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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,1.1915

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1915)
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Avenarius, Ferdinand: Deutscher Wille
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https://doi.org/10.11588/diglit.14291#0019

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trotz all der Gedanken, die ihnen aufsuggeriert worden sind, schwächer
ist, als ein an Zahl gleiches deutsches. Zudem: auch die jetzt so viel be»
tonte Anpassungsfähigkeit der Deutschen hat den Reichtum an Möglichkeiten
zur Voraussetzung, der sich gerade aus dem Individualismus unsrer Men»
schenart nährt. Die zweite Reihe von Rufgaben des Deutschtums, seine
organisatorische Wirkung auf andre Völker, würde durch Verherdung un-
möglich gemacht, denn die würde unsre Fähigkeit hemmen, einerseits Frem-
des verstehend aufzunehmen, anderseits den Fremden Eigenes verständlich
zu übermitteln.

D

aß die Anterschiede der Partei, der gesellschaftlichen Stellung, der Kon«
fession in unserm Vaterlande mit dem Ausbruche des Krieges weit
zurücktraten, daß wir alle zusammenstanden gegen den Feind, und daß es
so bleibt, es war und es ist zum Siege unerläßlich. Der Ausdruck «das
deutsche Volk ist einig geworden^ berührt jedoch den erhebenden Vorgang
nur an der Oberfläche. Wir sind vor tausend Fragen verschiedener Äber«
zeugung geblieben und werden nach dem Kriege sein, was wir vor ihm
waren: das „differenzierteste" Volk der Welt. Einig geworden sind wir
nur für das eine Ziel. Aber wir haben in dem Willen zum Siege uns
zu verbünden gelernt. Uns zu verbünden aus allen Parteien, allen
Landsmannschaften, allen Konfessionen, allen Ständen her. Das ist es,
was wir uns für die Zeit nach dem Kriege erhalten müssen, da keine un-
mittelbar fühlbare Rot mehr uns zusammenpressen, da aber die Rotwendig»
keit höchster Kräftigung doch bleiben wird, das: die Fähigkeit, die aus
dem Einzelwesen auftreibende Kraft als das eigentlich Schöpferische nach
aller Möglichkeit walten zu lassen selbst dort, wo sie uns aus- und gegen-
einanderdrängt — und dennoch die Fähigkeit zu behalten, uns für die
Ziele fest zu verbünden, die uns gemeinsam sind.

Im Verbünden liegt die deutsche Einheit der Zukunft, nicht im Einerlei-

machen.

(A

^as versteht sich jetzt während des „Burgfriedens^ jedem von selber,
^aber bis zu Kriegsbeginn verstand sich's nur wenigen, deshalb ist eben
jetzt für uns alle die Zeit, den Willen dafür zu stärken. Die Mannig»
faltigkeit unsres Fühlens und Denkens ist ein Nationalreichtum — den
Satz werden nur die wenigen tzöchstgebildeten verstehn. Keine einzelne
Partei in Deutschland ist so stark, daß sie die andern beherrschen könnte —
die Wahrheit dagegen leuchtet schon vielen ein. Wir müssen uns ver-
tragen, um bündnisfähig auch für Friedensaufgaben zu bleiben, wie sie
mit weit weniger zwingendem Anruf als der Krieg nach Verbündung rufen
und in ihrer Gesamtheit doch ebenso wichtig sind, denn die Friedensarbeit
tüchtigt uns ja auch für den Krieg.

Bündnisfähig untereinander bleiben wir nur, wenn wir uns und
unsern Kindern als erstes Fundament allen politischen Bauens die Er-
kenntnis festlegen: keiner darf wegen einer Aberzeugung moralisch und
gesellschaftlich als minderwertig gelten. Trotzdem galten zu Kulturkampf-
zeiten den Liberalen die „Ultramontanen^ und den Zentrumsleuten die

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