall gestaltete
Aufbau. Auf den vier sockelartigen Füßen, zwischen denen je eine muschel-
förmige Schale eingefügt ist, sitzen allegorische weibliche Gestalten, welche
verkörpern: Kunst und Wissenschaft an der Hauptseite, Mildthätigkeit und
Frömmigkeit an der Rückseite. An den Seiten des mittleren Sockelgliedes
sieht man vorn das Reliefbildniß Kellinghusens mit Wappen, hinten das
Hamburger Staatswappen und zwischen beiden Inschrifttafeln, deren Text
lautet: „Einem hohen Senate der freien und Hansestadt Hamburg für das
neue Rathhaus gewidmet von der Bürgermeister Kellinghusen-Stiftung 1898."
Und „Zum Gedächtniß an Se. Magnifizenz Herrn Bürgermeister Heinrich
Kellinghusen j. u. 6. in Hamburg, geb. den 16. April 1796, gest. den

20. April 1879." — Möchte das Kunstwerk allseitig die verdiente Anerkennung
finden, den Meister ermuthigen zu weitereni Schaffen mit Einsetzung seines
besten könnens und die Vertreter von Hamburgs Bürgerschaft veranlassen, nach
Möglichkeit dem beschriebenen gleichwerthige Kunstwerke zu erwerben.
— Kustos Ed. Gerisch hat das erst jüngst entdeckte Freskogemälde aus
dem Singerthore des St. Stephansdomes in Wien vorzüglich reftaurirt, auf
Leinwand übertragen und von rückwärts mit einer starken Holzwand geschützt.
Er hat nur die alten fragmentarischen Partien aufgefrischt, ohne etwas hinzu-
zumalen, um das Kunstwerk in seiner Ursprünglichkeit zu erhalten, denn es ist
in mancher Beziehung ein Unikum, welches zu den seltensten Schätzen der
Malerei diesseits dec Alpen gerechnet werden muß. wie Kustos I)r. Hermann
Dollmapr von der kaiserlichen Gemäldegalerie nach vorgenommener Unter-
suchung sich äußert, gehört es der lombardischen Schule (1490—1530) an.
Seine Bedeutung besteht darin, daß es ein Werk im norditalienischen Stile
an der wand eines nordisch gothtschen Domes ist, wozu in Vesterreich und
Deutschland wohl kaum ein Analogon zu finden ist. Das Bild wird dem
Museum der Stadt Wien überlassen werden.
— Interessant war die am 30. Juni veranstaltete Versteigerung
einer Privatsammlung bei dem Kunsthändler Neustadt in München, bei der
bedeutende Werke moderner Künstler sowohl, auch auch hervorragender ver-
storbener Münchener Meister zum Aufwurfe kamen, die aus Privatbesitz wegen
Raummangels aufgegeben werden. Unter den modernen Künstlern der
Sammlung ragen besonders E. Berninger, A. Böcklin, Gust. Schönleber,
Ed. Schleich jun. und der Franzose I. Moreaux hervor. Von Werken her-
vorragender verstorbener Münchner Künstler sind besonders hervorzuheben
Karl Rottmann, A. Lier, k. Spitzweg, Fciedr. Voltz, Cd. Schleich sen.,
Aug. Löffler, Ludw. Neubert, Heinr. Dallwig, Alb. Zimmermann, Max
Zimmermann. Dazu gesellten sich noch mehrere alte Bilder, von denen ein
sehr schön erhaltener Golzins besonders zu nennen ist.
— Line der großartigsten kunstverstei gerungen ist diejenige
der Tabourier'schen Sammlung in Paris, die eben 943 000 Francs ein-
brachte. Sie umfaßte so ziemlich alle Gebiete der Kunst und bot auf jedem
erlesene Stücke, von den Gemälden alter Meister brachte der ländliche Rund-
ranz von Lancret mit 112 000 Franks den höchsten Preis. Die Rast bei der
Jagd desselben Meisters 6100; Boucher, Amor als Vogelsteller, 5100; Llonet,
zwei männliche Bildnisse, 5600 und 2800; Fragonard, Gelübde für Amor,
18 500; siegender Amor, 6106; Amor als Thorheit, 6100; Vildniß der Du-
barr^, 4700; Claude Lorrain, italienische Landschaft bei Sonnenuntergang,
6600; Grenze, Frauenbildniß, 3100; Largilliäce, männliches Bildniß, 3500;
Nattier, Bildniß des Herzogs de Lhaulnes, 4100; Fcauenkopf, 7500; Pater,
Ankunft im Lager, 28 000; Lager, 29 000; proudhon, Unschuld, die Liebe
dem Reichthum vorziehend, 5000; Tugend im Kampfe mit dem Laster, 5000 ;
Christus am kreuz, 5000; Watteau, ländliche Erholung, 6000. Von den
Gemälden auswärtiger Schulen sind besonders hervorzuheben: von Hans
Holbein das Bildniß des Kardinals Fisher, 10 300; zwei Bildnisse von S.
Holbein, je 4000; besonders aber eine Kreuzigung von einem ungenannten
Meister der kölnischen Schule, 17 000. Dann: Berkhepde, Damm beim Haag,
3305; Canaletto, der Arno bei Florenz, 9250; Ansicht von Florenz, 7700;
die Hofkirche zu Dresden, 10100; Ansicht von Dresden mit den alten Wällen,
6000; Cu^p, männliches Bildniß, 7000; F^t, Küchenstück, 3930.



persönliches.


— Der Bildhauer Professor Ludwig Manzel zu Berlin ist zum
ordentlichen Lehrer an der Unterrichts-Anstalt des Kunstgewerbe-Museums er-
nannt und dem ordentlichen Lehrer an der Kunstschule in Berlin Maler Philipp
Franck ist das Prädikat „Professor" beigelegt worden.
— Zu Professoren wurden ernannt die Maler Hans Thoma und
Wilhelm Trübner in Frankfurt a. M. und Karl Irmer und Hugo
Mühlig in Düsseldorf.
— Im Atelier des Prof. Ioh. Pfuhl in Lharlottenburg, Fasanen-
straße 101, war vor einiger Zeit das vollendete Modell des Standbildes

Jakob Böhme's ausgestellt, das für Görlitz bestimmt ist. Ls liegt etwas
Hinreißendes in dieser schlichten Denkergestalt, die mit den Attributen des
Schuhmacherhandwerks ausgestattet, im Schurzfell auf dem Schemel fitzend
erfaßt ist. Das Kostüm ist getreu das des angehenden 17. Jahrhunderts.
Schwungvoll, das Haupt erhebend, als stehe er unter der Macht einer plötz-
lichen Eingebung, blickt die noch jugendliche Gestalt des Denkers wie in einer
Art von Verzückung in die Ferne. Die Züge geben die überlieferten Bildnisse
des Mannes wieder, leicht idealisirt, aber ganz individuell und charakteristisch.
Rückwärts lehnt das Schusterbrett mit der Boehme'schen Inschrift: „Liebe und
 
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